Aus einer jahrelangen Lebens- und Schaffenskrise heraus, ausgelöst durch die Nachrichten über den Genozid an der europäischen Judenheit, begann Soma Morgenstern 1946 in New York, immer wieder neu ansetzend und immer wieder stockend, sein Totenbuch fürdie Opfer des Völkermordes zu schreiben.
Mit der "Blutsäule" unternahm er den Versuch, das SS-Verbrechen an den jüdischen Einwohnern eines Städtchens am Fluß Sereth im einstigen Ostgalizien literarisch zu fassen. Auf der Suche nach einer Sprachform, die dieser schwierigen Aufgabe angemessen wäre, beschloß er, das Buch wie jemand zu schreiben, der in seinem Leben nichts anderes als die hebräische Bibel gelesen hat.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Mit der "Blutsäule" unternahm er den Versuch, das SS-Verbrechen an den jüdischen Einwohnern eines Städtchens am Fluß Sereth im einstigen Ostgalizien literarisch zu fassen. Auf der Suche nach einer Sprachform, die dieser schwierigen Aufgabe angemessen wäre, beschloß er, das Buch wie jemand zu schreiben, der in seinem Leben nichts anderes als die hebräische Bibel gelesen hat.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.1998Erzählen heißt richten
Soma Morgensterns Roman "Die Blutsäule" · Von Lothar Müller
Dieses Buch ist aus der langsamen Überwindung einer Sprachlähmung hervorgegangen. Sie erfaßte den jüdischen Schriftsteller Soma Morgenstern (1890 bis 1976), dem im Jahre 1941 über Marseille, Casablanca und Lissabon die Flucht nach Amerika gelungen war, als er in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in New York daranging, ein "Totenbuch" für die Opfer des Holocaust zu verfassen. In obsessiver Konsequenz unterzog er sich dabei der selbstgesetzten Verpflichtung, "alle ihm erreichbaren schriftlichen, mündlichen, bildlichen und namentlich filmbildlichen Zeugnisse des ungeheuersten Verbrechens der Weltgeschichte zu erforschen, ehe er sich unterstehen konnte, eine solche Schrift zu wagen". Den größten Beitrag zur Traumatisierung des Autors durch die Quellen, denen er sich aussetzte, leisteten die von den Alliierten in den deutschen Todeslagern gedrehten Dokumentarfilme.
Der Roman "Die Blutsäule", den Morgenstern schließlich in immer neuen, von psychischen Krisen unterbrochenen Anläufen zwischen 1946 und 1952 schrieb, setzt diesen unmittelbar von der physischen Wirklichkeit der Vernichtung zeugenden Filmen die Rettung in die Sprache der jüdischen Tradition entgegen. Er verweigert die im verstörenden Bericht Primo Levis über Auschwitz begründete Allianz der Holocaust-Literatur mit einer rückhaltlos dokumentarischen, prosaischen Sprache, die das Skandalon des Berichteten gegen jeden metaphysischen Trost abschirmt. Am Gegenpol von Paul Celans "Todesfuge", aber auch aller Beschwörungen der gottverlassenen Welt angesiedelt, ist dieser Roman einer der wenigen Versuche, auf die Welt der industriell betriebenen Mordfabriken gerade nicht in einer dem Schweigen und der Selbstzerstörung nahen, sondern in einer demonstrativ unversehrten Sprache zu antworten. Morgenstern hat keinen Zweifel daran gelassen, daß dieses Sprachvertrauen in seinem Gottvertrauen wurzelte.
Aber die Frömmigkeit war nur die eine Kraft, die ihn aus der Sprachlähmung herausführte. Die andere war ein Rachebedürfnis von alttestamentarischem Ausmaß. Es kommt in diesem Buch an vielen einzelnen Stellen, vor allem aber in der Form des Ganzen zum Ausdruck: Hier tritt jemand gegen die faktische Macht der Vernichtung an, indem er für ihre Darstellung keine andere Sprache als die der Opfer zuläßt, indem er den innersten Kern der jüdischen Kultur, die "Sprache der Schrift", gegen ihre Zerstörer das letzte Wort behalten läßt. Motto des Romans ist Exodus 13, 21, jene Bibelstelle, in der dem Volk der Juden beim Auszug aus Ägypten tagsüber die Wolkensäule und nachts die Feuersäule den Weg weisen. Die "Blutsäule" des Titels will, auch dies ein Einspruch gegen die um Bilder der Leere zentrierte negative Theologie der Moderne, als Zeichen der Hoffnung nach der Katastrophe gelesen werden.
Der Roman spielt in der historischen Zeit - "im dritten Monat des fünften Kriegsjahres" - und in einer identifizierbaren Region, am Fluß Sereth in der galizischen Heimat des Autors. Schauplatz ist die geschändete Synagoge eines nicht näher bezeichneten Ortes, an dem gerade die deutschen Besatzer endgültig von der Roten Armee in die Flucht geschlagen werden. Der exemplarische Bericht über die von den Deutschen in dieser anonymen Stadt verübten Verbrechen ist in eine strenge Konstruktion eingelassen: Es wird Gericht gehalten über einige SS-Angehörige, die es in die Synagoge verschlagen hat. Über weite Strecken hinweg gibt der Erzähler des Romans einer der Figuren, dem "erzählenden Richter", das Wort: "Seine Erzählung ist das erste Hauptstück des Verfahrens." In dieser Ineinssetzung von Erzählen und Gerichthalten findet dieser Roman seine Rechtfertigung. Er läßt keine Greueltaten unerwähnt: nicht die Vergewaltigungen, nicht die Massenerschießungen, nicht die blindwütigen Schüsse auf die in der Synagoge versammelten Juden. Aber er anonymisiert das historische Geschehen und verwandelt alle Figuren in allegorische Gestalten, die aus den Schrecken der Jetztzeit in das epische Reich der Legenden eingehen.
Das gilt nicht nur für die jüdischen und christlichen Zöllner, für den Toraschreiber und seine Söhne, für die Zwillingstöchter des Bäckers, für den Unglückspropheten oder den Vorsitzenden des rabbinischen Gerichts. Es gilt auch für die SS-Mörder und ihren "Häuptling", ja es gilt sogar für Hitler, Goebbels und Göring, die als der "Schreihals", der "Klumpfuß" und der "Fettwanst" Eingang in die Erzählung finden und die "zynische Idee" ausbrüten, die den Vernichtungslagern zugrunde liegt: "Wir haben den Juden das Leben zur Schande gemacht, wir müssen auch ihren Tod schänden." Der Bericht über die systematische Ermordung der jüdischen Kinder ist der Höhepunkt der in Form einer Gerichtsverhandlung voranschreitenden Erzählung. Das zentrale Symbol, das im Roman für die Todesfabriken steht, ist eine Holzkiste mit der Aufschrift "Garantiert echte Figurenseife für die Helden der SS No. 27". Hier, im Einspinnen noch der industriell-materialtechnischen Vernutzung der Opfer in die Sprachform der Legende, erreicht der Roman den äußersten Punkt seiner Rebellion gegen jene Dokumentarfilme, die seinen Autor traumatisierten.
Eine der allegorischen Figuren des Romans ist ein Vertreter der "anderen Seite", der Sphäre des Dämonischen und Satanischen, deren zerstörerische Gewalt nach kabbalistischer Lehre erst in der messianischen Zeit überwunden wird. Dieser Dämon diagnostiziert als Entsprechung zur Schändung der Heiligtümer die Schändung des überlieferten Bösen: "Die Deutschen haben es fertiggebracht, das Böse so zu verschandeln, daß es sogar dem Satan zum Ekel geworden ist. Sie wähnen sich Dämonen, wenn sie Seife aus Menschenblut machen, und sind doch nur stumpfe Metzger, fleißige Fleischhacker, blutbefleckte Seifensieder." Diesem empörten Dämon legt Morgenstern den Verdacht in den Mund, den er gegen das dokumentarische Darstellungsprinzip hegt: "Ich gestehe, mich wollte es schier verdrießen, daß dem Ankläger verboten ward, die aberwitzigen Bluttaten, begangen an den Kindern, vor diesem Gericht gehörig auszumalen. Nun sehe ich, es war töricht, so zu denken. Ja, es ist eine Schande, die Schande einzukleiden, sei es in Wort, sei es in Farbe, sei es in Ton."
