Leider falscher Fokus
„Die Eigensinnige“ von Lucca Müller, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, ist eine fiktionale Romanbiografie, bei der das Wort „fiktional“ nicht groß genug gedacht werden kann. Über knapp 450 Seiten verfolgt Lucca Müller das Leben und leider sehr wenig das Werk von Marie von
Ebner-Eschenbach von der Jugend bis ins Alter und zeigt, streckenweise durchaus feministisch, die…mehrLeider falscher Fokus
„Die Eigensinnige“ von Lucca Müller, erschienen 2025 bei Bastei Lübbe, ist eine fiktionale Romanbiografie, bei der das Wort „fiktional“ nicht groß genug gedacht werden kann. Über knapp 450 Seiten verfolgt Lucca Müller das Leben und leider sehr wenig das Werk von Marie von Ebner-Eschenbach von der Jugend bis ins Alter und zeigt, streckenweise durchaus feministisch, die Schwierigkeiten einer unkonventionellen Frau in Kunst und allgemeinem Leben im 19. Jahrhundert auf.
Das Buch startet schwungvoll und mittendrin. In einem kurzen, im Theater spielenden Prolog, der weit vorgreift in der Geschichte, wird Marie auf wenigen Seiten sofort ganz klar charakterisiert und ihr ungewöhnlicher Charakter wird direkt deutlich. Wie gefesselt muss diese spannende Frau in ihrer Zeit gewesen sein! Dieser Eindruck hat sich für mich durch das ganze Buch gezogen. Was für ein unterdrücktes Frauendasein strahlt einem da aus jeder Zeile entgegen, und wie dankbar können wir allen Frauen sein, die für Emanzipation und Freiheit gekämpft haben. Unvorstellbar, so reduziert leben zu müssen.
Nach dem kurzen Prolog im Theater macht das Buch einen gut nachvollziehbaren Zeitsprung in Maries Jugend – hier helfen auch die durchweg im Buch vorhandenen zeitlichen Einordnungen am Kapitelbeginn. Lucca Müller schreibt sehr gut, es gelingt ihr, immer eine sehr klare Atmosphäre und Emotion zu schaffen, ohne dass sie dafür viele Beschreibungen der Umwelt braucht. Das Drehbuchschreiben, von dem Müller kommt, merkt man dem Roman an – im positiven Sinne, insbesondere auch in der Dialoggestaltung! Freiheit gegen Form – dieses Thema dominiert immer wieder den Roman, in dem Marie sich, immer wieder auch von Rückschlägen geprüft, zunehmend ihren Raum erobert – und den für sie richtigen Mann erobert. Dieser wirkt im Buch auf jeden Fall erstaunlich modern für seine Zeit, und er teilt mit Marie die Erfahrung, für etwas zu brennen und Pionier zu sein. Schnell kommt es aber auch zu den ersten historischen Irritationen, beispielsweise die Darstellung der verhindernden Rolle der Stiefmutter für Ebner-Eschenbachs Schaffen, historisch dagegen hat Xaverine Kolowrat-Krakowsky Marie von Ebner-Eschenbach gefördert und unterstützt.
Nicht zufällig spielt Lucca Müller mit Referenzen an Drei Haselnüsse für Aschenbrödel und Sissi-Romantik, einerseits toll, weil hier indirekt deutlich wird, wie sehr starke Frauen am Ende eben immer auch Prinzessin sein sollen, andererseits legt sie hier aber auch den Grundstein, der sich durch den Roman zieht, dass der Fokus streckenweise doch sehr auf Eheleben, Schmonzette und gesellschaftlicher Präsenz liegt, wodurch das literarische Schaffen zunehmend in den Hintergrund rückt.
Müller zeigt auf, dass die Frau in der Kunst in der Öffentlichkeit immer unter anderen Bewertungskriterien beurteilt wird als der Mann (bis heute leider). Aber selbst unterläuft ihr derselbe Fehler, indem sie nicht darauf vertraut, hier wirklich die Künstlerin in ihrem Schaffenskampf zu zeigen, sondern eher auf die populären Anteile einer Biographie mit Groschenromanvibe setzt, Begegnungen mit Kaiserin Sissi inklusive.
Mich hat das Buch auf jeden Fall neugierig gemacht, mal wieder etwas von Marie von Ebner-Eschenbach zu lesen, durch den Filter dieses einerseits sehr egozentrischen, aber andererseits doch auch feministisch starken Lebens gelesen, wird das bestimmt sehr interessant. Insgesamt empfinde ich „Die Eigensinnige“ aber als zu wenig ausbalanciert und hätte mir gewünscht, den Eigensinn mehr aus der Kunst heraus zu lesen als aus der Romanze.