Frankfurter Allgemeine ZeitungIn der Muskelmädchenzone
Hartgesotten: Eine Anthologie japanischer Populärliteratur
Stephan Köhn widmet sich mit seiner Anthologie der in den Westen wenig importierten, aber in Japan vielgelesenen und -rezipierten Unterhaltungs-, Historien-, Science-fiction- und Kriminalliteratur, die einen integralen Bestandteil der Literaturlandschaft der Nachkriegszeit bilden. Die hier versammelten Beiträge entstammen der Reihe "Moderne Erzählungen", die seit 1971 vom Verband Japanischer Schriftsteller als Querschnitt aus zwanzig Literaturmagazinen herausgegeben wird.
Die Palette der im guten Wortsinn "populären" Autoren reicht von Klassikern wie dem Begründer der japanischen Short-Short-Novel, Hoshi Shin'ichi, bis hin zu Morioka Hiroyuki, dessen Science-fiction-Sagas auch als Anime-Verfilmungen und Computerspiele erfolgreich sind. Die Texte der Anthologie kreisen laut Herausgeber um die Themen "Einsamkeit, Liebe und Sexualität junger Frauen", schlecht gekittete zwischenmenschliche Beziehungen oder im Laufe eines Ehelebens auseinandergelaufene Wellenlängen.
In verschiedenen Variationen geht Japans Belletristik auf aktuelle gesellschaftliche Probleme ein. So hat sich Takamura Kaoru auf Langerzählungen mit Terroristenthematik spezialisiert. In der Erzählung "Angestellte im Greisenalter" von Yamamura Misa, der "japanischen Agatha Christie", werden die überalterte Gesellschaft und deren Lösungsansätze in einer tragikomischen Geschichte um geschäftliche Intrigen, nachlassendes Erinnerungsvermögen und Identitätsverlust karikiert. Das ebenfalls keineswegs japanspezifische Thema des ijime, die Hänselei durch Mitschüler und mögliche Reaktionen darauf beschreibt die zeichentrickartige Erzählung "Kullerauges Rachefeldzug - gnadenlos und unerbittlich" von Otsuki Kenji, der auch die Rockgruppe "Die Muskelmädchenzone" gründete.
Wie Otsuki Kenji sind viele Autoren Quereinsteiger aus der Unterhaltungsbranche, Mangazeichner, Schauspieler oder Schlagertexter und bringen die bisherigen Berufserfahrungen in ihre Bücher ein. Auch Kuroi Senji, der von der Schwerindustrie zur Schriftstellerei wechselte, brachte von dort einschlägige Erfahrungen mit, die er in eingängigen Erzählungen über Entmenschlichung, Ausweglosigkeit und Mechanisierung verarbeitete. So symbolisiert die Traumwelten und Klangcollagen verwebende Geschichte über "Eine Tür im Haus" verdrängte Wünsche und Ausflüchte, durch die man aus postmoderner Bedrängnis zu "irgendeinem weiten, blauen, transparenten Ort" gelangen kann.
STEFFEN GNAM
Stephan Köhn (Hrsg.): "Die drei Metamorphosen der Tsuruko". Moderne Unterhaltungsliteratur aus Japan. Iudicium Verlag, München 2002. 217 S., br., 22,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hartgesotten: Eine Anthologie japanischer Populärliteratur
Stephan Köhn widmet sich mit seiner Anthologie der in den Westen wenig importierten, aber in Japan vielgelesenen und -rezipierten Unterhaltungs-, Historien-, Science-fiction- und Kriminalliteratur, die einen integralen Bestandteil der Literaturlandschaft der Nachkriegszeit bilden. Die hier versammelten Beiträge entstammen der Reihe "Moderne Erzählungen", die seit 1971 vom Verband Japanischer Schriftsteller als Querschnitt aus zwanzig Literaturmagazinen herausgegeben wird.
Die Palette der im guten Wortsinn "populären" Autoren reicht von Klassikern wie dem Begründer der japanischen Short-Short-Novel, Hoshi Shin'ichi, bis hin zu Morioka Hiroyuki, dessen Science-fiction-Sagas auch als Anime-Verfilmungen und Computerspiele erfolgreich sind. Die Texte der Anthologie kreisen laut Herausgeber um die Themen "Einsamkeit, Liebe und Sexualität junger Frauen", schlecht gekittete zwischenmenschliche Beziehungen oder im Laufe eines Ehelebens auseinandergelaufene Wellenlängen.
In verschiedenen Variationen geht Japans Belletristik auf aktuelle gesellschaftliche Probleme ein. So hat sich Takamura Kaoru auf Langerzählungen mit Terroristenthematik spezialisiert. In der Erzählung "Angestellte im Greisenalter" von Yamamura Misa, der "japanischen Agatha Christie", werden die überalterte Gesellschaft und deren Lösungsansätze in einer tragikomischen Geschichte um geschäftliche Intrigen, nachlassendes Erinnerungsvermögen und Identitätsverlust karikiert. Das ebenfalls keineswegs japanspezifische Thema des ijime, die Hänselei durch Mitschüler und mögliche Reaktionen darauf beschreibt die zeichentrickartige Erzählung "Kullerauges Rachefeldzug - gnadenlos und unerbittlich" von Otsuki Kenji, der auch die Rockgruppe "Die Muskelmädchenzone" gründete.
Wie Otsuki Kenji sind viele Autoren Quereinsteiger aus der Unterhaltungsbranche, Mangazeichner, Schauspieler oder Schlagertexter und bringen die bisherigen Berufserfahrungen in ihre Bücher ein. Auch Kuroi Senji, der von der Schwerindustrie zur Schriftstellerei wechselte, brachte von dort einschlägige Erfahrungen mit, die er in eingängigen Erzählungen über Entmenschlichung, Ausweglosigkeit und Mechanisierung verarbeitete. So symbolisiert die Traumwelten und Klangcollagen verwebende Geschichte über "Eine Tür im Haus" verdrängte Wünsche und Ausflüchte, durch die man aus postmoderner Bedrängnis zu "irgendeinem weiten, blauen, transparenten Ort" gelangen kann.
STEFFEN GNAM
Stephan Köhn (Hrsg.): "Die drei Metamorphosen der Tsuruko". Moderne Unterhaltungsliteratur aus Japan. Iudicium Verlag, München 2002. 217 S., br., 22,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein spannende Ergänzung zu all dem, was derzeit an japanischer Literatur auf den Markt kommt, ist diese Sammlung japanischer Populärliteratur, die "in Japan viel gelesene und rezipierte Unterhaltungs-, Historien-, Science-fiction und Kriminalliteratur" für deutsche Leser dokumentiert. Populär seien die versammelten Autoren nach Meinung des Rezensenten Steffen Gnam "im guten Sinne", und sie böten nebenbei einen anderen Blick auf "aktuelle gesellschaftliche Probleme" - ob es nun die Überalterung der Gesellschaft oder soziale Probleme in der Schule sind. Die hier vorgestellten Schriftsteller sind oft Quereinsteiger aus anderen Berufszweigen der Unterhaltungsbranche, Mangazeichner ebenso wie Schlagertexter, und dem entsprechend breit gefächert sind die Themen, die sie in ihre Texte einbringen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH