In die Ecke - und wieder hinausEin Bedürfnis, das wir alle kennen, Kinder und Erwachsene: Wir brauchen einen eigenen Raum zum Wohlfühlen, einen Rückzugsort, der Sicherheit und Geborgenheit bietet. Aber reicht das? Das Fenster zum Außen, zu unseren Mitmenschen ist genauso bedeutend! Und was kann wichtiger sein als ein ausgeglichenes Leben, in dem das Innen wie auch das Außen seinen Stellenwert hat ...
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie man sich an einem fremden, unbesetzten Ort ein wohliges "Stückchen Welt" schafft, das Geborgenheit bietet und gleichzeitig den nötigen Freiraum, sich auszudrücken und auszuleben - das lernt Rezensentin Karin Gruß in "Die Ecke". Mit ganzem Körpereinsatz vermisst ZO-Os kreative Krähe ihr frisch bezogenes Zimmer, richtet es erst mit materiellen und schließlich mit immateriellen Dingen derart ein, dass sie sich dort wohl und zuhause fühlen kann. Die koreanische Autorin erzählt davon in kraftvollen Bildern und wenigen Worten, die die Rezensentin beeindruckt und berührt zurücklassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2021Eine Krähe wird kreativ
Und zeigt, wie man Geborgenheit schafft in der „Ecke“
Wer jemals umgezogen ist, weiß ihn zu schätzen: den spontan geschaffenen, ansatzweise gemütlichen Rückzugsort mitten im Chaos. Wer jedoch sogar das Chaos verloren hat, für den kann jede noch so karge, kleine Ecke ein rettender Ort der Zuflucht und der Hoffnung sein. Aufrecht und nachdenklich steht die Krähe und schaut – in den winkligen Teil eines völlig leeren Raumes. Was wird sie an diesem Ort erwarten? Was kann sie von diesem Ort erhoffen? Aber leere Räume und weiße Wände geben keine Antworten. Oder doch? Der kluge Vogel wird aktiv. Sitzend, stehend und liegend vermisst er mit Schnabellänge und Flügelspannweite das gerade gefundene Stückchen Welt. Eine bequeme Liegestatt muss her! Mit kraftvollem Körpereinsatz platziert die Krähe ein gemütliches Bett genau in der Ecke. Ein Regal für Bücher, eine kleine Lampe für wärmendes Licht, ein flauschiger Teppich zum Nachdenken auf dem Bauch. Etwas fehlt noch … Behutsam trägt die Krähe eine kleine Topfpflanze ins Eck neben das Bett. Sie liest und spricht zu dem grünen Mitbewohner, gibt ihm Wasser und schläft Blatt in Flügel abends neben ihm ein. Der erste Schritt in Richtung Geborgenheit ist getan.
Ein eindrucksvolles Hochformat lässt die Betrachter von schräg oben in „Die Ecke“, schauen, so der Titel des Bilderbuches der koreanischen Illustratorin ZO-O. Die kargen Wände und der kalte Boden erhalten von Seite zu Seite mehr Leben. „Was brauche ich noch?“, sinniert der Vogel angesichts der ersten sichtbaren Wohnlichkeit. Nach den materiellen bekommen nun die geistigen Besitztümer besondere Bedeutung. Die Krähe wird kreativ. Mit Stift und Selbstbewusstsein beginnt sie, die Wände zu bemalen. Immer mehr Gerätschaften müssen her, um die Ecke in alle Richtungen zu gestalten. Aus der Behausung wird allmählich ein Zuhause.
