Die Faszinationskraft der mystischen Frömmigkeit ist bis heute ungebrochen. Volker Leppin geht allgemeinverständlich den Formen und Deutungen der christlichen Mystik nach. Der Bogen reicht von den ersten biblischen Spuren über den spätantiken Theologen Dionysios Areopagita und die großen Mystiker des Mittelalters wie Bernhard von Clairvaux und Meister Eckhart bis zur Gegenwart. Dabei werden alle großen christlichen Konfessionen - orthodoxe, katholische und evangelische - berücksichtigt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2007Frommer Schwarm
Volker Leppin unterrichtet über die christliche Mystik
Die Kreuzfahrer und das christliche Abendland wurden aus ihrer Sicherheit gerissen, als sie erfahren mussten, dass die Welt voller Heiden war. Wir Neu-Heiden hingegen sind überrascht, wenn wir erfahren müssen, dass die Welt voll von Frommen, ja von Sekten und gar von religiösen Fanatikern ist. Ihnen allen ist ein Zug gemein, den man als die Grundlage eines jeden religiösen Gefühls ansehen kann: die Überzeugung, die Hoffnung oder doch der brennende Wunsch, sich mit dem Höchsten zu vereinen oder ihm ganz nahe zu sein. Jede Religiosität enthält ein Stück Mystik – und weckt damit Misstrauen nicht nur in den eigenen Reihen, sondern noch mehr bei den Außenstehenden. Kann man sich da mit dem kleinen Buch über „die christliche Mystik” von Volker Leppin etwas sachkundiger machen?
Es erscheint in der Reihe „Wissen” des Verlags C. H. Beck und breitet mit Sorgfalt und Sachkenntnis viel Wissen aus. Die Darstellung geht in großen Zügen chronologisch vor und schließt die östliche Christenheit ein. Das Hauptinteresse gilt aber doch der mittelalterlichen Mystik: Bernhard von Clairvaux, Hugo von St. Viktor, Hildegard von Bingen im 12., Franz von Assisi, Bonaventura, Mechthild von Magdeburg, Marguerite Porete im 13. und ausführlicher Meister Eckhart und die Oberrheinische Mystik im 14. Jahrhundert. Ein Schlusskapitel gibt einige Hinweise zum Fortleben der Mystik in den drei christlichen Familien Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus. „Einheit jenseits der Vielheit?” fragt dieses Kapitel und konstatiert, dass „die Begegnung mit den lange Zeit wenig beachteten Religionen des Ostens . . . die Kraft mystischer Frömmigkeit” zeigt. Ist das nicht eine Herausforderung für die ganze sogenannte westliche Zivilisation?
In einem kleinen Vorspann heißt es „Mystiker sprengen Grenzen”. Volker Leppin ist dann wohl keiner, denn er respektiert skrupulös die Grenzen der Philosophie-, Theologie- und Kirchengeschichte. Darum liest sich das Buch oft wie ein stilistisch aufgelockertes Examenskompendium und lässt nur ganz selten „die Faszinationskraft der mystischen Frömmigkeit” spüren. Deren Brisanz, die fast notwendig „in Konflikt mit amts- oder bekenntnistheologischen Vorgaben treten kann”, wird zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht zur Vertiefung genutzt. Marguerite Porete wurde verbrannt, Meister Eckhart starb diskreterweise von selber, ehe sein Prozess zu heiß wurde. Für Luthers Aufbegehren war ein Quäntchen Mystik zwar förderlich und vielleicht entscheidend, aber seinen Jüngern gönnte er es schon nicht mehr, „die anders als er die Reformation auch als Fortführung expliziten mystischen Denkens verstanden”. Was das bedeutet, hätte man von dem Jenaer Kirchenhistoriker gern genauer erfahren, zumal die DDR-Germanistik mit der ideologischen Exhumierung des geköpften Thomas Münzer, aus dem Massengrab der „Schwärmer”, Vorarbeit geleistet hat. Aber hier war ja Wissen, nicht Fragen gefragt. HANS-HERBERT RÄKEL
VOLKER LEPPIN: Die christliche Mystik. Verlag C. H. Beck, München 2007. 126 Seiten, 7,90 Euro.
