1884 hielt Heinrich Hertz an der Universität Kiel eine Vorlesung über "Moderne Anschauungen über die Constitution der Materie". Das ausgearbeitete Manuskript sollte als Buch veröffentlicht werden, was jedoch unterblieb. Das Manuskript wurde von A. Fölsing kürzlich aufgefunden. Hertz erörtert zunächst erkenntnistheoretische Fragen der Physik, der zweite Teil ist ein entschiedenes Plädoyer zugunsten der Maxwellschen Theorie, und im dritten Teil werden Probleme der Mechanik und Atomistik behandelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999Sehr eindrucksvoll fand man sein langsames Erscheinen nicht
Es will alles gelernt sein: Heinrich Hertz begeisterte sich mehr für die Materie als für sein Publikum / Von Ulrich Kühne
Bevor Albrecht Fölsing die 420 Manuskriptseiten in einem hundert Jahre alten Briefumschlag fand, wusste man von Heinrich Hertz' Vorlesung über die Konstitution der Materie nur aus drei kurzen Tagebucheinträgen: Am 30. April 1884 hatte Hertz mit der Niederschrift begonnen. Einen Monat später vermerkt er: "Das Kolleg findet keinen rechten Anklang" und am 30. Juli, zu Semesterende, schließlich: "Kolleg über die Constitution der Materie gewaltsam zu Ende gebracht." Die Begeisterung des jungen Privatdozenten für die letzten Geheimnisse der Natur konnte sich in der Kieler Provinz nicht frei entfalten.
Nach diesem unerfreulichen Ausflug in die Naturphilosophie konzentrierte Hertz sich ganz aufs praktische Experimentieren, machte dabei die wesentlichen Entdeckungen über die elektromagnetischen Wellen (was ihm die Fernsehzuschauer und Handybenutzer danken) und fand erst kurz vor seinem Tod, durch Krankheit am weiteren Experimentieren gehindert, wieder zur Philosophie. Verglichen mit dem sofortigen Ruhm für seine experimentelle Arbeit hatte sein bisher einziges philosophisches Werk, die postumen "Prinzipien der Mechanik" (1894), einen schweren Start: Bald nach der Drucklegung versiegte das Interesse an der klassischen Mechanik; die neuen Theorien über Quanten und Relativität beanspruchten die volle Aufmerksamkeit der Philosophen.
Heute wird die Einleitung der "Prinzipien" als Beginn der modernen Wissenschaftstheorie gehandelt. "Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände", schrieb Hertz über die Aufgabe der Wissenschaft, "so dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände." Hertz' Versuch, eine logische Ordnung frei von metaphysischen Vorurteilen in diese "Scheinbilder" der Wissenschaft zu bringen, ist das zeitlose Vorbild der Disziplin.
Jetzt gibt es das zweite philosophische Werk von Hertz. Zehn Jahre vor den "Prinzipien" geschrieben, wollte er, wie Fölsing herausgefunden hat, selbst aus der Vorlesung ein Buch machen. Nach seinem vorzeitigen Tod empfahlen viele Kollegen die sofortige Veröffentlichung des Fragments. Max Planck, der später viel zum Niedergang der klassischen Mechanik beitrug, schrieb damals: "Es sind gar zu viele geistvolle und schöngeformte Gedanken in dieser Vorlesung enthalten, dass man ihre Publikation nicht aufs dringendste wünschen sollte."
Warum das Fragment schließlich doch nicht gedruckt wurde, sondern im Briefumschlag verschwand, ließ sich nicht mehr ermitteln. Fölsing hat das Manuskript bei den Recherchen zu seiner profunden Hertz-Biographie (F.A.Z. vom 4. November 1997) im Nachlass der Tochter gefunden. Ebenso unklar ist, warum auch heute noch ein privater Zuschuss von einem Hertz-Nachfahren nötig war, um das Manuskript zu veröffentlichen.
Die Vorlesung ist für das große Publikum geschrieben. Sie profitiert ungemein vom niedrigen Niveau ihrer damaligen Zuhörer. Hertz steigert sich in einen Enthusiasmus für die Sache der Wissenschaft, als hätte er beim Vortrag vor einem Abgrund verständnisloser Lethargie gestanden. Anfangs versuchte er seinem Publikum die damals neueste Physik zu erklären, gegen Ende nur noch wissenschaftliches Denken überhaupt am Beispiel einiger Höhepunkte - aber das ist dann Philosophie in ihrer überzeugendsten Form. Expertenwissen veraltet, gutes Argumentieren nicht, insbesondere wenn es für das Überleben in einer feindlichen Umgebung von Ignoranten konzipiert ist. Hertz hatte sich viel vorgenommen: Letztlich behandelte er alles, was sich über den Aufbau der Welt, die Naturkräfte und Atome, damals wissenschaftlich sagen ließ.
Außer dem gelegentlichen Gebrauch der vier Grundrechenarten präsentiert Hertz in seiner Vorlesung eine einzige Formel, das Webersche Gesetz (1849) - als abschreckendes Beispiel: "Diejenigen Herren, welche mit der Differentialrechnung nicht vertraut sind, darf ich wohl kaum fragen, ob das Gesetz ihnen durch Klarheit und durch Einfachheit einleuchtet." Die Entscheidung gegen das Webersche Gesetz und für die Maxwellsche Elektrodynamik (1865) war längst gefallen - die aufwendigen Experimente, die ihm später gelangen, benötigte Hertz selbst am allerwenigsten, um von ihrem Ergebnis überzeugt zu sein: Die maxwellschen Gleichungen waren einfach die plausible Antwort auf die Fragen zu Elektrizität, Magnetismus, Optik oder Rundfunktechnik, selbst als man noch kein Radio kannte. Um ihre Klarheit und Einfachheit zu zeigen, verzichtete Hertz vorsichtshalber darauf, sie seinem Publikum als Formeln hinzuschreiben, und näherte sich der Differentialgeometrie von Vektorfeldern lieber durch Spielereien, die man mit Luftbläschen in Öl machen kann.
Aus Maxwells Elektrodynamik scheint zwangsläufig zu folgen, dass die Materie in einen welterfüllten Äther eingebettet ist, dessen theoretisch erschlossene Eigenschaften mehr als wunderlich sind. Hertz präsentierte den Äther in seiner ganzen Absonderlichkeit: "Das ist nicht bloß unbegreiflich in dem Sinne, in welchem wir keinen Gebrauch von dem Worte machen wollen, es ist widerspruchsvoll" - um ihn dann doch für real zu halten.
Die Konstitution der Materie betrifft das ganze Gebiet der Physik, Chemie und Naturphilosophie. Dass die Naturphilosophie hierzu allerdings keine interessanten Ergebnisse liefere, wollte Hertz unbedingt beweisen. Kurz und präzise verwarf er alle gängigen Vernunftgründe sowohl für als auch gegen den Atomismus und fand mühelos die Stellen, wo in den berühmten A-priori-Beweisen von Naturprinzipien gemogelt wurde. Anschließend zeigte er, wie man mittels weniger voraussetzungsreichen Nachdenkens über ganz unsensationelle Beobachtungen und Experimente trotzdem einigermaßen sicher sein kann, dass die Welt sich aus Atomen zusammensetzt. Betrachtet man die Arbeit, die das Aufpusten einer Seifenblase bis zum Platzen macht, lässt sich sogar die Größe der Atome abschätzen.
"Da nun die Menschen in Ermangelung guter Beweise selbst schlechte für gut annehmen, woher kam das Bedürfnis nach solchen Beweisen überhaupt, welches war der Grund, der sie wünschen ließ, die Existenz unteilbarer letzter Theile der Materie zu beweisen?" Auch eine ihren Zweck verfehlende Naturphilosophie ist Hertz noch zu etwas nütze: Sie artikuliert, wie eine gute, begreifliche Naturerklärung aussehen könnte. Hertz hielt es für reine Glückssache, dass die damals bekannten Fakten einen atomaren Aufbau der Materie nahe legten, der sich mit den Wünschen einer knappen Mehrheit von Metaphysikern vertrug.
