Eine literarische Entdeckung: die Erzählung "Die drei Mäntel des Anton K." des berühmten Komponisten Ernst Krenek (1900 - 1991), Schöpfer der legendären Oper "Jonny spielt auf" (1927). In dieser Erzählung thematisiert er die Schwierigkeiten seiner Emigration, Ausweglosigkeit und Ausgeliefertsein infolge von Pass-Verlust und Behörden-Willkür in kafkaesker Manier.Vorliegende erste Einzel-Buchveröffentlichung vereint die beiden von Krenek auf Deutsch und Englisch verfassten Versionen,ergänzt durch ein instruktives Vorwort des Musikwissenschaftlers Matthias Henke.Ernst Krenek (1900-1991) führt in der Erzählung "Die drei Mäntel des Anton K." (1938) seinen Titelhelden auf der Suche nach einem vertauschten Mantel mit wichtigen Dokumenten durch ein unübersichtliches Labyrinth von obskuren Lokalitäten. Die merkwürdigen Begegnungen mit dubiosen Herren und (Halbwelt-)Damen, seine Verhaftung und Befragung von scheinbar allmächtigen Beamten lassen Anton K. - ein Nachnamensvetter von Franz Kafkas Josef K. - fast verzweifeln. Anders aber als Kafkas K., der übergeordneten Mächten hilflos ausgesetzt scheint, glaubt Kreneks K., eine 'Lösung' für seine Probleme gefunden zu haben ... (Jürgen Nelles)
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Waltraud Schwab würdigt den Autor sowohl als Komponisten wie als Schriftsteller, wenn sie die Form diesesTextes als Fuge beschreibt. Sowohl den endlosen Versuchen K.s - nicht zufällig benutzt er das Kürzel K. aus Kafkas Prozess -, seine Existenz zu beweisen, als auch das groteske Sich-Totlaufen der Bürokratie schreibt sie "Atonalität" zu - und eine schreckliche Aktualität. Ein wenig Unverständnis blitzt am Ende der Besprechung auf, wenn die Rezensentin den Mangel an politischer Einmischung K.s - falls die entsprechende Passage eine Selbstbeschreibung Kreneks sein soll -, streng kritisiert, als habe ein Geflüchteter kein Recht mehr aufs Unpolitisch-Sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2020Kafkaesker Konsul
Wiederentdeckt: Ernst Krenek als Schriftsteller
Ernst Krenek ist nicht als Schriftsteller bekannt, sondern als Komponist. Seine 1927 in Leipzig uraufgeführte Oper "Jonny spielt auf" machte Furore durch die Einbeziehung von Jazz-Elementen und erzeugte Furor bei konservativen Kulturwächtern, die dem 1900 geborenen Wiener Komponisten Ausverkauf der europäischen Musiktradition vorwarfen. Konsequent galt er fortan den Nationalsozialisten als Kulturbolschewist und verlor 1933 das von ihnen fortan beherrschte Deutschland als Aufführungsort seiner Kompositionen. Als 1934 die Premiere von Kreneks Historienoper "Karl V." anstand, blies die Wiener Staatsoper die Sache ab, weil früher vereinbarte Kooperationen mit deutschen Häusern zu Übernahmen des Werks gegenstandslos geworden waren. Es erlebte schließlich 1938 in Prag seine Uraufführung, im Jahr vor dem dortigen deutschen Einmarsch. Krenek war nicht anwesend; das Risiko einer Reise in die schon damals vom Hitler-Regime bedrohte Tschechoslowakei empfand er als zu groß. Zwei Monate später wanderte er mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten aus, wo er sich bereits großer Popularität erfreute. Nach dem Krieg wurde er zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Musik.
Ein Leben wie ein Roman. Und tatsächlich hat Krenek daraus selbst auch eine Novelle gemacht: "Die drei Leben des Anton K.". Er schrieb sie im Frühjahr 1938, als er rastlos durch Europa reiste, um lange vereinbarte Konzertengagements noch zu erfüllen, während er gleichzeitig seine Emigration vorbereitete. Österreich gehörte seit März zum Deutschen Reich, und damit war Kreneks Reisepass ungültig geworden; eine Neuausstellung hätte nur in einem deutschen Konsulat erfolgen können, wovor er begreiflicherweise zurückscheute. Die resultierende Unsicherheit in den vielen fremden Ländern ist das Thema der Geschichte um Anton K., dessen Nachnamensinitial man gerne auf "Krenek" zurückführen kann.
Wohl mehr aber noch auf Kafka und dessen Figur des Josef K. aus dem "Proceß"-Roman. Nicht nur, dass Krenek dieses Buch schätzte; er lässt Kafka als Vorbild sogar in die Handlung der Novelle einfließen, als deren Protagonist sich bei einem Konsul um eine Reisemöglichkeit durch dessen Land bemüht, aber auf die unterschiedlichsten bürokratischen Hindernisse stößt: "Ich frage mich, Herr Konsul, ob Sie die Schriften Franz Kafkas kennen. Denn es scheint mir nachgerade, als sei ich in eine Maschinerie geraten, die mich nie mehr loslassen soll und die in beängstigender Weise an die Albträume jenes Autors erinnert." Der Konsul aber kennt Kafkas Bücher nicht nur, sondern antwortet Anton K.: "Es ist Ihnen gewiss nicht entgangen, dass Sie ein Namensvetter der Hauptfigur in Kafkas Romanfragmenten sind." Worauf der Diplomat auch noch eine mehrere Seiten lange Erörterung des tatsächlich klassisch kafkaesken Organisationsprinzips seiner Tätigkeit folgen lässt, die er in der Bemerkung gipfeln lässt: "Die selbstgenügsame Herrlichkeit unseres Treibens ist ein lebendiges Abbild des unerkennbaren, ewigen Gesetzes, wie es dem Dichter vorgeschwebt haben mag." Ein Bürokrat, der Kafkas Bürokratievision als Ansporn empfindet - bösartiger als Krenek hat wohl kaum jemand über Politik gespottet.
Bei der englischen Übersetzung seiner Novelle, die der Autor, nunmehr amerikanischer Staatsbürger, 1955 in einer Zeitschrift unterbrachte, entfiel just die ganze Passage zu Kafka - offenbar traute Krenek dem Publikum seines neuen Heimatlandes keine entsprechende Literaturkenntnis zu. Dafür spricht auch, dass die deutsche Erstveröffentlichung im Rahmen eines Sammelbands mit literarischen Arbeiten Kreneks 1965 das Kafka-Gespräch wieder enthielt. Wirkung erzielte die Novelle aber nicht. Die nun vorliegende Neuausgabe ist die erste.
Sie bietet gleich beide Fassungen: die deutsche und die englische. Das ist philologisch reizvoll und erhöht die Chance auf breitere Wahrnehmung, die dem Buch schon deshalb zu wünschen ist, weil es bei der verdienten Edition Memoria erscheint, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, an im Nationalsozialismus verfemte und dadurch vergessene Künstler zu erinnern. Nun ist Krenek heute weitaus präsenter als die meisten anderen Autoren im Verlagsprogramm, aber das liegt an seiner Musik. Wie geschickt er auch einen Text zu komponieren verstand, das beweist "Die drei Mäntel des Anton K." eindrucksvoll. Der Titel verdankt sich übrigens einem phantastischen Element der Novelle, das die Freude an deren Lektüre noch erhöht und den Leser am Ende ähnlich produktiv ratlos zurücklässt, wie sich wohl auch Ernst Krenek im Jahr 1938 gefühlt haben wird.
ANDREAS PLATTHAUS
Ernst Krenek: "Die drei Mäntel des Anton K. / The Three Overcoats of Anton K". Novelle.
Zweisprachige Ausgabe, hrsg. von Matthias Henke. Edition Memoria, Hürth 2020. 144 S., Abb., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wiederentdeckt: Ernst Krenek als Schriftsteller
Ernst Krenek ist nicht als Schriftsteller bekannt, sondern als Komponist. Seine 1927 in Leipzig uraufgeführte Oper "Jonny spielt auf" machte Furore durch die Einbeziehung von Jazz-Elementen und erzeugte Furor bei konservativen Kulturwächtern, die dem 1900 geborenen Wiener Komponisten Ausverkauf der europäischen Musiktradition vorwarfen. Konsequent galt er fortan den Nationalsozialisten als Kulturbolschewist und verlor 1933 das von ihnen fortan beherrschte Deutschland als Aufführungsort seiner Kompositionen. Als 1934 die Premiere von Kreneks Historienoper "Karl V." anstand, blies die Wiener Staatsoper die Sache ab, weil früher vereinbarte Kooperationen mit deutschen Häusern zu Übernahmen des Werks gegenstandslos geworden waren. Es erlebte schließlich 1938 in Prag seine Uraufführung, im Jahr vor dem dortigen deutschen Einmarsch. Krenek war nicht anwesend; das Risiko einer Reise in die schon damals vom Hitler-Regime bedrohte Tschechoslowakei empfand er als zu groß. Zwei Monate später wanderte er mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten aus, wo er sich bereits großer Popularität erfreute. Nach dem Krieg wurde er zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Musik.
