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In dieser spannenden Doppelbiographie zeichnet Karl-Heinz Neufeld umfassend die Lebenswege von Karl und Hugo Rahner nach. Er erschließt eine Vielzahl neuer Perspektiven für das Verständnis ihrer Schriften und macht mit großer Sorgfalt, Sachkenntnis und Sensibilität bisher kaum wahrgenommene Zusammenhänge zwischen der Lebenswirklichkeit und der Theologie dieser beiden Jesuiten bewusst.

Produktbeschreibung
In dieser spannenden Doppelbiographie zeichnet Karl-Heinz Neufeld umfassend die Lebenswege von Karl und Hugo Rahner nach. Er erschließt eine Vielzahl neuer Perspektiven für das Verständnis ihrer Schriften und macht mit großer Sorgfalt, Sachkenntnis und Sensibilität bisher kaum wahrgenommene Zusammenhänge zwischen der Lebenswirklichkeit und der Theologie dieser beiden Jesuiten bewusst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.1995

Wollen Sie zu dem berühmten Rahner - oder zu meinem Bruder?
Nachrichten aus einem Schriftstellerhaus der Gesellschaft Jesu: Karl H. Neufelds Doppelbiographie von Karl und Hugo Rahner

Ob die Brüder Rahner bei uns je so bekannt sein werden wie die Brüder Schlegel oder gar wie die Brüder Grimm? Es ist kaum anzunehmen. Für ein Theologenpaar - und gar ein Jesuitenpaar - fehlt es in Deutschland noch immer an öffentlicher Resonanz. Daran hat nicht einmal Thomas Manns neugierieges Interesse für die Ausbildung der Jesuiten (man lese den Zauberberg) etwas geändert - und auch nicht Helmuth von Moltkes Ausruf, er sterbe als Märtyrer für den heiligen Ignatius von Loyola (wegen seiner Kontakte zu den Münchner Jesuiten im Kreisauer Kreis). Moltke fügte hinzu: "Ich zittere schon vor dem väterlichen Zorn von Papi, der doch so antikatholisch war" (Brief an Freya vom 10. 1. 1945). "Das andere wird er billigen, aber das?"

Aber eben weil die Schriftstellerhäuser der Gesellschaft Jesu viel weniger bekannt sind als die evangelischen Pfarrhäuser, lohnt es sich, Karl H. Neufelds Doppelbiographie der Brüder Rahner aufmerksam zu lesen. Soziologen, Historiker, Katholiken, Protestanten, Neugierige aller Art kommen hier auf ihre Kosten. Denn der Autor schildert nicht nur Lebensweg und Werk zweier bedeutender Theologen unseres Jahrhunderts, sein Buch wirft auch ein Licht auf die Modalitäten katholischer Erziehung und Bildung in einer gemischt-konfessionellen (aber protestantisch dominierten) Gesellschaft, wie es die deutsche seit 1871 war.

Von den beiden Brüdern war Hugo nicht nur der ältere, sondern lange Zeit auch der bekanntere. Freundlich blickt er den Betrachter vom Umschlag des Buches an, während Karl wie üblich ein wenig finster und verschlossen in sich hineinstarrt. Als brummig galt der jüngere schon in seiner Schülerzeit. Seine Sprech- und Schreibweise war schwierig und blieb es zeitlebens. Die Muse hatte ihn nicht geküßt. Hugo dagegen war ein guter Redner und Lehrer, ein feiner Stilist mit künstlerischem Einschlag. Hörte man beide hintereinander (ich hatte als Student Gelegenheit dazu, bei der legendären Studentenmission der Brüder vor 1000 Menschen im Freiburger Münster 1952), so staunte man über soviel Verschiedenheit.

Hugo war verständlich und durchsichtig - man erholte sich bei ihm vom Dunkel, von der teutonischen Wucht des Bruders. Aber Karl packte den Hörer tiefer, wenn er geduldig war und aushielt - man empfing in seinen Predigten Anregungen, Stöße der Erkenntnis, wie sie dem hochgebildeten Bruder nicht zu Gebote standen. Damals empfanden wir Studenten beide noch als ein Paar - ein höchst gegensätzliches Paar, aber doch ein Paar. Doch am Ende seiner langen Innsbrucker Inkubationszeit hatte der Dogmatiker den Kirchenhistoriker endgültig eingeholt und überholt. Hugo Rahner, der Meister der älteren Kirchengeschichte, der Deuter der antiken Mythen, der Freund Otto Karrers und Sympathisant des Eranos-Kreises, blieb eine noble österreichische Erscheinung, die nach Deutschland, Frankreich und Spanien ausstrahlte. Aus Karl Rahner aber wurde ein Theologe von weltweiter Wirkung.

Ein guterfundener Witz charakterisierte das Verhältnis der beiden Brüder Ende der fünfziger Jahre so: Ein Student kommt nach Innsbruck an die Universität und sucht im Seminar den Pater Rahner. Karl öffnet ihm die Tür und fragt: "Wollen Sie zu dem berühmten Rahner - oder zu meinem Bruder?" Das ist gut erfunden; aber recht hat der Biograph, wenn er die lebenslange Freundschaft, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Brüder betont und ihr Verhältnis auf die Formel bringt: "Karl wäre nicht der Theologe geworden, der er ist, ohne seinen Bruder, und dieser wäre am Ende ohne Karl noch rascher vergessen worden."

Karl H. Neufeld, ein früherer Mitarbeiter Rahners, der heute in Innsbruck Fundamentaltheologie lehrt und das Karl-Rahner-Archiv leitet, zeichnet den Weg der Brüder Hugo und Karl liebevoll und detailreich nach: vom Freiburger Elternhaus und seiner selbstverständlichen, nie aufdringlichen Katholizität über die ersten Schritte in der Gesellschaft Jesu, die philosophischen Studien u. a. bei Carl Frick, Joseph Maréchal, Erich Przywara, die Theologie in Innsbruck und Valkenburg bis zur Aufhebung der Katholisch-Theologischen Fakultät in Innsbruck durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938. Hugo Rahner ging in die Schweiz, nach Sitten, Karl Rahner nach Wien, wo er bis 1944 in Seminaren und Ordenshäusern Theologie für Priester und Priesteramtskandidaten dozierte. Das Kriegsende erlebte er in Bayern. Erst im Jahr 1948 waren die Brüder wieder in Innsbruck vereint.

Manchmal tut der Biograph in seiner Liebe zum Kleinen und Kleinsten fast des Guten zuviel: Unter der Fülle der Details leidet gelegentlich die Schärfe der Zeichnung; die Massierung der Fakten führt nicht selten zu einer tabellenartigen Darstellung; aus der beeindruckenden Ubiquität beider Theologen, besonders des Jüngeren, wird ein Itinerar der Reisen, Flüge und Auftritte. Doch klärt die Detailverliebtheit des Verfassers auch wichtige Zusammenhänge - so zum Beispiel die Geschichte des hoffnungsvoll begonnenen, am Ende gescheiterten Dogmatik-Projekts, das Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar im Sommer 1939 gemeinsam entwarfen.

Mit Balthasar verband Rahner der Wille zur Erneuerung der Kirche, zum Aggiornamento; an der Überwindung von Erstarrung und Defensivgeist, an der "Schleifung der Bastionen" haben beide mitgewirkt. Doch die Ausgangspunkte waren verschieden: bei Balthasar die Vätertheologie, bei Rahner die moderne Philosophie - ein korrigierter deutscher Idealismus. So führten die Wege auseinander. Es ist symbolisch, daß beide, Rahner wie Balthasar, "ihre" Dogmatik zu Lebzeiten nicht geschrieben haben, bei aller Fülle neuer Perspektiven, die sie in ihrem riesigen, fast unüberschaubaren Werk eröffneten. Neufelds Bericht läßt für einen Augenblick die Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit der beiden Theologen erstehen - über Briefwechsel, gemeinsame Tätigkeit in München, seelsorgliche und publizistische Initiativen hinaus. Es wäre eine faszinierende Konjunktion unterschiedlicher Planeten gewesen. Am Ende blieb doch jeder ein eigener Stern.

Karl Rahners geschichtliche Wirkung fällt zusammen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Während sein Bruder Hugo in einer schweren Krankheit versank, wurde Karl als Konzilstheologe von Kardinal König (Wien) und Kardinal Döpfner (München) zu einem der wichtigsten Mitarbeiter dieser Kirchenversammlung, die nach dem Willen ihres Initiators, Papst Johannes XXIII., nicht abgrenzen und verurteilen, sondern das Alte, Wahre - auch für die skeptischen Ohren der Weltkinder - neu entdecken und formulieren sollte. Neufeld stellt die ausgedehnte, weitgefächerte, manchmal hektische Tätigkeit Rahners rund um das Konzil in allen Einzelheiten dar. Er läßt etwas verspüren von der Aufbruchsstimmung, die den Theologen zu dieser Zeit ergriffen hatte: die "kollektive Findung der Wahrheit" (ein Rahner-Titel!) innerhalb der in Bewegung geratenen Weltkirche schien besser zu gelingen, als es nach früheren, eher ernüchternden Erlebnissen mit dem kirchlichen Lehramt zu erwarten war.

