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Für Simon Axler geht es bergab. Mit sechzig hat er, einer der besten Theaterschauspieler, alles Selbstvertrauen verloren. Als er auch noch von seiner Frau verlassen wird, kehrt er der Bühne endgültig den Rücken zu und beginnt eine scheinbar unmögliche Beziehung mit der lesbischen Tochter eines Jugendfreundes. Doch was zunächst wie ein belebender Trost aussieht, erweist sich als Flucht vor der Wirklichkeit. Philip Roth erzählt in seinem Roman mit unverwechselbarer Eindringlichkeit und Ironie vom Schicksal eines alternden Schauspielers. Auf Simons Reise ans Ende der Nacht entblößt der in den USA…mehr

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Produktbeschreibung
Für Simon Axler geht es bergab. Mit sechzig hat er, einer der besten Theaterschauspieler, alles Selbstvertrauen verloren. Als er auch noch von seiner Frau verlassen wird, kehrt er der Bühne endgültig den Rücken zu und beginnt eine scheinbar unmögliche Beziehung mit der lesbischen Tochter eines Jugendfreundes. Doch was zunächst wie ein belebender Trost aussieht, erweist sich als Flucht vor der Wirklichkeit. Philip Roth erzählt in seinem Roman mit unverwechselbarer Eindringlichkeit und Ironie vom Schicksal eines alternden Schauspielers. Auf Simons Reise ans Ende der Nacht entblößt der in den USA lebende Autor gnadenlos alle menschlichen Täuschungen - Liebe und Macht, Leidenschaft und Prestige.
Autorenporträt
Philip Roth wurde 1933 in Newark, New Jersey, geboren und starb 2018 in New York City. 1998 erhielt er für Amerikanisches Idyll den Pulitzerpreis. Ebenfalls 1998 wurde ihm im Weißen Haus die National Medal of Arts verliehen, und 2001 erhielt er die höchste Auszeichnung der American Academy of Arts and Letters, die Gold Medal, mit der unter anderem John Dos Passos, William Faulkner und Saul Bellow ausgezeichnet worden sind. Er hat zweimal den National Book Award und den National Book Critics Circle Award erhalten, dreimal den PEN/Faulkner Award und außerdem den PEN/Nabokov Award und den PEN/Saul Bellow Award. Bei Hanser erschienen zuletzt u.a. Das sterbende Tier (Roman, 2003), Shop Talk (Ein Schriftsteller, seine Kollegen und ihr Werk, 2004), Jedermann (Roman, 2006), Mein Leben als Mann (Roman, Neuausgabe 2007), Eigene und fremde Bücher, wiedergelesen (2007), Exit Ghost (Roman, 2008), Empörung (Roman, 2009), Portnoys Beschwerden (Neuübersetzung, 2009), Die Demütigung (2010) und Nemesis (2011), außerdem 2018 in Neuausgaben die Romane Amerikanisches Idyll, Der menschliche Makel und Verschwörung gegen Amerika sowie Mein Leben als Sohn.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2010

