Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 31,92 €
  • Gebundenes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 991
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 604g
  • ISBN-13: 9783251201877
  • Artikelnr.: 26920091
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.1996

Die Trommeln der Liebe
Gustave Flaubert schreibt Louise Colet · Von Thomas Steinfeld

Als Gustave Flaubert seinen ersten Brief an Louise Colet schreibt, ist ihre Liebe noch keine Woche alt. "Nur Freude möchte ich Dir bereiten und Dich umgeben mit einem stillen, anhaltenden Glück", schwärmt er. "Was für eine Erinnerung! Und welche Sehnsucht! Ach! unsere beiden Ausfahrten in der Kutsche, wie waren die schön." Auf einer Droschkenfahrt soll der junge Mann aus der Provinz die deutlich ältere und auch verheiratete Pariser Dame verführt haben. Doch die Anekdote gibt es in mehreren Varianten: Gustave Flaubert sei in ihrer Wohnung geblieben, als die anderen Gäste gingen, lautet eine andere Fassung, und beim ersten Mal habe er versagt, was Louise Colet ihm freundlich verzieh.

Mit dem Schreiben vom August 1846 beginnt eine Kaskade von Briefen, die nun, soweit sie erhalten sind, zum ersten Mal vollständig auf deutsch vorliegen. Einige von diesen hunderteinundachtzig Sendungen gehören zu den bekanntesten der Literaturgeschichte. Denn in ihrem letzten Drittel begleiten sie die Entstehung des ersten veröffentlichten Romans von Gustave Flaubert, der "Madame Bovary". Als der Dichter sich acht Jahre später überlegt, ob er eine nörgelnde Louise Colet nicht mit einem Stück Feuerholz erschlagen solle, und sich dann endgültig von seiner "Muse" trennt, hat er das Kapitel erreicht, in dem der Landarzt Bovary einen Klumpfuß operieren will. Es steht genau in der Mitte des Romans, und wie Gustave Flaubert bis dahin um jedes Wort, um jede Zeile ringt, Hunderte von Seiten schreibt, bis er mit einer zufrieden ist, ist in den Briefen an Louise Colet dokumentiert. Diese sind meist nachts entstanden, nachdem die literarische Arbeit ein kleines Stück vorangekommen war oder auch nicht. Und in einem eigenartigen Gegensatz zum Roman bereitet ihm das Sprechen in Briefen keine Mühe. Sie rauschen dahin, der Autor schwatzt hemmungslos. Manche dieser Briefe umfassen zehn und mehr Druckseiten.

,Sehen Sie diesen großen Jungen da", soll der Bildhauer James Pradier zu Louise Colet gesagt haben, als der Vierundzwanzigjährige in dem Atelier stand, in dem die Büsten seines Vaters und seiner Schwester geschaffen werden sollten. "Er möchte schreiben. Sie sollten ihm ein paar Ratschläge geben." Louise Colet, von James Pradier als Sappho dargestellt, war tatsächlich eine Schriftstellerin. Keine herausragende, eher eine sentimentale, aber preisgekrönt. Eine Salonpflanze, die zu scherzen pflegte, man habe die Arme der Venus von Milo gefunden, und zwar in ihren Ärmeln. Und doch war sie nach George Sand eine der ersten Frauen, die vom Schreiben leben konnten. Später wird Gustave Flaubert dann über ihre Neigung spotten, die Wechselfälle der eigenen Biographie zu Rührstücken zu verarbeiten.

Die literarische Welt suchte sich einen Reim auf diese Liebe zu machen. "Flaubert hat von Natur aus etwas Derbes an sich", mutmaßten die Brüder Goncourt, "das an dieser sinnlichen, erregbaren Frau Gefallen findet, die mit ihrer stürmischen Leidenschaftlichkeit, ihren Wutausbrüchen, ihren körperlichen und geistigen Rasereien die Liebe verschleißt." Aber auch ihre Selbständigkeit muß ihn gereizt haben, und später pflegte er zu bedauern, daß sie kein Mann war. Das Glück, schrieb er seiner Geliebten im Streit, sei "ein Wucherer, der einen Hundert für Zehn zurückzahlen läßt. Ich hätte Dich nicht geliebt, wenn Du ein Freudenmädchen gewesen wärst. Trotzdem wäre das viel besser gewesen. Und Leute von Geist, wie wir, sollten es dabei bewenden lassen." Leider, erklärt er an anderer Stelle, seien auch die Prostituierten nicht mehr, was sie einmal waren.

Als Gustave Flaubert nach seiner ersten Begegnung mit Louise Colet nach Hause zurückkehrte, stand seine Mutter am Bahnhof von Rouen. "Sie hat geweint, als sie mich kommen sah." Ein halbes Jahr zuvor, nach dem Tod des Vaters, hatten sich die beiden mit der kleinen Nichte Caroline in das Landhaus der Familie im Vorort Croisset zurückgezogen. Für Flaubert war dieses Haus der Rückzugsort einer Vernunft, die es mit der Dummheit und Gemeinheit des bürgerlichen Lebens nicht mehr aufnehmen wollte und sich in das Private verkroch, um ihre Nerven zu schonen. "Ich habe mir ein Loch gegraben, und da bleibe ich und passe auf, daß immer die gleiche Temperatur darin herrscht."

