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Die Frauen in der Landmannschen Buchhhandlung könnten unterschiedlicher nicht sein: Gisela, Jahrgang 1900, hat ihre Jugend in der Münchner Boheme genossen, kehrt in die Kleinstadt an der Saale zurück und wird leidenschaftliche Buchhändlerin. Sie versteckt die alten Landmanns im 'Judenkeller', quartiert Ausgebombte aus Köln bei sich ein, erträgt die Eskapaden ihres Mannes. Sie muß sich den antifaschistischen Verordnungen fügen, duldet HO-Läden und Volksbuchhandel: "Neben der Butter das Brot". Sigrid ist ein Kind der neuen Zeit. Tanz im Victoria-Park, Petticoat und Chiffontuch, Schiebereien in…mehr

Produktbeschreibung
Die Frauen in der Landmannschen Buchhhandlung könnten unterschiedlicher nicht sein: Gisela, Jahrgang 1900, hat ihre Jugend in der Münchner Boheme genossen, kehrt in die Kleinstadt an der Saale zurück und wird leidenschaftliche Buchhändlerin. Sie versteckt die alten Landmanns im 'Judenkeller', quartiert Ausgebombte aus Köln bei sich ein, erträgt die Eskapaden ihres Mannes. Sie muß sich den antifaschistischen Verordnungen fügen, duldet HO-Läden und Volksbuchhandel: "Neben der Butter das Brot". Sigrid ist ein Kind der neuen Zeit. Tanz im Victoria-Park, Petticoat und Chiffontuch, Schiebereien in Berlin, Flirts und Gruppenabende, die Heirat mit einem ehrgeizigen Genossen - wie Gisela, ihre Chefin, liebt auch Sigrid den Spaß mit Männern, hat Lust auf die Liebe und weiß, was sie will. Sigrid verschreibt sich dem sozialistischen Aufbau, Gisela dagegen gehört zur untergehenden Klasse. Mit mikroskopischem Blick, ironisch und sympathisierend erzählt Irene Böhme vom ganz gewöhnlichen Leben zweier Frauen, die aus den Ereignissen der Geschichte - von der Nazizeit bis kurz nach dem Mauerbau - vor allem eines gelernt haben: sich nicht unterkriegen zu lassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.1999

Eine Dunkelkammer der Zufriedenheit
Doch aller Firlefanz muss endlich weg: Irene Böhmes Roman "Die Buchhändlerin" · Von Thomas Wirtz

Vielleicht ist es ein Merkmal guter Literatur, dass sie mit dem Glück sparsam und ungerecht umgeht. Denn sie hat eine Schwäche für den Tod, der unvorbereitet, ohne Anstand und zum falschen Zeitpunkt daherkommt. Abgeschnitten wird dann ein Lebensfaden, der sich gerade an gute Vorsätze gebunden, in neue Liebe verstrickt und alte Fehler aufgeknüpft hatte. Erst der jähe Schmerz der Figur auf der letzten Seite macht das anhaltende Glück des Lesers aus. Ihm ist ein Untergang erspart geblieben, dem er aus sicherem Augenabstand beiwohnen kann. Der kleine Luftzug beim Umschlagen der Seiten wurde zum Sturm, der das Lebensschiffchen im Buchinnern zum Kentern brachte. Deshalb leistet sich die gute Literatur eine Bösartigkeit, zu der man sich in der richtigen Welt nicht bekennen sollte.

Am Ende von Irene Böhmes Roman stirbt eine Figur, doch die Ursache ihres Todes wird man in keinem medizinischen Handbuch finden, weil es eine literarische ist: "The gladness killed her", Glück - weniger das erreichte eigene Glück als das anhaltende des Lesers - tötete sie. Das ist kein Allerweltssatz inmitten des Erklärungsnotstandes, sondern für das literarische Ende ein zutiefst wahrer: "Die Buchhändlerin" ist ein Roman der ankedotisch kleinen und geschichtsgroßen Grausamkeiten, eine Dunkelkammer der Zufriedenheit.

Niemand wird verschont: nicht die Männer, deren Geschlechtsteil für ihr unzurechnungsfähiges Ganzes einsteht; nicht die sozialistischen Gebrauchsanweisungen der frühen DDR, nach denen die Gesellschaft mit der Übersichtlichkeit eines Gefängnishofes erbaut wird; und nicht die Figuren, die eiskalt aus dem Leben geschoben werden. Das Buch ist eine einzige Katastrophe, die den Leser beglückt. Wenn am Ende auch die letzte Hoffnung verschimmert, hat sich das Buch endgültig ins Gedächtnis eingenistet. Rabenschwarz ist die Farbe des poetischen Glücks.

Böhmes Roman erzählt die Doppelbiographie zweier Frauen aus zwei Generationen, die nach dem Krieg in einer ostdeutschen Kleinstadt leben und doch durch Welten voneinander getrennt sind. Da ist Gisela, von Geburt an schielend und dennoch hellsichtig für die Gemeinheiten des Lebens. An der Jahrhundertwende ist sie in eine bürgerliche Welt gekommen, die vor ihrem Untergang gut gelaunt den Vulkan besteigen wollte. Ihre Studienzeit in München leuchtet im Abglanz der Boheme, die Bürger geben sich körperlich freizügig und intellektuell ungeniert. Als sie den Buchladen ihres Vaters übernimmt, hat sie Handwerk und bürgerliche Formenstrenge von der Pike auf gelernt. Die Jugend endet mit dem Klingelzeichen der Ladentür, das Geschäft ruft zur Haltung auf.

Auch die Männer, mit denen sie in den nächsten Jahrzehnten Ladenkasse und Bett teilt, stammen aus dieser Vorwelt. Sie heiratet einen fallierten Fabrikanten, der sich fortan als erotischer Handwerker betätigt, ein Don Juan aus alter Mädchenschule, treulos, leichtsinnig und bis in die Fingerspitzen mit Charme begabt. Erst ein gehörnter Ehemann hat dafür keinen Sinn und brennt ihm die Pistolenkugel in den Leib. Gisela liebt ihn, ohne ihn fürs Leben zu brauchen. Ihre selbstbewusste Härte hat sie früher gelernt, in den Gesprächen mit ihrem Vater, dem sie mit dem bedrängten Laden die Treue hält. Er ist ein Familienunternehmen im strengen Sinn: eine unkündbare Pflicht, der man in widriger Zeit genügt und die es mit geschenkter Selbstsicherheit dankt.

Die andere Biographie schildert das äußere Leben und innere Sterben von Sigrid. Geboren 1932, teilt sie im ostdeutschen Nachkrieg die Backfischzeit mit dem neuen Staat, der sie nähren und fressen wird. Die Partei besetzt die Stelle des verlorenen Vaters, ihr Materialismus kühlt das Leben und die Beziehungen auf Funktionswerte herab. Sigrids Willensstärke dient der Karriere und dem Herzenselend, sammelt Orden und Affären, erleidet Kaderzwang und Abtreibung: Männer sind Beischläfer, Menschen das Ergebnis einer unbeteiligten Befruchtung. Wo Giselas Selbständigkeit menschliche Wärme ausatmet, gefriert Sigrids Desillusion zu sozialistischen Eisblumen. Dass dies die Blumen des Bösen sind, bezweifelt der Roman nicht.

Souverän verfügt Böhme über das Zeitgefühl, kapitelweise zwischen den Werdegängen ihrer Heldinnen zu wechseln, Jahre zu überspringen, die Konturen von alter und neuer Zeit an ihrem Streit zu schärfen. Was ihren Roman aber erst zu einem Ereignis macht, ist die gelingende Einkleidung der Doppelbiographie in eine gedoppelte literarische Form: "Die Buchhändlerin" setzt Chronik und Bildungsroman, Jahresliste und Charakterwandlung so gegeneinander, dass die große Geschichte und das kleine Leben sich erklären. Es ist ein Buch über zwei Frauen und eine Megäre namens DDR, die ihre Unschuld schon im Gründungsakt verloren hatte. Erst durch sie wird aus dem Trio ein Galeerenbund, der mit dem zunehmenden Trommeln der Parolen ins Schweigen versinkt. Die Wohngemeinschaft mit der DDR leidete unter ihrer Unkündbarkeit.

Das chronikalische Gerüst liegt der biographischen Fassade eng an. So erfährt man von der Währungsunion nur deshalb, weil sie den Tanzabend vereitelt; auch den Bitterfelder Weg sieht man an seiner Schleimspur durch den Buchladen. Mauerbau, Kalter Krieg: Diese Chronik der angekündigten Tode, die im Geschichtsbuch ihren Schrecken zur strengen Zahl objektiviert hat, gewinnt in der Sorge um Butter und Brot neue Gestalt. Mit der Langsamkeit einer Dampfwalze laufen die Annalen über das Dorf hinweg und planieren seine Einwohner auf sozialistisches Gleichmaß.

Böhmes Verachtung ist ihr verlässlichster Stichwortgeber: An jede neue Parole, an jede Nylonart aus dem Chemiekombinat kann sie eine Anekdote hängen, die das Lachen aus den Gesichtern treibt. Unerschöpflich sprudelt die Quelle dieser Alltagsgegenständlichkeit, die dem Roman seine überwältigende Anschaulichkeit und den Figuren ihre tägliche Not sichert. Keine Wurstsuppe ist wässerig genug, um nicht einen sozialistischen Brechbrocken in sie einzurühren. Von der Chronik hat Irene Böhme auch ihre schattenlose Sprache gelernt. Zwischen die wenigen Worte, die sie über Leben und Sterben verliert passen keine vertrackten Psychologismen. Auf ihre Sätze scheint die schwarze Sonne der Neusachlichkeit, das gleißende Licht der Hoffnungslosigkeit, vor dem jeder Wunsch vertrocknet. Diese Lakonie, die ihre Meisterschaft in der Satzaskese findet, wehrt alle Tragik ab: Ein Satz genügt, um ein Leben in den Tod zu befördern. Die Geburt ist eine Explosion an Schmerz, so mitleidslos ausgeleuchtet, dass man das Buch auf den Index der zur Schwangerschaft verbotenen Bücher setzen möchte. "Aller Firlefanz muß weg": Es sind harte Charaktere in harter Zeit, denen die Milch der frommen Denkungsart sauer gemacht wurde.

Um diese Jahreszahlen rankt Böhme ihren Bildungsdoppelroman, von dem man seit Hegel weiß, dass er mit der Prosa einer brotberufenen Wirklichkeit, im Arrangement mit dem Bestehenden, endet. Auch Irene Böhme erfindet diese Form nicht neu, im Gegenteil: Sie entscheidet sich für diese totgesagte und wiedergängerische Gattung, weil sie auch eine politische ist. Denn der Bildungsroman ist die bürgerliche Gattung schlechthin, die Erfindung von Individualität mit gesellschaftlichen Mitteln.

Was die letzten Jahrhunderte an Begriffen erfunden und in die demokratische Verfassung eingebaut haben - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit -, hat der Bildungsroman zuvor schon erzählt. Deshalb ist Böhmes scheinbar so betuliche Form zugleich auch die Form ihres Widerstandes gegen den sozialistischen Einheitsbetrieb. Wenn es das Glück gibt, dann kann nur diese Gattung davon berichten. Böhmes schöner Roman, dieser schattenlose Bericht aus dem Land von Blut, Schweiß und Tränen, lässt die Erinnerungen an bürgerliche Tugenden aufblitzen, die man auch als Anachronismus wertschätzen kann: in der Literatur wie im Leben.

Irene Böhme: "Die Buchhändlerin". Roman. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1999. 384 S., geb., 39,80 DM.

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