'Verlass diese Frau!' - Dies flüstert dem über alles geliebten Mann eine nächtliche Stimme ins Ohr. Iza ist seine große Liebe. Doch er hört auf den nächtlichen Instikt und geht. Und ein jeder fragt: 'Warum? Was war geschehen?'Antwort gibt das Leben. - Ihr Vater stirbt. Grob war er, liebend und gerecht! Iza nimmt die Mutter mit in ihr Budapester Großstadtleben. Und dann passiert es. Gewohnheiten werden aufgelöst. Erinnerungen kommen hoch. Tatsachen drücken sie zurück in die Tiefe. Wahrheiten machen sich ans Werk. Bis die Katastrophe eintritt: Der instinktive Austritt der Mutter aus dem Leben, ein letzter Akt der Liebe. Eine unerhörte Warnung an die Tochter Iza. Hat sie Ohren zu hören? Die Fluten verebben, zurück bleibt Iza: einst von vielen geliebt, ist sie jetzt allein. Etwas hat zu ihr gesprochen: pur, streng, gegen die kalte Logik namens Selbstbetrug.Ein Roman, der den Bedingungen von Liebe gnadenlos auf den Grund geht. Durch den Strom der Zeiten hindurch fließt die Sprache Magda Szabós: das Ungarn der 60er Jahre, seine Menschen, ihr Schicksal - ein ewiges Monument unserer Schwächen, gütig und ernst, hellsichtig dem Leben zugewandt.Frage: 'Warum schreiben Sie?' Antwort: 'Fragen Sie einen Vogel, warum er singt!' Magda Szabó
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2011Höllenfahrt mit Zuschauern
"Die Elemente" von Magda Szabó in neuer Übersetzung
Solange sie lebte, war sie unbestritten der literarische Star, und noch vier Jahre vor ihrem Tod (2007), damals war sie weit über achtzig, standen Hunderte Menschen auf dem größten Budapester Bücherfest geduldig an, um sich ihre Werke signieren zu lassen. Die ebenfalls anwesenden Estérhazy & Co.: abgemeldet. Sie trugen es mit Fassung, denn ohne Szabós radikale Subjektivität und ihre ausgefeilte Technik des inneren Monologs hätte zum Beispiel Péter Nádas seine erste, schon verblüffend reife Erzählung "Die Bibel" nicht schreiben können, ein Jahr vor Erscheinen ihres sechsten Romans "Pilátus" (1963). Er ist jetzt in der neuen, temporeichen und klaren Übersetzung von Heinrich Eisterer unter dem Titel "Die Elemente" erschienen und wirkt überraschend frisch und modern. Er erzählt die Geschichte eines tödlichen Kampfs zwischen Mutter und Tochter vor den Augen der Familie, der Nachbarn und der Arbeitskollegen - mithin auf der gesellschaftlichen Bühne. Und er erzählt diesen Kampf als eine Tragödie von antikem Ausmaß bis zum bitteren Ende, denn sein tiefster Motor ist pure, also unverdauliche Liebe.
Magda Szabó wusste, was für ein skandalöses Buch sie schrieb, denn es steckt voller verräterischer, hochpolitischer Sätze. Sie sind gut getarnt als winzige Gesten oder beiläufige Bemerkungen, die in den grüblerisch bohrenden Erinnerungsmonologen der Hauptfiguren mitschwimmen. Mit leichter Hand, aber unerbittlich genau werden die menschlichen und sozialen Verheerungen der zwanziger und dreißiger Jahre rekapituliert, vom Standort einer prekären und ratlosen Moderne aus, die an sich zweifelt, aber weiß, dass sie das nicht darf. Deshalb rettet sich die Autorin, in einen geheimnisvollen Modellfall, der um die eigene Achse kreist. Jedem der vielen Betrachter bietet er sich anders dar, aber auch jedem Leser, weil er sich politisch und psychologisch, existentiell, aufklärerisch, sogar theologisch deuten lässt.
Eine dieser ambivalenten Figuren, die Ärztin Iza, verkörpert all das, worauf die sozialistische Gesellschaft der sechziger Jahre stolz war: Sie ist, als ehemalige Widerstandskämpferin, energisch und mutig, dazu hochbegabte und visionäre Ärztin und rührend besorgte Tochter. Izas blinder Hass auf die Vergangenheit, die ihrem Vater nur Schmerz zugefügt hatte, wurde eilig als Kampf gegen bürgerliche Relikte umgedeutet. Denn Anfang der sechziger Jahre war Magda Szabó erst seit kurzem rehabilitiert, nach zehn Jahren Berufs- und Publikationsverbot. Sie war damals die einzige ungarische Autorin, deren Prosa in ganz Europa geschätzt wurde.
In unzähligen Details scheinen die Angst und Zwanghaftigkeit der Rákosi-Ära auf, die weitverbreitete Armut und soziale Arroganz des neuen, rein technisch verstandenen Wohlstandes. Aber das ist nur die Oberfläche, denn die tieferen Nöte der Menschen sind Erschöpfung, die Sehnsucht nach Ruhe, der Ärger über einen dummen Briefträger und die Betrügereien des Lebensmittelhändlers. Schon das Beharren auf dem Privaten wirkt hier wie ein Akt des Widerstandes, und wie später Péter Nádas ging es Magda Szábo vor allem um die schmerzhaften Reibungen zwischen gesellschaftlichen Forderungen und den kleinen Nöten, um Selbsttäuschung, Opportunismus und Sehnsucht. Schon im ersten Kapitel des Romans wird klar, dass nicht nur der wegen seiner Aufrichtigkeit entlassene Richter Vince, sondern auch seine Tochter Iza trotz ihrer Anständigkeit Verlorene sind - wie alle drei Hauptfiguren des Romans. In ihnen sammeln sich die Schmerzen und Verbrechen der Vergangenheit, ein sich langsam ausbreitender Fäulnisherd, den moderne Errungenschaften, so strahlend sie sich auch präsentieren, nie heilen könnten.
Das emotionale Zentrum dieser beklemmend modernen psychologischen Studie ist Izas Mutter Etelka mit ihrer Ignoranz, hilflosen Trauer und falschen Fröhlichkeit. Flehentlich versucht sie der Tochter ihre Liebe abzuringen und versteinert nach jeder Niederlage mehr. Ihre niederschmetternden Einsichten und kleinen Fluchten in ihre frühere Welt, aus denen sie mit neuem Kummer beladen auftaucht, aber auch ihre immer wieder durchbrechende Vitalität bestimmen Klima und Tempo des Romans. Er spielt während weniger Wochen, zwischen dem Tod des Vaters in der Kleinstadt und der überstürzten Flucht der Witwe aus der sozialistischen Luxuswohnung der Tochter in Budapest, wohin die zwanghaft Fürsorgliche sie mitgenommen hatte. Die "Spirale der inneren Gefangenschaft" (Ivan Nagel) dreht sich qualvoll in der engen Wohnung, und während Etelka sich zutiefst schämt, weil sie in all der Bequemlichkeit nicht glücklich ist, leidet die liebende Tochter daran, dass sie die sprachlos vibrierenden Erwartungen der Mutter nicht erträgt.
Unversöhnlich prallen die Temperamente aufeinander, keiner ist bereit, nachzugeben. Wie ein Fechtkampf wird das erzählt, und trotz der epischen Breite, mit der die Vergangenheit von Antal, dem Ex-Ehemann von Iza, erzählt wird - als bitterarmes Dorfkind, als Kostgänger in einem Internat, als Medizinstudent im politischen Untergrund und Lebemann -, wirkt der Roman über weite Strecken wie ein Kammerspiel. Eine reizvolle Spannung, die sich bis in die gespaltenen Charaktere der Personen hinein fortsetzt. Das liebevolle, engagierte Bild, das die Außenwelt von ihnen hat, und ihr privates Verhalten klaffen schockierend weit auseinander, und in diesem Abgrund versteckt sich die Frage nach der persönlichen Schuld von Tochter und Mutter, die offenbleibt. Man ahnt hinter dieser bestürzenden Darstellung menschlicher Beschädigungen den politischen Frost ringsum. Nur die vielen Flüchtigkeitsfehler, die auf ein fehlendes Lektorat schließen lassen, stören den Lesegenuss.
