Eines Tages steht eine junge Frau vor der Tür eines Münchner Komponisten, Judit aus Budapest. Sie möchte ihrem Cellospiel den letzten Schliff geben und glaubt an die hohen Ideale der Kunst. Der Komponist dagegen verdient sein Geld mit Erkennungsmelodien für Fernsehserien und plagt sich nebenher mit dem Projekt einer Mandelstam-Oper ab. Aber Judits irrlichterndes Wesen macht ein geregeltes Arbeiten zusehends unmöglich; und ihre gar nicht so kleine Familie, die ihr bald nachfolgt, bringt den Komponisten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Ihn, der im Leben die Kunst sucht und in der Kunst das Leben nicht findet, wissen auch die Frauen nicht zu erlösen, die ihn umgeben. Am Schluß ist die Oper noch immer nicht geschrieben; nur die Fernsehmelodien werden jetzt auch in den Ländern des Ostens ausgestrahlt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2000Beichten eines lauen Liebhabers
Vom Glücken eines Abgrunds: Michael Krüger läßt Cello spielen
Ein Münchner Komponist namens Georg, so um die fünfzig, erinnert sich. Aufgewachsen ist er in der intellektuellen Unruhe der sechziger Jahre, aber der Reiz des Protestes und des Marxismus ist längst verblaßt. Übriggeblieben ist davon außer einer "exzentrischen Liebe zum Sozialismu" die Tatsache der GULags: Georg arbeitet an einer Oper über Ossip Mandelstam, der in einem davon umkam. Außerdem gibt es aus der Vergangenheit allerdings noch Maria, die ungarische Sängerin und Geliebte von einst, sowie deren Tochter Judit, dreiundzwanzig, die sich eines Tages samt Cello in Schwabing einstellt, vermutlich um an den Segnungen bundesdeutscher Kulturförderung teilzuhaben. Oder bedeutet es die Heimkehr zum Papa? Ganz sicher ist sich Georg seiner Vaterschaft nicht, so daß der Kampf "mit diesem Geschöpf, um seinem Zauber nicht zu erliegen", rasch beendet ist; Georg erliegt. Eine herzzerreißende, vom möglichen Inzest tragisch lustvoll gewürzte Liebesgeschichte wird freilich nicht daraus. Denn "warum um alles in der Welt sollte Judit mich lieben?"
In der Tat: Georg, von "weinerlichem Selbsthaß zernagt", ist rundum kein Glückspilz. Seine "dekonstruktiven" Kompositionen will niemand spielen, sein Geld verdient er mit billigen Melodien fürs Fernsehen. Zwei Ehen sind gescheitert, aber mit Frauen hat er ohnehin nichts am Hut. "Manchmal kamen sie nach der Diskothek wieder zurück, wenn sie noch Licht im Fenster sahen, legten sich in mein Bett und waren eingeschlafen, wenn ich mich in der Frühe dazulegte. Peinlich war, daß ich mir ihre Namen nicht merken konnte." Statt mit Liebe und Musik füllt Judit deshalb Georgs Haus mit ihrer ungarischen Verwandtschaft, die ihn massiv beim Arbeiten stört, ein Syndikat "zur Verhinderung meines Projekts". Bloß verdient er wenig Mitleid, denn wenn er von Sandor, Janos, Julia und Laszlo einmal Ruhe hat, sucht er sich rasch andere Gesellschaft, die ihm gleichfalls nur die Zeit stiehlt, zum Beispiel den Musikkritiker Horst Leisegang, den nie dirigierenden Dirigenten Günter Sofsky sowie einen Dr. Arnheim vom Goethe-Institut, der mit einer dicken Brieftasche herumläuft.
Flüchtig also kreuzen viele Figuren Georgs wenig aufregende Lebenspfade, die ihn durch Ungarn, Polen, Spanien und Frankreich führen - mit Abstechern nach Amerika, versteht sich. In den Bereich Münchner Lokalsatire führt das Erscheinen eines (namentlich genannten) inzwischen verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten mit seinen Getreuen, "allesamt Ganovengesichter mit schweren Doppelkinnen". Von schweren Händen hingegen ist leider der Spott in diesem Buch, nicht nur hier, sondern auch wenn es um die Literatur geht. Sicher wird der Verfasser, Literaturkenner, der er ist, seine Hintergedanken bei dem Professor Gert Trares gehabt haben, "der an der Fachhochschule für den Einzelhandelskaufmann in Clausthal-Zellerfeld Literatur unterrichtete" und für den der Dichter "Klaus Kottwitz" das größte deutsche lyrische Genie seit Goethe und Heine sein soll. Aber wirklich witzig ist das nicht, und ernst läßt es sich auch nicht nehmen. Übrig bleibt die Farce über das ziemlich klägliche Leben eines Alt-Achtundsechzigers.
Einem schwachen Helden literarisches Leben einzuhauchen ist schwer, schwerer sogar noch, wenn dieser im Medium der Musik zu Hause ist, die sich den Worten entzieht. Musiker in großer Zahl werden zwar in diesem Roman genannt, aber Musik selbst klingt nicht auf und wird deshalb auch nicht Teil eines Beziehungsgeflechts zwischen den vielen Gestalten. Georg mag wohl recht haben, wenn er den eigenen Nachruf entwirft und darin von sich sagt: "Ob ihm der Abgrund zwischen der Absicht, den geschichtlichen Verlauf als politischsoziale Notwendigkeit darzustellen, und der Umsetzung dieser Absicht in musikalisches Material immer geglückt ist, sei dahingestellt." Nein, dieser "Abgrund" ist ihm nicht "geglückt" - und für Michael Krüger, der doch so schöne Geschichten erzählen kann, gilt das gleiche.
