Produktdetails
- Verlag: Eichborn
- Seitenzahl: 360
- Abmessung: 28mm x 175mm x 246mm
- Gewicht: 910g
- ISBN-13: 9783821815930
- ISBN-10: 3821815930
- Artikelnr.: 08859587
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2004Neue Reisebücher
Für den Tisch Es gibt kaum einen Winkel der Welt, den deutsche Urlauber nicht kennen. Mit der Reiselust haben sich auch die Eßgewohnheiten geändert. In den siebziger Jahren entdeckten deutsche Feinschmecker die französische Nouvelle Cuisine, in den Achtzigern war es die mediterrane Küche, in den Neunzigern endlich fiel der Blick auf den Fernen Osten. Heute, da so gut wie alle bedeutenden Küchen der Welt bekannt sind, möchte man wieder die eigene finden. Einige Bücher nehmen diesen Trend auf.
Sollte die deutsche Küche aber nur ein Phantom sein? Rainer Horbelt und Sonja Spindler wählen in ihrem Buch "Die deutsche Küche im 20. Jahrhundert" den Blickwinkel des Ruhrgebiets und kommen zu einem ernüchternden Bild. Ein Bergmann darf über das Jahr 1905 berichten: "Unser Essen bestand aus Schwarzbrot, Kartoffeln und Rinderfett." Im Kriegsjahr 1917 aß man in ganz Deutschland Steckrüben. Auch noch in den 20er Jahren herrschte Lebensmittelmangel. Die Nazis propagierten den Eintopf. In den 50er Jahren machte der Fernsehkoch im Westen, Clemens Wilmenrod, das Publikum mit Toast Hawaii bekannt, derweil der Fernsehkoch im Osten, Kurt Drummer, eine Cocktailtorte vorstellte. Bald gab es im Supermarkt die Tiefkühlpizza, deren Käse aus Sojapulver, Gelatine, Xanthan-Gummi und Algenextrakt bestand. Bei Horbelt und Spindler erscheint die deutsche Küche als ein Gruselkabinett.
Sabine Sälzer und Gudrun Ruschitzka machen sich dagegen ernsthaft auf die Suche nach löblichen kulinarischen Eigenheiten. In ihrem Buch "Die echte deutsche Küche" erscheinen Landschaften, die der Möglichkeit nach eine ansprechende Eßkultur in sich bergen. Kurze regionale und städtische Betrachtungen stimmen auf die Rezepte ein. Der bayerische Süden etwa glänzt durch München und die Alpenkulisse; die regionale Küche versteht es, mit Innereien vom Kalb umzugehen; es gibt Leberknödel wie Semmelknödel, Schweinsbraten und gefüllte Kalbsbrust. Schwaben darf mit Spätzle, Maultaschen und Schupfnudeln auftrumpfen.
Die traditionellen Rezepte sind zeitgemäßen Garmethoden angepaßt. Fraglich allerdings, ob wirklich jedes Gericht traditionswürdig ist. Die Vorliebe für den Eintopf, für das muntere Vermischen der Dinge, die in der norddeutschen Küche spürbar wird, verträgt sich schlecht mit der modernen Kochkunst, die auf den natürlichen Geschmack der einzelnen Waren achtet. Die ehemals römischen Gebiete diesseits des Limes, der Westen und der Süden, die Frankreich und Italien am nächsten liegen, haben in der Feinschmeckerei doch die Nase vorn.
Eine überregionale Tradition wie die des geräucherten Schinkens, sei es im Schwarzwald, in Westfalen oder Schleswig-Holstein, wird sachkundig beschrieben. Das A und O sei die langsame Reife, die der heimische Metzger heute meistens abkürze. Deutlich wird allemal, was kulinarisch in deutschen Landen steckt, wenn man das Erbe nur pflegt.
Peter Peter und Rainer Herrmann betrachten die Dinge in ihrem Buch "Wo Deutschland am besten schmeckt" von München aus. Peter, der den Text verfaßt hat, jubiliert zuweilen, als sei die Zeit des bayerischen Barock noch nicht vorüber. Er zählt auf, was es alles auf dem Münchner Viktualienmarkt zu kaufen gibt; auch in der Nachbarschaft nehmen die guten Waren kein Ende: "1,3 Millionen auswärtige Besucher betreten jährlich die heiligen Hallen von ,Alois Dallmayr'." Dieser Name, so der Autor, "repräsentiert die Leidenschaft für das Spitzenprodukt". Der Münchner "Bussi-Gesellschaft" wird der Tribut gezollt und selbst ein "O'batzda" für salonfähig erklärt. Du liebe Güte! Soll man wirklich Camembert mit Paprika, Butter, Zwiebeln und Bier vermischen? Wenn der Käse gut ist, ist es eine Sünde.