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Volker Leppin unterrichtet über die christliche Mystik
Die Kreuzfahrer und das christliche Abendland wurden aus ihrer Sicherheit gerissen, als sie erfahren mussten, dass die Welt voller Heiden war. Wir Neu-Heiden hingegen sind überrascht, wenn wir erfahren müssen, dass die Welt voll von Frommen, ja von Sekten und gar von religiösen Fanatikern ist. Ihnen allen ist ein Zug gemein, den man als die Grundlage eines jeden religiösen Gefühls ansehen kann: die Überzeugung, die Hoffnung oder doch der brennende Wunsch, sich mit dem Höchsten zu vereinen oder ihm ganz nahe zu sein. Jede Religiosität enthält ein Stück Mystik – und weckt damit Misstrauen nicht nur in den eigenen Reihen, sondern noch mehr bei den Außenstehenden. Kann man sich da mit dem kleinen Buch über „die christliche Mystik” von Volker Leppin etwas sachkundiger machen?
Es erscheint in der Reihe „Wissen” des Verlags C. H. Beck und breitet mit Sorgfalt und Sachkenntnis viel Wissen aus. Die Darstellung geht in großen Zügen chronologisch vor und schließt die östliche Christenheit ein. Das Hauptinteresse gilt aber doch der mittelalterlichen Mystik: Bernhard von Clairvaux, Hugo von St. Viktor, Hildegard von Bingen im 12., Franz von Assisi, Bonaventura, Mechthild von Magdeburg, Marguerite Porete im 13. und ausführlicher Meister Eckhart und die Oberrheinische Mystik im 14. Jahrhundert. Ein Schlusskapitel gibt einige Hinweise zum Fortleben der Mystik in den drei christlichen Familien Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus. „Einheit jenseits der Vielheit?” fragt dieses Kapitel und konstatiert, dass „die Begegnung mit den lange Zeit wenig beachteten Religionen des Ostens . . . die Kraft mystischer Frömmigkeit” zeigt. Ist das nicht eine Herausforderung für die ganze sogenannte westliche Zivilisation?
In einem kleinen Vorspann heißt es „Mystiker sprengen Grenzen”. Volker Leppin ist dann wohl keiner, denn er respektiert skrupulös die Grenzen der Philosophie-, Theologie- und Kirchengeschichte. Darum liest sich das Buch oft wie ein stilistisch aufgelockertes Examenskompendium und lässt nur ganz selten „die Faszinationskraft der mystischen Frömmigkeit” spüren. Deren Brisanz, die fast notwendig „in Konflikt mit amts- oder bekenntnistheologischen Vorgaben treten kann”, wird zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht zur Vertiefung genutzt. Marguerite Porete wurde verbrannt, Meister Eckhart starb diskreterweise von selber, ehe sein Prozess zu heiß wurde. Für Luthers Aufbegehren war ein Quäntchen Mystik zwar förderlich und vielleicht entscheidend, aber seinen Jüngern gönnte er es schon nicht mehr, „die anders als er die Reformation auch als Fortführung expliziten mystischen Denkens verstanden”. Was das bedeutet, hätte man von dem Jenaer Kirchenhistoriker gern genauer erfahren, zumal die DDR-Germanistik mit der ideologischen Exhumierung des geköpften Thomas Münzer, aus dem Massengrab der „Schwärmer”, Vorarbeit geleistet hat. Aber hier war ja Wissen, nicht Fragen gefragt. HANS-HERBERT RÄKEL
VOLKER LEPPIN: Die christliche Mystik. Verlag C. H. Beck, München 2007. 126 Seiten, 7,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Rezensent Hans-Herbert Räkel gesteht diesem Buch des Kirchenhistorikers Volker Leppin zwar zu, sehr viel Wissen komprimiert zu haben. Große Begeisterung löst das Buch bei ihm dennoch nicht aus. Leppin hält sich nach Einschätzung des Rezensenten einfach zu sehr an die Grenzen der Philosophie-, Theologie- und Kirchengeschichte, weshalb das Buch trotz einiger "stilistischer Auflockerungen" doch ziemlich akademisch sei. Die Faszination, die das Thema durchaus auslösen könnte, dringt für den Rezensenten da kaum durch, spannende und unerwartete Fragen würden nicht gestellt. Über die christliche Mystik, besonders die des Mittelalters, kann man allerdings tatsächlich eine Menge lernen, gibt Räkel zu.
© Perlentaucher Medien GmbH
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