Die "Blutsäule" ist in Deutschland erstmals 1964 publiziert worden, in einem wenig später eingegangenen Verlag, und ohne nennenswerte Beachtung zu finden. Nun liegt der Roman in der Werkausgabe vor, die der Lüneburger Verlag zu Klampen Soma Morgenstern widmet (siehe F.A.Z. vom 6. Juli 1996). Er ist das Epitaph auf die Schilderung des ostgalizischen Judentums und seiner spannungsreichen Beziehung zum assimilierten Judentum der großen Städte in der Trilogie "Funken im Abgrund". Und er ist ein ganz in die Einheit von Sprach- und Gottvertrauen zurückgezogenes Gegenstück zu den anekdotenreichen Büchern über Joseph Roth und Alban Berg. Hier, wo die Formeln der jüdischen Liturgie das Ende des Buches wie einzelner Kapitel besiegeln, sind die sorgfältigen Kommentare und Erläuterungen des Herausgebers Ingolf Schulte besonders nützlich. Manchen heutigen Lesern, auch jüdischen, wird die Konsequenz, mit der Morgenstern in diesem streng stilisierten Roman den Holocaust als katastrophalen Vorschein künftiger Erlösung darstellt, befremdlich erscheinen. Doch ist er nicht nur ein Dokument privater Frömmigkeit. Als episches Experiment führt es zugleich in die unmittelbare Nähe jüngerer Debatten zur literarischen Darstellbarkeit des Holocaust, etwa zu derjenigen um den deskriptiven Furor und die pseudodokumentarische Ästhetik des Schreckens in Daniel Goldhagens Bestseller. Die Kehrseite von Morgensterns eschatologischem Gottvertrauen ist sein Bilderverbot angesichts des grenzenlos Bösen. "Um das zu malen, was die Schänder der Schöpfung getan haben, muß man von der Art der Schänder sein."
Soma Morgenstern: "Die Blutsäule". Zeichen und Wunder am Sereth. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingolf Schulte. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 1997. 199 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Soma Morgensterns Roman "Die Blutsäule" · Von Lothar Müller
Dieses Buch ist aus der langsamen Überwindung einer Sprachlähmung hervorgegangen. Sie erfaßte den jüdischen Schriftsteller Soma Morgenstern (1890 bis 1976), dem im Jahre 1941 über Marseille, Casablanca und Lissabon die Flucht nach Amerika gelungen war, als er in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in New York daranging, ein "Totenbuch" für die Opfer des Holocaust zu verfassen. In obsessiver Konsequenz unterzog er sich dabei der selbstgesetzten Verpflichtung, "alle ihm erreichbaren schriftlichen, mündlichen, bildlichen und namentlich filmbildlichen Zeugnisse des ungeheuersten Verbrechens der Weltgeschichte zu erforschen, ehe er sich unterstehen konnte, eine solche Schrift zu wagen". Den größten Beitrag zur Traumatisierung des Autors durch die Quellen, denen er sich aussetzte, leisteten die von den Alliierten in den deutschen Todeslagern gedrehten Dokumentarfilme.
