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Antisemitismus in der DDR?
Detlef Joseph untersucht, wie die DDR mit ihren jüdischen Mitbürgern umgegangen ist. Der Jurist hat sich Arbeiten, Ausstellungen und andere Publikationen vorgenommen, die die These vertreten, in der DDR hätten Juden nicht jene Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren, die sie wegen des Holocaust hätten bekommen müssen - und widerlegt diese Behauptung. Renate Kirchner fügt eine einzigartige Bibliografie an: alle zwischen 1945 und 1990 im Osten Deutschlands veröffentlichten Bücher.

Produktbeschreibung
Antisemitismus in der DDR?
Detlef Joseph untersucht, wie die DDR mit ihren jüdischen Mitbürgern umgegangen ist. Der Jurist hat sich Arbeiten, Ausstellungen und andere Publikationen vorgenommen, die die These vertreten, in der DDR hätten Juden nicht jene Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren, die sie wegen des Holocaust hätten bekommen müssen - und widerlegt diese Behauptung. Renate Kirchner fügt eine einzigartige Bibliografie an: alle zwischen 1945 und 1990 im Osten Deutschlands veröffentlichten Bücher.
Autorenporträt
Detlef Joseph, geboren 1934, aufgewachsen in Berlin. Jura-Studium an der Humboldt-Universität. Von 1961 bis 1991 dort Lehrtätigkeit, Sektion Rechtswissenschaft. Von 1977 bis 1981 und 1988 Dozent an der Universität Maputo (Mosambik).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2010

Antifaschistische Sehstörung
Detlef Joseph verklärt die Haltung der DDR zu ihrer jüdischen Minderheit

Detlef Joseph verspricht eine "kritische Untersuchung" der DDR-Staatsideologie und ihrer Haltung zur jüdischen Minderheit. Um es vorwegzunehmen: Das Versprechen wird nicht eingelöst. Es handelt sich vielmehr um einen polemischen, zitatenreichen, gegen den derzeitigen Forschungsstand gerichteten Rundumschlag des Autors, der bis 1991 Professor für Staats- und Rechtstheorie an der Berliner Humboldt-Universität war. Nicht genug damit, dass bereits der Antifaschismus der DDR "in Frage gestellt" würde, solle "ihr nunmehr auch ein antisemitischer Charakter zugeschrieben werden". Das aber sei "antisozialistische Verleumdung", "Rosstäuscherei" und Kampagne zur "Delegitimierung" und "Diffamierung" der DDR. Bis dato würde ein Negativbild gezeichnet, welches daher rühre, dass für die "heutigen zeitgeistgemäß wirkenden Historiker" nur "Aussagen jener Juden von Wert" seien, "die sich in der DDR ,aufmüpfig'" verhalten hätten.

In diesem Duktus ist das Buch geschrieben, dessen Autor an den Denkmustern seiner ehemals streng parteikonformen Zunft festhält. Es werden dabei alle Register einer Propagandaschrift des Kalten Krieges gezogen. Die von Renate Kirchner zusammengestellte und mit einer Einführung versehene Bibliographie dient ebenfalls apologetischen Zwecken. Eine beigelegte "Pressemitteilung" des Verlags verrät, es handle sich um "alle zwischen 1945 und 1990 im Osten Deutschlands veröffentlichten Bücher von jüdischen Autoren und zum jüdischen Thema. Eine Übersicht, wie sie bisher in Deutschland noch nie vorlag." Richtig ist, dass auch in der DDR bedeutende Kulturproduktionen in Kunst, Film und Literatur zu Themen der jüdischen Geschichte entstanden sind. Insofern ist diese Auflistung von Interesse - genauso wie die zahlreichen Zitate im Buch, die Einblicke in die Arbeit und das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinden der DDR geben. Umso befremdlicher ist jedoch, wie die angeführten Quellen interpretiert werden.

Nach 1945 waren jüdische Überlebende der Konzentrationslager und Emigranten auch in die Sowjetische Besatzungszone zurückgekehrt, viele unter ihnen beseelt von dem Wunsch, beim Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. Jüdische Gemeinden wurden neu gegründet, unter guten Vorzeichen, wie es schien. Denn im offiziellen Selbstverständnis der DDR hatte Antisemitismus keinen Platz. Antifaschistischer Gründungsmythos und die Realitäten jüdischen Lebens begannen jedoch bald auseinanderzuklaffen.

In den Augen des kommunistischen Widerstands, der sich an der Seite der Sowjetunion als Sieger gegen den Nationalsozialismus betrachtete, waren die Juden von Anfang an eine den politisch Verfolgten nachgeordnete Opfergruppe. Als zentrales Element des Nationalsozialismus galt der Antikommunismus, der nationalsozialistische eliminatorische Antisemitismus dagegen als eher beiläufiges Phänomen. Unverändert lautet so auch die Lesart von Detlef Joseph: Hitler sei es um die "Ausrottung des Marxismus" gegangen, von Juden sei erst einmal "nicht die Rede" gewesen, heißt es mehrfach. Andernfalls wäre doch auch für den Reichstagsbrand 1933 ein Jude und nicht ein Kommunist verantwortlich gemacht worden. Und überhaupt: Seien die Juden im Nationalsozialismus nicht zuerst zur Auswanderung veranlasst worden?

Getreulich repetiert werden die Stereotypen des Kalten Krieges: Wie in ganz Osteuropa hatten auch in der DDR marxistisch-leninistische Angriffe auf den "Westimperialismus" die Juden allgemein mit Kosmopolitismus und Kapitalismus in Verbindung gebracht und waren Israel und Amerika paradigmatisch zum Konglomerat des Bösen stigmatisiert worden. Konsequent durchzogen von dieser binären Weltsicht und der damit einhergehenden Aufrechnungsmentalität sind die Ausführungen Josephs über den Staat Israel. So wird etwa der Antizionismus der DDR mit dem "Schulterschluss zwischen den USA als dem Vorreiter des Imperialismus im Weltmaßstab und Israel als dem kapitalistischen Platzhalter im Nahen Osten" gerechtfertigt.

Einen Tiefpunkt im Leben der jüdischen Minderheit in der DDR markierte der Prozess gegen Rudolf Slánský 1952 in Prag. Führende jüdische Gemeindemitglieder, als "Konterrevolutionäre" und "zionistische Agenten" verfolgt, flohen daraufhin aus der DDR in die Bundesrepublik. Joseph verneint die "antisemitische Diktion dieses Prager Prozesses" nicht und gibt zu, dass in diesem Kontext seitens des SED-Zentralkomitees "Aktivitäten" veranlasst worden seien, "deren Verfolgungs- und Repressivcharakter in Sonderheit jüdische Menschen und Westemigranten traf". Dass es taktische Erwägungen waren, die Phasen der Entspannung einleiteten, zuletzt außenpolitische Gründe in den achtziger Jahren, erwähnt er indessen nicht.

Zur Mitverantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen am jüdischen Volk bekannte sich die DDR erst am 8. Februar 1990. Eine Entschuldigung für ihre Politik gegen den Staat Israel erfolgte am 12. April 1990, beides erst nach dem Fall der Mauer also. Dem Empfinden des Verfassers nach stellte die letztgenannte Erklärung, abgegeben "im Prozess des Untergangs der DDR", einen "ideologischen Vorgriff" dar auf die "späteren Delegitimierungshandlungen", gegen die er Kapitel für Kapitel zu Felde zieht. Der Gesamteindruck, den das Buch hinterlässt, erinnert irritierend an die Worte der "Genossin Kommissar" in John le Carrés "Der Spion der aus der Kälte kam", die deklariert: "Juden sind alle gleich. Falls sie der Partei beitreten, meinen sie, dass die Partei ihnen gehört. Bleiben sie aber draußen, dann glauben sie, die Partei mache eine Verschwörung gegen sie." Ist am Ende das die Botschaft, die Detlef Joseph übermitteln wollte?

ANDREA HOPP

Detlef Joseph: Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung - mit einer Bibliographie von Renate Kirchner. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010. 399 S., 19,95 [Euro].

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