NICOLE HENNEBERG
Magda Szabó: "Die Elemente". Roman.
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Secession Verlag, Zürich/Berlin 2010. 295 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Elemente" von Magda Szabó in neuer Übersetzung
Solange sie lebte, war sie unbestritten der literarische Star, und noch vier Jahre vor ihrem Tod (2007), damals war sie weit über achtzig, standen Hunderte Menschen auf dem größten Budapester Bücherfest geduldig an, um sich ihre Werke signieren zu lassen. Die ebenfalls anwesenden Estérhazy & Co.: abgemeldet. Sie trugen es mit Fassung, denn ohne Szabós radikale Subjektivität und ihre ausgefeilte Technik des inneren Monologs hätte zum Beispiel Péter Nádas seine erste, schon verblüffend reife Erzählung "Die Bibel" nicht schreiben können, ein Jahr vor Erscheinen ihres sechsten Romans "Pilátus" (1963). Er ist jetzt in der neuen, temporeichen und klaren Übersetzung von Heinrich Eisterer unter dem Titel "Die Elemente" erschienen und wirkt überraschend frisch und modern. Er erzählt die Geschichte eines tödlichen Kampfs zwischen Mutter und Tochter vor den Augen der Familie, der Nachbarn und der Arbeitskollegen - mithin auf der gesellschaftlichen Bühne. Und er erzählt diesen Kampf als eine Tragödie von antikem Ausmaß bis zum bitteren Ende, denn sein tiefster Motor ist pure, also unverdauliche Liebe.
Magda Szabó wusste, was für ein skandalöses Buch sie schrieb, denn es steckt voller verräterischer, hochpolitischer Sätze. Sie sind gut getarnt als winzige Gesten oder beiläufige Bemerkungen, die in den grüblerisch bohrenden Erinnerungsmonologen der Hauptfiguren mitschwimmen. Mit leichter Hand, aber unerbittlich genau werden die menschlichen und sozialen Verheerungen der zwanziger und dreißiger Jahre rekapituliert, vom Standort einer prekären und ratlosen Moderne aus, die an sich zweifelt, aber weiß, dass sie das nicht darf. Deshalb rettet sich die Autorin, in einen geheimnisvollen Modellfall, der um die eigene Achse kreist. Jedem der vielen Betrachter bietet er sich anders dar, aber auch jedem Leser, weil er sich politisch und psychologisch, existentiell, aufklärerisch, sogar theologisch deuten lässt.
Eine dieser ambivalenten Figuren, die Ärztin Iza, verkörpert all das, worauf die sozialistische Gesellschaft der sechziger Jahre stolz war: Sie ist, als ehemalige Widerstandskämpferin, energisch und mutig, dazu hochbegabte und visionäre Ärztin und rührend besorgte Tochter. Izas blinder Hass auf die Vergangenheit, die ihrem Vater nur Schmerz zugefügt hatte, wurde eilig als Kampf gegen bürgerliche Relikte umgedeutet. Denn Anfang der sechziger Jahre war Magda Szabó erst seit kurzem rehabilitiert, nach zehn Jahren Berufs- und Publikationsverbot. Sie war damals die einzige ungarische Autorin, deren Prosa in ganz Europa geschätzt wurde.
In unzähligen Details scheinen die Angst und Zwanghaftigkeit der Rákosi-Ära auf, die weitverbreitete Armut und soziale Arroganz des neuen, rein technisch verstandenen Wohlstandes. Aber das ist nur die Oberfläche, denn die tieferen Nöte der Menschen sind Erschöpfung, die Sehnsucht nach Ruhe, der Ärger über einen dummen Briefträger und die Betrügereien des Lebensmittelhändlers. Schon das Beharren auf dem Privaten wirkt hier wie ein Akt des Widerstandes, und wie später Péter Nádas ging es Magda Szábo vor allem um die schmerzhaften Reibungen zwischen gesellschaftlichen Forderungen und den kleinen Nöten, um Selbsttäuschung, Opportunismus und Sehnsucht. Schon im ersten Kapitel des Romans wird klar, dass nicht nur der wegen seiner Aufrichtigkeit entlassene Richter Vince, sondern auch seine Tochter Iza trotz ihrer Anständigkeit Verlorene sind - wie alle drei Hauptfiguren des Romans. In ihnen sammeln sich die Schmerzen und Verbrechen der Vergangenheit, ein sich langsam ausbreitender Fäulnisherd, den moderne Errungenschaften, so strahlend sie sich auch präsentieren, nie heilen könnten.
Das emotionale Zentrum dieser beklemmend modernen psychologischen Studie ist Izas Mutter Etelka mit ihrer Ignoranz, hilflosen Trauer und falschen Fröhlichkeit. Flehentlich versucht sie der Tochter ihre Liebe abzuringen und versteinert nach jeder Niederlage mehr. Ihre niederschmetternden Einsichten und kleinen Fluchten in ihre frühere Welt, aus denen sie mit neuem Kummer beladen auftaucht, aber auch ihre immer wieder durchbrechende Vitalität bestimmen Klima und Tempo des Romans. Er spielt während weniger Wochen, zwischen dem Tod des Vaters in der Kleinstadt und der überstürzten Flucht der Witwe aus der sozialistischen Luxuswohnung der Tochter in Budapest, wohin die zwanghaft Fürsorgliche sie mitgenommen hatte. Die "Spirale der inneren Gefangenschaft" (Ivan Nagel) dreht sich qualvoll in der engen Wohnung, und während Etelka sich zutiefst schämt, weil sie in all der Bequemlichkeit nicht glücklich ist, leidet die liebende Tochter daran, dass sie die sprachlos vibrierenden Erwartungen der Mutter nicht erträgt.
Unversöhnlich prallen die Temperamente aufeinander, keiner ist bereit, nachzugeben. Wie ein Fechtkampf wird das erzählt, und trotz der epischen Breite, mit der die Vergangenheit von Antal, dem Ex-Ehemann von Iza, erzählt wird - als bitterarmes Dorfkind, als Kostgänger in einem Internat, als Medizinstudent im politischen Untergrund und Lebemann -, wirkt der Roman über weite Strecken wie ein Kammerspiel. Eine reizvolle Spannung, die sich bis in die gespaltenen Charaktere der Personen hinein fortsetzt. Das liebevolle, engagierte Bild, das die Außenwelt von ihnen hat, und ihr privates Verhalten klaffen schockierend weit auseinander, und in diesem Abgrund versteckt sich die Frage nach der persönlichen Schuld von Tochter und Mutter, die offenbleibt. Man ahnt hinter dieser bestürzenden Darstellung menschlicher Beschädigungen den politischen Frost ringsum. Nur die vielen Flüchtigkeitsfehler, die auf ein fehlendes Lektorat schließen lassen, stören den Lesegenuss.
NICOLE HENNEBERG
Magda Szabó: "Die Elemente". Roman.
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Secession Verlag, Zürich/Berlin 2010. 295 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einzig ein etwas nachlässiges Lektorat und entsprechend viele Flüchtigkeitsfehler im Text konnten den Lesegenuss von Nicole Henneberg stören. Abgesehen davon jedoch ist sie sprachlos angesichts der dank Heinrich Eisterers Neuübersetzung erlangten Frische und Modernität des Romans der großen Magda Szabo. Wie die Autorin die Härten des Lebens in der Rakosi-Ära als kammerspielartigen Kampf zwischen einer Mutter und ihrer Tochter inszeniert und dabei immer wieder in kleinen Gesten und Bemerkungen hochpolitisch Partei ergreift für die Opfer und große Themen wie Schuld, Selbsttäuschung und Opportunismus verhandelt, flößt Henneberg Respekt ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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