Produktdetails
- Verlag: Rheinland-Verlagsges.
- Seitenzahl: 320
- Deutsch
- Abmessung: 285mm
- Gewicht: 1318g
- ISBN-13: 9783792714515
- Artikelnr.: 45994338
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1999Alle Lektüren führten nach Rom
Die Mönche von St. Vitus in Gladbach lasen nur lateinische Bücher
Im September 1801 verfasste Constantin von Schoenebeck, der zweite Bibliothekar der Kölner Zentralschule, eine Liste der wertvollsten Manuskripte und Drucke des Klosters Sankt Vitus in Gladbach. Er handelte nicht etwa im Auftrag des Klosters, sondern als "commaissaire spécial", der für den Präfekten des Roederpartements die wertvollsten Bücher verzeichnen sollte. Sie sollten in die geplante Bibliothek des Departements in Köln eingehen, die jedoch nie eingerichtet wurde. Trotzdem wurden die Zimelien dorthin verschickt.
Knapp zehn Jahre zuvor war schon einmal eine Bücherliste in aller Eile niedergeschrieben worden, von dem Gladbacher Mönch Augustinus Raves. Sie umfasst jedoch nur zwei Drucke und zwanzig Handschriften. Möglicherweise entstand sie am 11. Dezember 1792, als wertvolle Bücher und Kunstgegenstände der Abtei beim Herannahen der Franzosen vergraben wurden. Als man die Gefahr gebannt glaubte, brachte man die Schätze vermutlich wieder in die Bibliothek - doch zu früh: Am 4. Januar 1795 beschlagnahmten die Kommissare Véron und Gancel im Auftrag des französischen Volksrepräsentanten in Aachen, Frjcine, die wertvollsten Bücher. Auch sie haben eine Liste hinterlassen, die fünfundzwanzig Werke umfasst. Mit der Säkularisation 1802 war das Schicksal der Klosterbibliothek besiegelt. Über dreitausend Bände - auch diese säuberlichst erfasst - wurden verkauft, versteigert oder makuliert.
Es mag paradox erscheinen, dass gerade diese Zeugnisse der Zerstörung heute der Rekonstruktion der Gladbacher Bibliothek dienen. Der dreibändige Katalog will als Zwischenbilanz verstanden werden. Denn die Untersuchung der Bücher, die weltweit versteuert sind, ist noch nicht abgeschlossen. Viele Fragen über den Aufbau der Bibliothek und über die Beweggründe für den Erwerb bestimmter Bände sind noch ungeklärt. Dass sämtliche bekannten Bücher bis auf eines in Latein geschrieben und gedruckt sind, gibt ebenso Rätsel auf wie der Mangel an Schriften der Kirchenväter. Außergewöhnlich war der Besitz einer heute verschollenen "Biblia Hebraica", die um 990 geschrieben worden sein soll. Außerdem besaß die Abtei eine Handschrift des frühen dreizehnten Jahrhunderts mit jüdischer liturgischer Dichtung, von der sich zwei Fragmente erhalten haben. Gab es etwa eine Zeit in Gladbach, in der die jüdische Religion und die hebräische Sprache studiert wurden? Die Beantwortung solcher Fragen gleicht einem Puzzlespiel. Doch ohne die Erforschung jedes noch so unscheinbaren Details bleibt die Geistesgeschichte des Klosters im Dunkeln.
Die frühesten Nachrichten über Sankt Vitus, das Erzbischof Gero von Köln 974 gründete, verdanken sich der um 1090 verfassten Gründungsgeschichte - eine Abschrift von 1120 wird in Brüssel verwahrt. Über die Bücher schweigt jedoch das Manuskript. Dass die junge Gemeinschaft zumindest Bücher für die Liturgie besaß, liegt auf der Hand. Im täglichen Gebrauch wurden sie wohl verschlissen und immer wieder durch neue Abschriften ersetzt. Von den ältesten aus Gladbach erhaltenen Handschriften, die noch vor der Klostergründung geschrieben wurden, ist ungewiss, wann sie dorthin gelangten. Erst ab 1120 klärt sich das Bild. Ein Skriptorium und ein Maleratelier werden greifbar. Namentlich bekannte Mönche lassen sich als Schreiber der Codices darstellen, wie in der Initiale der "Historia Hierosolymitana" von Albertus Aquensis: Conradus und Godefridus flankieren einen Clipeus mit dem Brustbild des heiligen Vitus, der den beiden Schreibern die noch leeren Schriftrollen austeilt. Kurz danach entsteht das mit fünf Majestas- und Evangelienbildern prächtig illuminierte Evangeliar, das heute in Darmstadt aufbewahrt wird.
Im späten Mittelalter war Gladbach, wie auch andere Klöster, vom geistigen und wirtschaftlichen Verfall gezeichnet. Nachrichten über die Bibliothek fließen nur noch spärlich. Erst mehr als zweihundert Jahre später kam es zu einer neuen Blüte. Der Beitritt zur "Bursfelder Kongregation" 1510 konsolidierte das Kloster. Die Bibliothek wuchs, nicht zuletzt durch Schenkungen und Nachlässe. Seitdem galt sie als bedeutend. Als 1718 die Mauriner Benediktinermönche Martène und Durand Sankt Vitus besuchten, notierten sie: "Après nous vimes la bibliothèque, qui dans le pays doit passer pour excellente." Dreißig Jahre später bestätigen ihre Einschätzung zwei weitere Benediktinermönche, die nicht nur den Bücherschatz bestaunten, sondern auch die hellen Bibliotheksräume und ihre zweckmäßige Ausstattung: "Ejus Bibliotheca suam meretur laudem." Der Ruhm sollte ihr zum Verhängnis werden.
BETTINA ERCHE
"Der Bücherbesitz des Klosters Sankt Vitus in Gladbach". Von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters (974 bis 1802). Im Auftrag der Reiners-Stiftung, Mönchengladbach, hrsg. von Raymund Kottje und Ernst Manfred Wermter. Rheinland-Verlag, Köln 1998. Band 1.1 und 1.2: Die Handschrift von Sankt Vitus. Textband und Abbildungsband. XXXIX, 223 und 315 S., mit 391 Farb- und S-/w-Abb., zus. 165,- DM. Band 2: Die Drucke von Sankt Vitus. 384 S., 54 Abb., 98,- DM. Alle Bände gebunden, Gesamtpreis im Schuber 198,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Mönche von St. Vitus in Gladbach lasen nur lateinische Bücher
Im September 1801 verfasste Constantin von Schoenebeck, der zweite Bibliothekar der Kölner Zentralschule, eine Liste der wertvollsten Manuskripte und Drucke des Klosters Sankt Vitus in Gladbach. Er handelte nicht etwa im Auftrag des Klosters, sondern als "commaissaire spécial", der für den Präfekten des Roederpartements die wertvollsten Bücher verzeichnen sollte. Sie sollten in die geplante Bibliothek des Departements in Köln eingehen, die jedoch nie eingerichtet wurde. Trotzdem wurden die Zimelien dorthin verschickt.
Knapp zehn Jahre zuvor war schon einmal eine Bücherliste in aller Eile niedergeschrieben worden, von dem Gladbacher Mönch Augustinus Raves. Sie umfasst jedoch nur zwei Drucke und zwanzig Handschriften. Möglicherweise entstand sie am 11. Dezember 1792, als wertvolle Bücher und Kunstgegenstände der Abtei beim Herannahen der Franzosen vergraben wurden. Als man die Gefahr gebannt glaubte, brachte man die Schätze vermutlich wieder in die Bibliothek - doch zu früh: Am 4. Januar 1795 beschlagnahmten die Kommissare Véron und Gancel im Auftrag des französischen Volksrepräsentanten in Aachen, Frjcine, die wertvollsten Bücher. Auch sie haben eine Liste hinterlassen, die fünfundzwanzig Werke umfasst. Mit der Säkularisation 1802 war das Schicksal der Klosterbibliothek besiegelt. Über dreitausend Bände - auch diese säuberlichst erfasst - wurden verkauft, versteigert oder makuliert.
