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Große Literatur, die von allem erzählt, was das Leben ausmacht: von Draufgängertum und Verletzlichkeit, von Sehnsucht und Kompromisslosigkeit und von der Liebe ...
Ache Middler, ein Rockmusiker in seinen Sechzigern, lebt zurückgezogen in Berlin, als ihn der Brief einer sterbenden Frau erreicht. Jahre zuvor haben sie zusammen eine Nacht verbracht. Jetzt bittet sie ihn, ihrer gemeinsamen Tochter seine Geschichte zu erzählen. Ache blickt zurück: auf die Kindheit in Delaware und die trinkende Mutter, auf den Aufstieg im glamourös abgerissenen New York der 1970er, auf die ewigen Geldsorgen - und…mehr

Produktbeschreibung
Große Literatur, die von allem erzählt, was das Leben ausmacht: von Draufgängertum und Verletzlichkeit, von Sehnsucht und Kompromisslosigkeit und von der Liebe ...

Ache Middler, ein Rockmusiker in seinen Sechzigern, lebt zurückgezogen in Berlin, als ihn der Brief einer sterbenden Frau erreicht. Jahre zuvor haben sie zusammen eine Nacht verbracht. Jetzt bittet sie ihn, ihrer gemeinsamen Tochter seine Geschichte zu erzählen. Ache blickt zurück: auf die Kindheit in Delaware und die trinkende Mutter, auf den Aufstieg im glamourös abgerissenen New York der 1970er, auf die ewigen Geldsorgen - und auf die drei Frauen, die ihn geprägt haben. Über Jahrzehnte verfolgt "Die dünnen Götter" die Gegensätze eines Lebens: zwischen draufgängerischer Maskulinität und Verletzlichkeit, zwischen Unabhängigkeit und Liebe. Ein Roman, der im Rausch des Undergrounds pulsiert, elektrisierend und lässig melancholisch zugleich.
Autorenporträt
Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechisch-österreichischer Herkunft. Bei Hanser erschienen Das Maß eines Fußes (Essays, 2008), Der letzte Grieche (Roman, 2011), Die halbe Sonne (Prosa, 2013), Mary (Roman, 2016), Wasser, Gänsehaut (Essay über den Roman, 2017) und Nelly B.s Herz (Roman, 2020). 2010 hat Fioretos die erste kommentierte Werkausgabe von Nelly Sachs sowie eine Bildbiographie über die Autorin veröffentlicht. Für seine Übersetzungen - er übertrug u.a. Paul Auster, Vladimir Nabokov und Jan Wagner ins Schwedische - wie für sein eigenes Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, darunter 2011 den Literaturpreis der SWR Bestenliste, den Kellgren-Preis der Schwedischen Akademie und 2013 den Großen Preis des Samfundet De Nio sowie 2016 für Mary den Romanpreis des Schwedischen Rundfunks und 2017 den Jeanette-Schocken-Preis der Stadt Bremerhaven. 2020 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Er schreibt regelmäßig im Feuilleton der größten schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter. Seit 2010 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt; seit 2022 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Im Frühjahr 2024 hält er die Poetikvorlesungen in Frankfurt am Main. Aris Fioretos lebt in Berlin und Stockholm.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Auf dem Olymp der Spargelbeinigen

Ein Künstlerroman, der sein Personal nicht in höheren Sphären, sondern in billigen Absteigen findet: Aris Fioretos besichtigt "Die dünnen Götter".

Von Hubert Spiegel

An dünnen alten Männern herrscht in der Geschichte der Rockmusik wahrlich kein Mangel. Iggy Pop, Alice Cooper und allen voran natürlich Mick Jagger als Zeus im Olymp der Spargelbeinigen - sie alle könnten die Titelhelden des Romans abgeben, den Aris Fioretos jetzt den Heroen der Rockmusik gewidmet hat. Denn "Die dünnen Götter", wie sein Titel lautet, ist ein Künstlerroman, der nicht in den Sphären der Literatur, sondern in Garagen, Studios, Clubs und billigen Absteigen angesiedelt ist. Also überall dort, wo man musikbegeisterte Teenager und mehr oder weniger talentierte Bands auf ihrem sehr aufhaltsamen Weg nach oben antreffen kann. Sex, Drugs and Rock 'n' Roll, die unvergängliche Zauberformel und immer noch bündigste Biographie aller Rockmusiker, wummern bei Fioretos zwar leise im Hintergrund mit, geben aber keinesfalls den Ton an. Das wäre zu schlicht. Denn der Ich-Erzähler des Romans hat ganz andere Ziele im Sinn: Ihm geht es um Transzendenz und Spiritualität, um Geniekult und die Unio mystica mit dem Universum, um Bewusstseinserweiterung mittels kometengleich durch Gehörgänge zischender Riffs, um Musik, die aus dem Himmel kommt, um wieder in den Himmel aufzusteigen.

Ache Middle, eigentlich Tim Middler, um 1950 geboren, Sohn einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters, dessen Familie aus der Ukraine stammt, ist ein Schmerzensmann, wie sein Künstlername zeigt, ein einzelgängerischer Sinnsucher, der in seiner Kindheit in Delaware von der Bande seines robusteren Zwillingsbruders schikaniert wird und sich immer wieder in seine Traumwelt zurückzieht. Trost findet er nur bei seiner kettenrauchenden ukrainischen Großmutter und dem treuen Hund Buck, der allerdings nur in seiner Einbildung existiert und an dessen Seite er bei einer von einem Roman Jack Londons inspirierten Exkursion durch den verschneiten Stadtpark beinahe erfriert. Zunächst sind Buck und Londons "Ruf der Wildnis" die wichtigste literarische Bezugsgröße für Tim, später offenbaren eine Biographie von Arthur Rimbaud und das lyrische Werk des rebellischen Dichters ein anderes, wesentlich wichtigeres Identifikationspotential.

Auf dem College findet Tim in Raff eine verwandte, wenngleich radikalere Seele. Beide hungern nach Intensität und wollen wie ihr Vorbild Rimbaud zu "heiligen Monstern" werden, die in ihren Rauschzuständen "in Feuer aufgehen". Zunächst versuchen die Freunde sich als Lyriker, bevor die Musik die Oberhand gewinnt, die erste Band entsteht, sich nach vielen Mühen langsam der Erfolg einstellt und Tim Middler zu Ache Middle wird.

Als Kind wie als Jugendlicher suchte Ache Middle Grenzerfahrungen, wobei er auf Alkohol und Drogen, von einem intensiv geschilderten LSD-Trip abgesehen, weitgehend verzichtete. Erst die Musik ließ ihn erkennen, wo der Sinnhammer hängt. Der Kauf einer bestimmten Schallplatte wird zum Erweckungserlebnis. Etwa hundert Seiten später wird beiläufig der Name der Band eingestreut: "The 13th Floor Elevators". Von ihnen lernt der Teenager, dass Musikmachen auch etwas mit Handwerk zu tun hat, dass nicht nur Dichter, sondern auch Musiker Rimbauds Traum von einer "neuen Unschuld" nachhängen können und dass der einzige Sinn von Kunst darin liege, die "brennende Klarheit zu erreichen, die perfekte Vernunft, die in einer besseren Dimension herrsche". Nun weiß Tim, was ihm bestimmt ist: Er will ein "Techniker der Bewusstseinserweiterung" werden. Aber er wird lediglich berühmt.

Der Leser erfährt all dies aus Ache Middles eigener Perspektive, denn "Dünne Götter" ist, von den ersten einführenden und den letzten, in ein überraschendes Finale mündenden hundert Seiten abgesehen, die fiktive Autobiographie eines Rockstars, verfasst in Form eines ausufernden Rechenschaftsberichts für die eigene Tochter, von deren Existenz er erst erfährt, als das Kind knapp elf Jahre alt ist und die todkranke Mutter ihrem Ex-Geliebten per Brief den Auftrag erteilt, dem Mädchen zu erklären, wer ihr Vater ist. Flugs begibt der Rockstar, mittlerweile Mitte sechzig und zurückgezogen in Berlin lebend, sich ans Werk, blickt zurück auf sein Leben als Egomane mit gelegentlichen Anwandlungen von Selbstzweifeln, Verantwortungsbewusstsein und Schuldgefühlen und schreibt erbarmungslos mehr als fünfhundert Seiten über sich, seine Kindheit und Jugend, seine Freunde, seinen musikalischen Weg nach oben, über Bandstreitigkeiten, Rivalitäten unter Alphatieren auf der Bühne und die verschiedenen Frauen in seinem Leben. Dem armen Töchterlein bleibt nichts erspart.

Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, hat mit "Der letzte Grieche" oder "Die halbe Sonne" hervorragende Bücher geschrieben und erweist sich auch in "Dünne Götter" als guter Erzähler und glänzender Stilist. Aber er lässt sich davontragen in dem Ehrgeiz, musikalische Erlebnisse und die mit ihnen verbundenen Emotionen in Worte zu kleiden. Es beginnt mit der als Arkanwissenschaft betriebenen Plattencover-Exegese und mündet zwangsläufig in die expressive, metapherntrunkene Beschreibung der eigenen Musik: Da werden Harmonien gewebt, zitternd wie Blitzableiter, die Fender klingt, als wolle sie Löcher in den Himmel schlagen, Akkorde werden in frostiges Laub verwandelt, und wenn es ganz schlimm kommt, "erblühte die Gitarre in Spiralen aus Kohlensäure".

Ache Middle sucht Erleuchtung durch Introspektion, die aus der Musik kommt, zur Musik führt und sich durch Musik ausdrückt. Arios Fioretos folgt seinem dünnen Helden und seinen Kumpanen - bis in den letzten Winkel und bis zum letzten Akkord. Für Leser mit weniger ausgeprägtem Sendungsbewusstsein ist das nicht immer eine packende Lektüre. Vermutlich hat der eine oder andere reale Rockstar Fioretos als Inspiration für seinen brüchigen Helden gedient. Welche das sein könnten? Da ist der Literaturkritiker leider überfragt.

Aris Fioretos: "Die dünnen Götter". Roman.

Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Hanser Verlag, München 2024.

567 S., geb., 34,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Faszinierend und lebensprall findet Rezensent Franz Haas den neuen Roman von Aris Fioretos, der hier die nur wenig verklausulierte Geschichte der Band Television und ihres Frontmannes Tom Verlaine erzählt, von den Anfängen bis zu den Abgründen. Wie der Autor Glanz und Elend dieses Rockstarlebens erfasst und literarisiert, scheint Haas unterhaltsam, bisweilen "grandios düster", wenngleich auch nicht überfordernd. Manchmal verfällt Fioretos in den "Jargon eines Turbo-Musikkritikers", das sind die weniger lesbaren Passagen, meint Haas.

© Perlentaucher Medien GmbH