Souverän oder abhängig?
Neben einem knappen chronologischen Überblick, der die wesentlichen Stadien der DDR-Militärgeschichte in den Kontext einer Gesamtgeschichte der Epoche stellt, steht die systematische Betrachtung ausgewählter Themen, etwa wie sich die Hochmilitarisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft des SED-Staates auswirkte. Leitmotiv ist die Frage, in wie weit die DDR als - so die Selbstdarstellung - souveräner Staat selbst für ihre Sicherheit sorgte oder ob sie von der sowjetischen Sicherheitsgarantie abhängig war.
Oberst Dr. Winfried Heinemann, geb. 1956, ist Leiter der Abteilung Ausbildung - Information - Fachstudien und stellvertretender Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, Potsdam.
Neben einem knappen chronologischen Überblick, der die wesentlichen Stadien der DDR-Militärgeschichte in den Kontext einer Gesamtgeschichte der Epoche stellt, steht die systematische Betrachtung ausgewählter Themen, etwa wie sich die Hochmilitarisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft des SED-Staates auswirkte. Leitmotiv ist die Frage, in wie weit die DDR als - so die Selbstdarstellung - souveräner Staat selbst für ihre Sicherheit sorgte oder ob sie von der sowjetischen Sicherheitsgarantie abhängig war.
Oberst Dr. Winfried Heinemann, geb. 1956, ist Leiter der Abteilung Ausbildung - Information - Fachstudien und stellvertretender Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, Potsdam.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2011Frontstaat
DDR-Sicherheitswahn
Nach innen und außen gab sich das SED-Regime gern als "Friedensstaat". Dahinter verbarg sich im realsozialistischen Alltag jedoch jener "Frontstaat", der sich einerseits vor der eigenen Bevölkerung, andererseits vor dem kapitalistischen "Klassenfeind" schützen wollte. So standen Sicherheitsfragen seit der DDR-Gründung von 1949 bis zum Untergang von 1989 im Vordergrund, wenn auch durch die Integration in den Warschauer Pakt und durch die Stationierung der "Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" - durchgängig zwischen 300 000 und 600 000 Soldaten - das Ost-Berliner Regime "letztlich auf den Spitzen der sowjetischen Bajonette regierte". Das hebt Winfried Heinemann hervor in seinem komprimierten und höchst kenntnisreichen, mit vielen Fotos und Grafiken gekonnt aufgelockerten Überblick über alle "bewaffneten Organe" der DDR. Einblicke werden geboten in die Strukturen der Nationalen Volksarmee (NVA) und darüber hinaus in andere Elemente des "Systems der Landesverteidigung": Grenztruppen, "Kampfgruppen der Arbeiterklasse", Reservistenkollektive und das MfS-Wachregiment "Feliks Dzierzynski", das allmählich auf rund 11 000 Mann anwuchs und einer Division der NVA entsprach.
In der DDR gab es "ständige Gefechtsbereitschaft". Daher mussten regelmäßig 85 Prozent der Soldaten bei ihrem Truppenteil sein. Die "Armee des Volkes" habe sich gegen das eigene Volk abzuschotten versucht durch umfassende Geheimhaltungsvorschriften. "Von einer Identifizierung breiter Bevölkerungsschichten mit der NVA konnte keine Rede sein", schreibt Heinemann. Einige "selbständig denkende Geister" habe es in den achtziger Jahren "neben vielen begrenzt fähigen Offizieren" gegeben, aber die "Phase der systemloyalen Reformbewegung in der DDR allgemein und in der NVA im Besonderen" sei noch nicht umfassend wissenschaftlich bearbeitet. Engmaschig überwacht war die NVA und besonders die Grenztruppen durch inoffizielle und hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit: "Der Gedanke an einen ,Stauffenberg in Strausberg' war unter diesen Umständen abwegig; eine organisierte Alternativ- oder gar Oppositionsbewegung hat es in der NVA nie gegeben." Schon "geringfügige Formen abweichenden Verhaltens oder gar Kritik an der Staats- oder Parteiführung" konnten empfindlich geahndet werden mit Ausgangssperre, Nachdienen oder sogar dem "Militär-Knast" in Schwedt.
Die Lebensbedingungen der Soldaten, die Traditionspflege der "roten Preußen" und die Feindbilder werden ebenso abgehandelt wie Ausrüstung und Rekrutierung. Die extrem hohe Offiziersdichte habe es mit sich gebracht, "dass Offiziere auch Aufgaben wahrnahmen, die weder eine Führungsrolle noch echte Stabstätigkeit darstellten, sondern in der Bundeswehr von erfahrenen Feldwebeln als Berufsunteroffizieren erledigt wurden". Heinemann stellt außerdem die jeweilige Sonderrolle von NVA und Bundeswehr heraus: "Immerhin gehörte zum Grundgefüge der östlichen Allianz ebenso wie zu jenem der Nato die Erfahrung der Verbündeten, dass die meisten Bündnispartner innerhalb des letzten Jahrhunderts zwei Mal von Deutschland überfallen und besetzt worden waren. Die beiden Bündnisse mussten sich daher sowohl die militärischen Potenzen des jeweiligen deutschen Partners zunutze machen als auch Sicherheit vor Deutschland bieten."
Eigene Abschnitte widmen sich der Militärhilfe der DDR in der Dritten Welt (Waffen und Ausbildung - in Libyen und Syrien "auf kommerzieller Basis"), der Planung zur Einnahme des westlichen Teils von Berlin sowie der Bedeutung der NVA in den Krisen des Warschauer Pakts. Bei der Niederschlagung des "Prager Frühlings", auf den Walter Ulbricht in Moskau zuvor gedrängt hatte, kamen im August 1968 keine DDR-Verbände zum Einsatz: "Einzig das Verbindungskommando und die zu seiner Unterstützung entsandten Fernmeldeelemente in einer Gesamtstärke von unter 50 Soldaten hielten sich während der militärischen Operationen auf CSSR-Staatsgebiet auf." Dennoch halte sich "hartnäckig die Legende, die NVA sei aktiv an der Niederschlagung des Prager Frühlings beteiligt gewesen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die DDR-Führung den kurzfristigen Ausschluss ihrer Truppenteile als Diskriminierung und Zurücksetzung empfand. Sie erweckte daher in der von ihr kontrollierten Öffentlichkeit den irreführenden Eindruck, die Volksarmee sei sehr wohl mit den Verbündeten in das Nachbarland eingerückt." Insgesamt treffe es "zwar zu, dass die NVA und die anderen militärischen Formationen der DDR sich nie an aggressiven Operationen gegen andere Länder beteiligt haben". Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Hegemonialmacht Sowjetunion gelegentliche offensive Bestrebungen der DDR-Führung unterbunden habe. Auch in dieser Hinsicht relativiert sich laut Heinemann die Parole vom "Friedensstaat DDR".
RAINER BLASIUS
Winfried Heinemann: Die DDR und ihr Militär. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. R. Oldenbourg Verlag, München 2011. 224 S., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
DDR-Sicherheitswahn
Nach innen und außen gab sich das SED-Regime gern als "Friedensstaat". Dahinter verbarg sich im realsozialistischen Alltag jedoch jener "Frontstaat", der sich einerseits vor der eigenen Bevölkerung, andererseits vor dem kapitalistischen "Klassenfeind" schützen wollte. So standen Sicherheitsfragen seit der DDR-Gründung von 1949 bis zum Untergang von 1989 im Vordergrund, wenn auch durch die Integration in den Warschauer Pakt und durch die Stationierung der "Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" - durchgängig zwischen 300 000 und 600 000 Soldaten - das Ost-Berliner Regime "letztlich auf den Spitzen der sowjetischen Bajonette regierte". Das hebt Winfried Heinemann hervor in seinem komprimierten und höchst kenntnisreichen, mit vielen Fotos und Grafiken gekonnt aufgelockerten Überblick über alle "bewaffneten Organe" der DDR. Einblicke werden geboten in die Strukturen der Nationalen Volksarmee (NVA) und darüber hinaus in andere Elemente des "Systems der Landesverteidigung": Grenztruppen, "Kampfgruppen der Arbeiterklasse", Reservistenkollektive und das MfS-Wachregiment "Feliks Dzierzynski", das allmählich auf rund 11 000 Mann anwuchs und einer Division der NVA entsprach.
In der DDR gab es "ständige Gefechtsbereitschaft". Daher mussten regelmäßig 85 Prozent der Soldaten bei ihrem Truppenteil sein. Die "Armee des Volkes" habe sich gegen das eigene Volk abzuschotten versucht durch umfassende Geheimhaltungsvorschriften. "Von einer Identifizierung breiter Bevölkerungsschichten mit der NVA konnte keine Rede sein", schreibt Heinemann. Einige "selbständig denkende Geister" habe es in den achtziger Jahren "neben vielen begrenzt fähigen Offizieren" gegeben, aber die "Phase der systemloyalen Reformbewegung in der DDR allgemein und in der NVA im Besonderen" sei noch nicht umfassend wissenschaftlich bearbeitet. Engmaschig überwacht war die NVA und besonders die Grenztruppen durch inoffizielle und hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit: "Der Gedanke an einen ,Stauffenberg in Strausberg' war unter diesen Umständen abwegig; eine organisierte Alternativ- oder gar Oppositionsbewegung hat es in der NVA nie gegeben." Schon "geringfügige Formen abweichenden Verhaltens oder gar Kritik an der Staats- oder Parteiführung" konnten empfindlich geahndet werden mit Ausgangssperre, Nachdienen oder sogar dem "Militär-Knast" in Schwedt.
Die Lebensbedingungen der Soldaten, die Traditionspflege der "roten Preußen" und die Feindbilder werden ebenso abgehandelt wie Ausrüstung und Rekrutierung. Die extrem hohe Offiziersdichte habe es mit sich gebracht, "dass Offiziere auch Aufgaben wahrnahmen, die weder eine Führungsrolle noch echte Stabstätigkeit darstellten, sondern in der Bundeswehr von erfahrenen Feldwebeln als Berufsunteroffizieren erledigt wurden". Heinemann stellt außerdem die jeweilige Sonderrolle von NVA und Bundeswehr heraus: "Immerhin gehörte zum Grundgefüge der östlichen Allianz ebenso wie zu jenem der Nato die Erfahrung der Verbündeten, dass die meisten Bündnispartner innerhalb des letzten Jahrhunderts zwei Mal von Deutschland überfallen und besetzt worden waren. Die beiden Bündnisse mussten sich daher sowohl die militärischen Potenzen des jeweiligen deutschen Partners zunutze machen als auch Sicherheit vor Deutschland bieten."
Eigene Abschnitte widmen sich der Militärhilfe der DDR in der Dritten Welt (Waffen und Ausbildung - in Libyen und Syrien "auf kommerzieller Basis"), der Planung zur Einnahme des westlichen Teils von Berlin sowie der Bedeutung der NVA in den Krisen des Warschauer Pakts. Bei der Niederschlagung des "Prager Frühlings", auf den Walter Ulbricht in Moskau zuvor gedrängt hatte, kamen im August 1968 keine DDR-Verbände zum Einsatz: "Einzig das Verbindungskommando und die zu seiner Unterstützung entsandten Fernmeldeelemente in einer Gesamtstärke von unter 50 Soldaten hielten sich während der militärischen Operationen auf CSSR-Staatsgebiet auf." Dennoch halte sich "hartnäckig die Legende, die NVA sei aktiv an der Niederschlagung des Prager Frühlings beteiligt gewesen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die DDR-Führung den kurzfristigen Ausschluss ihrer Truppenteile als Diskriminierung und Zurücksetzung empfand. Sie erweckte daher in der von ihr kontrollierten Öffentlichkeit den irreführenden Eindruck, die Volksarmee sei sehr wohl mit den Verbündeten in das Nachbarland eingerückt." Insgesamt treffe es "zwar zu, dass die NVA und die anderen militärischen Formationen der DDR sich nie an aggressiven Operationen gegen andere Länder beteiligt haben". Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Hegemonialmacht Sowjetunion gelegentliche offensive Bestrebungen der DDR-Führung unterbunden habe. Auch in dieser Hinsicht relativiert sich laut Heinemann die Parole vom "Friedensstaat DDR".
RAINER BLASIUS
Winfried Heinemann: Die DDR und ihr Militär. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. R. Oldenbourg Verlag, München 2011. 224 S., 19,80 [Euro].
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