Erfreulich, daß das Buch viele lohnende Adressen vorstellt. Es verrät, wo es wieder Bergkäse aus Rohmilch gibt, wer wieder die kleinen Teltower Rübchen anbaut oder wer es wagt, Sanddorn zu kultivieren. So gut wie alle deutschen Regionen kommen zum Zug. Herrmann hat dazu stimmungsvolle Bilder beigesteuert.
Der eigentliche Clou ist jedoch der Anhang, in dem Eckart Witzigmann deutsche Gerichte modern zubereitet und weiterentwickelt. Dabei zeigt er ein feines Gespür dafür, wo er nicht nachgeben darf. Während Peter der Berliner Würstchenbude huldigt, erklärt der Maître: "Nein: Witzigmann hat kein Currywurst-Rezept parat." Für die Berliner Küche schlägt er vor: "Schmandplinsen mit Holunder", ein mildes, fruchtiges Gericht. Aus Deutschland und seiner Hauptstadt läßt sich also kulinarisch etwas machen. Man sollte es dem Kanzler sagen.
ERWIN SEITZ
Rainer Horbelt, Sonja Spindler: Die deutsche Küche im 20. Jahrhundert. Eichborn Verlag, 360 Seiten, 25,90 Euro. Sabine Sälzer, Gudrun Ruschitzka: Die echte deutsche Küche. Gräfe und Unzer Verlag, 6. Auflage 2003, 280 Seiten, 25 Euro. Peter Peter, Rainer Herrmann: Wo Deutschland am besten schmeckt. Collection Rolf Heyne, 230 Seiten, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main KTX: Heute, da alle bedeutenden Küchen der Welt bekannt sind, möchte man wieder die eigene entdecken.
Für den Tisch Es gibt kaum einen Winkel der Welt, den deutsche Urlauber nicht kennen. Mit der Reiselust haben sich auch die Eßgewohnheiten geändert. In den siebziger Jahren entdeckten deutsche Feinschmecker die französische Nouvelle Cuisine, in den Achtzigern war es die mediterrane Küche, in den Neunzigern endlich fiel der Blick auf den Fernen Osten. Heute, da so gut wie alle bedeutenden Küchen der Welt bekannt sind, möchte man wieder die eigene finden. Einige Bücher nehmen diesen Trend auf.
Sollte die deutsche Küche aber nur ein Phantom sein? Rainer Horbelt und Sonja Spindler wählen in ihrem Buch "Die deutsche Küche im 20. Jahrhundert" den Blickwinkel des Ruhrgebiets und kommen zu einem ernüchternden Bild. Ein Bergmann darf über das Jahr 1905 berichten: "Unser Essen bestand aus Schwarzbrot, Kartoffeln und Rinderfett." Im Kriegsjahr 1917 aß man in ganz Deutschland Steckrüben. Auch noch in den 20er Jahren herrschte Lebensmittelmangel. Die Nazis propagierten den Eintopf. In den 50er Jahren machte der Fernsehkoch im Westen, Clemens Wilmenrod, das Publikum mit Toast Hawaii bekannt, derweil der Fernsehkoch im Osten, Kurt Drummer, eine Cocktailtorte vorstellte. Bald gab es im Supermarkt die Tiefkühlpizza, deren Käse aus Sojapulver, Gelatine, Xanthan-Gummi und Algenextrakt bestand. Bei Horbelt und Spindler erscheint die deutsche Küche als ein Gruselkabinett.
Sabine Sälzer und Gudrun Ruschitzka machen sich dagegen ernsthaft auf die Suche nach löblichen kulinarischen Eigenheiten. In ihrem Buch "Die echte deutsche Küche" erscheinen Landschaften, die der Möglichkeit nach eine ansprechende Eßkultur in sich bergen. Kurze regionale und städtische Betrachtungen stimmen auf die Rezepte ein. Der bayerische Süden etwa glänzt durch München und die Alpenkulisse; die regionale Küche versteht es, mit Innereien vom Kalb umzugehen; es gibt Leberknödel wie Semmelknödel, Schweinsbraten und gefüllte Kalbsbrust. Schwaben darf mit Spätzle, Maultaschen und Schupfnudeln auftrumpfen.
