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Produktdetails
  • Verlag: Grupello
  • Seitenzahl: 101
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 162g
  • ISBN-13: 9783899780437
  • ISBN-10: 3899780434
  • Artikelnr.: 14595710
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2006

Spiel’ mir das Lied vom Tod
Zwischen Matratzengruft und Makulatur: Neue und nicht ganz so neue Bücher zum Heine-Jahr
Wenn ein angesehener Philologe wie Joseph A. Kruse, der Direktor des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Instituts, seinen Lesern versichert, es gäbe „Bildbeweise” dafür, dass Marilyn Monroe ihren Heine „auch tatsächlich las”, dann wollen wir ihm das glauben. Alle Zweifel, wonach der Fotograf auch einen trivialen Schmöker in einen fremden Buchumschlag hätte packen können, stellen wir da zurück: Denn zu schön ist die Aufnahme, auf der die Monroe zu sehen ist, wie sie, halb ausgestreckt auf einem Schlafsofa in nachdenklicher Haltung und mit verträumter Miene in die Lektüre einer amerikanischen Heine-Ausgabe vertieft ist, obgleich der Abstand zwischen ihren Augen und dem geöffneten Buch dafür eigentlich etwas zu groß ist.
Als Dokument zu Heines Wirkungsgeschichte ist das Foto in einem in der Kompaktreihe „BasisBiographien” des Suhrkamp Verlags erschienenen Bändchen enthalten. Es gibt auch Auskünfte über Gedächtnisfeiern und Gedenkjahre, ohne die, wie Kruse schreibt, „die Wogen der Rezeptionsgeschichte offenbar gerade in der jüngsten Vergangenheit überhaupt nicht mehr zu steuern sind”. Fragt sich nur, wer hier wen wohin steuert: Nicht annähernd so glaubwürdig und dezent wie die Haltung, die die Monroe gegenüber Heine einnahm, ist die Papierwut eines sich immer fieberhafter von runden Geburtsjahren zu runden Todesjahren fressenden Buchmarkts - von Adorno zu Schiller und Thomas Mann, von Mozart zu Heine, von Sigmund Freud zu Hannah Arendt und so fort.
Alles, alles wird zu Ende geführt
An der „Umschlaggeschwindigkeit” - wie der Branchenbegriff für die stetig kürzer werdenden Wege von der Druckerpresse zur Makulatur heißt - der großen Masse der Bücher von und über Heine gemessen, war dem Dichter auf dem Buchmarkt ohnehin nur eine Halbwertszeit von neun Jahren beschieden, seit dem letzten Heine-Jahr von 1997, als man den 200. Geburtstag feierte. Im Vergleich zu anderen großen Editionsprojekten war es damals ein kleines Wunder, dass die Düsseldorfer Kritische Gesamtausgabe seiner Werke nach nur 33 Jahren Querelen erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Ihr Herausgeber Manfred Windfuhr gedenkt dieser Tat mit einem Erfahrungsbericht und erinnert an eine Heinesche Prophezeiung aus dem Jahr 1832, die nur in ihrem zweiten Teil ganz in Erfüllung ging: „Ueber lang oder kurz wird in Deutschland die Revolution beginnen, sie ist da in der Idee, und die Deutschen haben nie eine Idee aufgegeben, nicht einmal eine Lesart; in diesem Land der Gründlichkeit wird Alles, und daure es noch solange, zu Ende geführt.”
In diesem Jahr steht zu befürchten, dass die Deutschen ihren Heine so lieb gewonnen haben, dass von seinem Stachel bald nichts mehr übrig bleiben wird. Die Bücher zum Heine-Jahr sind fast durchweg Biedermeier. Genau genommen ist das Heine-Jahr für die Verlage auch schon vorüber, denn sämtliche Neuerscheinungen wurden bereits im vergangenen Herbst ausgeliefert. Seitdem jeder Verlag vor dem anderen da sein will, kommen alle auf einmal, nur immer früher. Heines 150. Todestag steht bereits für das Verfallsdatum dieser Produktion. Danach wird Kasse gemacht und darf verramscht werden.