Der Roman "Die Blutsäule", den Morgenstern schließlich in immer neuen, von psychischen Krisen unterbrochenen Anläufen zwischen 1946 und 1952 schrieb, setzt diesen unmittelbar von der physischen Wirklichkeit der Vernichtung zeugenden Filmen die Rettung in die Sprache der jüdischen Tradition entgegen. Er verweigert die im verstörenden Bericht Primo Levis über Auschwitz begründete Allianz der Holocaust-Literatur mit einer rückhaltlos dokumentarischen, prosaischen Sprache, die das Skandalon des Berichteten gegen jeden metaphysischen Trost abschirmt. Am Gegenpol von Paul Celans "Todesfuge", aber auch aller Beschwörungen der gottverlassenen Welt angesiedelt, ist dieser Roman einer der wenigen Versuche, auf die Welt der industriell betriebenen Mordfabriken gerade nicht in einer dem Schweigen und der Selbstzerstörung nahen, sondern in einer demonstrativ unversehrten Sprache zu antworten. Morgenstern hat keinen Zweifel daran gelassen, daß dieses Sprachvertrauen in seinem Gottvertrauen wurzelte.
Aber die Frömmigkeit war nur die eine Kraft, die ihn aus der Sprachlähmung herausführte. Die andere war ein Rachebedürfnis von alttestamentarischem Ausmaß. Es kommt in diesem Buch an vielen einzelnen Stellen, vor allem aber in der Form des Ganzen zum Ausdruck: Hier tritt jemand gegen die faktische Macht der Vernichtung an, indem er für ihre Darstellung keine andere Sprache als die der Opfer zuläßt, indem er den innersten Kern der jüdischen Kultur, die "Sprache der Schrift", gegen ihre Zerstörer das letzte Wort behalten läßt. Motto des Romans ist Exodus 13, 21, jene Bibelstelle, in der dem Volk der Juden beim Auszug aus Ägypten tagsüber die Wolkensäule und nachts die Feuersäule den Weg weisen. Die "Blutsäule" des Titels will, auch dies ein Einspruch gegen die um Bilder der Leere zentrierte negative Theologie der Moderne, als Zeichen der Hoffnung nach der Katastrophe gelesen werden.
Der Roman spielt in der historischen Zeit - "im dritten Monat des fünften Kriegsjahres" - und in einer identifizierbaren Region, am Fluß Sereth in der galizischen Heimat des Autors. Schauplatz ist die geschändete Synagoge eines nicht näher bezeichneten Ortes, an dem gerade die deutschen Besatzer endgültig von der Roten Armee in die Flucht geschlagen werden. Der exemplarische Bericht über die von den Deutschen in dieser anonymen Stadt verübten Verbrechen ist in eine strenge Konstruktion eingelassen: Es wird Gericht gehalten über einige SS-Angehörige, die es in die Synagoge verschlagen hat. Über weite Strecken hinweg gibt der Erzähler des Romans einer der Figuren, dem "erzählenden Richter", das Wort: "Seine Erzählung ist das erste Hauptstück des Verfahrens." In dieser Ineinssetzung von Erzählen und Gerichthalten findet dieser Roman seine Rechtfertigung. Er läßt keine Greueltaten unerwähnt: nicht die Vergewaltigungen, nicht die Massenerschießungen, nicht die blindwütigen Schüsse auf die in der Synagoge versammelten Juden. Aber er anonymisiert das historische Geschehen und verwandelt alle Figuren in allegorische Gestalten, die aus den Schrecken der Jetztzeit in das epische Reich der Legenden eingehen.
Das gilt nicht nur für die jüdischen und christlichen Zöllner, für den Toraschreiber und seine Söhne, für die Zwillingstöchter des Bäckers, für den Unglückspropheten oder den Vorsitzenden des rabbinischen Gerichts. Es gilt auch für die SS-Mörder und ihren "Häuptling", ja es gilt sogar für Hitler, Goebbels und Göring, die als der "Schreihals", der "Klumpfuß" und der "Fettwanst" Eingang in die Erzählung finden und die "zynische Idee" ausbrüten, die den Vernichtungslagern zugrunde liegt: "Wir haben den Juden das Leben zur Schande gemacht, wir müssen auch ihren Tod schänden." Der Bericht über die systematische Ermordung der jüdischen Kinder ist der Höhepunkt der in Form einer Gerichtsverhandlung voranschreitenden Erzählung. Das zentrale Symbol, das im Roman für die Todesfabriken steht, ist eine Holzkiste mit der Aufschrift "Garantiert echte Figurenseife für die Helden der SS No. 27". Hier, im Einspinnen noch der industriell-materialtechnischen Vernutzung der Opfer in die Sprachform der Legende, erreicht der Roman den äußersten Punkt seiner Rebellion gegen jene Dokumentarfilme, die seinen Autor traumatisierten.
Eine der allegorischen Figuren des Romans ist ein Vertreter der "anderen Seite", der Sphäre des Dämonischen und Satanischen, deren zerstörerische Gewalt nach kabbalistischer Lehre erst in der messianischen Zeit überwunden wird. Dieser Dämon diagnostiziert als Entsprechung zur Schändung der Heiligtümer die Schändung des überlieferten Bösen: "Die Deutschen haben es fertiggebracht, das Böse so zu verschandeln, daß es sogar dem Satan zum Ekel geworden ist. Sie wähnen sich Dämonen, wenn sie Seife aus Menschenblut machen, und sind doch nur stumpfe Metzger, fleißige Fleischhacker, blutbefleckte Seifensieder." Diesem empörten Dämon legt Morgenstern den Verdacht in den Mund, den er gegen das dokumentarische Darstellungsprinzip hegt: "Ich gestehe, mich wollte es schier verdrießen, daß dem Ankläger verboten ward, die aberwitzigen Bluttaten, begangen an den Kindern, vor diesem Gericht gehörig auszumalen. Nun sehe ich, es war töricht, so zu denken. Ja, es ist eine Schande, die Schande einzukleiden, sei es in Wort, sei es in Farbe, sei es in Ton."
Die "Blutsäule" ist in Deutschland erstmals 1964 publiziert worden, in einem wenig später eingegangenen Verlag, und ohne nennenswerte Beachtung zu finden. Nun liegt der Roman in der Werkausgabe vor, die der Lüneburger Verlag zu Klampen Soma Morgenstern widmet (siehe F.A.Z. vom 6. Juli 1996). Er ist das Epitaph auf die Schilderung des ostgalizischen Judentums und seiner spannungsreichen Beziehung zum assimilierten Judentum der großen Städte in der Trilogie "Funken im Abgrund". Und er ist ein ganz in die Einheit von Sprach- und Gottvertrauen zurückgezogenes Gegenstück zu den anekdotenreichen Büchern über Joseph Roth und Alban Berg. Hier, wo die Formeln der jüdischen Liturgie das Ende des Buches wie einzelner Kapitel besiegeln, sind die sorgfältigen Kommentare und Erläuterungen des Herausgebers Ingolf Schulte besonders nützlich. Manchen heutigen Lesern, auch jüdischen, wird die Konsequenz, mit der Morgenstern in diesem streng stilisierten Roman den Holocaust als katastrophalen Vorschein künftiger Erlösung darstellt, befremdlich erscheinen. Doch ist er nicht nur ein Dokument privater Frömmigkeit. Als episches Experiment führt es zugleich in die unmittelbare Nähe jüngerer Debatten zur literarischen Darstellbarkeit des Holocaust, etwa zu derjenigen um den deskriptiven Furor und die pseudodokumentarische Ästhetik des Schreckens in Daniel Goldhagens Bestseller. Die Kehrseite von Morgensterns eschatologischem Gottvertrauen ist sein Bilderverbot angesichts des grenzenlos Bösen. "Um das zu malen, was die Schänder der Schöpfung getan haben, muß man von der Art der Schänder sein."
Soma Morgenstern: "Die Blutsäule". Zeichen und Wunder am Sereth. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ingolf Schulte. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 1997. 199 S., geb., 46,- DM.
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