Letzte Vorstellung
Philip Roth erzählt in „Die Demütigung” meisterhaft von einem tödlichen Spiel
„Die Sache ist die: Konstantin Gawrilowitsch hat sich erschossen.” So lautet der letzte Satz in Anton Tschechows „Die Möwe”, einem Theaterstück, das Tschechow trotz des tödliches Endes als Komödie verstanden wissen wollte. Mit Mitte 20 hat Simon Axler Tschechows in der Kunst und in der Liebe gescheiterten jungen Schriftsteller am Broadway gespielt, und für ihn war die Rolle des zu Tode Verzweifelten die Geburtsstunde seiner Bühnenkarriere, die ihn zu einem der ganz Großen des amerikanischen Theaters machte. Vierzig Jahre ist das jetzt her, und genau so lange hat es gedauert, bis Konstantins Selbstzweifel zu seinen eigenen geworden sind, als hätte er, der stets stark, strahlend und wie unbesiegbar auf der Bühne wirkte, die ganze Zeit über den Virus des Versagens in sich getragen, als wäre seine so ungebrochene Laufbahn nur die Inkubationszeit gewesen, bis die Krankheit zum Tode auch bei ihm ausbricht.
Von einem Tag auf den anderen kann Simon Axler nicht mehr spielen. „Er hatte seinen Zauber verloren”, heißt der erste Satz in „Die Demütigung”, dem neuen Roman von Philip Roth, und die Magie, um die es geht, besteht darin, etwas Vorgestelltes in etwas Wirkliches zu verwandeln, so zu tun, als hielte man eine Teetasse in der Hand, und die Leute glauben zu machen, sie sei wirklich da. Doch seit Axler als Prospero schlimm gescheitert ist und sich als Macbeth regelrecht blamiert hat, wird er sie nicht mehr los, diese schlaue, kleine Stimme, die ihm ins Ohr flüstert: „Es gibt keine Teetasse.”
Simon Axler, dieser hünenhafte, vor Energie und Selbstsicherheit strotzende Theatergott, ist am Ende; er will nicht mehr, nicht mehr spielen und nicht mehr leben. Als er nach 26 Tagen die psychiatrische Klinik wieder verlässt, die er aufgesucht hatte, zieht er sich auf seine Farm Upstate New York zurück, und, anstatt eine neue Rolle für sein Leben zu finden, wird er zum Zuschauer seines fortschreitenden Verfalls. „Du hast dein Talent zeitweilig verlegt, das ist alles”, beruhigt ihn sein Agent Jerry, der gekommen ist, um Simon zu einem Comeback zu überreden. Mit Hilfe eines erfahrenen Coachs und in der Paraderolle des James Tyrone aus Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht”, soll er zurückfinden zu seinem alten Selbst. Doch Simon ist längst auf seiner eigenen Reise in die Nacht, denn seine Frau Victoria hatte nicht die Kraft, ihn aufzufangen. Sie floh an die Westküste zu ihrem drogenabhängigen Sohn. Nach dessen Tod wird die Ehe geschieden. Fortan ist das einzige lebende Wesen in Axlers Nähe ein struppiges, beinahe farbloses Opossum, das sich in der Scheune eingenistet hat und dem, wie Axler feststellt, sechs Zweige genügen, um sich häuslich einzurichten in seinem Bau. „So also wird’s gemacht, dachte er. Ich habe zu viel. Man braucht nur sechs.”
Wie Schauspieler sind Opossums nachtaktive Lebewesen, und sie sind Schmarotzer. Im Buch, das aufgebaut ist wie eine klassische Novelle, wird das Opossum zum hämischen Vorboten, dass Simon Axler seine Nemesis erst noch bevorsteht, dass er noch einmal raus muss auf die Bühne, diesmal auf die des Lebens, und dass ihn dort eine mit allen Wassern gewaschene Schauspielkünstlerin herausfordert. Denn eines Tages steht Pegeen vor seiner Tür, die Tochter befreundeter Schauspielerkollegen, mit denen Axler zusammen auf der Bühne stand, als Pegeen noch ein kleines Mädchen war. Nun ist sie eine vollbusige Frau von vierzig Jahren, die ihre Weiblichkeit freilich mit burschikosem Outfit und kurzgeschorenem Haar verleugnet und an einem Frauen-College in Vermont unterrichtet. Ihre Beziehung ging in die Brüche, als Pegeens Freundin entdeckte, dass sie in einem falschen Körper lebt, und begann, für eine Geschlechtsumwandlung zu sparen.
Genauso berechnend, wie Pegeen eine Affäre mit der Dekanin benutzte, um den Job am College zu ergattern, wird sie den Schauspieler als Wirtskörper benutzen, um ihr angeknackstes Ego wiederherzustellen. Instinktiv wie das Opossum in der Scheune spürt sie, dass Axlers Abwehrkräfte geschwächt sind. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, und eine Zeit lang lässt Pegeen ihren „Sugardaddy” glauben, er besitze als Mann die magischen Fähigkeiten, die ihm als Schauspieler abhanden gekommen sind, und könne tatsächlich „Lesben umpolen”. Ja, Simon versteigt sich in seinem Liebeswahn sogar zu Träumen von einem gemeinsamen Kind und einer Rückkehr auf die Bühne, und zwar in der Rolle des James Tyrone, der das Urbild des amerikanischen pater familias ist.
Bis Pegeen, die Kindfrau, die „ausgekochte Naive”, irgendwann den Plastikbeutel mit ihrem Sexspielzeug auf dem Bett ausleert und sich den grünen Gummidildo umschnallt. Die nächste Demütigung steht Axler bevor, als das ungleiche Paar gemeinsam eine angetrunkene Blondine in einer Bar abschleppt. Doch da ist er ihr bereits zu sehr verfallen, um noch den Verdacht zuzulassen, der ihn einmal bei einem der gemeinsamen Shoppingzüge durch Manhattan befiel. Während er sich vormacht, der Mann zu sein, der Pegeen lediglich half, „die Frau zu sein, die er begehrte, anstatt eine Frau, die andere Frauen begehrten”, dämmert ihm, dass seine Rolle als Pygmalion, der sich ein Geschöpf nach seiner Lustphantasie erschafft, eine Illusion ist, weil „in Wirklichkeit sie diejenige war, die ihn vollständig unter Kontrolle hatte, die ihn ergriffen und übernommen hatte.” Und dass dies seine letzte Illusion sein könnte, die letzte Falle, die zuschnappt und ihn dazu verurteilt, „mit sechs Zweigen in seinem Loch zu sitzen, allein und ohne Lebenswillen.”
Was für sie nur ein Experiment ist, ist für ihn Schicksal, und das obwohl er Pegeen durchschaut. Mit erbarmungsloser erzählerischer Konsequenz lässt Philip Roth in „Die Demütigung” seine Grundthemen, Altern und Sterben, Selbsttäuschung und neurotische Männlichkeit, angereichert mit dem Ferment einer qualvollen erotischen Travestie, in der Theater-Metapher zusammenschießen: Dass wir zwar jede Rolle spielen, aber nicht jede leben können. Dass die Freiheit, die Partner ebenso wechseln zu können wie die sexuelle Orientierung, auf einer Täuschung beruht. Und dass das Leben nicht aus Optionen besteht, sondern aus Prägungen. Simon Axler, der auf seine verwirrende Biographie „aufgespießt war wie auf einen Pfahl”, zeigt exemplarisch, dass man seine entscheidenen Fehler genauso wenig zu vermeiden vermag, wie sich ein Schauspieler „die schlechte Vorstellung vom Abend noch einmal vornehmen und verbessern” kann. Kaum je hat Philip Roth die hämische Macht des Fatums so profund und literarisch meisterhaft vorgeführt wie in „Die Demütigung”, einem Roman, der das Leben als grimmige Komödie entlarvt: zutiefst lächerlich und schmerzhaft zugleich.
Am Ende des Buches wird Simon Axler einen letzten Triumph als Schauspieler erringen. Diesmal aber nicht, indem er so tut, als sei etwas nur Vorgestelltes wirklich, sondern indem er so tut, als wäre das Wirkliche nur vorgestellt. Oder, um es mit Tschechow zu sagen: Die Sache ist die, Simon Axler hat sich erschossen. CHRISTOPHER SCHMIDT
PHILIP ROTH: Die Demütigung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2010. 144 Seiten, 15,90 Euro.
Mit dieser grimmigen Travestie hat Philip Roth einen Roman klassischen Zuschnitts vorgelegt
Der Bühneneingang war sein Tor zur Welt, doch er wird nie wieder durch diese Tür gehen. Foto: plainpicture/John Weber
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2010

Der Sturzflug der Möwe

"Die Demütigung", der neue Roman von Philip Roth, liest sich streckenweise wie von Viagra gesponsert. Doch dann entpuppt sich das Werk als Tragödie von antiker Wucht.

Von Albert Ostermaier

Und wenn ich noch zwanzig Jahre hier bliebe: Ich würde immer ein Fremdkörper sein auf dem Land; daran wird sich nichts ändern . . . Was bleibt mir übrig, als das auszuhalten. Ob es mir passt oder nicht . . . Ich bin eine tragische Existenz." Nein, so spricht nicht Simon Axler, der Protagonist aus Philip Roth' neuem Roman "Die Demütigung", sondern Sorins, der Gutsverwalter aus Tschechows "Möwe". Es wäre eine Rolle wie auf den Leib geschrieben für Axler, den alternden Großschauspieler und Filmstar. Aber Axler hat ausgespielt, er kann sein Gut nicht mehr verwalten. Er steht auf den Brettern, die ihm die Welt bedeuten, aber die Welt bedeutet ihm nichts mehr, denn er hat einen Hänger, einen Hänger, der nicht enden will. Er will sich aufhängen, umbringen, steckt sich den Lauf seiner Repetierflinte in den Mund, aus dem die repetierten Worte nicht mehr kommen, wie sie sollen, sondern nur "dünne Luft", erstickte Silben, verpasste Anschlüsse zurück ins Leben: "Ein Mann, der leben wollte, spielte einen Mann, der sterben wollte."

Spielte er einst alle an die Wand, steht er jetzt mit dem Rücken zu ihr und findet den Abgang nicht, und nicht den nächsten Auftritt. Das Lichtzeichen gibt ihm kein Licht, die Scheinwerfer seines Bühnenhimmels implodieren, er fällt ins Dunkel, es ist kein Kurzschluss, kein finaler Knall, kein Herzversagen auf offener Bühne, nein, es ist ein Fade-out, ein sich an den Abgrund und in die Finsternis spielen. Axler macht nicht das Alter zu schaffen, sondern die tragische Vorstellung, keine Vorstellung mehr spielen zu können, weil er es verlernt hat: "Sein Talent war tot."

Bei einem Schriftsteller kennt man das als writer's block, bei Axler blockiert das Spielbein, und so knickt auch sein Standbein ein, und er ist sich kein Mensch mehr, weil er nicht mehr spielen kann, weil er seinen Instinkt verlor und so seiner Sinne beraubt, nichts mehr Sinn macht für ihn, er nur noch kopflos über die Bühne irrte, wie danach durch sein Leben. Deshalb beschließt er: Er will seine Rolle aus dem Lebensbuch streichen. Von allen verlassen, begreift Axler "das Gewehr als Fortsetzung seiner Frau", sitzt auf den Brettern seines Dachbodens und kann nicht abdrücken. Nicht einmal das. Was soll er tun, so zwischen Leben und Todessucht hängend? Er weist sich selbst in eine psychiatrische Klinik ein. Es wird besser, er schläft wieder, geht in eine Malgruppe. Malen hilft. Er trifft dort eine Frau, Sybel. Sie erzählt ihm ihre Geschichte - und die eigentliche Geschichte beginnt, an Erzählgewalt zu gewinnen.

