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Der Friedenspreisträger Liao Yiwu hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den kleinen, den unterdrückten Leuten in China eine Stimme zu geben. Als »Sprachrohr der Gesellschaft« ist er im Land unterwegs und bringt die Menschen zum Erzählen. Während Liao Yiwu in seinem hoch gelobten Buch 'Fräulein Hallo und der Bauernkaiser' sein Augenmerk auf den Zusammenprall politischer Wirklichkeit mit jahrtausendealten Traditionen richtete, berichtet er nun eindrücklich von der chinesischen Gegenwart. Eine Gemüsehändlerin, ein Restaurantbesitzer oder ein Anwalt kommen genauso zu Wort wie Nichtstuer,…mehr

Produktbeschreibung
Der Friedenspreisträger Liao Yiwu hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den kleinen, den unterdrückten Leuten in China eine Stimme zu geben. Als »Sprachrohr der Gesellschaft« ist er im Land unterwegs und bringt die Menschen zum Erzählen.
Während Liao Yiwu in seinem hoch gelobten Buch 'Fräulein Hallo und der Bauernkaiser' sein Augenmerk auf den Zusammenprall politischer Wirklichkeit mit jahrtausendealten Traditionen richtete, berichtet er nun eindrücklich von der chinesischen Gegenwart. Eine Gemüsehändlerin, ein Restaurantbesitzer oder ein Anwalt kommen genauso zu Wort wie Nichtstuer, Geldeintreiber, Spieler, Säufer und Mörder. Spannende und unmittelbare Einblicke in das wahre China von heute.

»Ein unbeirrbarer Chronist und Beobachter, der Zeugnis ablegt für die Verstoßenen des modernen China.«
Aus der Begründung der Jury zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Liao Yiwu, geboren 1958 in der Provinz Sichuan, wuchs als Kind in großer Armut auf. 1989 verfasste er das Gedicht »Massaker«, wofür er vier Jahre inhaftiert und schwer misshandelt wurde. 2007 wurde Liao Yiwu vom Unabhängigen Chinesischen PEN-Zentrum mit dem Preis »Freiheit zum Schreiben« ausgezeichnet, dessen Verleihung in letzter Minute verhindert wurde. 2009 erschien sein Buch »Fräulein Hallo und der Bauernkaiser«. 2011, als »Für ein Lied und hundert Lieder« in Deutschland erschien, gelang es Liao Yiwu, China zu verlassen. Seit seiner Ausreise nach Deutschland erschienen die Titel »Die Kugel und das Opium« (2012), »Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch« (2013), »Gott ist rot« (2014), »Drei wertlose Vita und ein toter Reisepass« (2018), »Herr Wang, der Mann, der vor den Panzern stand« (2019) sowie der Roman »Die Wiedergeburt der Ameisen« (2016). Zuletzt erschien 2022 sein Dokumentarroman »Wuhan«. Für sein Werk wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Liao Yiwu lebt in Berlin.

Hans Peter Hoffmann, Professor für Sinologie, freier Autor und Übersetzer, lehrt und schreibt in Tübingen und Taipeh.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Noch aus der Geschichte eines Menschenfressers hört Wolfgang Schneider den Schrei der geknechteten Kreatur heraus, den des Mörders nämlich, nicht des Opfers. So ähnlich verhält es sich für Schneider mit allen hier versammelten Geschichten, die den zwischen 2008 und 2011 von Liao Yiwu geführten Interviews vorangestellt sind. Gespräche mit Prostituierten, Mördern, perversen Feinschmeckern, die von Fötensuppe schwärmen. Hinter all der Drastik von Leid und Gewalt erkennt Schneider immer die massive Anklage des Autors, der sich als "Aufnahmegerät der Epoche" versteht, gegen den chinesischen Staat. Keine leichte Kost, gibt der Rezensent zu. Den Blick des Autors, von unten, aus der Perspektive der Gedemütigten und Gequälten, vergleicht er mit dem Günter Wallraffs, ebenso unbestechlich erscheint ihm der Autor meistenteils, auch wenn seine große Empathie mitunter zu Abscheu seinem Gesprächspartner gegenüber führt und zu einer Sprache, die mit Flüchen nicht spart. Das ist nur verständlich, gibt Schneider zu verstehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2013

Willkommen in Roh-China

Der Friedenspreisträger ist nicht friedlich gestimmt: Liao Yiwu beklagt wütend die Zustände an den Elendsrändern der chinesischen Gesellschaft.