Es mag paradox erscheinen, dass gerade diese Zeugnisse der Zerstörung heute der Rekonstruktion der Gladbacher Bibliothek dienen. Der dreibändige Katalog will als Zwischenbilanz verstanden werden. Denn die Untersuchung der Bücher, die weltweit versteuert sind, ist noch nicht abgeschlossen. Viele Fragen über den Aufbau der Bibliothek und über die Beweggründe für den Erwerb bestimmter Bände sind noch ungeklärt. Dass sämtliche bekannten Bücher bis auf eines in Latein geschrieben und gedruckt sind, gibt ebenso Rätsel auf wie der Mangel an Schriften der Kirchenväter. Außergewöhnlich war der Besitz einer heute verschollenen "Biblia Hebraica", die um 990 geschrieben worden sein soll. Außerdem besaß die Abtei eine Handschrift des frühen dreizehnten Jahrhunderts mit jüdischer liturgischer Dichtung, von der sich zwei Fragmente erhalten haben. Gab es etwa eine Zeit in Gladbach, in der die jüdische Religion und die hebräische Sprache studiert wurden? Die Beantwortung solcher Fragen gleicht einem Puzzlespiel. Doch ohne die Erforschung jedes noch so unscheinbaren Details bleibt die Geistesgeschichte des Klosters im Dunkeln.
Die frühesten Nachrichten über Sankt Vitus, das Erzbischof Gero von Köln 974 gründete, verdanken sich der um 1090 verfassten Gründungsgeschichte - eine Abschrift von 1120 wird in Brüssel verwahrt. Über die Bücher schweigt jedoch das Manuskript. Dass die junge Gemeinschaft zumindest Bücher für die Liturgie besaß, liegt auf der Hand. Im täglichen Gebrauch wurden sie wohl verschlissen und immer wieder durch neue Abschriften ersetzt. Von den ältesten aus Gladbach erhaltenen Handschriften, die noch vor der Klostergründung geschrieben wurden, ist ungewiss, wann sie dorthin gelangten. Erst ab 1120 klärt sich das Bild. Ein Skriptorium und ein Maleratelier werden greifbar. Namentlich bekannte Mönche lassen sich als Schreiber der Codices darstellen, wie in der Initiale der "Historia Hierosolymitana" von Albertus Aquensis: Conradus und Godefridus flankieren einen Clipeus mit dem Brustbild des heiligen Vitus, der den beiden Schreibern die noch leeren Schriftrollen austeilt. Kurz danach entsteht das mit fünf Majestas- und Evangelienbildern prächtig illuminierte Evangeliar, das heute in Darmstadt aufbewahrt wird.
Im späten Mittelalter war Gladbach, wie auch andere Klöster, vom geistigen und wirtschaftlichen Verfall gezeichnet. Nachrichten über die Bibliothek fließen nur noch spärlich. Erst mehr als zweihundert Jahre später kam es zu einer neuen Blüte. Der Beitritt zur "Bursfelder Kongregation" 1510 konsolidierte das Kloster. Die Bibliothek wuchs, nicht zuletzt durch Schenkungen und Nachlässe. Seitdem galt sie als bedeutend. Als 1718 die Mauriner Benediktinermönche Martène und Durand Sankt Vitus besuchten, notierten sie: "Après nous vimes la bibliothèque, qui dans le pays doit passer pour excellente." Dreißig Jahre später bestätigen ihre Einschätzung zwei weitere Benediktinermönche, die nicht nur den Bücherschatz bestaunten, sondern auch die hellen Bibliotheksräume und ihre zweckmäßige Ausstattung: "Ejus Bibliotheca suam meretur laudem." Der Ruhm sollte ihr zum Verhängnis werden.
BETTINA ERCHE
"Der Bücherbesitz des Klosters Sankt Vitus in Gladbach". Von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters (974 bis 1802). Im Auftrag der Reiners-Stiftung, Mönchengladbach, hrsg. von Raymund Kottje und Ernst Manfred Wermter. Rheinland-Verlag, Köln 1998. Band 1.1 und 1.2: Die Handschrift von Sankt Vitus. Textband und Abbildungsband. XXXIX, 223 und 315 S., mit 391 Farb- und S-/w-Abb., zus. 165,- DM. Band 2: Die Drucke von Sankt Vitus. 384 S., 54 Abb., 98,- DM. Alle Bände gebunden, Gesamtpreis im Schuber 198,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main