Bis dahin wirkt Roth' Porträt des Schauspielers, der aus der Rolle fällt, seltsam angelesen. Zitate und Referenzen sind so sorgfältig gewählt, dass es auffällt. Anders als bei anderen Berufen in Roth' Romankosmos, anders als bei den Handschuhmachern und koscheren Metzgern, wirkt es wie aufgesagt, fehlbesetzt. Doch das spielt zum Glück schon bald keine Rolle mehr, wenn Roth die Berufsschilderung hinter sich lässt und mit gewohnter Unerbittlichkeit seine Figuren wie Schmetterlinge aufspießt, die in ihren Gedanken immer noch durch den Himmel flattern, während sie schon an ihr Schicksal genagelt sind und man hinter Glas die Zeichnungen ihrer Seele betrachtet, die Schönheit vor der Starre, die Erinnerung an die Möglichkeit eines Glücks, das nur kommt, um danach umso brutaler wieder zu verschwinden. Es ist mit diesen Figuren so wie mit manchen Todkranken, die, bevor sie sterben, noch einmal alle Kräfte in sich sammeln für einen Augenblick Leben.

So kämpft sich auch Axler zurück. Vielleicht, weil er in der Klinik wie in einem eigenartigen Theaterstück ist, das alle Selbstmörder der Literaturgeschichte in einen Kreis setzt: "Jeder von ihnen blieb umfangen von der Größe seines Selbstmordversuches und der Schmach, ihn überlebt zu haben. Dass man es wirklich tun konnte, war für sie alle faszinierend, es war ihr Lieblingsthema, sie waren wie Jungen, die über Sport redeten." Zumindest ist Axler nicht allein in seinem Elend, nicht isoliert in seiner Angst. Alle um ihn herum wollten sich umbringen, allen misslang es wie ihm die letzten Auftritte: "Selbstmord ist die Rolle, die man für sich selbst schreibt", deklamierte Axler vor seinem neuen Publikum. Wie sie da in ihrem Höllenkreis sitzen, sind sie Untote: nicht tot, aber auch nicht wieder am Leben. Sie hatten ihren Auftritt, ihren Einsatz, aber sie haben ihn versaut, wie Axler es sagen würde. Axler hört sich ihre Geschichten an und ist ganz besonders berührt von einer, der traurig-traumatischen Geschichte Sybels van Burens.

Sybel ist die Frau eines reichen, mächtigen Mannes, lebt die klassische amerikanische Vorstadtexistenz. Eines Tages kehrt sie um von ihrem Weg zum Supermarkt, weil sie ihren Geldbeutel vergessen hat, und findet ihren Mann ohne Unterhosen vor ihrer Tochter: "Mein reicher und mächtiger Mann kniete auf dem Boden und hatte den Kopf zwischen ihren Beinen." Ihr plötzliches Auftreten irritiert ihn nicht: "Er stand ganz gelassen da und sagte, sie habe über Juckreiz geklagt . . . Und er versicherte mir, es sei alles in Ordnung. Es sei nichts zu sehen, kein Kratzer, keine Rötung, keine Reizung . . . Es gehe ihr gut. ,Prima', sagte ich, ,Ich habe meinen Geldbeutel vergessen.' Und anstatt die Jagdflinte aus dem Keller zu holen und ihn mit Blei vollzupumpen, nahm ich den Geldbeutel, der in der Küche lag, sagte: ,Bis gleich', und fuhr zum Supermarkt."

Solche Schicksale wie unter einem Brennspiegel zu beobachten und zu beschreiben, die Tragik und Tragödie aus dem banalsten Alltag zu destillieren, das Schlimmste als das Beiläufigste und das Beiläufigste als das Schlimmste zu offenbaren, das gelingt kaum einem Schriftsteller so wie Roth. Er ist ein erzählender Euripides. Er hat einen siebten Sinn für die Ohnmacht, für die Fallhöhen der Oberfläche. Unter seinem Röntgenblick gibt sie ungeahnte Abgründe frei. Er ist unerbittlich, aber nicht bitter, geschweige denn verbittert. Er hält nicht, er stellt fest, er lässt nicht nach, aber er lässt frei. Er und Tschechow gäben ein wunderbares Good-cop-bad-cop-Paar ab. Beide haben sie ein Ohr für das Unerhörte und ein Auge für die Blindstellen der Biographien.