Hertz' eigene Wissenschaftstheorie - seine Alternative zur Metaphysik - war fundierter: "Ich vergleiche die Materie mit einem Papiergeld, welches unser Verstand ausgibt, um seine Beziehung zu den Dingen zu regeln. Das Papiergeld ist ein Zeichen für etwas anderes und gerade in diesem, dass es ein Zeichen ist, liegt sein Werth." In dieser Metapher spielen Metaphysik und Philosophie der Materie die gleiche Rolle für Physik und Naturverständnis wie die Kunst der Papierherstellung und hübschen Verzierung von Geldscheinen für Volkswirtschaft und Wohlstand. Allerdings warnte er vor zu schnellem Spott, denn schlecht gedrucktes Geld habe auch Nachteile.
Die Vorlesung enthält viel Interessantes, was Wissenschaftsphilosophen und -historiker noch beschäftigen wird: Hertz' Aufbereitung der Probleme, die man mit den Spektrallinien der Elemente damals hatte, wird man als wichtige Quelle zur Vorgeschichte der Quantenmechanik erkennen. Die Proportionalität von träger und schwerer Masse hat er mit ungewöhnlicher Klarheit als ein offenes Problem beschrieben. Das Fragment, das unvermittelt in einem Halbsatz abbricht, enthält Stoff für das prall gefüllte Forschungsprogramm eines Wissenschaftlers, der nicht damit rechnen konnte, mit siebenunddreißig Jahren an einem Schnupfen zu sterben.
Wenn die heute besser vorbereitete breite Öffentlichkeit nicht auf die Taschenbuchausgabe wartet, findet sie in Hertz' Vorlesung zwar trotzdem nicht die neueste Physik, aber doch mehr richtige als in den meisten aktuellen Bestsellern über das fraktale Chaos, die Schwarzen Löcher oder ganzheitliche Quanten.
Heinrich Hertz: "Die Constitution der Materie". Eine Vorlesung über die Grundlagen der Physik aus dem Jahre 1884. Herausgegeben und eingeleitet von Albrecht Fölsing. Springer Verlag, Berlin 1999. XIII, 172 S., Abb., geb., 98,- DM.
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Es will alles gelernt sein: Heinrich Hertz begeisterte sich mehr für die Materie als für sein Publikum / Von Ulrich Kühne
Bevor Albrecht Fölsing die 420 Manuskriptseiten in einem hundert Jahre alten Briefumschlag fand, wusste man von Heinrich Hertz' Vorlesung über die Konstitution der Materie nur aus drei kurzen Tagebucheinträgen: Am 30. April 1884 hatte Hertz mit der Niederschrift begonnen. Einen Monat später vermerkt er: "Das Kolleg findet keinen rechten Anklang" und am 30. Juli, zu Semesterende, schließlich: "Kolleg über die Constitution der Materie gewaltsam zu Ende gebracht." Die Begeisterung des jungen Privatdozenten für die letzten Geheimnisse der Natur konnte sich in der Kieler Provinz nicht frei entfalten.
Nach diesem unerfreulichen Ausflug in die Naturphilosophie konzentrierte Hertz sich ganz aufs praktische Experimentieren, machte dabei die wesentlichen Entdeckungen über die elektromagnetischen Wellen (was ihm die Fernsehzuschauer und Handybenutzer danken) und fand erst kurz vor seinem Tod, durch Krankheit am weiteren Experimentieren gehindert, wieder zur Philosophie. Verglichen mit dem sofortigen Ruhm für seine experimentelle Arbeit hatte sein bisher einziges philosophisches Werk, die postumen "Prinzipien der Mechanik" (1894), einen schweren Start: Bald nach der Drucklegung versiegte das Interesse an der klassischen Mechanik; die neuen Theorien über Quanten und Relativität beanspruchten die volle Aufmerksamkeit der Philosophen.
Heute wird die Einleitung der "Prinzipien" als Beginn der modernen Wissenschaftstheorie gehandelt. "Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände", schrieb Hertz über die Aufgabe der Wissenschaft, "so dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände." Hertz' Versuch, eine logische Ordnung frei von metaphysischen Vorurteilen in diese "Scheinbilder" der Wissenschaft zu bringen, ist das zeitlose Vorbild der Disziplin.
