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Ernst Nolte, geboren 1923 in Witten/Ruhr wurde zuerst 1963 durch sein Buch 'Der Faschismus in seiner Epoche' bekannt. Diese Studie, die als internationales Standardwerk zum Thema gilt und in viele Sprachen übersetzt wurde, war der Beginn einer historischen Tetralogie, die mit dem 1987 im Propyläen Verlag erschienenen Buch 'Der europäische Bürgerkrieg' ihren Abschluß fand. Die Thesen dieses Werkes lösten den sogenannten Historikerstreit aus. Das wiedervereinigte Deutschland blickt auf zwei Diktaturen zurück und damit auf zwei Vergangenheiten, die es 'aufzuarbeiten' oder zu 'bewältigen' gilt -…mehr

Produktbeschreibung
Ernst Nolte, geboren 1923 in Witten/Ruhr wurde zuerst 1963 durch sein Buch 'Der Faschismus in seiner Epoche' bekannt. Diese Studie, die als internationales Standardwerk zum Thema gilt und in viele Sprachen übersetzt wurde, war der Beginn einer historischen Tetralogie, die mit dem 1987 im Propyläen Verlag erschienenen Buch 'Der europäische Bürgerkrieg' ihren Abschluß fand. Die Thesen dieses Werkes lösten den sogenannten Historikerstreit aus.
Das wiedervereinigte Deutschland blickt auf zwei Diktaturen zurück und damit auf zwei Vergangenheiten, die es 'aufzuarbeiten' oder zu 'bewältigen' gilt - die nationalsozialistische und die kommunistische.
Ausgehend von diesem aktuellen Bezug, wendet sich Ernst Nolte in seinem Buch der jüngeren deutschen Geschichte unter dem Gesichtspunkt der Erinnerung und des Vergessens zu.
Autorenporträt
Ernst Nolte, Jahrgang 1923, Studium bei Martin Heidegger, 1952 Promotion, 1964 Habilitation, 1965-1973 Professor für Neuere Geschichte in Marburg, 1973-1991 am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin, Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte u. a. an der Yale University, in Wassenaar, Cambridge und Jerusalem.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.1995

Krieg der Erinnerungen
Ernst Nolte ist das Wirkliche zugleich das Denknotwendige

Ernst Nolte: Die Deutschen und ihre Vergangenheiten. Erinnerung und Vergessen von der Reichsgründung Bismarcks bis heute. Propyläen Verlag, Berlin und Frankfurt am Main 1995. 237 Seiten, 38,- Mark.

Für Staatsfeinde kannten die geschichtsbewußten Römer eine exemplarische Strafe, die damnatio memoriae. Der Übeltäter wurde aus der Welt geschafft, und die Erinnerung folgte ihm nach, auch sie wurde ausgelöscht. Nachdem Caracalla seinen Bruder hatte umbringen lassen, mußten der Name und sein Bild von allen öffentlichen Plätzen getilgt werden. Hitler verfuhr mit Röhm, Stalin mit Trotzki ebenso. Das ist der Stil der Diktatoren; in Demokratien ist man nachlässiger oder großzügiger. Ein demokratisch gewählter Machthaber begnügt sich damit, Macht über die Gegenwart auszuüben. Die Vergangenheit bleibt unbestritten die Domäne der Wissenschaft.

Aber auch für Demokratien hängt alles davon ab, welches Bild sie sich von ihrer Geschichte machen oder machen lassen; denn ohne Herkunft keine Zukunft. Die Zukunft soll natürlich leuchten. Wenn die Vergangenheit das dazu nötige Licht nicht hergibt, dann muß sie ausgelegt und umgedeutet werden. In Deutschland nennt man das Vergangenheitsbewältigung. Adorno hat das menschenfreundliche Programm entworfen und verkündet, als er erklärte, eine unheilvolle Vergangenheit sei dann bewältigt, wenn die Ursachen des Unheils beseitigt und der Weg in eine bessere Zukunft frei gemacht sei.

Das ist die Sicht des Gesellschaftstheoretikers, des Ingenieurs der Seele. Für ihn ist vieles möglich und kaum etwas zu schwer: wenn die Gesellschaft versagt, dann muß sie eben umgebaut und neu gegründet werden. Das ist die Gegenposition zu einem Gesellschafts- und Geschichtsverständnis, wie es Ernst Nolte nun schon seit Jahrzehnten vertritt. Er bleibt ihm auch und nun sogar erst recht in seinem neuesten Buch über die Deutschen und ihre Vergangenheiten treu. Und wieder ist der Eindruck zwiespältig, in diesem Fall allein schon deshalb, weil der gewaltige Aufwand, mit dem Nolte die deutsche Vergangenheit interpretiert, zu dem fatalistischen Grundton, der in seiner Darstellung durchklingt, nur schlecht passen will.

Ein äußerliches Merkmal für diese deterministische Geschichtsphilosophie ist Noltes Vorliebe für das Zeitwort müssen: Österreich mußte auf Sarajevo mit einem Ultimatum reagieren, Rußland auf das Ultimatum mit der Mobilmachung, Deutschland auf die Mobilmachung mit einer Kriegserklärung, und so fort. In der Kette, die das Schicksal geschmiedet hatte, griff ein Glied ins andere. Verhängnis, Reaktion und Zwang, das sind die Elemente dieses Weltbildes. Die Menschen handeln unter dem Gesetz, nach dem sie angetreten.

Doch manchmal scheint der Dämon, der die Geschichte vorantreibt, gnädig zu sein. Dann stellt er die Entscheidung frei, und die Menschen dürfen wählen: sie können sich als Großdeutsche oder als Kleindeutsche organisieren, Partei ergreifen für die Linke oder für die Rechte, den Fortschritt propagieren oder die Reaktion, sich für die positive oder für die negative Kriegserinnerung entscheiden. Mit dieser Wahl entkommen sie dem Urteil des Geschichtsforschers aber nicht. Nolte bewertet klar und hart, er unterscheidet zwischen denen, die historisch im Recht waren, und ihren Gegnern, die historisch unrecht hatten, so daß dann in der Rückschau die Geschichte doch wieder jenen zwangsläufigen Charakter zurückgewinnt, den sie vorübergehend zu verlieren schien.

Deterministische Geschichtsbilder haben, wie alle Gläubigen wissen, eine entlastende Wirkung: indem man Partei ergreift für das, was historisch im Recht ist, tut man nur das, was ohnehin geschehen muß. Für das Verdienst und das persönliche Versagen bleibt da nur wenig Raum. Das Aufkommen Hitlers und seiner NSDAP erscheint so gut wie unvermeidlich, denn "es mußte einen idealtypischen Ort für eine Partei geben, die die unbürgerlichen Tendenzen in sich aufzunehmen vermochte, welche in der positiven Kriegserfahrung beschlossen waren und auch eine soziale Erscheinungsform hatten, nämlich die nationale Arbeiterschaft". Nolte will Phänomene beschreiben und ihre Ursachen klären. Er möchte die Vergangenheitsbewältigung mit ihren zwangsläufig moralisierenden Beiklängen durch eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Geschichte ersetzen: Auschwitz nicht mehr als Skandalon, sondern, wie er schreibt, als eine Herausforderung fürs Denken.

In diesem Sinne verfolgt er die deutsche Geschichtserinnerung zurück bis auf die Einigungskriege unter Bismarck. Schon damals hätten sich zwei Parteien gegenübergestanden, die sich historisch definierten, die Großdeutschen und die Kleindeutschen. Nach der Revolution von 1918 wiederholte sich diese antagonistische Konstellation zwischen den Anhängern und den Gegnern des Versailler Vertrages. Die Niederlage im Zweiten Weltkrieg war das zweite, der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers das dritte Ereignis in diesem Jahrhundert, das die Deutschen mit einem Bewältigungsversuch beantwortet haben. Die Auseinandersetzung über Gegenwart und Zukunft spiegelte sich in Denkbildern, die der Vergangenheit entnommen waren. Nolte nennt das den Krieg der Erinnerungen.

Dieser Krieg geht weiter, und Nolte nimmt teil an ihm. Das vorliegende Buch ist sein jüngster Beitrag, und man darf sicher sein, daß es nicht der letzte ist. Mit seiner Neigung zu Gedankenexperimenten und idealtypischer Stilisierung wird es wieder einmal Anstoß erregen. Doch Anstößigkeit ist kein Grund zum Alarmismus, ein Grund für Diskussionsverbote ganz bestimmt nicht. Nolte hat einige Schwierigkeiten gehabt, für sein Buch einen Verleger zu finden, und erkennt in dem nun auch in Deutschland pentranten Drang nach politisch korrektem Verhalten, Denken und Sprechen eine Gefahr für die Freiheit des Wortes. Man sollte alles daransetzen, ihn hier zu widerlegen, auch und gerade dann, wenn man die Dinge anders sieht als er. KONRAD ADAM

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