Man darf sich nur von den Klappentexten der Bücher nicht irre machen lassen: Wenn die verdienstvolle Biographie von Jan-Christoph Hauschild und Michael Werner beispielsweise mit dem Zitat aus einer deutschen Wochenzeitung „Die nützlichste Frucht dieses nützlichen Heine-Jahres” angepriesen wird, so ist damit nicht das Jahr 2006, sondern war das Jahr 1997 gemeint: Der Verlag hat das Buch als Lizenzausgabe nachgedruckt, doch um dies herauszufinden, müssen ahnungslose Leser das Kleingedruckte im Impressum studieren.
Merkwürdigerweise sieht die bei Propyläen tatsächlich neu erschienene Heine-Biographie der Berliner Journalistin Kerstin Decker dem Band von Hauschild und Werner nicht nur zum Verwechseln ähnlich - nur schweift Heines verträumter Blick vom gleichen Porträt auf dem einen Buch nach links, auf dem anderen nach rechts -, sondern ist mit dieser auch auf Euro und Cent preisidentisch. Dafür schlägt die Autorin einen kurzatmigen, ziemlich frechen Ton an, über den man sich anfangs freut: Hoppla, endlich lockert da jemand der Sprache das Korsett, so wie Heine es uns vormachte. Doch schon bald dümpelt der Erzählgestus der Autorin, die aus Heines Biographie einen Schelmenroman macht, allzu einsilbig vor sich hin.
Wo Dichter gefeiert werden, ist Jörg Aufenanger nicht weit: Bei Grabbes 200. Geburtstag war er dabei, gleich zwei Bücher schrieb er zum Schillerjahr, und Heine begleitet er nach Paris, in die „Hauptstadt der Liebe”. Auch wenn ihm dort nicht viel Neues einfällt, schreibt er als ein charmanter Parleur, der sich die geistige Erbauung reiferer Damen zur Aufgabe gemacht hat. Apropos Damen, die kommen - Mozart hat es vorgemacht - auch im Heine-Jahr nicht zu kurz: Die Germanistin Edda Ziegler reitet ein Steckenpferd aller Heine-Biographen, das große „M” im Leben und Werk des Dichters, „M wie Mutter, Mausel, Mére, Maman; M wie Molly... wie Mathilde... wie Mouche...”. Mit solchen M-Namen hatte Heine seit seiner unglücklichen Jugendliebe, die einer von ihm selbst poetisierten Legende zufolge der Urgrund auch aller künftigen Liebesleiden war, beinahe alle Frauen bedacht, die eine wichtige Rolle in seinem Leben oder in seinem Werk spielten. Am Ende hat er vielleicht sogar Marilyn Monroe erfunden. Edda Ziegler führt die ganze Galerie auf ein ödipales Mutterdrama zurück. Doch erfahren wir tatsächlich etwas über Heine und die tieferen Gründe seiner Traurigkeit, der wir doch die schönste Poesie verdanken, wenn der Befund über den Dichter lautet: „Frau und Sphinx verschmelzen zu einem Wesen, dessen Charakter rätselhaft bleibt”? Dann soll es doch, bitteschön, auch rätselhaft bleiben, Hauptsache erotisch.
Vielleicht hat Edda Ziegler aber auch nur die tieferen Gründe von Heines Humor, Ironie und Spottlust unterschätzt. Wäre es nicht auch denkbar, dass Heine das so deutsche „W” wie „Weh”, „Werther” oder„Wetzlar” vom schwermütigen Kopf auf zarte und mollige Füßchen stellen wollte - „M” wie „Mignon”, „Madeleine” oder „Marzipan”. Um der „Zudringlichkeit eines müßigen Publikums” zu begegnen, hatte Heine noch auf dem Sterbebett begonnen, seiner letzten großen Liebe, genannt „Mouche”, seine Memoiren als „das Märchen meines Lebens” zu diktieren. Mit hübschen Illustrationen von Volker Kriegel, der nun leider auch nicht mehr unter den Lebenden ist, hat der Eichborn Verlag dieses Kleinod herausgebracht. Wenn man es liest, möchte man alle Heine-Philologie für eine Weile vergessen und darüber hinaus zur schönsten aller Heine-Biographien greifen, die einem die Lust, Heine zu lesen, auch weder ersetzen noch vergällen will: Der deutsche Jude Ludwig Marcuse hat sie 1932, ein Jahr vor seiner Flucht, verfasst. In Marcuses Überarbeitung der Nachkriegszeit erschien die letzte Auflage 1980 im Diogenes Verlag. Sie ist noch immer lieferbar, und im Heine-Jahr hat der Verlag auch kein „aktualisiertes” Impressum vorgetäuscht. Dafür hält man ein Buch in der Hand, das auch ein haptisches Vergnügen bietet, anders als die meisten Produktionen unserer Tage.
Der Weg zur weißen Insel
Das einzige Buch dieser Saison, darin von Heine tatsächlich noch etwas nachglüht, stammt von dem deutsch-israelischen Literaturwissenschaftler Jakob Hessing, der es zeitgleich in seiner früheren und seiner neuen Heimat erscheinen ließ. Seine akribische Studie über die Verwandtschaft von Traum- und Todesmotiven in Heines Werk - die in einem kleinen ostfriesischen Verlag erschienene, schön illustrierte Legende von der „Überfahrt zur Weißen Insel” liefert ihrerseits Anschauungsmaterial - artikuliert ein deutliches Unbehagen gegenüber einer biographisch orientierten Heineforschung. In zwei Sprachen geschrieben und im Hinblick auf den zweifachen Adressatenkreis als ein doppeltes Experiment an „Heines gespaltener Identität” als Deutscher und als Jude riskiert, beharrt Hessings Buch auf der Unlösbarkeit wie Unerlöstheit solchen Auseinanderklaffens. Obwohl es nicht ganz leicht lesbar ist, möchte man ihm viele Leser wünschen, sei es auch nur der bloßen Irritation wegen - und um Heines andauernder Verharmlosung zu begegnen. Der Dichter meinte es nämlich ernst, mit allem Spaß, allem Spott, aller Ironie - und auch, wenn er am Ende eines Briefes schrieb: „Das Papier geht zu Ende und ich kann Ihnen nur noch sagen, daß ich Sie liebe.” VOLKER BREIDECKER
JOSEPH A. KRUSE: Heinrich Heine. Leben - Werk - Wirkung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005. 160 Seiten, 7,90 Euro.
MANFRED WINDFUHR: Die Düsseldorfer Heine-Ausgabe. Ein Erfahrungsbericht. Grupello Verlag, Düsseldorf 2005. 101 S., 14,90 Euro.
JAN-CHRISTOPH HAUSCHILD / MICHAEL WERNER: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst.” Heinrich Heine - eine Biographie. Zweitausendeins Verlag, Frankfurt 2005. 763 S., 22 Euro.
KERSTIN DECKER: Heinrich Heine - Narr des Glücks. Biographie. Propyläen Verlag, Berlin 2005, 448 S., 22 Euro.
JÖRG AUFENANGER: Heinrich Heine in Paris. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 159 S. , 12 Euro.
EDDA ZIEGLER: Heinrich Heine. Der Dichter und die Frauen. Artemis & Winkler Verlag, München 2005. 207 S., 19,90 Euro.
HEINRICH HEINE: Memoiren. Illustriert von Volker Kriegel. Eichborn Berlin Verlag, Frankfurt 2005. 87 S., 14,90 Euro.
LUDWIG MARCUSE: Heinrich Heine. Melancholiker - Streiter in Marx - Epikureer. Diogenes Verlag, Zürich 1980. 366 S., 24,90 Euro.
JAKOB HESSING: Der Traum und der Tod. Heinrich Heines Poetik des Scheiterns. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 294 S., 29,90 Euro.
HEINRICH HEINE UND ANDERE: Die Überfahrt zur Weißen Insel. Illustriert von Jochen Stücke. Schuster Verlag, Leer 2003. 84 S., 19,90 Euro.
HEINRICH HEINE: „...und grüßen Sie mir die Welt”. Ein Leben in Briefen, herausgegeben von Bernd Füllner und Christian Liedtke. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005, 559 S., 25 Euro.
„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenn auch die Herren Verfasser”: Heine kämpft mit der Feder gegen die Reaktion. Titelblatt der Zeitschrift „Jugend” von 1906.
Foto: akg-images
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