Was brauchen wir? Was gibt uns Kraft? Was füllt uns aus? Der arg strapazierte „place to be“ gibt im Grunde die simple Antwort. Wir brauchen einen Ort, an dem wir sein können, an dem wir wir sein können. Einen Raum, der Schutz und Möglichkeit für Entfaltung bietet. Daraus erwächst Freude. Mit Musik, Tanz und der Pflanzenfreundin feiert die Krähe ihr prunkvoll gestaltetes Heim. Diese Freude dringt auch durch Wände; und Mauern können nach draußen für Neues geöffnet werden. Die Künstlerin ZO-O legt hier ein sehr eindrucksvolles Bilderbuchdebüt vor, das ohne Moralin mit wenigen Worten kleinen wie großen Lesern und Leserinnen von Freiheit und Geborgenheit erzählt. (ab 3 Jahre)
KARIN GRUSS
ZO-O: Die Ecke. Verlag Urachhaus 2021. 64 Seiten, 16 Euro.
Illustration aus ZO-O: Die Ecke
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Und zeigt, wie man Geborgenheit schafft in der „Ecke“
Wer jemals umgezogen ist, weiß ihn zu schätzen: den spontan geschaffenen, ansatzweise gemütlichen Rückzugsort mitten im Chaos. Wer jedoch sogar das Chaos verloren hat, für den kann jede noch so karge, kleine Ecke ein rettender Ort der Zuflucht und der Hoffnung sein. Aufrecht und nachdenklich steht die Krähe und schaut – in den winkligen Teil eines völlig leeren Raumes. Was wird sie an diesem Ort erwarten? Was kann sie von diesem Ort erhoffen? Aber leere Räume und weiße Wände geben keine Antworten. Oder doch? Der kluge Vogel wird aktiv. Sitzend, stehend und liegend vermisst er mit Schnabellänge und Flügelspannweite das gerade gefundene Stückchen Welt. Eine bequeme Liegestatt muss her! Mit kraftvollem Körpereinsatz platziert die Krähe ein gemütliches Bett genau in der Ecke. Ein Regal für Bücher, eine kleine Lampe für wärmendes Licht, ein flauschiger Teppich zum Nachdenken auf dem Bauch. Etwas fehlt noch … Behutsam trägt die Krähe eine kleine Topfpflanze ins Eck neben das Bett. Sie liest und spricht zu dem grünen Mitbewohner, gibt ihm Wasser und schläft Blatt in Flügel abends neben ihm ein. Der erste Schritt in Richtung Geborgenheit ist getan.
Ein eindrucksvolles Hochformat lässt die Betrachter von schräg oben in „Die Ecke“, schauen, so der Titel des Bilderbuches der koreanischen Illustratorin ZO-O. Die kargen Wände und der kalte Boden erhalten von Seite zu Seite mehr Leben. „Was brauche ich noch?“, sinniert der Vogel angesichts der ersten sichtbaren Wohnlichkeit. Nach den materiellen bekommen nun die geistigen Besitztümer besondere Bedeutung. Die Krähe wird kreativ. Mit Stift und Selbstbewusstsein beginnt sie, die Wände zu bemalen. Immer mehr Gerätschaften müssen her, um die Ecke in alle Richtungen zu gestalten. Aus der Behausung wird allmählich ein Zuhause.
Was brauchen wir? Was gibt uns Kraft? Was füllt uns aus? Der arg strapazierte „place to be“ gibt im Grunde die simple Antwort. Wir brauchen einen Ort, an dem wir sein können, an dem wir wir sein können. Einen Raum, der Schutz und Möglichkeit für Entfaltung bietet. Daraus erwächst Freude. Mit Musik, Tanz und der Pflanzenfreundin feiert die Krähe ihr prunkvoll gestaltetes Heim. Diese Freude dringt auch durch Wände; und Mauern können nach draußen für Neues geöffnet werden. Die Künstlerin ZO-O legt hier ein sehr eindrucksvolles Bilderbuchdebüt vor, das ohne Moralin mit wenigen Worten kleinen wie großen Lesern und Leserinnen von Freiheit und Geborgenheit erzählt. (ab 3 Jahre)
KARIN GRUSS
ZO-O: Die Ecke. Verlag Urachhaus 2021. 64 Seiten, 16 Euro.
Illustration aus ZO-O: Die Ecke
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