Ein Leben wie ein Roman. Und tatsächlich hat Krenek daraus selbst auch eine Novelle gemacht: "Die drei Leben des Anton K.". Er schrieb sie im Frühjahr 1938, als er rastlos durch Europa reiste, um lange vereinbarte Konzertengagements noch zu erfüllen, während er gleichzeitig seine Emigration vorbereitete. Österreich gehörte seit März zum Deutschen Reich, und damit war Kreneks Reisepass ungültig geworden; eine Neuausstellung hätte nur in einem deutschen Konsulat erfolgen können, wovor er begreiflicherweise zurückscheute. Die resultierende Unsicherheit in den vielen fremden Ländern ist das Thema der Geschichte um Anton K., dessen Nachnamensinitial man gerne auf "Krenek" zurückführen kann.
Wohl mehr aber noch auf Kafka und dessen Figur des Josef K. aus dem "Proceß"-Roman. Nicht nur, dass Krenek dieses Buch schätzte; er lässt Kafka als Vorbild sogar in die Handlung der Novelle einfließen, als deren Protagonist sich bei einem Konsul um eine Reisemöglichkeit durch dessen Land bemüht, aber auf die unterschiedlichsten bürokratischen Hindernisse stößt: "Ich frage mich, Herr Konsul, ob Sie die Schriften Franz Kafkas kennen. Denn es scheint mir nachgerade, als sei ich in eine Maschinerie geraten, die mich nie mehr loslassen soll und die in beängstigender Weise an die Albträume jenes Autors erinnert." Der Konsul aber kennt Kafkas Bücher nicht nur, sondern antwortet Anton K.: "Es ist Ihnen gewiss nicht entgangen, dass Sie ein Namensvetter der Hauptfigur in Kafkas Romanfragmenten sind." Worauf der Diplomat auch noch eine mehrere Seiten lange Erörterung des tatsächlich klassisch kafkaesken Organisationsprinzips seiner Tätigkeit folgen lässt, die er in der Bemerkung gipfeln lässt: "Die selbstgenügsame Herrlichkeit unseres Treibens ist ein lebendiges Abbild des unerkennbaren, ewigen Gesetzes, wie es dem Dichter vorgeschwebt haben mag." Ein Bürokrat, der Kafkas Bürokratievision als Ansporn empfindet - bösartiger als Krenek hat wohl kaum jemand über Politik gespottet.
Bei der englischen Übersetzung seiner Novelle, die der Autor, nunmehr amerikanischer Staatsbürger, 1955 in einer Zeitschrift unterbrachte, entfiel just die ganze Passage zu Kafka - offenbar traute Krenek dem Publikum seines neuen Heimatlandes keine entsprechende Literaturkenntnis zu. Dafür spricht auch, dass die deutsche Erstveröffentlichung im Rahmen eines Sammelbands mit literarischen Arbeiten Kreneks 1965 das Kafka-Gespräch wieder enthielt. Wirkung erzielte die Novelle aber nicht. Die nun vorliegende Neuausgabe ist die erste.
Sie bietet gleich beide Fassungen: die deutsche und die englische. Das ist philologisch reizvoll und erhöht die Chance auf breitere Wahrnehmung, die dem Buch schon deshalb zu wünschen ist, weil es bei der verdienten Edition Memoria erscheint, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, an im Nationalsozialismus verfemte und dadurch vergessene Künstler zu erinnern. Nun ist Krenek heute weitaus präsenter als die meisten anderen Autoren im Verlagsprogramm, aber das liegt an seiner Musik. Wie geschickt er auch einen Text zu komponieren verstand, das beweist "Die drei Mäntel des Anton K." eindrucksvoll. Der Titel verdankt sich übrigens einem phantastischen Element der Novelle, das die Freude an deren Lektüre noch erhöht und den Leser am Ende ähnlich produktiv ratlos zurücklässt, wie sich wohl auch Ernst Krenek im Jahr 1938 gefühlt haben wird.
ANDREAS PLATTHAUS
Ernst Krenek: "Die drei Mäntel des Anton K. / The Three Overcoats of Anton K". Novelle.
Zweisprachige Ausgabe, hrsg. von Matthias Henke. Edition Memoria, Hürth 2020. 144 S., Abb., br., 24,- [Euro].
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