Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Drehtür des Amsterdamer Café Américan, in dem die Hauptfigur des Romans einer Person begegnet, die ihm ähnlich sieht wie ein älterer Zwillingsbruder. Und durch diese Drehtür wird ein spannendes Spiel zwischen Traum, Erinnerung und Wirklichkeit in Gang gesetzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.1997Der Holländer als Paradiesvogel
Hinein und heraus: A. F. Th. van der Heijden bedient eine Drehtür
Als A. F. Th. van der Heijden 1979 das Manuskript von "Die Drehtür" ablieferte, legte er noch Wert auf den zirkushaften Decknamen "Patrizio Canaponi". Der junge Schriftsteller eiferte dem großen Portugiesen Fernando Pessoa nach, der seine unterschiedlichen Werke jeweils einer anderen Autorenperson anvertraute und schließlich im Alleingang eine ganze Dichterschule schuf, deren Mitglieder miteinander korrespondierten, einander haßten, voneinander abschrieben. Fast wäre es mit van der Heijden, heute einer der wichtigsten niederländischen Schriftsteller und von ganz anderem Talent als der elegische Lissabonner Flaneur und bukolische Klassizist Pessoa, ebenso weit gekommen. Im Nachwort zu diesem frühen Kurzroman versucht der Niederländer, das linguistische Knäuel seiner Buchprojekte und die wechselseitigen Abhängigkeiten seiner Heteronyme zu entwirren. Allein - es wirkt wie immer bei dergleichen egomanen Eskapaden reichlich eitel und ist obendrein nicht sonderlich interessant, wenn man den Wert des Textes in Rechnung stellt, der mit soviel erkennungsdienstlichem Aufwand produziert wurde.
"Die Drehtür" handelt in gelinde autobiographischer Manier von den Saufzügen, dem Parasitenbefall und der Rom-Flucht eines jungen niederländischen Provinzlers. Homosexuelle Liebhaber, aber auch weibliche Zufallsbekanntschaften tauchen auf und wieder ab - fast so ungreifbar wie die schattenhaften Nebenfiguren eines Romans von weiland Robbe-Grillet. Wir bekommen Stimmungen in Amsterdamer Kneipen und römischen Bordellstraßen ausgemalt und werden mit verstorbenen Jugendlieben konfrontiert. Weil aber - getreu dem Titel - dem Erzählen die Richtung fehlt, wirkt alles eher pubertär als, wie es gemeint ist: romantisch.
Denn der Autor, der all dies so vielschichtig und voller Vertrauen auf unser Interesse an seinem imaginierten Bekanntenkreis zusammenstellt, zielt einzig auf Mystifikation des eigenen Erlebens und auf hochartifizielle Prosa. Wann das spielt, was diese extremen, eitlen Erfahrungen für uns nacherlebens- und erwägenswert machen könnten, erfahren wir nicht. In Amsterdam, wo van der Heijdens Neuerscheinungen inzwischen an Laternenmasten mit Plakaten angekündigt werden und wochenlang mit erdrückenden Rezensionen und allerhand Deutungstratsch das literarische Leben lahmlegen, mögen auch die jugendlichen Fingerübungen dieses Autors seine Fans zufriedenstellen. Für die deutsche Leserschaft, die van der Heijden bis auf den meisterlichen Roman "Advokat der Hähne" überhaupt nicht kennt, hätte der Verlag seine beste Übersetzerin, Helga van Beuningen, besser Gewichtigeres, Reiferes übertragen lassen sollen. Ob das, angesichts der fast schon proustschen Labyrinthik und der wachsenden Umfänge dieses OEuvres, zu teuer und zu aufwendig war?
Dieser jugendliche Auftakt immerhin ist nach denselben komplizierten Stilprinzipien gebaut, die van der Heijden in seinem mehrbändigen Meisterwerk, dem Romanzyklus "Die zahnlose Zeit", anwendet: Die Chronologie des Erzählens wird aufgebrochen und nach einer strukturalistischen Vorgabe wieder zusammengesetzt. Hier ist das die Drehtür, deren Teile mehrere Ebenen zusammenhalten, ohne daß dieser Kunstgriff sonderlich einleuchtete. Das assoziative Erinnern soll, so belehrt uns des Autors unabdingbares Nachwort, die Wehen eines Vaters im Männerkindbett beschreiben, die Geburt des Romans als erotischer Bildungsroman. In den aber, damit alles nicht gar so eindimensional wirke, auch Anspielungen auf Gedichte Cees Nootebooms eingebaut sind - die Übercodierung eines unsicheren Anfängers.
Seine artifiziellen Vorgaben kann van der Heijden nicht - wie später - durch zwingende Beschreibungen körperlicher Zustände, durch eine atmosphärische Neuschöpfung des Stadtkörpers von Amsterdam und durch konturenscharf gezeichnete Charaktere von durchweg kaputten Helden, Sinnbildern der Nach-Achtundsechziger-Generation - wettmachen. Suggestive Meisterschaft klingt nur dann und wann an, etwa bei der eingehenden Beschreibung eines Läusebefalls, der sensiblen Lesern starkes Hautjucken verursachen dürfte. Doch es bleibt bei solchen herrlich ekligen Kabinettstückchen ohne erkennbaren Zusammenhang.
Die Manierismusgefahr ist bei diesem Niederländer, der einer realistischen Erzähltradition durch mittelmeerisches Voltigieren und selbstreflexives Zaubern entgehen wollte und der seine nordländische Identität paradiesvogelhaft romantisierte, allzu präsent. Van der Heijden schwärmt im Nachwort von den herrlich mäandernden Sätzen, die er seinerzeit konstruierte, um mit dem "ruppigen Sprachhaß aus dem Milieu meiner frühen Jugendjahre" abzurechnen. Klar, daß dieser Künstler bei seinem Selbstporträt als junger Mann an seine Leser zuallerletzt denken konnte. Diese Drehtür aber dreht sich wie jedes Exemplar ihrer Art einzig um sich selbst, so daß es schließlich nur mehr heiße, bedeutungsgeschwängerte Luft ist, die immer schneller kreist - Eintreten unmöglich. DIRK SCHÜMER
A. F. Th. van der Heijden: "Die Drehtür". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 157 S., br., 16,80 DM.
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Hinein und heraus: A. F. Th. van der Heijden bedient eine Drehtür
Als A. F. Th. van der Heijden 1979 das Manuskript von "Die Drehtür" ablieferte, legte er noch Wert auf den zirkushaften Decknamen "Patrizio Canaponi". Der junge Schriftsteller eiferte dem großen Portugiesen Fernando Pessoa nach, der seine unterschiedlichen Werke jeweils einer anderen Autorenperson anvertraute und schließlich im Alleingang eine ganze Dichterschule schuf, deren Mitglieder miteinander korrespondierten, einander haßten, voneinander abschrieben. Fast wäre es mit van der Heijden, heute einer der wichtigsten niederländischen Schriftsteller und von ganz anderem Talent als der elegische Lissabonner Flaneur und bukolische Klassizist Pessoa, ebenso weit gekommen. Im Nachwort zu diesem frühen Kurzroman versucht der Niederländer, das linguistische Knäuel seiner Buchprojekte und die wechselseitigen Abhängigkeiten seiner Heteronyme zu entwirren. Allein - es wirkt wie immer bei dergleichen egomanen Eskapaden reichlich eitel und ist obendrein nicht sonderlich interessant, wenn man den Wert des Textes in Rechnung stellt, der mit soviel erkennungsdienstlichem Aufwand produziert wurde.
"Die Drehtür" handelt in gelinde autobiographischer Manier von den Saufzügen, dem Parasitenbefall und der Rom-Flucht eines jungen niederländischen Provinzlers. Homosexuelle Liebhaber, aber auch weibliche Zufallsbekanntschaften tauchen auf und wieder ab - fast so ungreifbar wie die schattenhaften Nebenfiguren eines Romans von weiland Robbe-Grillet. Wir bekommen Stimmungen in Amsterdamer Kneipen und römischen Bordellstraßen ausgemalt und werden mit verstorbenen Jugendlieben konfrontiert. Weil aber - getreu dem Titel - dem Erzählen die Richtung fehlt, wirkt alles eher pubertär als, wie es gemeint ist: romantisch.
Denn der Autor, der all dies so vielschichtig und voller Vertrauen auf unser Interesse an seinem imaginierten Bekanntenkreis zusammenstellt, zielt einzig auf Mystifikation des eigenen Erlebens und auf hochartifizielle Prosa. Wann das spielt, was diese extremen, eitlen Erfahrungen für uns nacherlebens- und erwägenswert machen könnten, erfahren wir nicht. In Amsterdam, wo van der Heijdens Neuerscheinungen inzwischen an Laternenmasten mit Plakaten angekündigt werden und wochenlang mit erdrückenden Rezensionen und allerhand Deutungstratsch das literarische Leben lahmlegen, mögen auch die jugendlichen Fingerübungen dieses Autors seine Fans zufriedenstellen. Für die deutsche Leserschaft, die van der Heijden bis auf den meisterlichen Roman "Advokat der Hähne" überhaupt nicht kennt, hätte der Verlag seine beste Übersetzerin, Helga van Beuningen, besser Gewichtigeres, Reiferes übertragen lassen sollen. Ob das, angesichts der fast schon proustschen Labyrinthik und der wachsenden Umfänge dieses OEuvres, zu teuer und zu aufwendig war?
Dieser jugendliche Auftakt immerhin ist nach denselben komplizierten Stilprinzipien gebaut, die van der Heijden in seinem mehrbändigen Meisterwerk, dem Romanzyklus "Die zahnlose Zeit", anwendet: Die Chronologie des Erzählens wird aufgebrochen und nach einer strukturalistischen Vorgabe wieder zusammengesetzt. Hier ist das die Drehtür, deren Teile mehrere Ebenen zusammenhalten, ohne daß dieser Kunstgriff sonderlich einleuchtete. Das assoziative Erinnern soll, so belehrt uns des Autors unabdingbares Nachwort, die Wehen eines Vaters im Männerkindbett beschreiben, die Geburt des Romans als erotischer Bildungsroman. In den aber, damit alles nicht gar so eindimensional wirke, auch Anspielungen auf Gedichte Cees Nootebooms eingebaut sind - die Übercodierung eines unsicheren Anfängers.
Seine artifiziellen Vorgaben kann van der Heijden nicht - wie später - durch zwingende Beschreibungen körperlicher Zustände, durch eine atmosphärische Neuschöpfung des Stadtkörpers von Amsterdam und durch konturenscharf gezeichnete Charaktere von durchweg kaputten Helden, Sinnbildern der Nach-Achtundsechziger-Generation - wettmachen. Suggestive Meisterschaft klingt nur dann und wann an, etwa bei der eingehenden Beschreibung eines Läusebefalls, der sensiblen Lesern starkes Hautjucken verursachen dürfte. Doch es bleibt bei solchen herrlich ekligen Kabinettstückchen ohne erkennbaren Zusammenhang.
Die Manierismusgefahr ist bei diesem Niederländer, der einer realistischen Erzähltradition durch mittelmeerisches Voltigieren und selbstreflexives Zaubern entgehen wollte und der seine nordländische Identität paradiesvogelhaft romantisierte, allzu präsent. Van der Heijden schwärmt im Nachwort von den herrlich mäandernden Sätzen, die er seinerzeit konstruierte, um mit dem "ruppigen Sprachhaß aus dem Milieu meiner frühen Jugendjahre" abzurechnen. Klar, daß dieser Künstler bei seinem Selbstporträt als junger Mann an seine Leser zuallerletzt denken konnte. Diese Drehtür aber dreht sich wie jedes Exemplar ihrer Art einzig um sich selbst, so daß es schließlich nur mehr heiße, bedeutungsgeschwängerte Luft ist, die immer schneller kreist - Eintreten unmöglich. DIRK SCHÜMER
A. F. Th. van der Heijden: "Die Drehtür". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 157 S., br., 16,80 DM.
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