Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 9,00 €
  • Broschiertes Buch

Diese Literaturdokumentation ist wie ein Lesebuch zu gebrauchen. Die einzelnen Texte und Gedichte aus kontroversen Lagern ergänzen sich und korrespondieren miteinander. Sie erlauben, abzulesen, was damals die literarische Öffentlichkeit bewegte und nicht nur diese. Politik und Literatur reagierten heftig aufeinander. Konservative und progessive Strömungen der Literaturszene bestanden nebeneinander und bekämpften sich wie heute. Viele Texte in dieser Anthologie sind nicht mehr oder nur schwer zugänglich, so daß diese Sammlung den Rang eines Museums der Nachkriegsliteratur einnimmt.

Produktbeschreibung
Diese Literaturdokumentation ist wie ein Lesebuch zu gebrauchen. Die einzelnen Texte und Gedichte aus kontroversen Lagern ergänzen sich und korrespondieren miteinander. Sie erlauben, abzulesen, was damals die literarische Öffentlichkeit bewegte und nicht nur diese. Politik und Literatur reagierten heftig aufeinander. Konservative und progessive Strömungen der Literaturszene bestanden nebeneinander und bekämpften sich wie heute.
Viele Texte in dieser Anthologie sind nicht mehr oder nur schwer zugänglich, so daß diese Sammlung den Rang eines Museums der Nachkriegsliteratur einnimmt.
Autorenporträt
Prof. Heinz Ludwig Arnold, geb. 1940, ist weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als einer der besten Kenner der Gegenwartsliteratur bekannt. Er ist Herausgeber der Zeitschrift 'TEXT + KRITIK', des 'Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur' (KLG) und des 'Kritischen Lexikons zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur' (KLfG).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Schade um die schweren Zeiten
Mindestens tausend Gramm: Heinz Ludwig Arnold versammelt deutsche Literatur nach 1945 / Von Robert Gernhardt

Der Arnold' wird künftig in jeden Bücherschrank gehören", teilt mir der Deutsche Taschenbuch Verlag hoffnungsfroh mit und meint damit "die einzigartige Dokumentation gesamtdeutscher Literatur der Gründerjahre 1945-1960", die Heinz Ludwig Arnold zusammengestellt hat.

"Der Arnold"? Na gut. Reden wir vorerst von dem "Arnold", fragen wir ihn ein wenig aus, um abschließend zu überlegen, ob dieser Neuerscheinung die Würde einer Namensgebung gebührt, die gemeinhin Werken zuteil wird, die ihren einzigartigen Nutzen über viele Jahre und in vielen Auflagen unter Beweis gestellt haben: der "Brockhaus", der "Duden", der "Steputat".

Was bietet der "Arnold"? Laut Verlag "eine Originalausgabe in vier Bänden", die zusammengerechnet 2304 Seiten stark sind. Da diese vier Bände insgesamt sechzehn Jahre dokumentieren, geht es in Vierjahresschritten voran, von "Draußen vor der Tür" 1945-1948 über "Doppelleben" 1949-1952 und "Im Treibhaus" 1953-1956 bis zu "Die Wunderkinder" 1957-1960. Titel, die ihrerseits Buchtitel des jeweiligen Zeitraums zitieren oder paraphrasieren, das Drama Wolfgang Borcherts, den Rechenschaftsbericht Gottfried Benns, "Das Treibhaus" von Wolfgang Koeppen und "Wir Wunderkinder" von Hugo Hartung - eine hilfreiche Gliederung, die bereits andeutet, was der "Arnold" laut Arnolds Vorbemerkung bieten will: "Eine Mischung, gewonnen aus subjektiver Einschätzung und objektivem Anspruch, ein Querschnitt, der keinen literarischen Kanon vorstellen, aber doch auch bis in kleinere Verästelungen des literarischen Entwicklungsprozesses hinein repräsentativ sein will". Kein Kanon, keine Blütenlese deutscher Nachkriegsdichtung - was dann? "Ein Zeitroman sollte entstehen in wachsenden Bezügen und Verflechtungen."

Ein Roman? Mir kommt der "Arnold" eher wie ein Chorwerk vor, aufgeführt von lauter unterschiedlich disponierten und inspirierten Solisten. Das hätte in Kakophonie enden können, würde nicht Arnolds ordnende Hand Themen akzentuieren, Stimmen zusammenführen, hervorheben oder beschneiden. Stimmenvielfalt erreicht dieser Dirigent überdies dadurch, daß er die Dichter nicht nur als Dichter zu Wort kommen läßt, sondern auch als Polemiker, Kritiker und Theoretiker; außerdem zitiert er Philosophen wie Jaspers zum Thema "Schuld" und Zeitgeschichtler und Zeitzeugen wie Kogon zum "SS-Staat". Daß trotz dieser Stimmführung keine Dirigentenwillkür waltet, liegt an den selbstauferlegten Gesetzen, nach denen Arnold den "Arnold" komponiert hat: Nie schaltet er sich kommentierend ein, stets ist der zitierte Text seinem Erscheinungsjahr zugeordnet, und meist sucht der Herausgeber dem selbstgesetzten Ziel gerecht zu werden: "Es wurden möglichst nur abgeschlossene Texte gedruckt. Aus umfangreicheren Texten wurden in sich geschlossene Sinneinheiten aufgenommen."

Strenge Kriterien, die bei der Lektüre des "Arnold" hin und wieder rätseln lassen. "Das Thema, das wahrzunehmen Sie mir übertragen haben, heißt ,Schriftsteller unter der Hitler-Diktatur'", beginnt ein Text von Elisabeth Langgässer. Wer übertrug da wo, aus welchem Grund und wann? "Erstveröffentlichung: Ost und West 1947", heißt es im Nachweis. Wann wurde die Rede gehalten? Wann die von Alfred Kantorowicz, die ebenfalls in "Ost und West" erstveröffentlicht wurde? Kantorowicz sagt einleitend, Frau Langgässer habe "in ihrem schönen Referat die Probleme der inneren Emigration behandelt", und spricht sodann zum Thema "Deutsche Schriftsteller im Exil" - wer sorgte da bereits in früher Nachkriegszeit für soviel Ausgewogenheit? Alles Fragen, mit denen der "Arnold" die Leser allein läßt.

Fragwürdig sind auch einige seiner Datierungen. Da für Arnold weder Entstehungs- noch Erscheinungsjahr eines Textes zählen, sondern lediglich, wann er im Nachkriegsdeutschland veröffentlicht wurde, schlägt er Walter Benjamins "Kleine Kunststücke" der Literatur des Jahres 1953 zu. So steht "Gut schreiben", eine Reflexion, die bereits 1933 in der "Frankfurter Zeitung" zu lesen war, neben ersten Veröffentlichungen von Günter Grass und läßt den unvorbereiteten Leser verwirrt rekapitulieren, wann denn dieser vorgebliche Fünfziger-Jahre-Literat den Freitod gesucht hat: War das nicht bereits 1940 gewesen?

Die Fragen, was der "Arnold" ist, was er bietet und was ihm fehlt, sind in gebotener Eile abgehakt worden, bleibt zu fragen: Wie nutze ich den "Arnold"? Von drei Möglichkeiten kann ich berichten: Schmökern, Lesen, Lernen.

Das Schmökern läßt sich als literaturbezogene Form des Zappens betreiben, und der "Arnold" kommt dieser Haltung durchaus entgegen. Neben arte, sprich: Hochkunst, bietet er auch andere Kanäle an, Politkolportage von Hans Fallada ("Jeder stirbt für sich allein"), Parodien von Robert Neumann ("Mit fremden Federn"), Lustiges von Gregor von Rezzori ("Maghrebinische Geschichten") und Frühes von Johannes Mario Simmel, "Das geheime Brot" aus dem Jahre 1950, ein Roman, in dem zwei rätselhaft schöne Sätze stehen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen: "Der Karfreitag dieses Jahres war ein ganz besonders trauriger Tag. Die Sonne schien, der Wind wehte ganz leise, und kleine Tiere dehnten sich auf warmen Steinen." Aber auch bei Arnold Zweig ("Das Beil von Wandsbek") kann man sich festlesen, auch bei Erich Maria Remarque ("Arc de Triomphe"), auch bei Erwin Strittmatter ("Der Wundertäter"), und häufig wird solches Reinlesen ein Wieder- oder Neulesen zur Folge haben.

