Die spätmittelalterlichen Buchbestände des Zisterzienserinnenklosters Wöltingerode gehören zu den umfangreichsten überlieferten Bibliotheken im norddeutschen Raum. Nach einer detaillierten kodikologischen, paläografischen und inhaltlichen Analyse des rekonstruierten Bestandes dient eine am Ende des Spätmittelalters in der klostereigenen Werkstatt entstandene Handschrift als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Bildungsverhältnisse der Nonnen. Diese im Novizinnenunterricht verwendete Handschrift kann als literarisches Spiegelbild des Gesamtbestandes gelten, da sie eine komplexe Zusammenstellung von zahlreichen Autoren und zum Teil noch unbekannten Texten enthält sowie über ein breites literarisches Repertoire verfügt. In einer Gesamtschau bieten sowohl die im Zuge der Reformbestrebungen entstandenen als auch die reformkonformen Bücher einen genauen Einblick in die veränderte Ausbildungssituation der Novizinnen und den monastischen Lektürealltag der Nonnen. Ansätze eines angestrebten Bildungskonzeptes sind in der Auswahl der Themen, in der literarischen Verarbeitung der Texte und in der Zielsetzung der Lektüre zu erkennen. Die Entwicklung der Wöltingeroder Schriftlichkeit zwischen Wandel und Kontinuität steht im direkten Bezug zur Klostergeschichte. Die während der Reformbewegung geforderte Rückkehr zu den monastischen Idealen und die Intensivierung des spirituellen Lebens zog in Wöltingerode zugleich auch eine Bildungsreform nach sich. Demzufolge lassen sich mittels der Buchbestände zahlreiche Hinweise zusammentragen, die nicht nur für einen Anschluss der Wöltingeroder Zisterzienserinnen an die Reform sprechen, sondern das Kloster im regionalen Sozialgefüge als ein bedeutendes Reformzentrum charakterisieren.