Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2000Poltern im Regal
Dorfverschrobenes: Ein früher Roman von Penelope Fitzgerald
In einem trostlosen Nest an der Küste East Anglias eine Buchhandlung zu eröffnen ist ein Wagnis. Florence Green, die so resolute wie gutherzige Protagonistin der "Buchhandlung", lässt sich darauf ein; es ist der zweite, jetzt erstmals auf Deutsch erschienene Roman der englischen Schriftstellerin Penelope Fitzgerald, die in dieser Woche 83-jährig verstorben ist (F.A.Z. vom 4. Mai). Die Voraussetzungen für das Florieren des Geschäfts sind alles andere als ideal: "1959 gab es in Hardborough weder eine Imbissstube für Fish-and-Chips noch eine Wäscherei, und Filme wurden nur jeden zweiten Samstagabend vorgeführt; alle diese Dinge entbehrte man, aber niemand hätte daran gedacht, eine Buchhandlung aufzumachen, und niemand hätte Mrs. Green so etwas zugetraut." Nachdem der Bankkredit bewilligt, ein Anwesen - das lange unbewohnte "Old House" - erstanden und die erste Bücherlieferung eingetroffen ist, nehmen die Widrigkeiten denn auch kein Ende. Das "Old House" ist feucht vom Keller bis unters Dach, ein Poltergeist - kaum weniger real als die undurchsichtig nebeneinander herlebenden Kleinstadtbewohner - treibt sein Unwesen, und der Absatz der literarischen Ware läuft nur schleppend an.
Ausgangspunkt eines sich verdichtenden Netzes von Intrigen ist der Widerstand der Landadeligen Mrs. Gamart, der "natürlichen Schirmherrin aller öffentlichen Aktivitäten in Hardborough". Gamart plant, im "Old House" ein Arts Center für Touristen einzurichten. Eigentlich aber ist es die Furcht, um die örtliche Führungsposition gebracht zu werden, die ihren plötzlichen Aktionismus motiviert. Bescheidene geschäftliche Erfolge (durch den Verkauf von Nabokovs "Lolita") wecken den Neid der ansässigen Kaufmannschaft, sogar die Aufnahme unter die örtlichen Rotarier wird der Buchhändlerin verweigert.
Zielstrebig und mit gewitztem Humor verfolgt die zuvor unscheinbare Mrs. Green alldem zum Trotz ihren mutigen Plan. Und wird dabei geplagt von den Skrupeln des Einsamen und von der Verlorenheit inmitten eines kleinstädtischen Mikrokosmos, in dem keiner den anderen aus den Augen lässt und sich doch alle fremd sind. In den skurrilen Einzelgängern des Städtchens, dem Hilfstierarzt Raven und dem eigenbrötlerischen Mr. Brundish, findet Florence Verbündete. Ihr unvermeidliches Scheitern aber können diese nicht aufhalten. Auf der Grundlage eines vom politisch einflussreichen Neffen der Gegenspielerin Gamart eingebrachten Gesetzes wird Florence Green enteignet. Ihr Haus soll als Baudenkmal öffentlichen Zwecken dienen: dem Kulturprojekt der Landedeldame. Nach der Zwangsräumung bleiben bloß zwei in Leinen gebundene Ladenhüter. Und die "Scham, dass die Stadt, die fast zehn Jahre lang ihr Wohnort gewesen war, keine Buchhandlung gewollt hatte".
"Die Buchhandlung" zeigt Penelope Fitzgerald als eine Meisterin des Details, aber auch der Kunst des Weglassens. Mit wenigen Zügen zeichnet sie Charaktere von bestechender Intensität und Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben. Ihr erzählerischer Blick ist so liebevoll wie unbarmherzig. Zwischen mit Bedacht gesetzten Akzenten gleitet der Text auf einer Oberfläche hintergründigen Humors, die plötzlich ins Tragische durchbricht. Fitzgeralds Präzision verlangt dem Leser Sorgfalt ab - darum ist es ärgerlich, dass die Übersetzung an einigen Stellen Genauigkeit vermissen lässt. "Die Buchhandlung" gehört in die Reihe stark autobiografisch gefärbter früher Arbeiten der Autorin. Später hatte sich Fitzgerald vermehrt historischen Stoffen zugewandt, etwa dem Leben Friedrich von Hardenbergs in ihrem mehrfach ausgezeichneten Roman "Die Blaue Blume". Dass ihr bereits 1978 publizierter zweiter Roman erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, mag an der zuweilen überzogenen Erzählhandlung liegen. Den Poltergeist hätte es gar nicht gebraucht, um Erinnerungen an die Klassiker der "Gothic Literature" wachzurufen.
ALEXANDRA KEMMERER
Penelope Fitzgerald: "Die Buchhandlung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000. 181 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dorfverschrobenes: Ein früher Roman von Penelope Fitzgerald
In einem trostlosen Nest an der Küste East Anglias eine Buchhandlung zu eröffnen ist ein Wagnis. Florence Green, die so resolute wie gutherzige Protagonistin der "Buchhandlung", lässt sich darauf ein; es ist der zweite, jetzt erstmals auf Deutsch erschienene Roman der englischen Schriftstellerin Penelope Fitzgerald, die in dieser Woche 83-jährig verstorben ist (F.A.Z. vom 4. Mai). Die Voraussetzungen für das Florieren des Geschäfts sind alles andere als ideal: "1959 gab es in Hardborough weder eine Imbissstube für Fish-and-Chips noch eine Wäscherei, und Filme wurden nur jeden zweiten Samstagabend vorgeführt; alle diese Dinge entbehrte man, aber niemand hätte daran gedacht, eine Buchhandlung aufzumachen, und niemand hätte Mrs. Green so etwas zugetraut." Nachdem der Bankkredit bewilligt, ein Anwesen - das lange unbewohnte "Old House" - erstanden und die erste Bücherlieferung eingetroffen ist, nehmen die Widrigkeiten denn auch kein Ende. Das "Old House" ist feucht vom Keller bis unters Dach, ein Poltergeist - kaum weniger real als die undurchsichtig nebeneinander herlebenden Kleinstadtbewohner - treibt sein Unwesen, und der Absatz der literarischen Ware läuft nur schleppend an.
Ausgangspunkt eines sich verdichtenden Netzes von Intrigen ist der Widerstand der Landadeligen Mrs. Gamart, der "natürlichen Schirmherrin aller öffentlichen Aktivitäten in Hardborough". Gamart plant, im "Old House" ein Arts Center für Touristen einzurichten. Eigentlich aber ist es die Furcht, um die örtliche Führungsposition gebracht zu werden, die ihren plötzlichen Aktionismus motiviert. Bescheidene geschäftliche Erfolge (durch den Verkauf von Nabokovs "Lolita") wecken den Neid der ansässigen Kaufmannschaft, sogar die Aufnahme unter die örtlichen Rotarier wird der Buchhändlerin verweigert.
Zielstrebig und mit gewitztem Humor verfolgt die zuvor unscheinbare Mrs. Green alldem zum Trotz ihren mutigen Plan. Und wird dabei geplagt von den Skrupeln des Einsamen und von der Verlorenheit inmitten eines kleinstädtischen Mikrokosmos, in dem keiner den anderen aus den Augen lässt und sich doch alle fremd sind. In den skurrilen Einzelgängern des Städtchens, dem Hilfstierarzt Raven und dem eigenbrötlerischen Mr. Brundish, findet Florence Verbündete. Ihr unvermeidliches Scheitern aber können diese nicht aufhalten. Auf der Grundlage eines vom politisch einflussreichen Neffen der Gegenspielerin Gamart eingebrachten Gesetzes wird Florence Green enteignet. Ihr Haus soll als Baudenkmal öffentlichen Zwecken dienen: dem Kulturprojekt der Landedeldame. Nach der Zwangsräumung bleiben bloß zwei in Leinen gebundene Ladenhüter. Und die "Scham, dass die Stadt, die fast zehn Jahre lang ihr Wohnort gewesen war, keine Buchhandlung gewollt hatte".
"Die Buchhandlung" zeigt Penelope Fitzgerald als eine Meisterin des Details, aber auch der Kunst des Weglassens. Mit wenigen Zügen zeichnet sie Charaktere von bestechender Intensität und Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben. Ihr erzählerischer Blick ist so liebevoll wie unbarmherzig. Zwischen mit Bedacht gesetzten Akzenten gleitet der Text auf einer Oberfläche hintergründigen Humors, die plötzlich ins Tragische durchbricht. Fitzgeralds Präzision verlangt dem Leser Sorgfalt ab - darum ist es ärgerlich, dass die Übersetzung an einigen Stellen Genauigkeit vermissen lässt. "Die Buchhandlung" gehört in die Reihe stark autobiografisch gefärbter früher Arbeiten der Autorin. Später hatte sich Fitzgerald vermehrt historischen Stoffen zugewandt, etwa dem Leben Friedrich von Hardenbergs in ihrem mehrfach ausgezeichneten Roman "Die Blaue Blume". Dass ihr bereits 1978 publizierter zweiter Roman erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, mag an der zuweilen überzogenen Erzählhandlung liegen. Den Poltergeist hätte es gar nicht gebraucht, um Erinnerungen an die Klassiker der "Gothic Literature" wachzurufen.
ALEXANDRA KEMMERER
Penelope Fitzgerald: "Die Buchhandlung". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000. 181 S., geb., 29,80 DM.
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»Wenn ich mir fünf Bücher für die einsame Insel aussuchen müsste, Die Buchhandlung wäre unbedingt dabei.« Michael Ondaatje Druckfrisch