Eine gehobene Form des Schmökerns ist all den älteren Semestern vergönnt, die irgendwann zwischen 1945 und 1960 mit richtigem Lesen begonnen haben. Sie können bei der "Arnold"-Lektüre auf eine jener Zeitreisen gehen, die das Fernsehen gerade in diesem Jahr anläßlich all der runden Jahrestage so unablässig veranstaltet hat - und verdankt sich nicht auch der "Arnold" dem gleichen Jubiläum? Zeitreisen, deren Erkenntnisgewinn allen anderen verschlossen bleiben mögen, die später geboren wurden - "Genau! So sind wir damals rumgelaufen!" "Ach! So jung hat der Brandt mal ausgesehen?!" "Unfaßbar! So was habe ich mal für große Literatur gehalten" - und die doch dem Zeitgenossen nicht nur blitzartig vor Augen führen, daß da Zeit vergangen ist, sondern auch auf welche Weise.

Ebenso wie die Bilder des Fernsehens belegen die Texte des "Arnold" vor allem eines: Kontinuität. Zumindest für den in der Bundesrepublik Aufgewachsenen spannt sich von der frühen Nachkriegszeit bis heute ein niemals ernsthaft lädierter, gar unterbrochener Zeitbogen. 1948 findet sich erstmals ein Gedicht von Karl Krolow im "Arnold", "Fische", und dieser Dichter wird dem Leser fortan immer wieder begegnen: 1949, 1950, 1952, 1954 und 1956. Auch 1959 ist er mit drei Gedichten vertreten, zitiert aus dem Gedichtband "Fremde Körper", Krolows erster Veröffentlichung im Suhrkamp Verlag, der seither 23 Titel dieses fruchtbaren Mannes herausgebracht hat, zuletzt, 1995, den Gedichtband "Die zweite Zeit".

Ruhige Zeiten also, wie ruhig, das macht eine schlichte Veränderung der Optik deutlich: Wie würde sich ein Fünfzig-Jahres-Rückblick, von 1945 aus gesehen, lesen? Wie fern 1895 läge, entrückt durch zwei Weltkriege und dreimaligen Wechsel der Regierungsform! Was müßte, was könnte der Leser des Jahres 1945 noch von dem beherzigen, was ein Schriftsteller der Jahrhundertwende seinen Mitbürgern mahnend vor Augen gehalten hatte?

Eine Distanz, die der Leser des "Arnold" deswegen nicht verspürt, weil das letzte Wort über "1945" immer noch nicht gesprochen worden ist. Nicht über das Datum und nicht über die Zeit, die ihm vorausging. Ist Deutschland vor fünfzig Jahren gerettet oder zerschlagen worden, befreit oder besiegt? Für Thomas Mann war das seinerzeit keine Frage: "Meine Leser und Hörer in Deutschland! Ihr konntet euch von dieser Herrschaft aus eigener Kraft nicht befreien; es war wohl nicht möglich. Die Befreier mußten von außen kommen" - die Diskussionen des Frühjahrs '95 haben nur zu deutlich werden lassen, daß die Meinungen zu diesem Thema so geteilt sind wie vor fünf Jahrzehnten.

Denn Thomas Manns Rede "Über die deutsche Schuld" hat sogleich wortreiche Beteuerungen deutscher Unschuld zur Folge. Auch hilfreiche? Klären sie? Verkleistern sie?

Die zwölf Jahre vor dem Mai '45 waren, zumal in Deutschland, derart außerhalb jeder Normalität verlaufen, daß sich vor allem die im Lande gebliebenen Schriftstellerinnen und Schriftsteller gehalten sahen, Worte für das zu finden, was da geschehen war. Ein Definitionswettstreit setzte ein, der sich rückblickend wie ein Test ausnimmt: Was taugen Dichter in schweren Zeiten?

Das Ergebnis kann man im "Arnold" nachlesen, es ist, um es moderat zu sagen, lehrreich. Wie homöopathisch die meisten deutschen Schriftsteller Selbstkritik verabreichen, wie kräftig sie Fremdtadel dosieren, wie dick sie den Trost fürs Volk auftragen! Von "den langen Jahren der Bestürzung der Menschenseelen", verursacht durch die "furchtbaren Verirrungen Kranker", schreibt Walter von Molo in einem offenen Brief an Thomas Mann. "Wohl konnte Hitler die deutsche Seele in einen hypnotischen Schlaf versenken", räumt Frank Thiess in einer an den gleichen Adressaten gerichteten Schrift 1945 ein, doch erstens habe er den "inneren Raum" der "innerdeutschen Emigranten" nicht erobern können, zweitens sei es "zweierlei, ob ich den Brand meines Hauses selbst erlebe" oder ob ich "von den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zuschaute", und drittens habe er, Thiess, auf seinem "Posten ausharren" müssen, da das eingeschläferte, brennende Vaterland viertens ein familiärer Pflegefall gewesen sei: "Wir erwarten dafür keine Belohnung, daß wir unsere kranke Mutter Deutschland nicht verließen."

Dichterworte, die nur zu gerne gehört, aufgegriffen und noch im Wahlkampf 1961 dem verlorenen Sohn Willy Brandt alias Frahm vorgehalten wurden: "Landesverräter".

Nun hatte sich dieses Land vor 1945 von einer nicht gerade liebenswerten Seite gezeigt; kein Wunder, daß viele Dichter den naheliegenden Einfall hatten, danach einen möglichst entrückten Standpunkt einzunehmen. Schon von Molo erhebt seine Stimme nicht so sehr wegen Deutschland, sondern "um der Zukunft der Gesamtmenschheit willen". Gerade jetzt angesichts der "vom Gram zerfurchten Gesichter" sei Wachsamkeit geboten. "An dieser Wachsamkeit haben es wohl alle Menschen auf der ganzen Erde fehlen lassen."

Ähnlich weit schweift Ernst Jüngers Blick, allerdings ist er mehr auf das Positive gerichtet. "Ein Wort an die Jugend Europas. Ein Wort an die Jugend der Welt" ist seine 1945 erschienene Denkschrift "Der Friede" untertitelt: "Wir haben die Opfer dieses Krieges angeschaut. Zu ihrem dunklen Zuge stellten alle Völker ihr Kontingent . . ."

Opfer überall. Gab es denn gar keine Täter? Oder zumindest Opfer, die mehr zu leiden hatten als andere? Aber ja, wir Deutschen, beeilt sich Werner Bergengruen im gleichen Jahre zu versichern und richtet seine anklagenden Reime "An die Völker der Erde": "Völker der Welt, die der Ordnung des Schöpfers entglitt / Völker wir litten für euch und eure Verschuldungen mit." Wir Opferlämmer - diese Selbsteinschätzung findet sich nicht nur in den Veröffentlichungen älterer, daheimgebliebener Schriftsteller. "Deine Söhne, Europa" überschreibt Hans Werner Richter, Jahrgang 1908, Kriegsteilnehmer, Kriegsgefangener und Dichter, die von ihm 1947 herausgegebene Anthologie "Gedichte deutscher Kriegsgefangener" und suggeriert Zweifel daran, ob Mutter Europa ihren Erziehungsauftrag korrekt wahrgenommen hat: Wäre sonst die ganze Rasselbande hinter Stacheldraht gelandet?

In einer baltischen Anekdote zählt ein Prediger alle Heimsuchungen auf, die der Herr den unvermindert verstockten Israeliten sandte, um mit dem Seufzer zu enden: "Schade um die schweren Zeiten!"

Immer wieder sieht sich der Leser des "Arnold" veranlaßt mitzuseufzen, nicht nur angesichts all der Verstockten und Weinerlichen. Er erinnert sich der Hamster- und Hungerjahre und verwundert sich über die Titel gleichzeitig veröffentlichter Gedichtbände: "Die Silberdistelklause", "Entzückter Staub", "Der Laubmann und die Rose". Er registriert befremdet all die Glasperlenspiele, die eine Gesellschaft vom Dachboden in der Stadt hinter dem Strom veranstaltete - weshalb dieser anhaltende Hang zur Parabel, da doch unverstellte Worte wieder möglich waren? Seufzen läßt ihn auch mancher saure Kitsch der von Wolfgang Weyrauch "Männer des Kahlschlags" getauften Beiträger von "Tausend Gramm", einer "Sammlung neuer deutscher Geschichten". Daß schon damals die gute Absicht nicht unbedingt gute Literatur zur Folge hatte, denkt er bekümmert und freut sich um so mehr all der Stimmen, die angesichts der schweren Zeiten nicht ins Raunen oder Stottern gerieten, sondern Ursachen benannten und Tatsachen notierten, Zeitzeugen und Tagebuchschreiber wie Reck-Malleczewen, Erich Kästner, Jochen Klepper oder der von den Nazis amtsentlassene Hochschullehrer Viktor Klemperer, der die erzwungene Arbeitslosigkeit zur Dokumentation und Analyse der Sprache des Dritten Reiches nutzte.

Und die Dichter? Im "Arnold" ist nachzuschlagen und nachzulesen, wie sich die Bühne der deutschen Nachkriegsliteratur langsam füllt mit neuen, unbefangenen und oft - von wegen schnellebige Zeit! - staunenswert zähen Gestalten: 1950 bereits tritt Kunert auf, Rühmkorf und Lenz erscheinen ein Jahr später, 1955 geben Walser, Enzensberger, Grass und Heiner Müller ihr Debüt.

Und die deutsche Teilung? Eine Geschichte für sich. Wie sich beispielsweise der Kommunist Stephan Hermlin 1947 noch äußerst milde mit Friedrich Georg Jüngers in "Perfektion der Technik" niedergelegten Zivilisationsängsten auseinandersetzt - "Friedrich Georg Jünger ist ein Schriftsteller von Rang, wie übrigens auch sein Bruder Ernst" -, wie er 1952 im Gedichtzyklus "Stalin" den Diktator verklärt - "Stalin, der in die Zeiten hinblickt" -, wie er 1954 mit der Erzählung "Die Kommandeuse" versucht, den 17. Juni 1953 als alleiniges Werk alter Nazis darzustellen - "Bald ziehen wir wieder unsere geliebte SS-Uniform an" -: das ist nur eines der vielen Teilungsmotive, die den "Arnold" durchziehen.

Die zwei deutschen Nachkriegsliteraturen nämlich, effektvoll inszeniert, beginnen bereits im ersten der vier Bände. 1948 läßt Arnold unmittelbar nach Gottfried Benn den Gegenspieler Bertolt Brecht auftreten, beide mit Gedichten, "Quartär" und "Freiheit und Democracy". Artist-Nihilist der eine, Artist-Leninist der andere, hochprofessionelle Selbstdarsteller und bald auch hochdekorierte Staatskünstler alle beide, lehrten sie in der Folgezeit einen Großteil der Jüngeren in West und Ost das Fürchten und das Dichten, bis die Achtundsechziger beides für überholt erklärten, ohne doch diese Haltungen und Tätigkeiten aus der Welt schaffen zu können.

Doch ich greife vor. Wie es nach 1960, dem Endpunkt des "Arnold", weiterging, davon weiß, zumindest partiell, "ein kritischer Überblick" zu berichten, den ebenfalls Heinz Ludwig Arnold verfaßt hat: "Die westdeutsche Literatur 1945 bis 1990". Das erfreulich straffe und engagierte Buch ersetzt zwar nicht die fehlenden Anmerkungen des "Arnold", doch es erleichtert dessen Nutzung. Und es vermittelt eine Vorstellung davon, wie es mit dem "Arnold" weitergehen könnte.

Als der Überblick vor zwei Jahren erstmals erschien, hieß er noch "Die drei Sprünge der westdeutschen Literatur", und wer Arnolds Dreisprungschema folgt, stellt fest, daß es sich wundersamerweise stets um fast gleichlange Weiten handelt: Von 1945 bis 1960, von 1961 bis 1975 und von 1976 bis zu jenem Zeitpunkt, der das Ende der beiden Deutschland und ihrer Literaturen markiert: 1990. Ein Gleichschritt, der nahelegt, den ersten vier Bänden des "Arnold" noch acht weitere folgen zu lassen, bis auf insgesamt 7000 Seiten zugleich mit dem "Abgeschlossenen Zeitroman der gesamtdeutschen Nachkriegsliteratur" auch der "Große Arnold" vorläge - aber begnügen wir uns vorerst mit dem, was der "Arnold" bietet. Der "Arnold"? doch, doch: der "Arnold".

"Die deutsche Literatur 1945-1960". Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 4 Bände, insges. 2304 S., br., 128,- DM. Subskriptionspreis (bis 31. 1. 1996) 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr