Dies ist der Beweis, dass Fantasie retten kann. Und ein wenig Ironie.
Italienische Sozialrepublik, 1944: Aus den höchsten nationalsozialistischen Kreisen in Berlin erreicht den Unteroffizier Cesco Magetti der Befehl, einen vollständigen Plan des mexikanischen Eisenbahnnetzes zu erstellen. Eine in den Tiefen des Landes versteckte Wunderwaffe soll dem Reich den Endsieg bescheren. Cesco macht sich auf die Suche, wobei sein Weg ihn auf die eine oder andere Weise zu zahlreichen wundersamen Menschen führt, die sich manchmal sogar als hilfreich erweisen. Darunter die folgenden:
- Tilde Giordano, eine wunderschöne Literaturliebhaberin, der Cesco sofort und unwiderruflich sein Herz schenkt
- Steno, Tildes treuer Freund, ein Partisan ohne Waffen
- Don Tibeno, ein Stadtpfarrer, der wegen gewisser wahnsinniger Leidenschaften hinter Gittern sitzt
- Bardolf Graf, ein Verwaltungsangestellter, der ahnungslose, unbewegliche Motor der ganzen Geschichte
Die Eisenbahnen Mexikos ist ein in jedem Sinne großer Roman, chorisch und monumental erzählt, lustig und bewegend, spielerisch und tiefgründig, realistisch und phantastisch, unerbittlich fesselnd, immer herzlich und dabei durch und durch literarisch. Mit der geballten Wucht seiner Originalität verneigt sich der Roman vor seinen Vorbildern: Jorge Luis Borges, Siri Hustvedt oder Roberto Bolaño. Eine Wunderkammer von Roman.
___
»Einer der intelligentesten, reichhaltigsten, komplexesten und unterhaltsamsten Romane der letzten Jahre.« (Sergio Pent, La Stampa)
»Einer der interessantesten literarischen Fälle dieses Sommers, wenn nicht der einzige.« (Alessandro Zaccuri, Avvenire)
»Eine verrückte und abenteuerliche Reise in (unsere) Geschichte der Fantasie. Ein Roman, den man liest, ohne zu ermüden.« (Marco Missiroli, Schriftsteller)
Die Übersetzung dieses Buches ist dank einer Förderung des italienischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und Internationale Kooperation entstanden.
Questo libro è stato tradotto grazie ad un contributo del Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale Italiano.
Italienische Sozialrepublik, 1944: Aus den höchsten nationalsozialistischen Kreisen in Berlin erreicht den Unteroffizier Cesco Magetti der Befehl, einen vollständigen Plan des mexikanischen Eisenbahnnetzes zu erstellen. Eine in den Tiefen des Landes versteckte Wunderwaffe soll dem Reich den Endsieg bescheren. Cesco macht sich auf die Suche, wobei sein Weg ihn auf die eine oder andere Weise zu zahlreichen wundersamen Menschen führt, die sich manchmal sogar als hilfreich erweisen. Darunter die folgenden:
- Tilde Giordano, eine wunderschöne Literaturliebhaberin, der Cesco sofort und unwiderruflich sein Herz schenkt
- Steno, Tildes treuer Freund, ein Partisan ohne Waffen
- Don Tibeno, ein Stadtpfarrer, der wegen gewisser wahnsinniger Leidenschaften hinter Gittern sitzt
- Bardolf Graf, ein Verwaltungsangestellter, der ahnungslose, unbewegliche Motor der ganzen Geschichte
Die Eisenbahnen Mexikos ist ein in jedem Sinne großer Roman, chorisch und monumental erzählt, lustig und bewegend, spielerisch und tiefgründig, realistisch und phantastisch, unerbittlich fesselnd, immer herzlich und dabei durch und durch literarisch. Mit der geballten Wucht seiner Originalität verneigt sich der Roman vor seinen Vorbildern: Jorge Luis Borges, Siri Hustvedt oder Roberto Bolaño. Eine Wunderkammer von Roman.
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»Einer der intelligentesten, reichhaltigsten, komplexesten und unterhaltsamsten Romane der letzten Jahre.« (Sergio Pent, La Stampa)
»Einer der interessantesten literarischen Fälle dieses Sommers, wenn nicht der einzige.« (Alessandro Zaccuri, Avvenire)
»Eine verrückte und abenteuerliche Reise in (unsere) Geschichte der Fantasie. Ein Roman, den man liest, ohne zu ermüden.« (Marco Missiroli, Schriftsteller)
Die Übersetzung dieses Buches ist dank einer Förderung des italienischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten und Internationale Kooperation entstanden.
Questo libro è stato tradotto grazie ad un contributo del Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale Italiano.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Alle Einwände, die man gegen diesen Roman aufbringen könnte, schmelzen dahin, findet Rezensent David Hugendick, angesichts der ansteckenden Erfindungsgabe und literarischen Reichhaltigkeit dieses Mammutwerks. Geschrieben hat es Gian Marco Griffi und im Zentrum steht Cesco Magetti, ein junger Soldat, der im Mussolini-Italien des Jahres 1944 an Zahnschmerzen leidet und den Auftrag erhält, ausgehend womöglich von der höchsten Nazi-Macht, das Eisenbahnnetz Mexikos kartographisch zu erfassen. Das ist allerdings nur mithilfe eines Buches möglich, das irgendwo im Piemont versteckt ist. Eben dort, und damit in der Heimat des Autors, spielt dieser Roman, den Hugendick als einen bunt glitzernden Abenteuerspielplatz von einem Buch beschreibt, einem Buch, das sich in epischer Manier dem Nebensächlichen widmet, begonnen bei dem ausnehmend unbedeutenden Protagonisten, dem eine Reihe weiterer Nebenfiguren der Weltgeschichte zur Seite gestellt werden. Hugendick würdigt die Vielseitigkeit des Stils Griffis, der Ironisches mit Melancholischem zu vermischen und Bildungsgut perfekt zu verkalauern versteht. Man könnte dem Roman, gesteht Hugendick ein, seine Ambitioniertheit zum Vorwurf machen, oder auch die Einflüsse der offensichtlichen Vorbilder wie Roberto Bolaño und Jorge Luis Borges betonen, aber warum sollte man dies tun. Besser, findet der Rezensent, man liest das Buch langsam und aufmerksam, um nichts von seiner Komik zu verpassen. Dann erkennt man, schließt die durchweg euphorische Rezeption: So und nicht anders schaut Weltliteratur aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»"Die Eisenbahnen Mexikos" ist der wichtigste italienische Roman seit "Der Name der Rose".« Denis Scheck ARD Druckfrisch 20240929
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2024Einmal Mond und zurück
Gian Marco Griffi leitet einen Golfplatz im Piemont. Während der Pandemie schrieb er einen
Roman, der ihn zu einem der großen Autoren Italiens machte. Man reibt sich die Augen.
VON THOMAS STEINFELD
Francesco Magetti, genannt Cesco, hat Zahnschmerzen. Sie quälen den jungen Milizionär in Diensten der „Ferrovie dello Stato“ ebenso gründlich wie ein Befehl, der ihm von einem „Chefadjutanten“ („aiutante capo“) des faschistischen Militärs aufgetragen wird: Er soll eine Karte des mexikanischen Eisenbahnnetzes herbeischaffen. Wo er sie finden soll, im Februar 1944, mitten im Krieg, in einer Kleinstadt im Piemont, weiß er nicht. Nicht einmal weiß er, was darauf zu sehen sein soll. Wo überhaupt liegt Mexiko?
Doch ist der Auftrag, wie ihm sein Vorgesetzter unmissverständlich klarmacht, von großer Bedeutung: Er kam aus Berlin, von höchster Stelle, durchzuckte eine lange Befehlskette bis zu den lokalen Wehrmännern der Republik von Salò, um bei Cesco, dem untersten und unzuverlässigsten aller möglichen Befehlsempfänger, zu enden. Und so beginnt eine lange Reise durch vertraute und vor allem durch ferne und fremde Gegenden. Dass sie, geografisch betrachtet, meist eng beieinanderliegen, tut wenig zur Sache. Umso weiter reicht die Fantasie.
„Die Eisenbahnen Mexikos“ lautet der Titel eines Buches, das im Original im Frühjahr 2022 in einem kleinen Mailänder Verlag erschien, mit einem Umfang von mehr als achthundert Seiten und in einer Auflage von knapp zweihundert Exemplaren. Gian Marco Griffi, der Autor, war in literarischen Kreisen wenig bekannt. Er verdiente – und verdient noch immer – seinen Lebensunterhalt als sportlicher Leiter eines Golfplatzes bei Asti. Geschrieben worden war das Werk hauptsächlich während der Corona-Zeit. Doch nahm sich ein Kritiker des Buches an, eine Nominierung zum „Premio Strega“, dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, folgte, der Roman wurde ein mittelgroßer Bestseller.
Kaum eine italienische Rezension kam daraufhin ohne einen Hinweis auf die Biografie des Autors aus, und kaum eine Besprechung unterließ es, darauf hinzuweisen, dass das Buch es dem Leser nicht leicht macht und voller kleiner, oft versteckter Verweise auf andere Bücher und die Zeitgeschichte steckt. Der Roman verweigert den landläufigen Realismus. Es setzt eine Vielheit von Erzählungen dagegen, manche realistisch, manche fantastisch, manche beides, ein Ineinander von Einfällen und Geschichten, für das Italo Calvino in seinem Weltgedicht „Die unsichtbaren Städte“ aus dem Jahr 1972 das Programm vorgab. Darin wurde behauptet, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten sei keine Gerade, „sondern ein Zickzack“.
Hin und her also geht es durch Asti und das Monferrato. Cesco, der hilflose Held, zieht voran, und der Erzähler lässt keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, wie vertraut er mit Land und Leuten ist: „Hier ist 1923 der Giro d’Italia vorbeigekommen, mein Freund Giovanni und ich haben hundert Reißzwecken auf die Strecke gestreut und Girardengo einen Platten beschert, man hat uns erwischt und verdroschen.“ Auch sprachlich geht es tief ins Heimatliche: „Und was bleibt von der Seele? Ein Haufen verschissener Würmer bleibt, sonst nichts, elender Himmel.“
Eine Enzyklopädie auch regionaler Redeweisen und dialektaler Wendungen stellt das Original dar, und auch wenn der Leser der Übersetzung kaum den Tonfall des Piemont zu erkennen in der Lage ist, so staunt er doch, wie viele von diesen sprachlichen Individualismen die Übersetzerin ins Deutsche zu übertragen vermochte, einschließlich einer großen Zahl plastischer Schimpfwörter und Flüche. Und wenn gegen Ende des Werks ein Offizier der SS auf dem Golfplatz von Monferrato überlegt, wie er die Leiche eines Soldaten umspielen kann, bis er sich endlich entschließt, den Ball von dessen Lippe abzuschlagen, so weiß man, wer später der Direktor dieser Anlage wurde.
Die erzählerische Bahn dieses Romans verläuft zwar durch die Hügellandschaft zu beiden Seiten des Flusses Tanaro, und der zeitliche Rahmen der zugrundeliegenden Erzählung ist eng begrenzt, von Anfang Februar bis Mitte 1944. Zu Beginn empfängt Cesco seinen Befehl, am Ende ist er in die Schweiz geflohen. Das Buch ist dennoch kein historischer Roman: Es ist, als würde die Zeit in Falten geschlagen.
Auf dem Friedhof ist ein Computer installiert, wer am Telefon warten muss, bekommt Musik zu hören, und ein Helm kann Gedanken lesen. Ein Teil der Geschichte spielt einige Jahre vor den eigentlichen Ereignissen in Südamerika. Adolf Hitler bereut in Bayreuth, einen Frack und keine Uniform zu tragen. Unter den Eisenbahnern des Piemont, vor allem unter den Bremsern, gibt es erstaunlich viele Poeten. Und Tilde, die Bibliothekarin, ist eine hinreißend schöne Frau, in die sich Cesco verguckt, wohingegen sie den Partisanen Steno liebt, der lieber Schuhe flickt, anstatt zu schießen.
Zusammengehalten werden die Geschichten von der Suche nach jener Karte, auf der ein Ort eingetragen sein soll, der nirgendwo anders verzeichnet ist, und an dem sich vielleicht eine Wunderwaffe oder der letzte Sinn dieses Romans verbirgt. Doch möglicherweise verzeichnet die Karte auch nur Orte, die allein dadurch, dass sie aufgezeichnet sind, mit dem Pathos größter Bedeutsamkeit ausgestattet erscheinen.
Welche Schriftsteller Gian Marco Griffi das Schreiben gelehrt haben, ist offensichtlich: Die Karte, auf der Unsichtbares verzeichnet sein soll, geht auf eine Idee von Italo Calvino zurück. Die ebenso ausschweifenden wie präzisen Beschreibungen kleiner und kleinster Ereignisse erinnern an Emilio Gadda. Bei der Schilderung der späten Jahre des italienischen Faschismus im Piemont mag Beppe Fenoglio zur Seite gestanden haben. Umberto Eco lieferte vermutlich den Gedanken von der Gemachtheit aller Formen. Und wenn es je einen Soundtrack zu diesem Roman geben sollte, so könnte man ihn aus den traurigen Liedern des Genueser Anarchisten Fabrizio De André zusammenstellen.
Während im Hintergrund (und an einer Stelle auch im Roman selbst) der Argentinier Jorge Luis Borges und dessen Spiel mit der demonstrativen Unglaubwürdigkeit waltet, sind auch die Verbindungen zu Werken jüngerer Autoren leicht geknüpft, vor allem zu den bibliomanen und immer wieder mit dem Faschismus verknüpften Fantasien des chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Dass es dieses vornehmlich romanische Umfeld gibt und dass die Erfahrungen mit dem totalitären Staat darin eine Art Generator bilden, nimmt dabei den „Eisenbahnen Mexikos“ nichts von ihrer Originalität.
Im Gegenteil, das Buch ist Fortsetzung und Überbietung zugleich. Sein eigentlicher Gegenstand ist die Illusion, die in jedem Realismus liegt: dass nämlich die Welt genauso beschaffen ist, wie man sie sich gedacht hat, und dieser Gedanke wird an einem Thema durchgespielt, das an Wirkung insbesondere auf die italienische Literatur nicht zu übertreffen ist – eben am Faschismus.
Tilde, die schöne Bibliothekarin, verliert im Lauf der Geschichten ihren Verstand. Der Kopf hält, so scheint es, dem real existierenden Wahn in seiner ganzen Weitläufigkeit nicht stand. Was vom klaren Bewusstsein bleibt, wird einer elektrisch aufgerüsteten Psychiatrie geopfert. Steno, ihr Geliebter, der Partisan ohne Waffe, wirft sich daraufhin ins Wasser und schwimmt nach Norden, immer weiter, durch das Nordmeer bis nach Island. Dort stößt er, so will es sein Erzähler, auf den Mythos, auf ein heiteres Prinzip der magischen Verknüpfung, und Tildes Verstand kehrt zurück: „Da waren Lieder und Feuer auf den Hügeln, Tänze auf Plätzen und flatternde Zeitungsseiten, niedergerissene Denkmäler und begrabene Waffen.“ Auch diese vorletzte Episode ist Tradition und Replik: Dahinter verbirgt sich Orlando furioso, der „Rasende Roland“, Ariosts Versepos aus dem Jahr 1516 und eines der Grundbücher Italiens.
Auch dessen Held verliert den Verstand. Doch werden, so erzählt Ariost, alle verlorenen Gegenstände auf dem Mond verwahrt. Dort findet ein tapferer Ritter nach einer aufwendigen Rettungsaktion den verlorenen Verstand. Er wird in einer Flasche verwahrt und kann dem Besitzer zurückgegeben werden. Der Weg zum Mond und retour führt durch ein Buch, in dem alle Abenteuer, alle Geschichten, die großen und kleinen, aufgeschrieben werden. Ein solches Buch hat auch Gian Marco Griffi geschrieben.
Es handelt von kleinen Leuten, die es plötzlich und ohne Sinn in die große Geschichte verschlägt, von heruntergekommenen Bahnhöfen, an denen mutige Partisanen grotesk scheiternde Überfälle unternehmen, vom Duft verwelkter Chrysanthemen und der gummiartigen Konsistenz von Erbswurst. Es handelt von der Unzuverlässigkeit der Erinnerung und vom falschen Glauben an das Authentische. Aber es ist von zarter Ironie: Freundlicher, teilnehmender hat man sich mit diesem Elend noch selten abgefunden.
Es ist, als würde
die Zeit in Falten
geschlagen
Die Startauflage seines Romans betrug gerade einmal 200 Exemplare: der italienische Schriftsteller Gian Marco Griffi.
Foto: Gian Marco Griffi
Der Erzähler ist vertraut mit Land und Leuten: die kleine Gemeinde Rosazza im Piemont.
Foto: Mirko Costantini/mauritius images
Gian Marco Griffi:
Die Eisenbahnen
Mexikos. Roman. Aus dem Italienischen von Verena von Voskull. Claassen Verlag, Berlin 2024.
790 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gian Marco Griffi leitet einen Golfplatz im Piemont. Während der Pandemie schrieb er einen
Roman, der ihn zu einem der großen Autoren Italiens machte. Man reibt sich die Augen.
VON THOMAS STEINFELD
Francesco Magetti, genannt Cesco, hat Zahnschmerzen. Sie quälen den jungen Milizionär in Diensten der „Ferrovie dello Stato“ ebenso gründlich wie ein Befehl, der ihm von einem „Chefadjutanten“ („aiutante capo“) des faschistischen Militärs aufgetragen wird: Er soll eine Karte des mexikanischen Eisenbahnnetzes herbeischaffen. Wo er sie finden soll, im Februar 1944, mitten im Krieg, in einer Kleinstadt im Piemont, weiß er nicht. Nicht einmal weiß er, was darauf zu sehen sein soll. Wo überhaupt liegt Mexiko?
Doch ist der Auftrag, wie ihm sein Vorgesetzter unmissverständlich klarmacht, von großer Bedeutung: Er kam aus Berlin, von höchster Stelle, durchzuckte eine lange Befehlskette bis zu den lokalen Wehrmännern der Republik von Salò, um bei Cesco, dem untersten und unzuverlässigsten aller möglichen Befehlsempfänger, zu enden. Und so beginnt eine lange Reise durch vertraute und vor allem durch ferne und fremde Gegenden. Dass sie, geografisch betrachtet, meist eng beieinanderliegen, tut wenig zur Sache. Umso weiter reicht die Fantasie.
„Die Eisenbahnen Mexikos“ lautet der Titel eines Buches, das im Original im Frühjahr 2022 in einem kleinen Mailänder Verlag erschien, mit einem Umfang von mehr als achthundert Seiten und in einer Auflage von knapp zweihundert Exemplaren. Gian Marco Griffi, der Autor, war in literarischen Kreisen wenig bekannt. Er verdiente – und verdient noch immer – seinen Lebensunterhalt als sportlicher Leiter eines Golfplatzes bei Asti. Geschrieben worden war das Werk hauptsächlich während der Corona-Zeit. Doch nahm sich ein Kritiker des Buches an, eine Nominierung zum „Premio Strega“, dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, folgte, der Roman wurde ein mittelgroßer Bestseller.
Kaum eine italienische Rezension kam daraufhin ohne einen Hinweis auf die Biografie des Autors aus, und kaum eine Besprechung unterließ es, darauf hinzuweisen, dass das Buch es dem Leser nicht leicht macht und voller kleiner, oft versteckter Verweise auf andere Bücher und die Zeitgeschichte steckt. Der Roman verweigert den landläufigen Realismus. Es setzt eine Vielheit von Erzählungen dagegen, manche realistisch, manche fantastisch, manche beides, ein Ineinander von Einfällen und Geschichten, für das Italo Calvino in seinem Weltgedicht „Die unsichtbaren Städte“ aus dem Jahr 1972 das Programm vorgab. Darin wurde behauptet, die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten sei keine Gerade, „sondern ein Zickzack“.
Hin und her also geht es durch Asti und das Monferrato. Cesco, der hilflose Held, zieht voran, und der Erzähler lässt keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, wie vertraut er mit Land und Leuten ist: „Hier ist 1923 der Giro d’Italia vorbeigekommen, mein Freund Giovanni und ich haben hundert Reißzwecken auf die Strecke gestreut und Girardengo einen Platten beschert, man hat uns erwischt und verdroschen.“ Auch sprachlich geht es tief ins Heimatliche: „Und was bleibt von der Seele? Ein Haufen verschissener Würmer bleibt, sonst nichts, elender Himmel.“
Eine Enzyklopädie auch regionaler Redeweisen und dialektaler Wendungen stellt das Original dar, und auch wenn der Leser der Übersetzung kaum den Tonfall des Piemont zu erkennen in der Lage ist, so staunt er doch, wie viele von diesen sprachlichen Individualismen die Übersetzerin ins Deutsche zu übertragen vermochte, einschließlich einer großen Zahl plastischer Schimpfwörter und Flüche. Und wenn gegen Ende des Werks ein Offizier der SS auf dem Golfplatz von Monferrato überlegt, wie er die Leiche eines Soldaten umspielen kann, bis er sich endlich entschließt, den Ball von dessen Lippe abzuschlagen, so weiß man, wer später der Direktor dieser Anlage wurde.
Die erzählerische Bahn dieses Romans verläuft zwar durch die Hügellandschaft zu beiden Seiten des Flusses Tanaro, und der zeitliche Rahmen der zugrundeliegenden Erzählung ist eng begrenzt, von Anfang Februar bis Mitte 1944. Zu Beginn empfängt Cesco seinen Befehl, am Ende ist er in die Schweiz geflohen. Das Buch ist dennoch kein historischer Roman: Es ist, als würde die Zeit in Falten geschlagen.
Auf dem Friedhof ist ein Computer installiert, wer am Telefon warten muss, bekommt Musik zu hören, und ein Helm kann Gedanken lesen. Ein Teil der Geschichte spielt einige Jahre vor den eigentlichen Ereignissen in Südamerika. Adolf Hitler bereut in Bayreuth, einen Frack und keine Uniform zu tragen. Unter den Eisenbahnern des Piemont, vor allem unter den Bremsern, gibt es erstaunlich viele Poeten. Und Tilde, die Bibliothekarin, ist eine hinreißend schöne Frau, in die sich Cesco verguckt, wohingegen sie den Partisanen Steno liebt, der lieber Schuhe flickt, anstatt zu schießen.
Zusammengehalten werden die Geschichten von der Suche nach jener Karte, auf der ein Ort eingetragen sein soll, der nirgendwo anders verzeichnet ist, und an dem sich vielleicht eine Wunderwaffe oder der letzte Sinn dieses Romans verbirgt. Doch möglicherweise verzeichnet die Karte auch nur Orte, die allein dadurch, dass sie aufgezeichnet sind, mit dem Pathos größter Bedeutsamkeit ausgestattet erscheinen.
Welche Schriftsteller Gian Marco Griffi das Schreiben gelehrt haben, ist offensichtlich: Die Karte, auf der Unsichtbares verzeichnet sein soll, geht auf eine Idee von Italo Calvino zurück. Die ebenso ausschweifenden wie präzisen Beschreibungen kleiner und kleinster Ereignisse erinnern an Emilio Gadda. Bei der Schilderung der späten Jahre des italienischen Faschismus im Piemont mag Beppe Fenoglio zur Seite gestanden haben. Umberto Eco lieferte vermutlich den Gedanken von der Gemachtheit aller Formen. Und wenn es je einen Soundtrack zu diesem Roman geben sollte, so könnte man ihn aus den traurigen Liedern des Genueser Anarchisten Fabrizio De André zusammenstellen.
Während im Hintergrund (und an einer Stelle auch im Roman selbst) der Argentinier Jorge Luis Borges und dessen Spiel mit der demonstrativen Unglaubwürdigkeit waltet, sind auch die Verbindungen zu Werken jüngerer Autoren leicht geknüpft, vor allem zu den bibliomanen und immer wieder mit dem Faschismus verknüpften Fantasien des chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Dass es dieses vornehmlich romanische Umfeld gibt und dass die Erfahrungen mit dem totalitären Staat darin eine Art Generator bilden, nimmt dabei den „Eisenbahnen Mexikos“ nichts von ihrer Originalität.
Im Gegenteil, das Buch ist Fortsetzung und Überbietung zugleich. Sein eigentlicher Gegenstand ist die Illusion, die in jedem Realismus liegt: dass nämlich die Welt genauso beschaffen ist, wie man sie sich gedacht hat, und dieser Gedanke wird an einem Thema durchgespielt, das an Wirkung insbesondere auf die italienische Literatur nicht zu übertreffen ist – eben am Faschismus.
Tilde, die schöne Bibliothekarin, verliert im Lauf der Geschichten ihren Verstand. Der Kopf hält, so scheint es, dem real existierenden Wahn in seiner ganzen Weitläufigkeit nicht stand. Was vom klaren Bewusstsein bleibt, wird einer elektrisch aufgerüsteten Psychiatrie geopfert. Steno, ihr Geliebter, der Partisan ohne Waffe, wirft sich daraufhin ins Wasser und schwimmt nach Norden, immer weiter, durch das Nordmeer bis nach Island. Dort stößt er, so will es sein Erzähler, auf den Mythos, auf ein heiteres Prinzip der magischen Verknüpfung, und Tildes Verstand kehrt zurück: „Da waren Lieder und Feuer auf den Hügeln, Tänze auf Plätzen und flatternde Zeitungsseiten, niedergerissene Denkmäler und begrabene Waffen.“ Auch diese vorletzte Episode ist Tradition und Replik: Dahinter verbirgt sich Orlando furioso, der „Rasende Roland“, Ariosts Versepos aus dem Jahr 1516 und eines der Grundbücher Italiens.
Auch dessen Held verliert den Verstand. Doch werden, so erzählt Ariost, alle verlorenen Gegenstände auf dem Mond verwahrt. Dort findet ein tapferer Ritter nach einer aufwendigen Rettungsaktion den verlorenen Verstand. Er wird in einer Flasche verwahrt und kann dem Besitzer zurückgegeben werden. Der Weg zum Mond und retour führt durch ein Buch, in dem alle Abenteuer, alle Geschichten, die großen und kleinen, aufgeschrieben werden. Ein solches Buch hat auch Gian Marco Griffi geschrieben.
Es handelt von kleinen Leuten, die es plötzlich und ohne Sinn in die große Geschichte verschlägt, von heruntergekommenen Bahnhöfen, an denen mutige Partisanen grotesk scheiternde Überfälle unternehmen, vom Duft verwelkter Chrysanthemen und der gummiartigen Konsistenz von Erbswurst. Es handelt von der Unzuverlässigkeit der Erinnerung und vom falschen Glauben an das Authentische. Aber es ist von zarter Ironie: Freundlicher, teilnehmender hat man sich mit diesem Elend noch selten abgefunden.
Es ist, als würde
die Zeit in Falten
geschlagen
Die Startauflage seines Romans betrug gerade einmal 200 Exemplare: der italienische Schriftsteller Gian Marco Griffi.
Foto: Gian Marco Griffi
Der Erzähler ist vertraut mit Land und Leuten: die kleine Gemeinde Rosazza im Piemont.
Foto: Mirko Costantini/mauritius images
Gian Marco Griffi:
Die Eisenbahnen
Mexikos. Roman. Aus dem Italienischen von Verena von Voskull. Claassen Verlag, Berlin 2024.
790 Seiten, 36 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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