Jetzt gibt es das zweite philosophische Werk von Hertz. Zehn Jahre vor den "Prinzipien" geschrieben, wollte er, wie Fölsing herausgefunden hat, selbst aus der Vorlesung ein Buch machen. Nach seinem vorzeitigen Tod empfahlen viele Kollegen die sofortige Veröffentlichung des Fragments. Max Planck, der später viel zum Niedergang der klassischen Mechanik beitrug, schrieb damals: "Es sind gar zu viele geistvolle und schöngeformte Gedanken in dieser Vorlesung enthalten, dass man ihre Publikation nicht aufs dringendste wünschen sollte."
Warum das Fragment schließlich doch nicht gedruckt wurde, sondern im Briefumschlag verschwand, ließ sich nicht mehr ermitteln. Fölsing hat das Manuskript bei den Recherchen zu seiner profunden Hertz-Biographie (F.A.Z. vom 4. November 1997) im Nachlass der Tochter gefunden. Ebenso unklar ist, warum auch heute noch ein privater Zuschuss von einem Hertz-Nachfahren nötig war, um das Manuskript zu veröffentlichen.
Die Vorlesung ist für das große Publikum geschrieben. Sie profitiert ungemein vom niedrigen Niveau ihrer damaligen Zuhörer. Hertz steigert sich in einen Enthusiasmus für die Sache der Wissenschaft, als hätte er beim Vortrag vor einem Abgrund verständnisloser Lethargie gestanden. Anfangs versuchte er seinem Publikum die damals neueste Physik zu erklären, gegen Ende nur noch wissenschaftliches Denken überhaupt am Beispiel einiger Höhepunkte - aber das ist dann Philosophie in ihrer überzeugendsten Form. Expertenwissen veraltet, gutes Argumentieren nicht, insbesondere wenn es für das Überleben in einer feindlichen Umgebung von Ignoranten konzipiert ist. Hertz hatte sich viel vorgenommen: Letztlich behandelte er alles, was sich über den Aufbau der Welt, die Naturkräfte und Atome, damals wissenschaftlich sagen ließ.
Außer dem gelegentlichen Gebrauch der vier Grundrechenarten präsentiert Hertz in seiner Vorlesung eine einzige Formel, das Webersche Gesetz (1849) - als abschreckendes Beispiel: "Diejenigen Herren, welche mit der Differentialrechnung nicht vertraut sind, darf ich wohl kaum fragen, ob das Gesetz ihnen durch Klarheit und durch Einfachheit einleuchtet." Die Entscheidung gegen das Webersche Gesetz und für die Maxwellsche Elektrodynamik (1865) war längst gefallen - die aufwendigen Experimente, die ihm später gelangen, benötigte Hertz selbst am allerwenigsten, um von ihrem Ergebnis überzeugt zu sein: Die maxwellschen Gleichungen waren einfach die plausible Antwort auf die Fragen zu Elektrizität, Magnetismus, Optik oder Rundfunktechnik, selbst als man noch kein Radio kannte. Um ihre Klarheit und Einfachheit zu zeigen, verzichtete Hertz vorsichtshalber darauf, sie seinem Publikum als Formeln hinzuschreiben, und näherte sich der Differentialgeometrie von Vektorfeldern lieber durch Spielereien, die man mit Luftbläschen in Öl machen kann.
Aus Maxwells Elektrodynamik scheint zwangsläufig zu folgen, dass die Materie in einen welterfüllten Äther eingebettet ist, dessen theoretisch erschlossene Eigenschaften mehr als wunderlich sind. Hertz präsentierte den Äther in seiner ganzen Absonderlichkeit: "Das ist nicht bloß unbegreiflich in dem Sinne, in welchem wir keinen Gebrauch von dem Worte machen wollen, es ist widerspruchsvoll" - um ihn dann doch für real zu halten.
Die Konstitution der Materie betrifft das ganze Gebiet der Physik, Chemie und Naturphilosophie. Dass die Naturphilosophie hierzu allerdings keine interessanten Ergebnisse liefere, wollte Hertz unbedingt beweisen. Kurz und präzise verwarf er alle gängigen Vernunftgründe sowohl für als auch gegen den Atomismus und fand mühelos die Stellen, wo in den berühmten A-priori-Beweisen von Naturprinzipien gemogelt wurde. Anschließend zeigte er, wie man mittels weniger voraussetzungsreichen Nachdenkens über ganz unsensationelle Beobachtungen und Experimente trotzdem einigermaßen sicher sein kann, dass die Welt sich aus Atomen zusammensetzt. Betrachtet man die Arbeit, die das Aufpusten einer Seifenblase bis zum Platzen macht, lässt sich sogar die Größe der Atome abschätzen.
"Da nun die Menschen in Ermangelung guter Beweise selbst schlechte für gut annehmen, woher kam das Bedürfnis nach solchen Beweisen überhaupt, welches war der Grund, der sie wünschen ließ, die Existenz unteilbarer letzter Theile der Materie zu beweisen?" Auch eine ihren Zweck verfehlende Naturphilosophie ist Hertz noch zu etwas nütze: Sie artikuliert, wie eine gute, begreifliche Naturerklärung aussehen könnte. Hertz hielt es für reine Glückssache, dass die damals bekannten Fakten einen atomaren Aufbau der Materie nahe legten, der sich mit den Wünschen einer knappen Mehrheit von Metaphysikern vertrug.
Hertz' eigene Wissenschaftstheorie - seine Alternative zur Metaphysik - war fundierter: "Ich vergleiche die Materie mit einem Papiergeld, welches unser Verstand ausgibt, um seine Beziehung zu den Dingen zu regeln. Das Papiergeld ist ein Zeichen für etwas anderes und gerade in diesem, dass es ein Zeichen ist, liegt sein Werth." In dieser Metapher spielen Metaphysik und Philosophie der Materie die gleiche Rolle für Physik und Naturverständnis wie die Kunst der Papierherstellung und hübschen Verzierung von Geldscheinen für Volkswirtschaft und Wohlstand. Allerdings warnte er vor zu schnellem Spott, denn schlecht gedrucktes Geld habe auch Nachteile.
Die Vorlesung enthält viel Interessantes, was Wissenschaftsphilosophen und -historiker noch beschäftigen wird: Hertz' Aufbereitung der Probleme, die man mit den Spektrallinien der Elemente damals hatte, wird man als wichtige Quelle zur Vorgeschichte der Quantenmechanik erkennen. Die Proportionalität von träger und schwerer Masse hat er mit ungewöhnlicher Klarheit als ein offenes Problem beschrieben. Das Fragment, das unvermittelt in einem Halbsatz abbricht, enthält Stoff für das prall gefüllte Forschungsprogramm eines Wissenschaftlers, der nicht damit rechnen konnte, mit siebenunddreißig Jahren an einem Schnupfen zu sterben.
Wenn die heute besser vorbereitete breite Öffentlichkeit nicht auf die Taschenbuchausgabe wartet, findet sie in Hertz' Vorlesung zwar trotzdem nicht die neueste Physik, aber doch mehr richtige als in den meisten aktuellen Bestsellern über das fraktale Chaos, die Schwarzen Löcher oder ganzheitliche Quanten.
Heinrich Hertz: "Die Constitution der Materie". Eine Vorlesung über die Grundlagen der Physik aus dem Jahre 1884. Herausgegeben und eingeleitet von Albrecht Fölsing. Springer Verlag, Berlin 1999. XIII, 172 S., Abb., geb., 98,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zunächst einmal findet es Ulrich Kühne in seiner Rezension ziemlich traurig, dass die Erstausgabe des jüngst wieder entdeckten Manuskripts nur herausgegeben werden konnte, weil ein Nachfahre Hertz das Buch subventionierte. Hertz musste seine Vorlesung nach Kühne vor einem anscheinend recht ignoranten Publikum halten, und darum hat sie nach Ansicht des Rezensenten bis heute den großen Vorzug der Verständlichkeit. In manchem sei der Text eine wichtige Quelle zur Vorgeschichte der Quantenmechanik. Kühne betont, dass der Heraugeber des Bandes, Albrecht Fölsing, vor kurzem auch eine profunde Hertz-Biographie vorgelegt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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