"Entweder man hat's oder man hat's nicht." Stimmt das? Kann man ohne bestimmte genetische Voraussetzungen nicht erfolgreich sein? Oder ist es umgekehrt? Ohne Fleiß kein Preis? In der vielbeschworenen Leistungsgesellschaft ist die Hervorbringung durchschnittlicher Allround-Könner zur obersten Priorität geworden. Aber wer bestimmt überhaupt, was "normal" ist? Wir kennen die Herausforderungen nicht, die uns die Zukunft stellen wird. Bewältigen können wir sie aber nur, wenn wir jene einzigartigen Talente fördern, die in uns allen schlummern. Es muss die Norm werden, von der Norm abzuweichen. Oder anders ausgedrückt: Wir brauchen Peaks und Freaks!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2012Keine Angst vor der Elite
Mittelmaß schafft keine Innovationskraft
Wer glaubt, dass seine persönlichen Talente vielleicht mehr zur Lösung künftiger Probleme beitragen als die von Plácido Domingo oder Lionel Messi? Kaum jemand unter uns. Die Vertreter dieser Spezies sind so rar wie Unternehmensgründer oder Erfinder. Individualität ist ihnen heilig. Mit dem Einzelnen und seinen Chancen im Gegensatz zur Masse befasst sich der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger in seinem Buch über die Notwendigkeit des Individualismus als Überlebensprinzip.
Hengstschläger bricht eine Lanze für eine Geisteshaltung, bei der möglichst eigenständige Entscheidungen und Meinungsbildungen angestrebt werden, gleichgültig ob sie konform zum gesellschaftlichen Kontext sind oder nicht. Das hat auf den ersten Blick nur mittelbar mit Wirtschaft zu tun. Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass in der Wirtschaft die Kraft der Individualität entscheidend ist für Innovation und damit das Bestehen im Wettbewerb. Nicht das Kollektiv, sondern der Einzelne bringt entscheidende Ideen und damit Impulse für eine Volkswirtschaft.
Der junge, aber bereits vielfach ausgezeichnete und international renommierte Professor, der einen Lehrstuhl an der Medizinischen Universität Wien inne hat, beschwört die Kraft der Individualität und die Aussichtslosigkeit des Durchschnitts gleichermaßen als Antrieb und Ergebnis der Evolution. Der Durchschnitt sei eine evolutive Sackgasse, moniert Hengstschläger. Wie schädlich dies für das Humankapital ist, beschreibt der Grundlagenforscher anhand der in Österreich und Deutschland verbreiteten Sicht von den Aufgaben der Schule: Es wird mehr Zeit dafür verwendet, die Schwächen eines Zöglings auszumerzen, als die Stärken zu fördern. Das führt dazu, dass Schüler in ihren schlechten Fächern Durchschnitt werden und das Fach, in dem sie herausragend sind, vernachlässigen und dadurch auch Durchschnitt werden.
Diese Menschen schöpfen somit ihr Potential nicht aus: "Ein rein defizitorientiertes System ist talentfeindlich und führt uns mit Vollgas in die Sackgasse des Durchschnitts." Entsprechend haben viele Abteilungsleiter, Unternehmenslenker, Vorgesetzte aller Art in ihren Schubladen Leitlinien zum Aufdecken von Fehlern bei ihren Mitarbeitern. Das Entdecken von Fehlern, das Aufzeigen von Fehlern, das Stigmatisieren von Fehlern, das Bekämpfen von Fehlern, das Umgehen mit Fehlern, all das scheint nach Hengstschläger zu einer eigenen Profession geworden zu sein, auf der so manche irrigerweise in Richtung Erfolg reiten wollen. "Es muss uns klar sein, dass dadurch noch keinerlei Innovation entsteht. So wichtig es etwa bei der Qualitätssicherung ist, es ist nur das Verwalten des Bestehenden."
Wie viele Vorgesetzte haben indes Rezepte, nach denen sie sich auf die Suche nach besonderen Leistungen, nach neuen Ideen ihrer Mitarbeiter machen können? Interessant ist die Gedankenführung des Autors, wenn er die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Disziplin auf die Wirtschaft umlegt: Je weniger verwandt zwei Menschen sind, je mehr Individualität im Sinne von genetischer Verschiedenheit zwischen ihnen existiert, umso sicherer ist es für die nächste Generation, argumentiert Hengstschläger, der in seiner Jugend ein Punk war.
Dieses biologische Wissen lässt sich seiner Meinung nach auch auf andere Gebiete umlegen. Wenn sich zwei Systeme wie etwa zwei Unternehmen oder zwei Manager mit recht ähnlichem Werdegang, die über Jahre das Gleiche gemacht haben, zusammenspannen, bestehe ein Risiko, dass sie die gleichen Fehler gemacht haben und auch weiter machen werden, ohne dass es ihnen auffällt. Mit Blick auf gescheiterte Fusionen unter Gleichen muss man dem Autor recht geben. Nur wer sich traut, eine neue, individuelle Perspektive zuzulassen, erhält die unverzichtbare Chance auf neue Kombinationen und Ansätze.
Hengstschläger fordert Mut zum Risiko, die Courage, Neuland zu betreten und einmal andere Strategien auszuprobieren. Er bricht eine Lanze für die Elite und damit einen Begriff, dessen Akzeptanz in Österreich und Deutschland aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte dieser Nationen und der Staatsgläubigkeit der jeweiligen Bevölkerung gering ist. Doch weist der Genetiker darauf hin, dass die Elite in der Lage ist, etwas Besonderes, etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zu leisten: "Sie hat schöpferische Kraft."
Der Durchschnitt kann das nicht. Das Buch zeigt auch naturwissenschaftlichen Banausen, wie spannend Evolution sein kann und wie das auf eine Volkswirtschaft durchschlägt. Kurz: Das Buch ist lesenswert.
MICHAELA SEISER.
Markus Hengstschläger: Die Durchschnittsfalle.
Ecowin Verlag, Wien 2012, 183 Seiten, 21,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mittelmaß schafft keine Innovationskraft
Wer glaubt, dass seine persönlichen Talente vielleicht mehr zur Lösung künftiger Probleme beitragen als die von Plácido Domingo oder Lionel Messi? Kaum jemand unter uns. Die Vertreter dieser Spezies sind so rar wie Unternehmensgründer oder Erfinder. Individualität ist ihnen heilig. Mit dem Einzelnen und seinen Chancen im Gegensatz zur Masse befasst sich der österreichische Genetiker Markus Hengstschläger in seinem Buch über die Notwendigkeit des Individualismus als Überlebensprinzip.
Hengstschläger bricht eine Lanze für eine Geisteshaltung, bei der möglichst eigenständige Entscheidungen und Meinungsbildungen angestrebt werden, gleichgültig ob sie konform zum gesellschaftlichen Kontext sind oder nicht. Das hat auf den ersten Blick nur mittelbar mit Wirtschaft zu tun. Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass in der Wirtschaft die Kraft der Individualität entscheidend ist für Innovation und damit das Bestehen im Wettbewerb. Nicht das Kollektiv, sondern der Einzelne bringt entscheidende Ideen und damit Impulse für eine Volkswirtschaft.
Der junge, aber bereits vielfach ausgezeichnete und international renommierte Professor, der einen Lehrstuhl an der Medizinischen Universität Wien inne hat, beschwört die Kraft der Individualität und die Aussichtslosigkeit des Durchschnitts gleichermaßen als Antrieb und Ergebnis der Evolution. Der Durchschnitt sei eine evolutive Sackgasse, moniert Hengstschläger. Wie schädlich dies für das Humankapital ist, beschreibt der Grundlagenforscher anhand der in Österreich und Deutschland verbreiteten Sicht von den Aufgaben der Schule: Es wird mehr Zeit dafür verwendet, die Schwächen eines Zöglings auszumerzen, als die Stärken zu fördern. Das führt dazu, dass Schüler in ihren schlechten Fächern Durchschnitt werden und das Fach, in dem sie herausragend sind, vernachlässigen und dadurch auch Durchschnitt werden.
Diese Menschen schöpfen somit ihr Potential nicht aus: "Ein rein defizitorientiertes System ist talentfeindlich und führt uns mit Vollgas in die Sackgasse des Durchschnitts." Entsprechend haben viele Abteilungsleiter, Unternehmenslenker, Vorgesetzte aller Art in ihren Schubladen Leitlinien zum Aufdecken von Fehlern bei ihren Mitarbeitern. Das Entdecken von Fehlern, das Aufzeigen von Fehlern, das Stigmatisieren von Fehlern, das Bekämpfen von Fehlern, das Umgehen mit Fehlern, all das scheint nach Hengstschläger zu einer eigenen Profession geworden zu sein, auf der so manche irrigerweise in Richtung Erfolg reiten wollen. "Es muss uns klar sein, dass dadurch noch keinerlei Innovation entsteht. So wichtig es etwa bei der Qualitätssicherung ist, es ist nur das Verwalten des Bestehenden."
Wie viele Vorgesetzte haben indes Rezepte, nach denen sie sich auf die Suche nach besonderen Leistungen, nach neuen Ideen ihrer Mitarbeiter machen können? Interessant ist die Gedankenführung des Autors, wenn er die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Disziplin auf die Wirtschaft umlegt: Je weniger verwandt zwei Menschen sind, je mehr Individualität im Sinne von genetischer Verschiedenheit zwischen ihnen existiert, umso sicherer ist es für die nächste Generation, argumentiert Hengstschläger, der in seiner Jugend ein Punk war.
Dieses biologische Wissen lässt sich seiner Meinung nach auch auf andere Gebiete umlegen. Wenn sich zwei Systeme wie etwa zwei Unternehmen oder zwei Manager mit recht ähnlichem Werdegang, die über Jahre das Gleiche gemacht haben, zusammenspannen, bestehe ein Risiko, dass sie die gleichen Fehler gemacht haben und auch weiter machen werden, ohne dass es ihnen auffällt. Mit Blick auf gescheiterte Fusionen unter Gleichen muss man dem Autor recht geben. Nur wer sich traut, eine neue, individuelle Perspektive zuzulassen, erhält die unverzichtbare Chance auf neue Kombinationen und Ansätze.
Hengstschläger fordert Mut zum Risiko, die Courage, Neuland zu betreten und einmal andere Strategien auszuprobieren. Er bricht eine Lanze für die Elite und damit einen Begriff, dessen Akzeptanz in Österreich und Deutschland aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte dieser Nationen und der Staatsgläubigkeit der jeweiligen Bevölkerung gering ist. Doch weist der Genetiker darauf hin, dass die Elite in der Lage ist, etwas Besonderes, etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zu leisten: "Sie hat schöpferische Kraft."
Der Durchschnitt kann das nicht. Das Buch zeigt auch naturwissenschaftlichen Banausen, wie spannend Evolution sein kann und wie das auf eine Volkswirtschaft durchschlägt. Kurz: Das Buch ist lesenswert.
MICHAELA SEISER.
Markus Hengstschläger: Die Durchschnittsfalle.
Ecowin Verlag, Wien 2012, 183 Seiten, 21,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main