Doch auch Probleme werden nicht verschwiegen: der Wechsel nach München, auf den Lehrstuhl Romano Guardinis, war kein Gewinn; Rahners Vortragsart fehlte die für die Philosophische Fakultät und für die Kunststadt München so wichtige ästhetische Note; und die Münchner Theologische Fakultät verweigerte ihm - erstaunlich genug! - das Promotions- und Habilitationsrecht. So ging er, schon 63 Jahre alt, 1967 nach Münster, wo er bis 1971 Dogmatik lehrte. Die letzten Lebensjahre verbrachte er im Schriftstellerhaus in München, danach unter Studenten in der Münchner Innenstadt, zuletzt, ab 1981, in Innsbruck, wo er am 30. März 1984 starb.

Wer Karl Rahner in seiner letzten Lebenszeit begegnete, der war oft genug erstaunt und verwirrt. Aus dem weltläufigen Mann wurde, je weiter die Zeit voranschritt, wieder der mürrische Einsiedler von früher - ein Mann, der sich unerwartet heftig und einseitig äußerte, der überall restaurative Tendenzen in der Kirche vordringen sah. Selbst alte Freunde wie Julius Döpfner wandten sich damals von ihm ab - von Balthasars sarkastischer Kritik und Ratzingers Distanz zu schweigen. Gewiß, Rahners Schriften, vor allem sein "Grundkurs des Glaubens", gingen in jenen Jahren in Übersetzungen durch die ganze Welt. Doch ihr Autor war ein einsamer Mann geworden. Neufeld berichtet zwei kleine Details: Als Rahner an einem Sonntag im April 1983 zum Centre Sèvres in Paris kam und sich die Gittertüren öffnen ließ, hielten die Mitbrüder den alten Mann zunächst für einen Bettler. Und beim Besuch bei Henri de Lubac stellte Rahner (dem es keineswegs an Autoren-Ehrgeiz fehlte) im Blick auf die Bücherregale des Kardinals resigniert fest: "Alles nur Balthasar!" Rahners Kirchen-Enttäuschung hatte übrigens, wie Neufeld zeigt, schon mit Papst Paul VI. begonnen, der das Konzil unsanft zu Ende brachte (er hätte es nicht beginnen, Johannes XXIII. hätte es nicht beenden können). Wußte Rahner, der Dogmatiker, nichts von den Gesetzmäßigkeiten in der Kirchengeschichte? Sein Historikerbruder Hugo, damals schon tot, hätte ihm sagen können, daß auf Konzilszeiten immer Papstzeiten gefolgt waren - und umgekehrt.

Im Rückblick erscheinen die Konzilsjahre - und das Wirken Karl Rahners, Henri de Lubacs, Edward Schillebeeckx', Hans Küngs, Joseph Ratzingers und anderer Theologen in ihnen - fast wie ein goldenes Zeitalter der Theologie in unserem Jahrhundert. Wie sehr vermochte theologisches Denken damals die Geister zu bewegen, wie weit reichte es über den engeren Kreis der Kirchentreuen hinaus in die Öffentlichkeit! Rahner hat an dieser Wirkung seinen Anteil, weil er den alten Bund der Theologie mit der Vernunft erneuerte, weil er "in jedem dogmatischen Thema das allgemein Menschliche sehen lehrte" (Wolfhart Pannenberg).

Ohne Rationalist zu sein, betrieb er sein Handwerk auf vernünftige Weise. So konnte selbst das Christentum in seinen Darlegungen etwas rational Einleuchtendes, Allgemeingültiges werden - der säkulare Mensch als "anonymer Christ". Natürlich geht kein großes OEuvre, zumal in unseren Zeiten, unbeschädigt durch die Jahre und Jahrzehnte. Aber Neufelds Biographie könnte - ebenso wie die von Karl Lehmann und anderen bei Herder und Benziger vorbereitete Werkausgabe - die längst fällige Neuentdeckung des Theologen Karl Rahner einleiten. HANS MAIER Karl H. Neufeld: "Die Brüder Rahner". Eine Biographie. Herder Verlag, Freiburg/Basel/Wien 1994. 415 S., geb., 78,- DM.

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