Die traditionellen Rezepte sind zeitgemäßen Garmethoden angepaßt. Fraglich allerdings, ob wirklich jedes Gericht traditionswürdig ist. Die Vorliebe für den Eintopf, für das muntere Vermischen der Dinge, die in der norddeutschen Küche spürbar wird, verträgt sich schlecht mit der modernen Kochkunst, die auf den natürlichen Geschmack der einzelnen Waren achtet. Die ehemals römischen Gebiete diesseits des Limes, der Westen und der Süden, die Frankreich und Italien am nächsten liegen, haben in der Feinschmeckerei doch die Nase vorn.
Eine überregionale Tradition wie die des geräucherten Schinkens, sei es im Schwarzwald, in Westfalen oder Schleswig-Holstein, wird sachkundig beschrieben. Das A und O sei die langsame Reife, die der heimische Metzger heute meistens abkürze. Deutlich wird allemal, was kulinarisch in deutschen Landen steckt, wenn man das Erbe nur pflegt.
Peter Peter und Rainer Herrmann betrachten die Dinge in ihrem Buch "Wo Deutschland am besten schmeckt" von München aus. Peter, der den Text verfaßt hat, jubiliert zuweilen, als sei die Zeit des bayerischen Barock noch nicht vorüber. Er zählt auf, was es alles auf dem Münchner Viktualienmarkt zu kaufen gibt; auch in der Nachbarschaft nehmen die guten Waren kein Ende: "1,3 Millionen auswärtige Besucher betreten jährlich die heiligen Hallen von ,Alois Dallmayr'." Dieser Name, so der Autor, "repräsentiert die Leidenschaft für das Spitzenprodukt". Der Münchner "Bussi-Gesellschaft" wird der Tribut gezollt und selbst ein "O'batzda" für salonfähig erklärt. Du liebe Güte! Soll man wirklich Camembert mit Paprika, Butter, Zwiebeln und Bier vermischen? Wenn der Käse gut ist, ist es eine Sünde.
Erfreulich, daß das Buch viele lohnende Adressen vorstellt. Es verrät, wo es wieder Bergkäse aus Rohmilch gibt, wer wieder die kleinen Teltower Rübchen anbaut oder wer es wagt, Sanddorn zu kultivieren. So gut wie alle deutschen Regionen kommen zum Zug. Herrmann hat dazu stimmungsvolle Bilder beigesteuert.
Der eigentliche Clou ist jedoch der Anhang, in dem Eckart Witzigmann deutsche Gerichte modern zubereitet und weiterentwickelt. Dabei zeigt er ein feines Gespür dafür, wo er nicht nachgeben darf. Während Peter der Berliner Würstchenbude huldigt, erklärt der Maître: "Nein: Witzigmann hat kein Currywurst-Rezept parat." Für die Berliner Küche schlägt er vor: "Schmandplinsen mit Holunder", ein mildes, fruchtiges Gericht. Aus Deutschland und seiner Hauptstadt läßt sich also kulinarisch etwas machen. Man sollte es dem Kanzler sagen.
ERWIN SEITZ
Rainer Horbelt, Sonja Spindler: Die deutsche Küche im 20. Jahrhundert. Eichborn Verlag, 360 Seiten, 25,90 Euro. Sabine Sälzer, Gudrun Ruschitzka: Die echte deutsche Küche. Gräfe und Unzer Verlag, 6. Auflage 2003, 280 Seiten, 25 Euro. Peter Peter, Rainer Herrmann: Wo Deutschland am besten schmeckt. Collection Rolf Heyne, 230 Seiten, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main KTX: Heute, da alle bedeutenden Küchen der Welt bekannt sind, möchte man wieder die eigene entdecken.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der mit "rox." zeichnende Rezensent widmet sich in einer kurzen Kritik der Anthologie über die deutsche Küche des letzten Jahrhunderts. Beginnend im Jahre 1900 mit der Erfindung der legendären Kochkiste, die den "Aufstieg" von kulinarischen Köstlichkeiten wie "Graupensuppe" oder "Steckrübenbrei" zur Folge hatte, zeichne das Buch den Weg bis zu Mixgetränken und "pikanten Häppchen" nach. Besondere Aufmerksamkeit des Rezensenten findet die Erwähnung des "Kölner Sparbrots" des späteren Bundeskanzlers Adenauer, was den Autoren zufolge wenig zum Ruhm des Brots beigesteuert, ihm jedoch den zeitweiligen Spitznamen "Graupenauer" eingetragen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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