Im Asyl von Croisset folgen die Tage einem festen Rhythmus, und die Lektüre der Klassiker gehört zum Pensum. Flaubert liest Shakespeare, will sich in Sophokles versenken, bewundert Goethe, Boileau und auch Hugo. Was er findet, fördert das Gefühl, unzulänglich zu sein. "Zur Mittelmäßigkeit geboren, sind wir von großen Geistern zerstört", zitiert er Montesquieu und meint dann weiter: "Es kommt mir vor, als müßte ich vor Angst sterben, bekäme ich Shakespeare persönlich zu Gesicht." Eine Generation zuvor scheinen die Dichter, Byron zum Beispiel oder Balzac, sich mit ein bißchen Mut aus der Affäre ziehen zu können. Flaubert aber muß zum Einsiedler werden, um die eigenen Romane als Romane abzugrenzen und nicht für den Tag und die Gelegenheit zu schreiben wie Alfred de Musset oder Harriet Beecher-Stowe. Louise Colet, die zuallererst nach Anerkennung verlangt, versteht das nicht, und Flaubert zürnt über ihre Bemerkung, nicht für den Ruhm von Corneille gäbe sie ihr Glück her. "Was ist denn der Ruhm! Nichts ist er!"

Die meisten Briefe an Louise Colet, vor allem die zu Beginn ihrer Verbindung, dienen kaum der Verständigung, sondern einer Poesie der Erinnerung. Oft erwecke Gustave Flaubert den Eindruck, meint Julian Barnes in seinem Vorwort, er sei bereits "voller Vorfreude auf den Blick zurück". In der Trennung entsteht der hemmungslose Enthusiasmus für den anderen, und Gustave Flaubert ist ein Meister der Verehrung auf Distanz. Für Madame Schlesinger, den Schwarm seiner Jugend und das Modell für die Madame Arnoux aus der "Education sentimentale", hatte er sechs Jahre geschwärmt, ohne sie zu berühren.

Das Verfahren hat Prinzip. Denn erst in der Erinnerung entsteht die Ergriffenheit, und erst im Rückblick entsteht eine Sicherheit, wie sie die Wirklichkeit nicht besitzt. Und darin ähnelt Flaubert dem Verführer Rodolphe in der "Madame Bovary". "Überlassen wir uns dem Wind unseres Herzens, solange er das Segel bläht", empfiehlt der Dichter. Rodolphe hingegen hält Madame Bovary und sich selbst für "zwei Flüsse, die aus weiter Ferne kommen und schließlich zusammenströmen". Und wie Emma Bovary eine grünseidene Zigarrentasche verehrt, die sie auf der Heimfahrt von ihrem einzigen Ball gefunden hatte, schwärmt Gustave Flaubert von ihren Pantoffeln, die er in Paris erobert hatte und in seiner Anrichte wie eine Reliquie verwahrt. Nichts kann Gustave Flaubert mehr irritiert haben als der Wunsch seiner Geliebten, sich mit ihrer Tochter in der Nähe von Croisset niederzulassen.

Man muß sich diese Liebe, in ihrem ersten Jahr zumindest und von Gustave Flaubert aus betrachtet, als "idée récue" vorstellen, als einen Gemeinplatz, der auf seine Haltbarkeit geprüft wird. Das heißt nicht, daß diese Briefe zynisch sind und Gustave Flaubert seine Begeisterung nur spielt. Eher ist diese Liebe ein Exerzitium, eine ernste und ausschließlich schriftliche Probe auf eines der großen Motive der bürgerlichen Kultur. Zwei Themen beherrschen daher die Briefe in ihrem ersten Jahr. Zum einen die Liebe selbst, die er im Konjunktiv hätschelt: "Stell Dir dieses Leben vor, das, süß und erfüllt, damit vergeht, gemeinsam zu arbeiten, uns zu lieben." Und zum anderen die Bekenntnisse, wer man sei und was man erlebt habe. Manchmal macht sich Flaubert zum Kind und erzählt von sich wie in der psychoanalytischen Kur.

Die Verführung durch die Macht der Rhetorik ist nicht von Bestand. Mißtrauisch verlangt Louise Colet nach Beweisen, ob sich der Geliebte ihr nicht heimlich entzieht. Sie wittert Verrat, beschimpft ihn als rücksichtslosen Egoisten und wirft ihm vor, seinetwegen auf eine "glänzende Position" als Gattin des Philosophen und Ministers Victor Cousin verzichtet zu haben. Irgendwann ist es genug. Louise Colet kehrt zum "vous", zur formellen Anrede, zurück. Dann wird es auch ihm, dem Geduldigen, zuviel. Die Liebe, erklärt er ihr, sei "ein Bett, wo man sein Herz hinlegt, um ihm Entspannung zu verschaffen. Nur bleibt man nicht den ganzen Tag im Bett liegen. Du dagegen machst daraus eine Trommel, um dem Schritt der Existenz den Takt zu schlagen." Knapp eineinhalb Jahre währte die Verbindung, dann gehen die Wege auseinander.

Im Sommer 1851 beginnt die Geschichte ein zweites Mal. Beide sind jetzt vorsichtiger, und Flaubert schreibt weniger ausschweifend, auch wenn sich im Grunde wenig geändert hat: "Gustave liebt mich ausschließlich um seiner selbst willen", klagt Louise Colet, "um seine Sinnlichkeit zu befriedigen und mir seine Werke vorzulesen." Gerecht ist dieser Vorwurf nicht, denn Flaubert gibt sich große Mühe, Louise Colet zu fördern. Er versucht, ihr die Literatur zu erklären: "Du wirst die Erfüllung Deiner Begabung erreichen, wenn Du das Geschlecht abstreifst, das Dir als Wissenschaft dienen muß, nicht als Mittel." Er hilft ihr bei Artikeln und Gedichten, und oft heißt es in der Fußnote zu einem Brief, auf diesen folgten drei weitere, die aber nur Korrekturen enthielten. Louise Colet verschließt sich vielen Vorschlägen, und das liegt nicht nur daran, daß die meisten nach Flauberts eigenem Programm klingen. Doch er hat Geduld, und eifersüchtig ist er auch nicht, als Louise Colet ein kindisches Verhältnis mit einem meist volltrunkenen Alfred de Musset beginnt.

Im September 1851 beginnt Gustave Flaubert die Arbeit an einem, "großen, ganz schlichten Roman, gemischt aus Ironie und Gefühl, das heißt wahr". In den Briefen an Louise Colet erläutert er das poetische Verfahren der "Madame Bovary" mit einer Prägnanz, die der Literaturwissenschaft kaum etwas zu tun übrigläßt. "Der ganze Wert meines Buches, wenn es denn einen gibt, wird sein, geradewegs auf einem Haar zu balancieren, das über den zweifachen Abgrund des Lyrischen und des Vulgären gespannt ist." Der Roman erzählt von den Sitten der Provinz, und er tut es, indem er zufällig erscheinende Ereignisse aneinanderreiht, bis jenes Haar "straffer gespannt ist" und einen ebenso konstanten wie unangenehmen Ton von sich gibt. Dann geht das Beschriebene in der Beschreibung auf, und das Ungeheuerliche kommt im Gewöhnlichen zum Vorschein. Dieser Gleichheit gilt die ungeheure Mühe Flauberts.

Am Ende scheitert die Verbindung aus denselben Gründen, die sie vom ersten Tag an zu einer Qual machten. Louise Colets Zweifel und Verdächtigungen nehmen kein Ende, und immerzu klagt sie, Flauberts Briefe seien wie das Gewebe der Penelope. "Hinsichtlich ihrer Gefühle ist sie zwanzig Jahre alt", erklärt Flaubert seinem Freund Bouilhet, "und ich sechzig." Er verliert die Geduld mit ihren Werken, und den letzten Artikel, den er für sie redigiert, versieht er mit dem Kommentar, er werde "ein Meisterwerk an schlechtem Geschmack und Chic werden". Kurz darauf versucht Louise Colet, die Bekanntschaft wiederaufzunehmen. Er schickt ihr ein Billet zurück, daß er für sie "nie dasein" werde. Auf den Rand des Billets schreibt sie "lâche, couard et canaille", "Feigling, Memme und Schuft".

Im Dezember 1862 erzählt Gustave Flaubert eine Anekdote, und wieder ist sie eine "idée récue". Als er damals Louise Colet in der Droschke nach Hause geleitet habe, sei alles Heuchelei gewesen, berichtet er den Brüdern Goncourt. "Er schilderte sich als denjenigen, der ihr gegenüber die Rolle des Lebensüberdrüssigen einnahm, des Umdüsterten, der sich nach dem Tode sehnte, eine Rolle, die zu spielen ihn derart amüsierte und die ihn innerlich so belustigte, daß er von Zeit zu Zeit die Nase aus dem Wagenschlag hielt, um nach Herzenslust lachen zu können." Die berühmteste Variante desselben Ereignisses ist erdichtet. Schwankend wie ein Schiff bewegt sich darin eine Droschke kreuz und quer durch Rouen, die Vorhänge geschlossen. "In Paris ist das üblich", erläutert der Liebhaber. Um dieser Geschichte willen wäre "Madame Bovary" beinahe verboten worden.

Gustave Flaubert: "Die Briefe an Louise Colet". Mit allen erhaltenen Briefen und Tagebuchnotizen von Louise Colet an Gustave Flaubert und einem Vorwort von Julian Barnes. Aus dem Französischen übersetzt von Cornelia Hastings. Haffmans Verlag, Zürich 1995. 992 S., geb., 86,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr