Marktplatzangebote
37 Angebote ab € 0,30 €
  • Gebundenes Buch

Die große Liebe zu ihrem im Ersten Weltkrieg verschollen geglaubten Mann verschlägt die schöne Anna Petrowna in den postrevolutionären Wirren in das kleine sibirische Städtchen Jasyk. Von einer mystischen Gemeinschaft bewohnt, wird der Ort kurz daraufdurch die Ankunft eines geheimnisvollen Fremden in seinem Frieden bedroht. Wer ist dieser Fremde, der durch Schnee und Eis aus einem Gefangenenlager im hohen Norden bis nach Jasyk geflohen ist? Und was hat es mit seinem angeblichen Verfolger auf sich,der Unaussprechliches getan hat und nun die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt? Und welchen Zauber verübt der fremde Ankömmling auf Anna Petrowna?…mehr

Produktbeschreibung
Die große Liebe zu ihrem im Ersten Weltkrieg verschollen geglaubten Mann verschlägt die schöne Anna Petrowna in den postrevolutionären Wirren in das kleine sibirische Städtchen Jasyk. Von einer mystischen Gemeinschaft bewohnt, wird der Ort kurz daraufdurch die Ankunft eines geheimnisvollen Fremden in seinem Frieden bedroht. Wer ist dieser Fremde, der durch Schnee und Eis aus einem Gefangenenlager im hohen Norden bis nach Jasyk geflohen ist? Und was hat es mit seinem angeblichen Verfolger auf sich,der Unaussprechliches getan hat und nun die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt? Und welchen Zauber verübt der fremde Ankömmling auf Anna Petrowna?
Autorenporträt
James Meek, geb. 1962 in London, wuchs in Dundee auf. Seit 1985 arbeitet er als Journalist, die Jahre 1991 bis 1999 verbrachte er als Auslandskorrespondent in der ehemaligen Sowjetunion. James Meek lebt heute in London, wo er für den Guardian, The London Review of Books und das Magazin Granta schreibt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bereits die Grundsituation im Roman sei "infernalisch", berichtet entzückt Rezensentin Sonja Zekri. Ein sibirisches Dorf zur Bürgerkriegszeit, ein kokainsüchtiger Soldatentrupp aus der "tschechischen Legion", eine historisch verbürgte "Kastratensekte", und dann tauche ein Fremder auf, der alle Grausamkeiten der Kriegswirren noch übersteigere. James Meek erzählt diese geschichte aus dem russischen Bürgerkrieg, so die Rezensentin, anhand zahlreicher Rückblenden und Briefe, und dieser "Revolutionsroman", erläutert Zekri, sei weniger eine historische Studie als vielmehr eine "Studie in Fanatismus", und der schottische Humor des Autor-Erzählers zeige sich beispielsweise darin, dass ausgerechnet die Kastratensekte einen "hochaktuellen" religiösen Fundamentalismus gebäre. Bei aller Dämonie habe James Meek aber keineswegs einen Pseudo-Dostojewskij geschrieben, weist Zekri auf "kluge" Unterschiede, denn stilistisch schreibe der Autor so modern "schnörkellos" und "metaphernreich" wie ein Per Olov Enquist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2005

Al Qaida in Sibirien
Jedem Anfang wohnt ein Schrecken inne: James Meeks Roman

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden ihre Konturen sichtbar, mehr als das abrupte Ende interessiert inzwischen ihr blutiger Anfang. Der britische Journalist und jahrelange Rußland-Korrespondent James Meek überrascht durch einen Roman, der 1919 in einem sibirischen Kaff namens Jasyk spielt. Es handelt sich um eine Männergeschichte, die sich dem Faszinosum der blanken Gewalt von Bürgerkrieg und Terror ganz unverhüllt stellt. Ins Zentrum rückt der Autor weder Arbeiter noch Bauern, sondern die desorientierte Tschechische Legion, deren Einsatz für den Zaren selbst in der Tschechischen Republik heute kaum bekannt ist.

Dank sorgfältiger Recherchen und erfrischendem Detailbewußtsein gelingt es Meek, den Frontalltag zu irrlichterndem Leben zu erwecken. Die Tschechen haben sich in einer sibirischen Kleinstadt ein Massaker zuschulden kommen lassen, entsprechend gedrückt ist ihre Stimmung. Während Trotzkis rächende Truppen im Anzug sind und die Soldaten sich murrend nach der Heimat sehnen, zwingt der sadistische Kommandant Matula seine Leute zum Ausharren und verschweigt den längst ergangenen Abzugsbefehl.

Nichts in den schlammigen Straßen Jasyks ist ganz geheuer: Der Ort wird von einer kinderlosen Sekte bewohnt, die ihre abendlichen Zusammenkünfte zu seltsamen Tanzdelirien steigert. Im Hof der Kommandantur ist ein Schamane angekettet, und aus den Weiten der Steppe taucht ein zotteliger Fremder auf, der dem "Weißen Garten", einer schneeklirrenden Sträflingskolonie jenseits der Baumgrenze, entflohen sein will. Der einzige klare Kopf des Bataillons ist der jüdische Hauptmann Mutz. Er hat sich bei der Ermordung von Zivilisten zurückgehalten und erfreut sich der Gunst der schönen Anna Petrowna, Gründe genug, um Neid und Hohn seiner Gefährten auf sich zu lenken. Die Ankunft des mutmaßlichen Sträflings Samarin bringt den leicht entzündlichen Psychococktail zur Explosion. Er ist ein rhetorisches Genie aus dem Holz leninistischer Agitatoren, das seine Zuhörer mit der Geschichte seiner politischen Verbannung rührt und so souverän manipuliert, wie es auch der Erzähler tut. Denn in Meeks Roman steckt zugleich ein trickreicher Krimi, der dem Leser das wahre Gesicht der Dinge bis auf die letzten, fesselnden Seiten vorenthält.

Im Zentrum steht der Krieg selbst als eine mentale Epidemie, die alle individuellen Pläne absorbiert. "Mir kam es vor", schreibt Annas Mann von der Front, "als ob die Männer den Geschützen dienten, als wären die Geschütze ihre Herren und sie hätten für deren Wohl zu sorgen." Der Wille, fügt Meeks Erzähler hinzu, hatte "einen Riesen aus Millionen Menschen erstehen lassen, der nun über die Erde zog ... 1918 noch waren die Roten Menschen gewesen, die eine Idee besaßen. Jetzt besaß die Idee Menschen, Panzerzüge und Land."

Es geht dem Briten genau um diese Verwandlung, die friedliche einzelne zu Leibeigenen der Vernichtung macht. Mit einem an de Kooning erinnernden Pinselstrich und kleistschen Sinn für Paradoxe peitscht er die Handlung auf atemraubende Wendepunkte zu, an denen sich die Doppelnatur seiner Protagonisten offenbart. Annas Mann Balaschow lernen wir kennen, bevor der Krieg den Kokon des Privatlebens und der Persönlichkeit zerreißt und den stolzen Husaren auf eine waidwunde Memme reduziert. Samarin gibt den wohlmeinenden Kameraden ab, bis seine Taten die dämonische Wahnwelt dieses selbstberufenen Menschheitserlösers verraten. Matula hat daheim eine unauffällige Vertreterexistenz geführt, um, zu militärischem Rang erhoben, die Bestie herauszulassen.

James Meek ist ein Meister, wenn es um die Arena des Grauens, um die epischen Dimensionen der Todesangst, das Aussetzen des Verstandes und die Zeitlupen der Desillusionierung geht. Doch so melodramatisch und packend er die Militärmaschinerie zu inszenieren versteht, so wenig bleibt er bei ihren Mechanismen stehen. Der Schwung im Räderwerk kommt von großen Demagogen wie Samarin. In ihm verbindet sich animalischer Selbsterhaltungstrieb mit List und Größenwahn zu einer schillernden Inkarnation des Bösen, die auf Frauen und Männer wie ein Aphrodisiakum wirkt: "Ich bin hier auf Erden, um alles zu zerstören, was nicht das Paradies ist", läßt er wissen, als Balaschow ihn des Kannibalismus überführt. Daß Samarin seine Untaten einer glücklosen Liebe wegen begeht und in einem schwachen Moment sogar Mitleid zeigt, kann den Eindruck, den Meek mit dieser Figur erzeugt, nicht mehr mildern - im Gegenteil: Große Gefühle dienen ihr, wie ein Blick in ihre Kindheit zeigt, nur als Alibi für jede Bosheit.

Die wenigen Frauen des Romans sind vielleicht gerade deshalb mißlungen, weil Meek sie die Rolle der Schlange im sibirischen Garten spielen läßt. Am wenigsten überzeugend ist Anna Petrowna, um die sich die Phantasien der Männer ranken. Sie wird als verführerisches Vollblutweib beschrieben, das Sex an die Stelle von Irrsinn und Brutalität setzen will. Doch ihr Charakter verharrt im Klischee, mit borniertem Sinn trifft sie beständig die falsche Entscheidung und läßt sich zum Schluß als Fotojournalistin für die kommunistische Zukunft rekrutieren. Man könnte sie als Allegorie der kriegstreibenden Idee verstehen: Eros und Thanatos gäben sich einmal mehr ein Stelldichein. Schon als Zwölfjähriger atmete Samarin "neben dem Duft von Büchern und Parfüm im Rock eines Mädchens den Geruch von Dynamit ein".

Es ist kein Zufall, daß die Jasyker Sekte sich als - historisch verbürgter - Kastratenverein entpuppt. Ihre Mitglieder begreifen sich als Engel, die schon auf Erden von aggressiver Begehrlichkeit erlöst sind. Doch da sie deshalb noch keine besseren Wesen werden, wählt ihr Führer am Ende den Märtyrertod. James Meek weiß keine Antwort auf die Frage nach den letzten Gründen, aus denen Männer zu lebenden Bomben werden. Doch für die Aporien des Menschseins hat er starke Bilder gefunden, die er häufig mit einem filmischen Sinn für Dramatik inszeniert. "Die einsamen Schrecken der Liebe" ist im Bewußtsein künftiger GULags und Konzentrationslager geschrieben, und wenn es die revolutionären Katechismen zitiert, hat sein Autor auch Al Qaida im Kopf. Weil Jasyk trotz seiner verwilderten Sitten ein Vexierbild unserer richtungslosen, ideologisch anfälligen Gegenwart ist, belegt dieser Roman über die Wehen des Kommunismus, daß das Ende schon im Anfang steckt.

INGEBORG HARMS

James Meek: "Die einsamen Schrecken der Liebe". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Malte Krutzsch und Karen Nölle-Fischer. Droemer Verlag, München 2005. 430 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr