Die AG Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler - besser bekannt unter dem Namen Degussa - wird wie kaum ein anderes Wirtschaftsunternehmen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. Als Lieferant des tödlichen Giftes "Zyklon B", das zur Ermordung von Millionen Menschen in den Gaskammern der Nationalsozialisten verwendet wurde, ist Degussa zum Inbegriff der Verwicklung der deutschen Wirtschaft in die Greueltaten des nationalsozialistischen Regimes geworden. Auch ein Großteil des von den Nazis geraubten Edelmetalls ging durch die Schmelzöfen der Degussa. Darüber hinaus war die Degussa ein wichtiger Hersteller von Rüstungsgütern für die Wehrmacht.
Im Mittelpunkt des umfassenden Buches von Peter Hayes steht die Frage, warum die Zeit des Dritten Reiches für dieses eigentlich eher kleine Großunternehmen so außerordentlich - und dauerhaft - profitabel war. In welcher Weise nutzte die 1873 gegründete Degussa die Betätigungsfelder, die ihr der Nationalsozialismus und seine (wirtschafts)politischen Ziele eröffneten? Inwieweit bestimmte das nationalsozialistische Regime die Unternehmenspolitik der Degussa? Peter Hayes schildert eindrücklich die Verstrickung des Unternehmens in "Arisierung", Zwangsarbeit und die Vernichtung der europäischen Juden. Er beschreibt detailliert, wie die Entscheidungsverantwortlichen der Degussa sich zunächst an die NS-Politik und deren Ziele anpaßten, sich dann immer stärker damit identifizierten (und sie zum Teil sogar propagierten) und sich am Ende wie so viele weigerten, ihr Verhalten zu hinterfragen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Im Mittelpunkt des umfassenden Buches von Peter Hayes steht die Frage, warum die Zeit des Dritten Reiches für dieses eigentlich eher kleine Großunternehmen so außerordentlich - und dauerhaft - profitabel war. In welcher Weise nutzte die 1873 gegründete Degussa die Betätigungsfelder, die ihr der Nationalsozialismus und seine (wirtschafts)politischen Ziele eröffneten? Inwieweit bestimmte das nationalsozialistische Regime die Unternehmenspolitik der Degussa? Peter Hayes schildert eindrücklich die Verstrickung des Unternehmens in "Arisierung", Zwangsarbeit und die Vernichtung der europäischen Juden. Er beschreibt detailliert, wie die Entscheidungsverantwortlichen der Degussa sich zunächst an die NS-Politik und deren Ziele anpaßten, sich dann immer stärker damit identifizierten (und sie zum Teil sogar propagierten) und sich am Ende wie so viele weigerten, ihr Verhalten zu hinterfragen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2004Gas und Gold
Peter Hayes hat die Geschichte der Degussa im "Dritten Reich" überzeugend dargestellt
Peter Hayes: Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft. Aus dem Englischen von Anne Emmert, Ursula Schäfer und Heike Schlatterer. Verlag C. H. Beck, München 2004. 486 Seiten, 34,90 [Euro].
Peter Hayes' mit Spannung erwartete Geschichte der Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt läßt sich auf sehr unterschiedliche Art lesen. Obwohl im Ansatz grundverschieden, sind beide Lesarten legitim und wohlbegründet. Die meisten Leser werden ihre Erwartung bestätigt sehen und in dem Frankfurter Chemieunternehmen die Hexenküche nationalsozialistischer Aggression und Mordlust erkennen, die zum Haßobjekt der "Holocaust-Industrie" geworden ist. Wer das Buch genau liest, erfährt freilich auch mit wachsender Verblüffung, daß keiner der Kernvorwürfe gegen die historische Degussa - Verantwortung für den Holocaust mit Zyklon B, Bereicherung aus Zwangsarbeit und Raubgold - wirklich zu erhärten ist. Gleichwohl erlaubt es tiefen Einblick in die Zwangslagen und Handlungsspielräume von Unternehmern der nationalsozialistischen Zeit.
Für die erste Lesart spricht zunächst das Produktionsprogramm der Degussa. Durch ihre Schmelzöfen ging der größte Teil des Goldes, das die Nationalsozialisten im besetzten Europa als Beute beanspruchten oder den Opfern des Holocaust abnahmen. Sie produzierte Metallegierungen und Chemikalien, strategische Additiva für Buna und Stahl, die ebenso wie das von ihr geschiedene Silber in viele High-Tech-Waffen der Wehrmacht eingingen. Duale Rüstungsgüter wie Gasmasken und Sprengstoff hatte sie ebenfalls im Angebot. Vor allem aber war sie mit 42,5 Prozent an der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH (Degesch) beteiligt, die jenes "Entwesungsmittel" Zyklon B lieferte, das die SS in den Jahren von 1942 bis 1944 in Auschwitz und Majdanek dazu mißbrauchte, rund eine Million Menschen zu ermorden. Die Büchse der Pandora enthielt noch vieles mehr. Hätte sich das Regime für den Gas- oder den Atomkrieg entschieden, wäre es auch Aufgabe der Degussa gewesen, die nötigen Zutaten für diese Verbrechen zu liefern.
Diese Produktpalette machte die Degussa in Krieg und Frieden zu einem florierenden Unternehmen. Schon 1924 bis 1933 stieg der Wert der kleinen, aber feinen Firma auf mehr als das Doppelte. Nach 1938 nahm die Aufstiegsdynamik abermals zu, so daß sich der Wert der Degussa im "Dritten Reich" noch einmal verdoppelte. Auch wenn der Zusammenbruch von 1945 einen Großteil des Zuwachses wieder zunichte machte, ging die Degussa aus dem Krieg reicher hervor - an Vermögen ebenso wie an Know-how. Wie für die meisten deutschen Unternehmen zahlten sich unternehmerischer Opportunismus und die bedingungslose Anerkennung des Primats der Politik auch für die Degussa langfristig aus. Schon aus diesem Grund mußte sie - wie alle Deutschen - ihren Teil der Verantwortung für die Verbrechen übernehmen, die das NS-Regime mit ihrer Hilfe begehen konnte. Profitierte sie aber auch im materiellen Sinne von diesen Verbrechen - von Raubgold, Zwangsarbeit und Holocaust?
Hayes warnt seine Leser ausdrücklich vor Heuchelei. Wer das Buch liest, sollte Demut vor den Realitäten der menschlichen Natur aufbringen und fähig sein, die Geschichte des "Dritten Reiches" von 1933 bis 1945 zu "lesen" - und sich nicht auf die schiefe Bahn einer retrospektiven Betrachtung von 1945 bis 1933 begeben. Nur so lassen sich zeitgenössische Denk- und Handlungsspielräume angemessen beurteilen. Tatsächlich unterscheidet sich die Geschichte der Degussa nach 1933 kaum von der der meisten deutschen Unternehmen. Weder gehörte man in Frankfurt vor 1933 zu den Förderern der Hitler-Bewegung, noch sprang man gleich auf den anfahrenden Zug. Im Gegenteil, die Degussa sah sich zunächst einem langwierigen Boykott der Zahnärzte ausgesetzt, weil sechs ihrer Aufsichtsratsposten mit "Juden" besetzt waren. Bis 1938 gelang es ihr auch, sich weitgehend der gefürchteten Rüstungsspirale zu entziehen. Die Drohung einer feindlichen Übernahme durch die früh nazifizierten Henkel-Werke (von denen man als Vorlieferant für "Persil" abhängig war) und wachsender Druck der Rüstungsplaner ließen schließlich die Dämme brechen. Die Degussa machte sich dem Regime unentbehrlich.
Neben der Preußischen Staatsmünze war die Degussa das einzige Unternehmen, das zum Scheiden von Gold in der Lage war. "Raubgold" - auch aus dem Holocaust - mußte daher fast zwangsläufig auch die Frankfurter Schmelzöfen durchlaufen. Deshalb diente die Degussa 1947 erneut als Durchgangsstation, diesmal für sichergestelltes "KZ-Gold", das internationalen Flüchtlingsorganisationen zur Verfügung gestellt wurde. Vor 1945 machte "Raubgold" etwa 15 Prozent des Goldumsatzes aus. Die Scheidegebühr brachte freilich nur Bruchteile dessen ein, was die Reichsbank und die beteiligten Großbanken aus dieser trüben Quelle schöpften. Die Degussa profitierte viel mehr von der Verarbeitung der im besetzten Europa zu internationalen Marktpreisen gekauften Edelmetalle.
Noch größere Aufmerksamkeit dürften Hayes' Ergebnisse über Auschwitz und Zyklon B finden. Was 1940 mit der "Ausgasung" von SS-Unterkünften und der Einrichtung von Desinfektionskammern begann, nahm von April 1941 an einen für Tesch & Stabenow (Testa) - der zuständigen, weitgehend unabhängig agierenden Vertriebsgesellschaft der Degesch - unübersichtlichen Verlauf. Die SS erwarb selbst die staatliche Lizenz für die Anwendung von Zyklon B und konnte so unabhängig von den Fachleuten der Testa im September beginnen, mit der "Vergasung" von Menschen zu experimentieren. Vermutlich ahnte Tesch seit Sommer 1942 den mörderischen Mißbrauch seiner Lieferungen, ließ ihn aber geschehen, weil er sich von der SS Rückhalt in einem Streit mit der Degesch versprach.
Es ist eher unwahrscheinlich, daß Degesch oder gar Degussa und die übrigen Teilhaber von dem Mißbrauch des "Entwesungsmittels" gewußt haben. Da nur ein Prozent des Gesamtumsatzes von Zyklon B nach Auschwitz ging und der Gewinn nur in Bruchteilen (1487,50 RM) an die Degussa gelangte, war dies auch nicht aus den Zahlen zu erschließen. Die Degesch (nicht die Degussa) rückte freilich in einem speziellen Zusammenhang ebenfalls in die Nähe des Holocaust. Sie ließ sich von Kurt Gerstein, einem zwischen Widerstand und Mittäterschaft schwankenden SS-Mann, dazu bewegen, zur angeblichen "Humanisierung" der Euthanasie an Testa vorbei kleine Mengen von Zyklon B ohne Warnstoff für Auschwitz zur Verfügung zu stellen. Dieser Zusatz war jedoch zu diesem Zeitpunkt wegen Rohstoffknappheit auch sonst kaum noch in Zyklon B enthalten, so daß er auch in den weit größeren Mengen, die Testa nach Auschwitz lieferte, nicht wirksam wurde.
Die Präzisierung der Rolle, die Degussa im System der NS-Verbrechen gespielt hat, läßt zu keinem Zeitpunkt Zweifel am Unrecht selbst und der Mitverantwortung der Degussa aufkommen, erlaubt aber in vielen Fällen ein besseres Verständnis der Ursachen unternehmerischer Willfährigkeit. Dies gilt auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern, der - wie der Verfasser zu Recht betont - nicht aus dem Motiv der Bereicherung zu erklären ist. Zwangsarbeiter verursachten dem Unternehmen - nicht nur bei der Degussa - in der Regel höhere Kosten als deutsche Arbeitskräfte. Er sieht in der Verwendung dieses unzutreffenden Arguments vielmehr eine zwangsläufige Folge des amerikanischen Rechtssystems, das diesen Vorwurf als Anspruchsgrundlage für Entschädigungsklagen voraussetzt. Hayes' politische Unternehmensgeschichte der Degussa ist ein wichtiger Schritt zu einer durch Sachlichkeit überzeugenden Analyse der Rolle der Wirtschaft in der NS-Zeit.
WERNER ABELSHAUSER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Hayes hat die Geschichte der Degussa im "Dritten Reich" überzeugend dargestellt
Peter Hayes: Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft. Aus dem Englischen von Anne Emmert, Ursula Schäfer und Heike Schlatterer. Verlag C. H. Beck, München 2004. 486 Seiten, 34,90 [Euro].
Peter Hayes' mit Spannung erwartete Geschichte der Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt läßt sich auf sehr unterschiedliche Art lesen. Obwohl im Ansatz grundverschieden, sind beide Lesarten legitim und wohlbegründet. Die meisten Leser werden ihre Erwartung bestätigt sehen und in dem Frankfurter Chemieunternehmen die Hexenküche nationalsozialistischer Aggression und Mordlust erkennen, die zum Haßobjekt der "Holocaust-Industrie" geworden ist. Wer das Buch genau liest, erfährt freilich auch mit wachsender Verblüffung, daß keiner der Kernvorwürfe gegen die historische Degussa - Verantwortung für den Holocaust mit Zyklon B, Bereicherung aus Zwangsarbeit und Raubgold - wirklich zu erhärten ist. Gleichwohl erlaubt es tiefen Einblick in die Zwangslagen und Handlungsspielräume von Unternehmern der nationalsozialistischen Zeit.
Für die erste Lesart spricht zunächst das Produktionsprogramm der Degussa. Durch ihre Schmelzöfen ging der größte Teil des Goldes, das die Nationalsozialisten im besetzten Europa als Beute beanspruchten oder den Opfern des Holocaust abnahmen. Sie produzierte Metallegierungen und Chemikalien, strategische Additiva für Buna und Stahl, die ebenso wie das von ihr geschiedene Silber in viele High-Tech-Waffen der Wehrmacht eingingen. Duale Rüstungsgüter wie Gasmasken und Sprengstoff hatte sie ebenfalls im Angebot. Vor allem aber war sie mit 42,5 Prozent an der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH (Degesch) beteiligt, die jenes "Entwesungsmittel" Zyklon B lieferte, das die SS in den Jahren von 1942 bis 1944 in Auschwitz und Majdanek dazu mißbrauchte, rund eine Million Menschen zu ermorden. Die Büchse der Pandora enthielt noch vieles mehr. Hätte sich das Regime für den Gas- oder den Atomkrieg entschieden, wäre es auch Aufgabe der Degussa gewesen, die nötigen Zutaten für diese Verbrechen zu liefern.
Diese Produktpalette machte die Degussa in Krieg und Frieden zu einem florierenden Unternehmen. Schon 1924 bis 1933 stieg der Wert der kleinen, aber feinen Firma auf mehr als das Doppelte. Nach 1938 nahm die Aufstiegsdynamik abermals zu, so daß sich der Wert der Degussa im "Dritten Reich" noch einmal verdoppelte. Auch wenn der Zusammenbruch von 1945 einen Großteil des Zuwachses wieder zunichte machte, ging die Degussa aus dem Krieg reicher hervor - an Vermögen ebenso wie an Know-how. Wie für die meisten deutschen Unternehmen zahlten sich unternehmerischer Opportunismus und die bedingungslose Anerkennung des Primats der Politik auch für die Degussa langfristig aus. Schon aus diesem Grund mußte sie - wie alle Deutschen - ihren Teil der Verantwortung für die Verbrechen übernehmen, die das NS-Regime mit ihrer Hilfe begehen konnte. Profitierte sie aber auch im materiellen Sinne von diesen Verbrechen - von Raubgold, Zwangsarbeit und Holocaust?
Hayes warnt seine Leser ausdrücklich vor Heuchelei. Wer das Buch liest, sollte Demut vor den Realitäten der menschlichen Natur aufbringen und fähig sein, die Geschichte des "Dritten Reiches" von 1933 bis 1945 zu "lesen" - und sich nicht auf die schiefe Bahn einer retrospektiven Betrachtung von 1945 bis 1933 begeben. Nur so lassen sich zeitgenössische Denk- und Handlungsspielräume angemessen beurteilen. Tatsächlich unterscheidet sich die Geschichte der Degussa nach 1933 kaum von der der meisten deutschen Unternehmen. Weder gehörte man in Frankfurt vor 1933 zu den Förderern der Hitler-Bewegung, noch sprang man gleich auf den anfahrenden Zug. Im Gegenteil, die Degussa sah sich zunächst einem langwierigen Boykott der Zahnärzte ausgesetzt, weil sechs ihrer Aufsichtsratsposten mit "Juden" besetzt waren. Bis 1938 gelang es ihr auch, sich weitgehend der gefürchteten Rüstungsspirale zu entziehen. Die Drohung einer feindlichen Übernahme durch die früh nazifizierten Henkel-Werke (von denen man als Vorlieferant für "Persil" abhängig war) und wachsender Druck der Rüstungsplaner ließen schließlich die Dämme brechen. Die Degussa machte sich dem Regime unentbehrlich.
Neben der Preußischen Staatsmünze war die Degussa das einzige Unternehmen, das zum Scheiden von Gold in der Lage war. "Raubgold" - auch aus dem Holocaust - mußte daher fast zwangsläufig auch die Frankfurter Schmelzöfen durchlaufen. Deshalb diente die Degussa 1947 erneut als Durchgangsstation, diesmal für sichergestelltes "KZ-Gold", das internationalen Flüchtlingsorganisationen zur Verfügung gestellt wurde. Vor 1945 machte "Raubgold" etwa 15 Prozent des Goldumsatzes aus. Die Scheidegebühr brachte freilich nur Bruchteile dessen ein, was die Reichsbank und die beteiligten Großbanken aus dieser trüben Quelle schöpften. Die Degussa profitierte viel mehr von der Verarbeitung der im besetzten Europa zu internationalen Marktpreisen gekauften Edelmetalle.
Noch größere Aufmerksamkeit dürften Hayes' Ergebnisse über Auschwitz und Zyklon B finden. Was 1940 mit der "Ausgasung" von SS-Unterkünften und der Einrichtung von Desinfektionskammern begann, nahm von April 1941 an einen für Tesch & Stabenow (Testa) - der zuständigen, weitgehend unabhängig agierenden Vertriebsgesellschaft der Degesch - unübersichtlichen Verlauf. Die SS erwarb selbst die staatliche Lizenz für die Anwendung von Zyklon B und konnte so unabhängig von den Fachleuten der Testa im September beginnen, mit der "Vergasung" von Menschen zu experimentieren. Vermutlich ahnte Tesch seit Sommer 1942 den mörderischen Mißbrauch seiner Lieferungen, ließ ihn aber geschehen, weil er sich von der SS Rückhalt in einem Streit mit der Degesch versprach.
Es ist eher unwahrscheinlich, daß Degesch oder gar Degussa und die übrigen Teilhaber von dem Mißbrauch des "Entwesungsmittels" gewußt haben. Da nur ein Prozent des Gesamtumsatzes von Zyklon B nach Auschwitz ging und der Gewinn nur in Bruchteilen (1487,50 RM) an die Degussa gelangte, war dies auch nicht aus den Zahlen zu erschließen. Die Degesch (nicht die Degussa) rückte freilich in einem speziellen Zusammenhang ebenfalls in die Nähe des Holocaust. Sie ließ sich von Kurt Gerstein, einem zwischen Widerstand und Mittäterschaft schwankenden SS-Mann, dazu bewegen, zur angeblichen "Humanisierung" der Euthanasie an Testa vorbei kleine Mengen von Zyklon B ohne Warnstoff für Auschwitz zur Verfügung zu stellen. Dieser Zusatz war jedoch zu diesem Zeitpunkt wegen Rohstoffknappheit auch sonst kaum noch in Zyklon B enthalten, so daß er auch in den weit größeren Mengen, die Testa nach Auschwitz lieferte, nicht wirksam wurde.
Die Präzisierung der Rolle, die Degussa im System der NS-Verbrechen gespielt hat, läßt zu keinem Zeitpunkt Zweifel am Unrecht selbst und der Mitverantwortung der Degussa aufkommen, erlaubt aber in vielen Fällen ein besseres Verständnis der Ursachen unternehmerischer Willfährigkeit. Dies gilt auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern, der - wie der Verfasser zu Recht betont - nicht aus dem Motiv der Bereicherung zu erklären ist. Zwangsarbeiter verursachten dem Unternehmen - nicht nur bei der Degussa - in der Regel höhere Kosten als deutsche Arbeitskräfte. Er sieht in der Verwendung dieses unzutreffenden Arguments vielmehr eine zwangsläufige Folge des amerikanischen Rechtssystems, das diesen Vorwurf als Anspruchsgrundlage für Entschädigungsklagen voraussetzt. Hayes' politische Unternehmensgeschichte der Degussa ist ein wichtiger Schritt zu einer durch Sachlichkeit überzeugenden Analyse der Rolle der Wirtschaft in der NS-Zeit.
WERNER ABELSHAUSER
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2004Wirtschaftsbuch
Manager mit wenig Gewissen
Wie bei den meisten deutschen Unternehmen erwachte auch bei der „Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt” (Degussa) das Interesse an der eigenen Firmengeschichte spät. Nämlich erst, als Beteiligungen an Beutezügen des NS-Regimes enthüllt wurden und Ende der 90er über die Entschädigung der Zwangsarbeiter gestritten wurde. Der Auftrag, dieses dunkle Kapitel unvoreingenommen zu erforschen, ging an den amerikanischen Historiker Peter Hayes. Der hatte sich mit Arbeiten über die IG Farben einen Namen gemacht. Solche Aufträge, das wusste auch Hayes, bergen Risiken, wenn sie größtenteils auf Archiven der betroffenen Unternehmen beruhen. Sie laufen Gefahr, dessen Perspektive zu übernehmen. Hayes bestand deshalb auf ungehindertem Quellenzugang und dem Verzicht auf Zensur seitens der Degussa - und bemühte sich gerade deswegen um „Gerechtigkeit” für die Akteure.
Der Autor erhebt nicht den Anspruch, eine umfassende Geschichte der 1873 gegründeten Firma im Dritten Reich zu präsentieren. Vielmehr möchte er besonders heikle Aspekte beleuchten: das Verhältnis zur NSDAP und zu staatlichen Stellen sowie die Verwicklung in die Arisierungs- und Ausplünderungspolitik des Regimes. Hayes durchleuchtet die Versuche von Degussa, sich die Schlüsselstellung in der Edelmetallindustrie zu sichern. Er spart auch die Wiederaufarbeitung von Zahngold aus Konzentrationslagern und den Einsatz von Zwangsarbeitern nicht aus. Auch die Rolle der Zyklon B produzierenden Tochterfirma Degesch bei der Vergasung von Juden kommt ebenso zur Sprache wie die misslungene Vergangenheitsbewältigung der Degussa-Führung nach 1945.
Hayes weist überzeugend nach, dass das Dritte Reich für die Degussa „außerordentlich und dauerhaft profitabel” war - allerdings nicht dank des Verkaufs von Zyklon B oder der Geschäfte mit Judengold, sondern hauptsächlich dank der Chancen, welche die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik für flexible und bedenkenlose Unternehmer bot. Dass es entgegen gängiger Auffassung kaum kurzfristige Profitinteressen waren, welche die Degussa-Chefs zu Komplizen werden ließen, sondern die Absicht, einmal eroberte Positionen zu verteidigen, schockiert eher noch mehr. Als Leitmotiv der Unternehmensspitze nennt Hayes die „bemerkenswerte Fähigkeit, sich Befehlen von oben anzupassen und sich anschließend von ihrer Richtigkeit” zu überzeugen. Gleichwohl attestiert er der Firma, etwa bei der Arisierung keineswegs alle vom NS-Staat eröffneten Möglichkeiten ausgenutzt und in der NS-Kriegswirtschaft eine „überwiegend reagierende Rolle” gespielt zu haben.
Das Buch zeigt, warum die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Nationalsozialisten funktionierte. Hayes bestätigt damit aufs Neue die Ergebnisse der jüngeren Forschung, dass Unternehmensvorstände und Manager gar keine eingefleischten Nationalsozialisten sein mussten, um zu Komplizen des mörderischen Regimes oder gar zu Mittätern zu werden. Mitunter genügte es bereits, dass sie einfach nur im ökonomischen Interesse der Aktionäre und Anteilseigner handeln wollten.
Werner Bührer
Peter Hayes: Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammen-
arbeit zur Mittäterschaft.
Verlag C. H. Beck, München 2004,
486 Seiten, 34,90 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Manager mit wenig Gewissen
Wie bei den meisten deutschen Unternehmen erwachte auch bei der „Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt” (Degussa) das Interesse an der eigenen Firmengeschichte spät. Nämlich erst, als Beteiligungen an Beutezügen des NS-Regimes enthüllt wurden und Ende der 90er über die Entschädigung der Zwangsarbeiter gestritten wurde. Der Auftrag, dieses dunkle Kapitel unvoreingenommen zu erforschen, ging an den amerikanischen Historiker Peter Hayes. Der hatte sich mit Arbeiten über die IG Farben einen Namen gemacht. Solche Aufträge, das wusste auch Hayes, bergen Risiken, wenn sie größtenteils auf Archiven der betroffenen Unternehmen beruhen. Sie laufen Gefahr, dessen Perspektive zu übernehmen. Hayes bestand deshalb auf ungehindertem Quellenzugang und dem Verzicht auf Zensur seitens der Degussa - und bemühte sich gerade deswegen um „Gerechtigkeit” für die Akteure.
Der Autor erhebt nicht den Anspruch, eine umfassende Geschichte der 1873 gegründeten Firma im Dritten Reich zu präsentieren. Vielmehr möchte er besonders heikle Aspekte beleuchten: das Verhältnis zur NSDAP und zu staatlichen Stellen sowie die Verwicklung in die Arisierungs- und Ausplünderungspolitik des Regimes. Hayes durchleuchtet die Versuche von Degussa, sich die Schlüsselstellung in der Edelmetallindustrie zu sichern. Er spart auch die Wiederaufarbeitung von Zahngold aus Konzentrationslagern und den Einsatz von Zwangsarbeitern nicht aus. Auch die Rolle der Zyklon B produzierenden Tochterfirma Degesch bei der Vergasung von Juden kommt ebenso zur Sprache wie die misslungene Vergangenheitsbewältigung der Degussa-Führung nach 1945.
Hayes weist überzeugend nach, dass das Dritte Reich für die Degussa „außerordentlich und dauerhaft profitabel” war - allerdings nicht dank des Verkaufs von Zyklon B oder der Geschäfte mit Judengold, sondern hauptsächlich dank der Chancen, welche die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik für flexible und bedenkenlose Unternehmer bot. Dass es entgegen gängiger Auffassung kaum kurzfristige Profitinteressen waren, welche die Degussa-Chefs zu Komplizen werden ließen, sondern die Absicht, einmal eroberte Positionen zu verteidigen, schockiert eher noch mehr. Als Leitmotiv der Unternehmensspitze nennt Hayes die „bemerkenswerte Fähigkeit, sich Befehlen von oben anzupassen und sich anschließend von ihrer Richtigkeit” zu überzeugen. Gleichwohl attestiert er der Firma, etwa bei der Arisierung keineswegs alle vom NS-Staat eröffneten Möglichkeiten ausgenutzt und in der NS-Kriegswirtschaft eine „überwiegend reagierende Rolle” gespielt zu haben.
Das Buch zeigt, warum die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Nationalsozialisten funktionierte. Hayes bestätigt damit aufs Neue die Ergebnisse der jüngeren Forschung, dass Unternehmensvorstände und Manager gar keine eingefleischten Nationalsozialisten sein mussten, um zu Komplizen des mörderischen Regimes oder gar zu Mittätern zu werden. Mitunter genügte es bereits, dass sie einfach nur im ökonomischen Interesse der Aktionäre und Anteilseigner handeln wollten.
Werner Bührer
Peter Hayes: Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammen-
arbeit zur Mittäterschaft.
Verlag C. H. Beck, München 2004,
486 Seiten, 34,90 Euro
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Überzeugend" findet Werner Abelshauser diese Geschichte der Degussa im "Dritten Reich", die Peter Hayes hier vorgelegt hat. Seines Erachtens lässt Hayes Arbeit zwei recht unterschiedliche Lesarten zu, die er beide für "legitim und wohlbegründet" hält. Die meisten Leser werden nach Ansicht Abelshausers ihre Erwartung bestätigt sehen und in dem Frankfurter Chemieunternehmen die "Hexenküche nationalsozialistischer Aggression und Mordlust" erkennen. Eine genauere Lektüre des Buches, die auch der Rezensent für sich in Anspruch nimmt, zeige indes, dass keiner der Kernvorwürfe gegen die historische Degussa - Verantwortung für den Holocaust mit Zyklon B, Bereicherung aus Zwangsarbeit und Raubgold - wirklich zu erhärten sei. Abelshauser widmet sich zunächst der ersten Lesart, wobei er zu dem Schluss kommt, dass sich der unternehmerischer Opportunismus der Degussa auszahlte und dass sie schon deswegen ihren Teil der Verantwortung für die Verbrechen übernehmen musste, die das NS-Regime mit ihrer Hilfe begehen konnte. In seiner Ausführungen zur zweiten Lesart hebt Abelshauser dann hervor, dass die Degussa im materiellen Sinne kaum von Raubgold, Zwangsarbeit und Holocaust profitierte. So zeige Hayes etwa, dass die Lieferung von Zyklon B nach Auschwitz Sache der Testa und der Degesch war, während er es für unwahrscheinlich erachte, dass die Degussa und die übrigen Teilhaber von dem Missbrauch des "Entwesungsmittels" gewusst haben. Abelshauser attestiert Hayes jedenfalls, die Rolle, die Degussa im System der NS-Verbrechen gespielt hat, zu präzisieren, ohne je Zweifel am Unrecht selbst und der Mitverantwortung der Degussa aufkommen zu lassen. Das Resümee des Rezensenten: "Hayes' politische Unternehmensgeschichte der Degussa ist ein wichtiger Schritt zu einer durch Sachlichkeit überzeugenden Analyse der Rolle der Wirtschaft in der NS-Zeit."
© Perlentaucher Medien GmbH
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