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Am 3. Oktober 1990 endet der Staat DDR, in dem Ernst Engelberg lange arbeitete, lehrte und politisch wirkte. Zugleich wird die Frankfurter Buchmesse eröffnet, auf der er seinen größten publizistischen und wissenschaftlichen Erfolg erlebt. Die Spitzentitel des Siedler Verlages sind die Memoiren von Helmut Schmidt und der zweite Band der Bismarck-Biographie. Der 1909 im Schwarzwald Geborene hat sechs Deutschlands erlebt: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur, DDR, BRD sowie das neu vereinte mit dem alten Namen. Hinzu kamen die Exilländer Schweiz und Türkei. Eine deutsche…mehr

Produktbeschreibung
Am 3. Oktober 1990 endet der Staat DDR, in dem Ernst Engelberg lange arbeitete, lehrte und politisch wirkte. Zugleich wird die Frankfurter Buchmesse eröffnet, auf der er seinen größten publizistischen und wissenschaftlichen Erfolg erlebt. Die Spitzentitel des Siedler Verlages sind die Memoiren von Helmut Schmidt und der zweite Band der Bismarck-Biographie.
Der 1909 im Schwarzwald Geborene hat sechs Deutschlands erlebt: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur, DDR, BRD sowie das neu vereinte mit dem alten Namen. Hinzu kamen die Exilländer Schweiz und Türkei.
Eine deutsche Nationalgeschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart zu schreiben, war sein erklärtes Ziel. Das unvollendete Projekt ist bestimmend für die vorliegende repräsentative Auswahl von verstreut Publiziertem und Unveröffentlichtem aus einem rund sieben Jahrzehnte umfassenden Schaffen.
Entstanden sind kräftige Umrisse einer Nationalgeschichte von links mit der Orientierung auf epochale Revolutionen von unten undoben. Ein engagiertes Werk mit bedenkenswerten Einsichten und Irrtümern, durchdrungen von einem anhaltenden und immer wieder bewusst gemachten Leiden an Deutschland, strebend nach einer ungeteilten deutschen demokratischen Republik.
Autorenporträt
Ernst Engelberg (1909-2010) war einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts. Seine große Biographie zu Otto von Bismarck, dessen erster Band 1985 gleichzeitig in West- und Ostdeutschland erschien, war ein politisch-publizistisches Ereignis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2009

Überholt?

Als Waltraud und Ernst Engelberg im September 1985 von ihrer Westreise wieder nach Ost-Berlin zurückkehrten, klingelte ununterbrochen das Telefon: Die Anrufer - nicht etwa Oppositionelle, sondern milieugemäß eher die mittlere Funktionärsebene der SED - freuten sich über den Auftritt des Bismarck-Biographen Engelberg vor den Kameras der ARD. Günter Gaus hatte ihn zuvor in Köln auf den Interviewsessel seiner Gesprächsreihe "Zur Person" gebeten und dem Historiker überraschend die Gretchenfrage gestellt: "Leiden Sie an der deutschen Teilung?" Genosse Engelberg antwortete prompt: "Ja, natürlich." Über die Teilung könne er nicht in Jubel ausbrechen - und vor allem: "Dauerhaft in dem Sinne von ewiger Teilung, das glaube ich auch heute noch nicht." Fünf Jahre später war die Teilung Geschichte.

Waltraud Engelberg erzählte diese Episode jüngst auf einem für ihren Mann vom Institut für Zeitgeschichte in seiner Berliner Außenstelle ausgerichteten Kolloquium. Am 5. April konnte Engelberg seinen hundertsten Geburtstag feiern (F.A.Z. vom 3. April). Damals, 1985, war der erste Band seiner Bismarck-Biographie erschienen, zunächst im Siedler-Verlag, einige Monate später auch im Ost-Berliner Akademie-Verlag. Die nicht unfreundliche Darstellung des "königlich-preußischen Revolutionärs" (Engelberg) durch den führenden Historiker der DDR war ein gesamtdeutsches Ereignis; "ein sensationelles, ein denkwürdiges Werk", urteilte Rudolf Augstein im "Spiegel" und machte es zur Titelgeschichte.