GERHARD SCHULZ
Michael Krüger: "Die Cellospielerin". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 254 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Glücken eines Abgrunds: Michael Krüger läßt Cello spielen
Ein Münchner Komponist namens Georg, so um die fünfzig, erinnert sich. Aufgewachsen ist er in der intellektuellen Unruhe der sechziger Jahre, aber der Reiz des Protestes und des Marxismus ist längst verblaßt. Übriggeblieben ist davon außer einer "exzentrischen Liebe zum Sozialismu" die Tatsache der GULags: Georg arbeitet an einer Oper über Ossip Mandelstam, der in einem davon umkam. Außerdem gibt es aus der Vergangenheit allerdings noch Maria, die ungarische Sängerin und Geliebte von einst, sowie deren Tochter Judit, dreiundzwanzig, die sich eines Tages samt Cello in Schwabing einstellt, vermutlich um an den Segnungen bundesdeutscher Kulturförderung teilzuhaben. Oder bedeutet es die Heimkehr zum Papa? Ganz sicher ist sich Georg seiner Vaterschaft nicht, so daß der Kampf "mit diesem Geschöpf, um seinem Zauber nicht zu erliegen", rasch beendet ist; Georg erliegt. Eine herzzerreißende, vom möglichen Inzest tragisch lustvoll gewürzte Liebesgeschichte wird freilich nicht daraus. Denn "warum um alles in der Welt sollte Judit mich lieben?"
In der Tat: Georg, von "weinerlichem Selbsthaß zernagt", ist rundum kein Glückspilz. Seine "dekonstruktiven" Kompositionen will niemand spielen, sein Geld verdient er mit billigen Melodien fürs Fernsehen. Zwei Ehen sind gescheitert, aber mit Frauen hat er ohnehin nichts am Hut. "Manchmal kamen sie nach der Diskothek wieder zurück, wenn sie noch Licht im Fenster sahen, legten sich in mein Bett und waren eingeschlafen, wenn ich mich in der Frühe dazulegte. Peinlich war, daß ich mir ihre Namen nicht merken konnte." Statt mit Liebe und Musik füllt Judit deshalb Georgs Haus mit ihrer ungarischen Verwandtschaft, die ihn massiv beim Arbeiten stört, ein Syndikat "zur Verhinderung meines Projekts". Bloß verdient er wenig Mitleid, denn wenn er von Sandor, Janos, Julia und Laszlo einmal Ruhe hat, sucht er sich rasch andere Gesellschaft, die ihm gleichfalls nur die Zeit stiehlt, zum Beispiel den Musikkritiker Horst Leisegang, den nie dirigierenden Dirigenten Günter Sofsky sowie einen Dr. Arnheim vom Goethe-Institut, der mit einer dicken Brieftasche herumläuft.
Flüchtig also kreuzen viele Figuren Georgs wenig aufregende Lebenspfade, die ihn durch Ungarn, Polen, Spanien und Frankreich führen - mit Abstechern nach Amerika, versteht sich. In den Bereich Münchner Lokalsatire führt das Erscheinen eines (namentlich genannten) inzwischen verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten mit seinen Getreuen, "allesamt Ganovengesichter mit schweren Doppelkinnen". Von schweren Händen hingegen ist leider der Spott in diesem Buch, nicht nur hier, sondern auch wenn es um die Literatur geht. Sicher wird der Verfasser, Literaturkenner, der er ist, seine Hintergedanken bei dem Professor Gert Trares gehabt haben, "der an der Fachhochschule für den Einzelhandelskaufmann in Clausthal-Zellerfeld Literatur unterrichtete" und für den der Dichter "Klaus Kottwitz" das größte deutsche lyrische Genie seit Goethe und Heine sein soll. Aber wirklich witzig ist das nicht, und ernst läßt es sich auch nicht nehmen. Übrig bleibt die Farce über das ziemlich klägliche Leben eines Alt-Achtundsechzigers.
Einem schwachen Helden literarisches Leben einzuhauchen ist schwer, schwerer sogar noch, wenn dieser im Medium der Musik zu Hause ist, die sich den Worten entzieht. Musiker in großer Zahl werden zwar in diesem Roman genannt, aber Musik selbst klingt nicht auf und wird deshalb auch nicht Teil eines Beziehungsgeflechts zwischen den vielen Gestalten. Georg mag wohl recht haben, wenn er den eigenen Nachruf entwirft und darin von sich sagt: "Ob ihm der Abgrund zwischen der Absicht, den geschichtlichen Verlauf als politischsoziale Notwendigkeit darzustellen, und der Umsetzung dieser Absicht in musikalisches Material immer geglückt ist, sei dahingestellt." Nein, dieser "Abgrund" ist ihm nicht "geglückt" - und für Michael Krüger, der doch so schöne Geschichten erzählen kann, gilt das gleiche.
GERHARD SCHULZ
Michael Krüger: "Die Cellospielerin". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 254 S., geb., 38,- DM.
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