Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 0,60 €
  • Broschiertes Buch

Mit der Bundestagswahl im Herbst 1998 hat für die Volkspartei CDU die Phase nach Kohl begonnen. Was wird aus der Union? In welche Richtung wird die Reise gehen - nach vorn, mit neuen Themen wie Umwelt und Frauen? Oder zurück in die 50er Jahre? Nicht einfach eine weitere Bilanz der Ära Kohl, sondern ein vorwärtsgewandtes Buch für politisch Interessierte.

Produktbeschreibung
Mit der Bundestagswahl im Herbst 1998 hat für die Volkspartei CDU die Phase nach Kohl begonnen. Was wird aus der Union? In welche Richtung wird die Reise gehen - nach vorn, mit neuen Themen wie Umwelt und Frauen? Oder zurück in die 50er Jahre? Nicht einfach eine weitere Bilanz der Ära Kohl, sondern ein vorwärtsgewandtes Buch für politisch Interessierte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1998

Aufgeblasene Milieupartei?
Eine etwas kurzatmige Bestandsaufnahme der CDU am Ende der Kohl-Ära

Tobias Dürr, Rüdiger Soldt (Herausgeber): Die CDU nach Kohl. Fischer Sachbuch 13947. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998. 224 Seiten, 18,90 Mark.

Das Buch verspricht einen Ausblick in die Zukunft, auf die "CDU nach Kohl". Der Leser erfährt darüber nichts. Aber woher will jemand die Zukunft kennen?

Die Autoren sind bescheidener als der Titel des Sammeltaschenbuchs; sie beschäftigen sich mit der Vergangenheit der Union (ein Aufsatz ist der CSU gewidmet) vornehmlich in den sechzehn Jahren der Kanzlerschaft Kohls, und außerdem mit der ungefähren Gegenwart der letzten Wahlperiode. Die Verfasser, Journalisten und Wissenschaftler, sind durchweg zwischen dreißig und vierzig. Aus der Alterskohorte fallen als ältere Herren Jochen Thies, früher Redenschreiber für Helmut Schmidt und jetzt beim Deutschlandradio Berlin (er referiert über die aktiven "Außenpolitiker" der CDU und den schwachbrüstigen Nachwuchs), sowie Peter Lösche, dessen Aufsatz über den Nicht-"Kanzlerwahlverein" CDU diese Zeitung bereits veröffentlicht hat. Der F.A.Z.-Korrespondent Konrad Schuller schreibt über die Berliner CDU.

Berlin als Labor der Zukunft zu betrachten, hat sich in der deutschen Nachkriegsgeschichte schon beinah zu einer Tradition ausgewachsen. Ungewöhnlicher und eigentlich schon verwegen ist es, dasselbe mit Hamburg zu machen - wie der Politikwissenschaftler Tobias Dürr. Man hat hinsichtlich der Hamburger CDU über den Katastrophen der neunziger Jahre die verblüffenden Erfolge in den Siebzigern/Achtzigern schon wieder vergessen. Damals schaffte eine entschlossene Truppe um Jürgen Echternach den Aufstieg aus hoffnungsloser Außenseiterrolle zur stärksten Partei der Hansestadt. Dürr erklärt (nicht ganz astrein) mit diesem Erfolg die späteren Niederlagen.

Wie weit reicht die Analogie für den Bund? Dürrs Annahme, die Union verdanke ihre Macht einer Symbiose mit "in sich ruhenden bürgerlichen Milieus", haben sich auch andere Autoren des Bandes verschrieben. Überhaupt ist der Bezugsrahmen der meisten Autoren nicht eigentlich politisch, sondern soziologisch. Franz Walter und Frank Bösch beschwören das Ende eines "christdemokratischen Zeitalters", wobei sie einerseits auf gesamteuropäische Entwicklungen und andererseits auf den Zerfall vormals bürgerlicher und katholischer Milieus in Deutschland verweisen. Man kann dagegen einwenden, daß dieser Vorgang, wenn man ihn überhaupt so auffassen möchte, zeitlich übergreifend ist und allemal die bisherige Lebenszeit der Bundesrepublik Deutschland überdauert hat: Während die Desintegration aller möglichen sozialen Milieus voranschritt, erlebte die CDU mancherlei Auf und Ab.

Früher herrschte in der deutschen Parteienforschung die Meinung vor, die Union habe gerade ihrer allseitigen Bindungsfähigkeit - man kann auch sagen: Ungebundenheit - ihre Erfolge als die maßgebliche Volkspartei im Nachkriegsdeutschland verdankt. Beim wissenschaftlichen Nachwuchs scheint dagegen die Auffassung verbreitet, bei der CDU handele es sich letztlich um eine aufgeblasene katholische Milieupartei.

Der man übrigens mit diesem Argument die Luft herauslassen könnte, wenn es die Wahrnehmung dieser Partei bei den Wählern bestimmen sollte. Das würde die Union auf eine südwestdeutsche Regionalpartei reduzieren. Ein bißchen danach sehen die aktuellen Mehrheitsverhältnisse aus; in dem Sammelband wird aber nicht die Frage gestellt, wieweit hierzu neben regionalen und sozialen Faktoren beigetragen hat, daß die Union nun einmal in Bonn sechzehn Jahre regierte und dabei auch Verdruß stiftete. Um dem nachzuspüren, müßte man das Wählerverhalten der letzten Jahre aufschließen; ein Beitrag dazu fehlt in dem Band und damit ein fester Grund für mancherlei Vermutungen. Dafür wirft Rüdiger Soldt einen erhellenden Blick auf die CDU in den neuen Bundesländern, die mit der in den alten wenig mehr als den Namen gemein hat.

Wie steht es aber mit der Ideologie? Der Politologe Christoph Wagner erzählt die Geschichte der "Pizza-Connection" aus jungen grünen und schwarzen Abgeordneten; der Verfasser entwertet seine Darstellung durch juvenilen Vorwitz, wenn er apodiktisch "notwendige Bewußtseinsprozesse" deklariert, die im wesentlichen darin bestehen sollen, daß die CDU Standpunkte der Grünen übernimmt. Die "Zeit"-Redakteurin Susanne Gaschke, wie die Mehrzahl der Autoren Erstwählerin der Kohl-Ära, macht Tugend aus den Nöten der Jugend, indem sie Kohl witzig zum "Übergangskanzler" zwischen Schmidt und Schröder erklärt; ihr Thema, was Kohl für die Linke bedeutet haben mag, bleibt unter vielen flotten Formulierungen unauffindlich. In vielen Aufsätzen blitzt der Begriff des "Neoliberalismus" auf, der als intellektuelles Definitionsschema dem Ökologismus in den letzten Jahren der Kohl-Regierung den Rang abgelaufen hatte. Ob er nur eine Stimme oder das vorherrschende Thema ihrer Götterdämmerung bildete, darüber wird wohl noch geschrieben werden müssen.

VOLKER ZASTROW

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr