Wußten Sie, was das Bläßhuhn, jenen possierlichen schwarzen Wasservogel mit dem weißen Fleck über dem Schnabel, mit dem Berg Belchen im Schwarzwald verbindet? Oder dass der gelbe Pirol, einer der schönsten Singvögel Deutschlands, in Brandenburg und Preußen auch von Bülow hieß? Diese Fragen und viele andere Merkwürdigkeiten, Anekdoten und Bedenkenswertes zu unseren gefiederten Freunden in Wald und Flur, auf Seen und an Flußrändern, beantwortet Suolahti mit seiner kenntnisreichen Untersuchung. Amüsant und präzise verweist er auf die Ursprünge der Namen und reiht überraschende Hinweise in dichter Folge aneinander.
Nach Vogelfamilien sortiert, beginnt der Band mit den Papageien und endet mit der großen Familie der Enten. Zwei Gedichte aus der deutschen Renaissance, eines davon vom Nürnberger Meistersinger Hans Sachs, sowie ein ausführliches Register schließen den Band ab.
Nach Vogelfamilien sortiert, beginnt der Band mit den Papageien und endet mit der großen Familie der Enten. Zwei Gedichte aus der deutschen Renaissance, eines davon vom Nürnberger Meistersinger Hans Sachs, sowie ein ausführliches Register schließen den Band ab.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2001Wie hieß der Zaunkönig, bevor es Zäune gab?
Mit Professor Popowitsch und Hadamar von Laber auf Flugschau: Hugo Suolahtis unbekanntes Reich der Vogelnamen
Was fliegt denn da? Bereits Johann Peter Eckermann klagte, daß der achtzigjährige Goethe zwar die ganze Natur umfaßt habe, aber Amseln nicht von Lerchen unterscheiden könne. Seither haben Lyriker wenig dazugelernt, besingen oft nur - statt Buchfink, Pirol oder Kiebitz - die nackte Gattung, ohne nähere Bestimmung, die Vogelspur im Schnee. Denn Poesie stößt ins Allgemeine vor, von Rabindranath Tagore - "Wie herrlich singen heut' die Vögel. / Ein Strahl der Sonne rührt mich an" - bis Sarah Kirsch: "Die Trommel zählt, das Becken gellt / Vögel fallen zur Erde".
Und dies, obwohl der Suolahti bereits 1909 erschien. Wer dieses Standardwerk überfliegt - ein Sammelbecken, kein Bestimmungsbuch -, findet fast nichts über Federkleid und Brutpflege, dafür fast alles über die blanke Benennung der Baumpieper, Brachhühnchen, Kernbeißer, Schleierkäuze, Wiesenknarrer und Zitronenfinken einschließlich ihrer lautmalerischen Rufe, vom "Zilpzalp" des Weidenlaubsängers über das "Didlididlidlidlidlid" der Tuddelgratsch - das ist: die Zaungrasmücke - bis zum "Pückwerwück" der Wachtel, in die Schwaben "sechs Paar Weck" hineinhörten, Elsässer: "Bäwele, wit me nit", Siebenbürger: "Bück den Rück!" und Niederdeutsche: "Weck den Knecht!" Wobei die Wachtel natürlich auch Putpurlut heißen kann oder Quattel.
Der finnische Philologe, Parlamentsabgeordnete, Kanzler und Rektor Professor Hugo Suolahti, der von 1874 bis 1944 lebte, versenkte sich in sein Gebiet so akribisch und verläßlich wie sonst nur noch Wilhelm Mannhardt in Baumdämonen, Heinrich Marzell in Pflanzennamen oder Ralf Wassmann - "Ornithologisches Taschenlexikon", 1999 - bis ins Mikroinvasive und Krähwinklige hinein. Es interessierte ihn, wo der Haussperling, fringilla domestica, der altpreußische spurglis, der altindische sphurati ("zuckt"), Sparkaz genannt wird, nämlich in Göttingen und Grubenhaben, und daß er in Dörfern bei Braunschweig "Sparlüntje" heißt. Nicht nur zoologische Hits, Pelikan-Synonyma wie Unvogel, Wasservielfraß, Kropfvogel, Vogel Hein, sisagomo, husigomo, werden archiviert bis hinab zu petti-rosso, dem italienischen Rotkehlchen, sondern jeder irgend auffindbare Piepmatz. Selbst der seit zirka 1550 ausgestorbene Waldrabe, geronticus eremita, eine Ibisart, wird samt seinen ebenso verschollenen Namen - wie Waldrapp, Rapp, Klausrab, Waldhoff, Nachtrapp - mitgenommen in dieser Arche und Zwitscher-Voliere.
Streng geht Suolahti der Frage nach, ob der Name des Truthahns 1534 in Deutschland eingeführt worden sei oder nicht doch schon eher; denn in Hans Sachs' "Regiment der anderthalb hundert Vögel", 1531, im Anhang abgedruckt, kann die indianisch henn nur ein Truthuhn sein. Hugo Suolahti beantwortet sogar die leider nicht jedem Menschenkind auf den Nägeln brennende Frage, wie der Zaunkönig beziehungsweise Zaunschlüpfer, Zaunschnurz, Zaunling, Zaunkerl, Zäunert, troglodytes europaeus, vor Erfindung der Zäune hieß: er hieß wrendo, wrendilo oder auch rindill, wie damals in der Snorra-Edda; oder auch: kuningilin, also Königlein; oder auch kärntnerisch: Pfutschkini; steiermärkisch: Zwergvogerl; oder hessisch: Backofenkröffer, des backofenförmigen Nestes wegen. Desinteresse an Vögeln sei hier kein Hinderungsgrund.
In Zeiten selten gewordener Eisvögel und Nachtigallen, wenn auch unausrottbarer Jahreszeitenlyrik steht Hugo Suolahti heroisch als nutzloser Baum herum, als Buch für alle und vor allem keinen, eines, das am Ende sogar für Spezialisten viel zu speziell ist. Doch siehe, wer nur eine Stunde unverbindlich im Suolahti schweift, einerlei, aus welchem Grund, und sei es als Kuriositätenjäger, spürt Effekte im Bewußtsein, schwirrender als Alfred Hitchcocks sehr überblickbare "Vögel", und schwankt mit poetischem Hirnsausen zwischen Mischgefühlen hin und wider, als Rohrdommel im Ried, botaurus stellaris, bottlebumb, raredumbla, Bummreigel, von der es viele althochdeutsche Varianten gibt: horotumil, horotumbil, roredumbil et cetera.
Ist hier ein Wahnkopf obsessiv am Werk, oder funktioniert jede reine, strenge Wissenschaft eben so wie Hugo Suolahti? Der enggezogene Kreis, in den er sich einspinnt, amplifiziert sich zum uferlos versunkenen Kontinent weißer Atlanten, und schon muß jeder, der den Suolahti als Fachidioten sah, sich als präverbaler Vollidiot im Käfig vorkommen, worinnen er einen Kosmos verlor, den er nie besaß. Das Gestöber jemals vorgekommener Vogelnamen schwirrt gotisch, magyarisch, bretonisch hinaus über deren Verbreitungsgebiete, badet im querbezugspotenzierten, sachbuchtranszendierenden, überaus flugfähigen, freischwebenden Assoziationsozean kongenial klangvoller Quellenangaben. Von Aegidius Albertinussens "Der Welt Tummel- und Schaw Platz", München 1622, über das Middelnederlandsch Woordenboek, 1882 ff., "Ottokars österreichische Reimchronik" bis Ignaz Vinzenz Zingerles "Lusernisches Wörterbuch". Frühe Zuträger, Vorläufer oder auch Inkarnationen Hugo Suolahtis heißen alle so phantastisch wie er selber: Professor Popowitsch, Theophilus Golius Hadamar von Laber.
Jeder Schurek, Waldhüsele und Huppelkrah war, bevor Hugo Suolahti ihn aus regional abgelegenen Untiefen hob, unbekannt. Und kaum hat sich ein Leser durch das Kiwitt, Kuckuck und Upup von hundert Wiedehopf-Derivaten durchgearbeitet, sinken neunzig davon aufs neue hinweg, samt abgehakten Generationen und Völkern, die dank Hugo Suolahti noch mal kurz auferstehen durften. Jederzeit gerufen vom "Komm mit!" des Leichenhuhns, wie der Sterbekauz volkstümlich heißt, zusammen mit x anderen Neunwürgern, Pest- und Kriegsvögeln, Bart- und Schmutzgeiern, Vogelfreunden und anderen Freunden.
ULRICH HOLBEIN
Hugo Suolahti: "Die deutschen Vogelnamen". Eine wortgeschichtliche Untersuchung. Zweiter, unveränderter photomechanischer Nachdruck der Originalausgabe von 1909. Mit einem Nachwort von Elmar Seebold. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York 2000. 549 S., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Professor Popowitsch und Hadamar von Laber auf Flugschau: Hugo Suolahtis unbekanntes Reich der Vogelnamen
Was fliegt denn da? Bereits Johann Peter Eckermann klagte, daß der achtzigjährige Goethe zwar die ganze Natur umfaßt habe, aber Amseln nicht von Lerchen unterscheiden könne. Seither haben Lyriker wenig dazugelernt, besingen oft nur - statt Buchfink, Pirol oder Kiebitz - die nackte Gattung, ohne nähere Bestimmung, die Vogelspur im Schnee. Denn Poesie stößt ins Allgemeine vor, von Rabindranath Tagore - "Wie herrlich singen heut' die Vögel. / Ein Strahl der Sonne rührt mich an" - bis Sarah Kirsch: "Die Trommel zählt, das Becken gellt / Vögel fallen zur Erde".
Und dies, obwohl der Suolahti bereits 1909 erschien. Wer dieses Standardwerk überfliegt - ein Sammelbecken, kein Bestimmungsbuch -, findet fast nichts über Federkleid und Brutpflege, dafür fast alles über die blanke Benennung der Baumpieper, Brachhühnchen, Kernbeißer, Schleierkäuze, Wiesenknarrer und Zitronenfinken einschließlich ihrer lautmalerischen Rufe, vom "Zilpzalp" des Weidenlaubsängers über das "Didlididlidlidlidlid" der Tuddelgratsch - das ist: die Zaungrasmücke - bis zum "Pückwerwück" der Wachtel, in die Schwaben "sechs Paar Weck" hineinhörten, Elsässer: "Bäwele, wit me nit", Siebenbürger: "Bück den Rück!" und Niederdeutsche: "Weck den Knecht!" Wobei die Wachtel natürlich auch Putpurlut heißen kann oder Quattel.
Der finnische Philologe, Parlamentsabgeordnete, Kanzler und Rektor Professor Hugo Suolahti, der von 1874 bis 1944 lebte, versenkte sich in sein Gebiet so akribisch und verläßlich wie sonst nur noch Wilhelm Mannhardt in Baumdämonen, Heinrich Marzell in Pflanzennamen oder Ralf Wassmann - "Ornithologisches Taschenlexikon", 1999 - bis ins Mikroinvasive und Krähwinklige hinein. Es interessierte ihn, wo der Haussperling, fringilla domestica, der altpreußische spurglis, der altindische sphurati ("zuckt"), Sparkaz genannt wird, nämlich in Göttingen und Grubenhaben, und daß er in Dörfern bei Braunschweig "Sparlüntje" heißt. Nicht nur zoologische Hits, Pelikan-Synonyma wie Unvogel, Wasservielfraß, Kropfvogel, Vogel Hein, sisagomo, husigomo, werden archiviert bis hinab zu petti-rosso, dem italienischen Rotkehlchen, sondern jeder irgend auffindbare Piepmatz. Selbst der seit zirka 1550 ausgestorbene Waldrabe, geronticus eremita, eine Ibisart, wird samt seinen ebenso verschollenen Namen - wie Waldrapp, Rapp, Klausrab, Waldhoff, Nachtrapp - mitgenommen in dieser Arche und Zwitscher-Voliere.
Streng geht Suolahti der Frage nach, ob der Name des Truthahns 1534 in Deutschland eingeführt worden sei oder nicht doch schon eher; denn in Hans Sachs' "Regiment der anderthalb hundert Vögel", 1531, im Anhang abgedruckt, kann die indianisch henn nur ein Truthuhn sein. Hugo Suolahti beantwortet sogar die leider nicht jedem Menschenkind auf den Nägeln brennende Frage, wie der Zaunkönig beziehungsweise Zaunschlüpfer, Zaunschnurz, Zaunling, Zaunkerl, Zäunert, troglodytes europaeus, vor Erfindung der Zäune hieß: er hieß wrendo, wrendilo oder auch rindill, wie damals in der Snorra-Edda; oder auch: kuningilin, also Königlein; oder auch kärntnerisch: Pfutschkini; steiermärkisch: Zwergvogerl; oder hessisch: Backofenkröffer, des backofenförmigen Nestes wegen. Desinteresse an Vögeln sei hier kein Hinderungsgrund.
In Zeiten selten gewordener Eisvögel und Nachtigallen, wenn auch unausrottbarer Jahreszeitenlyrik steht Hugo Suolahti heroisch als nutzloser Baum herum, als Buch für alle und vor allem keinen, eines, das am Ende sogar für Spezialisten viel zu speziell ist. Doch siehe, wer nur eine Stunde unverbindlich im Suolahti schweift, einerlei, aus welchem Grund, und sei es als Kuriositätenjäger, spürt Effekte im Bewußtsein, schwirrender als Alfred Hitchcocks sehr überblickbare "Vögel", und schwankt mit poetischem Hirnsausen zwischen Mischgefühlen hin und wider, als Rohrdommel im Ried, botaurus stellaris, bottlebumb, raredumbla, Bummreigel, von der es viele althochdeutsche Varianten gibt: horotumil, horotumbil, roredumbil et cetera.
Ist hier ein Wahnkopf obsessiv am Werk, oder funktioniert jede reine, strenge Wissenschaft eben so wie Hugo Suolahti? Der enggezogene Kreis, in den er sich einspinnt, amplifiziert sich zum uferlos versunkenen Kontinent weißer Atlanten, und schon muß jeder, der den Suolahti als Fachidioten sah, sich als präverbaler Vollidiot im Käfig vorkommen, worinnen er einen Kosmos verlor, den er nie besaß. Das Gestöber jemals vorgekommener Vogelnamen schwirrt gotisch, magyarisch, bretonisch hinaus über deren Verbreitungsgebiete, badet im querbezugspotenzierten, sachbuchtranszendierenden, überaus flugfähigen, freischwebenden Assoziationsozean kongenial klangvoller Quellenangaben. Von Aegidius Albertinussens "Der Welt Tummel- und Schaw Platz", München 1622, über das Middelnederlandsch Woordenboek, 1882 ff., "Ottokars österreichische Reimchronik" bis Ignaz Vinzenz Zingerles "Lusernisches Wörterbuch". Frühe Zuträger, Vorläufer oder auch Inkarnationen Hugo Suolahtis heißen alle so phantastisch wie er selber: Professor Popowitsch, Theophilus Golius Hadamar von Laber.
Jeder Schurek, Waldhüsele und Huppelkrah war, bevor Hugo Suolahti ihn aus regional abgelegenen Untiefen hob, unbekannt. Und kaum hat sich ein Leser durch das Kiwitt, Kuckuck und Upup von hundert Wiedehopf-Derivaten durchgearbeitet, sinken neunzig davon aufs neue hinweg, samt abgehakten Generationen und Völkern, die dank Hugo Suolahti noch mal kurz auferstehen durften. Jederzeit gerufen vom "Komm mit!" des Leichenhuhns, wie der Sterbekauz volkstümlich heißt, zusammen mit x anderen Neunwürgern, Pest- und Kriegsvögeln, Bart- und Schmutzgeiern, Vogelfreunden und anderen Freunden.
ULRICH HOLBEIN
Hugo Suolahti: "Die deutschen Vogelnamen". Eine wortgeschichtliche Untersuchung. Zweiter, unveränderter photomechanischer Nachdruck der Originalausgabe von 1909. Mit einem Nachwort von Elmar Seebold. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York 2000. 549 S., br., 68,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ulrich Holbein weist darauf hin, dass dieses "Standardwerk" bereits 1909 erschienen ist und kein Bestimmungsbuch ist, sondern sich fast ausschließlich mit der erstaunlich vielfältigen Benennung von Vögeln befasst. In dieser Art scheint es dem Rezensenten einzigartig, geht doch der Autor auf allerlei regionale Unterschiede ein und auch auf Vögel, die seit Jahrhunderten bereits ausgestorben sind. Die Beispiele, die Holbein aufführt, sind zahlreich, und er bedauert sehr, dass die Fragen, die der Autor hier beantwortet (etwa wie der Zaunkönig hieß, bevor es Zäune gab) "nicht jedem Menschenkind auf den Nägeln brennen". Und so erfahre der Leser beispielsweise, dass der Zaunkönig in Kärnten Pfutschkini hieß, in Hessen Backofenkröffer, in der Steiermark Zwergvogerl usw. Eigentlich findet Holbein dieses Buch "sogar für Spezialisten viel zu speziell". Aber dennoch kann er sich dem Sog dieses Buchs offenbar nicht entziehen. Die Effekte, die die Lektüre auslöse, seien noch "schwirrender als Alfred Hitchcocks sehr überblickbare 'Vögel'", findet er. Zwar vergisst der Leser seiner Ansicht nach die vielen "Kiwitts, Kuckucks und Upups von hundert Wiedekopf-Derivaten" wieder kurz nach der Lektüre. Doch dass der Autor diese vorübergehend wieder zum Leben erweckt hat, weiß der Rezensent durchaus anzuerkennen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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