Der chinesische Wirtschaftsboom hat Imponierkulissen hervorgebracht, von denen sich ein Liao Yiwu nicht beeindrucken lässt. Je höher das Riesenreich im Fernen Osten aufstrebt, desto tiefer hinab richtet der streitbare Friedenspreisträger seinen Blick: zu den Gestrandeten, Gedemütigten, Gequälten, denen er inzwischen etwa dreihundert Interviews gewidmet hat.

Nach der ersten spektakulären Auswahl "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" ist nun ein zweiter Band mit Gesprächen erschienen, die zum großen Teil zwischen dem Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008 und der Flucht Liao Yiwus aus China drei Jahre später geführt wurden. Es sind fesselnde Blicke hinter die schwer durchdringliche Miene eines Riesenreichs. Handelt es sich um ein "blutiges Eisengesicht"? So hat Liao Yiwu seinen vierten "Lehrmeister" genannt, das Gefängnis, und wenn man seine Texte liest, liegt es nahe, die martialische Metapher auf das ganze Land zu übertragen.

"Ich ernannte mich selbst zum ,Aufnahmegerät der Epoche'", schreibt Liao im Vorwort. Aber nicht immer präsentiert er sich als unbestechlicher Reporter, der sein Tonband mitlaufen lässt, oft ist er auch der Beteiligte, der Gespräche aus der Erinnerung rekonstruiert: "Und als wir besoffen waren, kam unter viel Angeberei und gegenseitigem Schultergeklopfe folgende Geschichte zum Vorschein", heißt es dann zum Beispiel. Jedem Interview ist eine knappe Erzählung darüber vorangestellt, wie es zu der Begegnung kam. Liao behandelt seine Gesprächspartner mit Empathie (was gelegentliche Distanzierungen und Abscheu nicht ausschließt); wie sie bevorzugt er eine harte, mit Flüchen durchsetzte Sprache. Wer in der Kindheit Hungersnot und Kulturrevolution erlebt hat und später durch die Hölle der Haftanstalten gegangen ist, neigt nicht mehr zu verbalem Schmuck.

Als im Westen der Fortschrittsglaube Blüten trieb, ums Jahr 1960, geriet in China der "Große Sprung nach vorn" zum Sprung in den Abgrund archaischen Grauens. Forderte die große Hungersnot so viele Opfer wie der Erste Weltkrieg - oder kam sie mit vierzig Millionen Toten sogar eher dem Zweiten gleich? Eine frisch gefangene Dungratte verzehren, während einem Tränen des Glücks über die Wangen laufen - in solche Hungersensationen kann man sich als Leser nur schwer hineinversetzen. "Lungenstückchen" klingt noch halbwegs schmackhaft, aber der Name des Gerichts verdankt sich dem Umstand, dass Lunge und Abfall klanggleich "fei" gesprochen werden. So erzählt es der Sichuan-Koch Zhou Bandao - und klagt darüber, wie in Chengdu die Straßenzüge mit den kleinen, traditionellen Imbissen, wo man "in Chiliöl eingelegte Rinderkopfhaut" verzehren konnte, zugunsten von Neubauprojekten ausradiert wurden. Die heute angebotenen Sichuan-Gerichte seien so falsch wie die "korrupten Beamten".

Der Restaurantbesitzer Jiang Fuqing berichtet davon, wie chinesische Gastronomen unterm Wettbewerbsdruck ("der Markt ist ein Schlachtfeld") am reichlich benötigten Speiseöl sparen: "Abfallöl, Mist, Fußwaschwasser, tote Katzen, tote Ratten, Mücken und Fliegen, ganz egal, das wird alles zurückgeschaufelt und mit der doppelten Menge an krebserregenden Chemikalien zu einem Öl verkocht, das pures Gold wert ist."

Solche Passagen sind aber noch leichte Kost, verglichen mit den Bekenntnissen des Feinschmeckers Chi Fu, denen Liao Yiwu eine Warnung für sensible Gemüter voranstellt: "Als ich dieses Kapitel bearbeitete, hatte ich wirklich den Gedanken, Chi Fu mit einer großen Nadel den Mund zuzunähen, dem Scheißkerl." Ameisenbär, Elefantenrüssel, Riesensalamander - nichts, womit der nicht schon seinen Gaumen gekitzelt hätte. Den größten Genuss aber hat ihm Menschenfleisch bereitet, die schneeweiße "Säuglingssuppe", die in China offenbar zu den inoffiziellen Genüssen gehört. "Als ich das zum ersten Mal gegessen habe, war das so erlesen, es ging mir durch und durch, ich hatte das Gefühl, mein ganzer Körper ist eine einzige Zunge, die sich leckend hinausstreckt ..." Die Ein-Kind-Politik befördert den Handel mit abgetriebenen Föten, die in dieser Suppe landen.

Vom Leben erzählt oder von Liao Yiwu zur sozialen Parabel stilisiert? Das ist manchmal schwer zu entscheiden, aber es spielt auch keine Rolle, wenn man etwa gebannt die Geschichte einer Gemüsefrau liest, die ihr Geschäft mit Fleiß und Erfolg betrieb, während ihrem Nachbar alles misslang. Und so hackte er schließlich, vergiftet vom Neid, der Nachbarin mit einem Beil die Hand ab. Der lakonische Kommentar der Gemüsehändlerin: "Mein Mann und ich waren, solange ich gesund war, ein Herz und eine Seele, aber als der andere mich zum Krüppel gemacht hat, hat er sich von mir abgewandt, ein ganz normaler Vorgang." Nicht Rot-, sondern Roh-China ist hier zu besichtigen, mit lauter "ganz normalen" Vorgängen.

In diesen "Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit" ist viel Leiden und Tragik destilliert. Da ist das Gespräch mit einer völlig verzweifelten Mutter, deren einzige Tochter beim Erdbeben 2008 unter einem Schulgebäude begraben wurde, samt siebenhundert Mitschülern. Auch hier kommen gesellschaftliche Aspekte in den Blick, nicht nur der verbreitete Pfusch am Bau und der laxe Umgang damit, sondern auch die Leiden an der Ein-Kind-Politik, die der Literaturnobelpreisträger Mo Yan in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman "Frösche" beeindruckend geschildert hat. Wie überhaupt diese beiden Schriftsteller, die so oft gegeneinandergestellt werden - hier der edle Dissident, dort der literarische Dunkelmann -, viele ähnliche Eindrücke wiedergeben. Mo Yan könnte man vielleicht als Günter Grass, Liao eher als Günter Wallraff Chinas bezeichnen. Aber beide Autoren bestehen auf Drastik und der Perspektive von unten.

Das neue Lust- und Lotterleben jenseits des kommunistischen Puritanismus wird im Gespräch mit der "illegalen Prostituierten" und der "Dongdong-Tänzerin" aus den Atombunker-Bars anschaulich. Nicht wenige chinesische Frauen bessern ihren unzulänglichen Lohn heute offenbar mit Prostitution auf. Im Gespräch mit Zuo Changzhong wird die beklemmende moralische Enge deutlich, die noch um 1980 in China herrschte. Als junger Mann kam Zuo während der "Kampagne des ernsten Schlags" gegen "Sittenstrolche und Vergewaltiger" wegen harmloser privater Partys ins Gefängnis, wurde monatelang misshandelt und gefoltert.

Während "Fräulein Hallo" stärker die historischen Traumatisierungen in den Blick nahm, ist diese zweite Auswahl vordergründig unpolitischer. Dennoch ergibt auch sie eine massive Anklage gegen eine Gesellschaft, in der "ein Leben nicht viel wert ist" - so das Leitmotiv der Gespräche. Das Porträt Chinas, das Liao Yiwu aus vielen Einzelstücken zusammenfügt, kann den Mächtigen nicht genehm sein. Es ist nicht präsentabel, ein Land zum Fürchten und Weglaufen. Aber ist es repräsentativ? Dass die "Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit" nicht das Ganze, sondern einen lupenscharf vergrößerten Ausschnitt zeigen, ist offensichtlich.

Am Ende steht die Beichte eines Mörders kurz vor seiner Hinrichtung. Lu Renbiao, mit dem der Autor drei Monate im Gefängnis "Pritsche und Kissen geteilt" hat, berichtet, wie er seine sexuell unersättliche Frau erstach und portionsweise aufaß. Und doch liest sich auch diese Schauergeschichte wie der Aufschrei einer gequälten Kreatur.

WOLFGANG SCHNEIDER.

Liao Yiwu: "Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch". Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit.

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 490 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Es sind fesselnde Blicke hinter die schwer durchdringliche Miene eines Riesenreichs. Wolfgang Schneider Frankfurter Allgemeine Zeitung 20131127