Axler schafft es schließlich aus der Klinik, und eine neue Geschichte beginnt mit einem unerwarteten Ereignis: Er bekommt Besuch von Pegeen, der Tochter zweier mittlerweile erfolgloser Schauspielerfreunde aus alten Tagen. Das erste Mal hatte Axler Pegeen "als winziges Baby im Krankenhaus an der Brust ihrer Mutter gesehen". Danach sah er sie Jahre später wieder als "ein lächelndes, schüchternes, zehnjähriges Mädchen mit einem süßen Gesicht, das auf seine Bäume geklettert und mit raschen Zügen in seinem Teich geschwommen war". Und jetzt besucht sie ihn, und vor ihm steht "eine geschmeidige, vollbrüstige Frau von vierzig", die gerade eine traumatische Trennung hinter sich gebracht hat: ihre Freundin Priscilla, die sich immer mehr von ihr zurückgezogen hatte, hatte ihr verkündet, "sie habe mit einer Hormonbehandlung begonnen, die Bartwuchs bewirken und ihre Stimme tiefer machen werde. Sie wolle sich die Brüste entfernen und zum Mann machen lassen".

Als Axler Pegeen in sein Haus und sein Leben führt, stürzt er. Seine peinigenden Rückenschmerzen bringen seine Bewegungsabläufe durcheinander. Er stolpert, und sein Leben kommt ins Stolpern, ein tiefer Fall beginnt, auch wenn er zunächst denkt, nun endlich aufgefangen zu werden. Was nun passiert, liest sich, aus der Distanz betrachtet, wie das holzschnittartige Drehbuch eines Pornofilms oder eine Männerphantasie: Ein alternder Filmstar in der Krise polt in seinem Landhaus eine Lesbe um, zieht sie in sein Bett, macht die Intellektuelle zu seiner Libidolulu, kauft ihr teure Kleider, die er ihr dann wieder auszieht, weil sie Tage im Bett und mit den abenteuerlichsten Stellungen trotz Rückenschmerzen verbringen. Nichts, was sie nicht ausprobieren, bis schließlich alle sexuellen Orientierungen orientierungslos sind, alle Geschlechterrollen rotieren und wechseln. Axler spielt wieder und verschärft das Spiel sogar noch um eine weitere Teilnehmerin. Und dann gibt es noch die krankhafte eifersüchtige Ex von Pegeen, die sie verfolgt, bedroht, ihre Eltern anruft, um das Haus schleicht und schließlich glaubt, Axler wolle auch mit ihr schlafen und sie umdrehen.

Eigentlich wäre das unerträglich, ein Erzählfließband aus klischierten Frauenfiguren, die, so teuer sie auch angezogen und mit Worten bekleidet sind, eher aufgeblasenen Puppen als differenzierten Charakteren ähneln, als träumte sich da ein alter Mann, was alles geht, gerade als nichts mehr geht, als wäre das Ganze von Viagra gesponsert. Aber es ist alles ganz anders als auf den ersten Blick oder wie es erscheinen muss, wenn man das nicht Fassbare zusammenfasst. Denn zum einen ist "Die Demütigung" eine traurige Geschichte über die Täuschungen und Selbsttäuschungen der Liebe, ein Traum des alten Lear, als er nackt durch den Wald läuft. Zum anderen zeigt Roth nicht nur das ungleiche Liebespaar nackt, sondern auch die verlogene Moral. Besonders an der Reaktion der Eltern Pegeens, für die dieses neue Liebesverhältnis ihrer Tochter ein noch größer Schock ist als deren Coming-Out zuvor. Und sie tun alles, um ihr Kind, das noch immer mental abhängig ist von ihnen, abzubringen von Axler, der alles erreicht hat, was sie nicht erreicht haben. Und das alles schaffen sie wie? Natürlich bei Einkaufsbummeln. Sex sells, ja, aber Moral braucht auch eine Kreditkarte. Roth' Romane sind das Echolot Amerikas.

Was aber das Entscheidende an dieser Geschichte ist, deren Fäden sich immer mehr zu einem Strick verdrehen, der stark genug für einen Hals ist, das ist die Erzählhaltung von Roth. Denn was in diesem streckenweise wie ein poetisch polierter Porno anmutenden Buch aufscheint, ist etwas zutiefst Irritierendes: eine unsagbare Trauer, aus der erzählt wird, ein Tinnituston der Verzweiflung, ein Leitmotiv der Unausweichbarkeit des Unglücks im Angesichts des Glücks in den Händen, auf der Haut und auf den Lippen. Dadurch ist Roth nie pornographisch. Nein, es ist geradezu von antiker Wucht, wie unausweichlich er sich ins Verderben liebt und hofft. Ist er erst am Boden, steigt er immer höher und höher, um schließlich umso tiefer zu fallen. Er überlegt, wieder auf die Bühne zu gehen, versteigt sich sogar zu der Hoffnung, Pegeen wolle ein Kind von ihm. So lässt sich Axler untersuchen, um die durch sein Alter bedingten Risiken abzuklären, und vergisst dabei ganz sein eigentliches Lebensrisiko: das Verlassenwerden aus heiterem Himmel. Er hatte es geahnt, doch so wie er als Schauspieler seinen Instinkt verloren hat, hat er es auch als Liebender.

Das Wichtigste an einer Inszenierung ist, dass das Ende stimmt. Als Tschechow das Ende ahnte, stellte er lapidar fest: "Ich sterbe" und verlangte nach einem Glas Champagner, "lange keinen Champagner mehr getrunken". Nur so viel sei verraten: Auch hier stimmt der Schluss. Der Vorgang kann und wird unter Applaus fallen.

Der Dichter, Dramatiker und Schriftsteller Albert Ostermaier, geboren 1967, lebt in München. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Zephyr" und den Gedichtband "Wer sehen will".

Philip Roth: "Die Demütigung". Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, München 2010. 137 S., geb., 15,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Dies sei ein Kurzroman, der "in Sachen Wucht, Spannung, Lakonie, Witz, Anspruch usw. kaum zu wünschen übrig" lasse, schreibt Rene Hamman, der trotzdem der Ansicht ist, dass das Buch im Gesamtwerk des Autors "keinen der vorderen Plätze" einnehmen wird. Zwar sei diese Geschichte um einen alternden Theaterschauspieler, der sich in eine junge Frau und die wiederum in eine Lesbe verliebe, sprachlich tadellos. Allerdings findet Hammann sie zu konventionell und vor allem mit Auge auf Verfilmung erzählt. In Sachen anspruchsvoller Unterhaltung bleibt Roth für Hammann trotzdem das Maß aller Dinge, nicht weniger aber auch nicht mehr.

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"Ein Buch, dessen skizzenhafte, von keinem überflüssigen Detail verstellte Inszenierung auf jeder Seite Roths souveräne Meisterschaft zu erkennen gibt." Thomas David, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.10.09

"Ein grandioser Roman: Bleibt zu sagen, dass das Ende dieser Geschichte vom ersten Satz an feststeht und das man sie gleichwohl atemlos liest - und ehrfürchtig staunt über das Können dieses wahrhaft großen Schriftstellers." Ulrich Greiner, Die Zeit, 04.03.10

"Philip Roth erzählt in "Die Demütigung" meisterhaft von einem tödlichen Spiel. Ein Roman, der das Leben als grimmige Komödie entlarvt." Christopher Schmidt, Süddeutsche Zeitung, 08.03.10

"Der Sog, den die Geschichte von der ersten Seite an entfaltet, lässt fast vermuten, dass sie dem großen Erzähler besonders nahegegangen ist." Der Spiegel, 08.03.10

"Philip Roths Novelle ist große Kunst." Martin Ebel, Tages-Anzeiger Zürich, 12.03.10