Der ungewöhnliche Auftritt in der ARD schadete Engelberg dabei nicht, wie Peter Brandt (Hagen) feststellte: "Er konnte sich das leisten." Seit 1930 war Engelberg Mitglied der KPD, 1934 von der Gestapo verhaftet und für anderthalb Jahre im Zuchthaus, anschließend im Exil in der Schweiz und der Türkei. Hans Mayer, Freund aus Genfer Emigrationstagen, vermittelte ihn 1948 auf einen Lehrstuhl nach Leipzig. Allmählich stieg Engelberg, der 1934 bei Hermann Oncken und Gustav Mayer mit einer Arbeit über die deutsche Sozialdemokratie und die Bismarcksche Sozialpolitik promoviert worden war, zum mächtigen Sachwalter der SED-Geschichtspolitik auf. In einem Brief an das Zentralkomitee empfahl er sich 1959 erfolgreich selbst für den Posten des Direktors am Institut für Deutsche Geschichte an der Akademie der Wissenschaften: schließlich sei er der einzige unter den Historikern, der vor 1933 Mitglied der KPD war und zugleich im Hauptfach Geschichte studiert habe.

Gab es später einen Wandel bei Engelberg, der missliebige Abweichler unter seinen Kollegen einst in vielen Briefen an die zuständige ZK-Abteilung anschwärzte? Mario Kessler (Potsdam) sah eine Umorientierung vom Parteihistoriker zum "parteiverbundenen Historiker"; noch heute ist Engelberg Parteimitglied bei den SED-Erben. Dem Marxisten stand dabei stets eine Nationalgeschichte von links vor Augen; nicht ohne Grund saß Egon Bahr als Zuhörer in der ersten Reihe dieses Kolloquiums. In einem jüngst erschienenen Aufsatzband kann man Engelbergs quer zu allen historiographischen Tendenzen stehende Sicht auf die deutsche Geschichte studieren (Ernst Engelberg: "Die Deutschen - woher wir kommen". Hrsg. von Achim Engelberg, Karl Dietz Verlag, Berlin 2009). Jürgen Kocka (Berlin) bekannte, dass Engelberg, den er seit Ende der siebziger Jahre persönlich kannte, sein Bild von der DDR-Geschichtswissenschaft stark beeinflusst habe. Dessen nationale Sicht habe vor 1989 etwas Subversives gehabt; heute sei sie in Zeiten globaler Perspektiven überholt.

Die nationale Fixierung jedoch faszinierte damals einen bürgerlichen Westdeutschen: den Verleger Wolf Jobst Siedler. Historiographiegeschichtlich wäre es durchaus von Interesse, wie viel Marxismus Siedler seinem Autor aus dem Manuskript herausredigierte, was Siedler selbst gelegentlich kolportiert hat. Der Konservative und der Kommunist fanden jedenfalls Gefallen aneinander - auch ein Wandel durch Annäherung? In einer vom IfZ geplanten Briefedition wird auch die Korrespondenz mit seinem Verleger enthalten sein. Mit dem "lieben Wolf" wusste er sich einig im Kampf gegen die "kommerzialisierte Vulgärmoderne" und für den Wiederaufbau der Stadtschlösser in Potsdam und Berlin. Dass Siedler 1987 allerdings den Marxismus-Leninismus als "archaische Glaubenslehre" abtat, mochte dessen Autor seinem "Boss" (Engelberg) nicht durchgehen lassen. Engelbergs Papiere werden gegenwärtig in der Berliner Staatsbibliothek erschlossen, wo sich unter anderem bedeutende Sammlungen von Theodor Mommsen, Heinrich von Sybel, Heinrich von Treitschke und Leopold von Ranke befinden.

Nach dem Kolloquium erschien der Jubilar dann höchstselbst: Auf einem Sofa sitzend, einen Stock in der Hand, nahm diese schillernde Figur aus der Historiographiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts die Gratulationen entgegen. Noch immer lägen, so berichtete es seine Frau, Zettel und Stift neben seinem Bett, so wie einst, als die nächtlichen Einfälle notiert werden wollten.

ALEXANDER CAMMANN

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