Jeremy Rifkin schreibt die Geschichte der Zivilisation neu und entwirft die Vision einer zukünftigen Ära. Der Schlüssel für unser Zusammenleben in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist Empathie: die Gabe, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und bei allem, was wir tun, die Konsequenzen für andere zu bedenken. Wir sind nicht von Natur aus egoistische, aggressive Einzelkämpfer. Vielmehr sind Kooperation, Solidarität und Mitgefühl die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Auch das menschliche Gehirn ist auf Vernetzung und Solidarität ausgelegt, wie die Neurowissenschaften bestätigen. Nach der Agrar- und der Industriegesellschaft prophezeit Rifkin eine neue Ära: den dezentralisierten Kapitalismus. Herausforderungen wie die globale Wirtschaftskrise und der Klimawandel zeigen: Entscheidend ist, auf Interessen und Positionen anderer einzugehen. Nur die Fähigkeit zur Empathie erlaubt es, der verstärkten Komplexität unseres Lebens Rechnung zu tragen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2010Die empathische Zivilisation
Jeremy Rifkin erzählt die Menschheitsgeschichte ganz neu
Der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin entwirft eine Vision der Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Ausgehend von der These, dass die Menschheit sich aus Eigennutz und zur Lustmaximierung entwickelt hat, zeichnet der Autor ein Bild, in dem die Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, um zu empfinden, was der andere fühlen muss, im Mittelpunkt steht: die eigenen Gefühle kennen, um angemessen auf den anderen zu reagieren. In der Empathie sieht Rifkin die Zukunft für das Zusammenleben der Menschheit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, holt er weit aus. Denn um eine neue Interpretation der Geschichte der Zivilisation zu zeichnen, räumt der Autor erst einmal mit der Vorstellung auf, dass der Mensch von Beginn an eine aggressive, materialistische und egoistische Natur besitzt. Warum aber wurde der Empathie bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Rifkin bezieht sich zum einen auf neuste Forschungsergebnisse von Hirnforschern und Entwicklungspsychologen, zum anderen stellt er die These auf, dass das empathische Bewusstsein bis heute nicht in allen anthropologischen und historischen Gesichtspunkten untersucht worden ist. So habe sich das empathische Bewusstsein in den vergangenen 175 000 Jahren der Geschichte des Homo sapiens nur langsam entwickelt. Aber solange es auch gedauert hat, schließlich entsteht, zusammengefügt aus einer Vielzahl von Quellen wie Literatur, Kunst, Theologie, Philosophie, Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft, ein neues soziales Zusammenleben: die emphatische Zivilisation. Diese erfordert grundlegend veränderte Denk-, Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle.
Unterteilt in drei Hauptkapitel, wird der Verlauf der Menschheitsgeschichte analysiert, um zu der Vision des zukünftigen Zusammenlebens zu gelangen. In Teil I wird das neue Menschenbild, das sich in den Natur- und Geisteswissenschaften mit der Entdeckung des Homo empathicus befasst, betrachtet. In Teil II "Empathie und Zivilisation" untersucht Jeremy Rifkin die Wellen der empathischen Entwicklungen sowie die großen Bewusstseinsänderungen, die mit jeder neuen und komplexeren Zivilisation einhergingen. Auf diese Weise soll die Geschichte der Menschheit und die Bedeutung der menschlichen Zivilisation neu bewertet werden. In Teil III widmet er sich dem Zeitalter der Empathie. Dabei geht es um den vom Autor empfundenen gegenwärtigen Wettlauf zwischen einem globalen Empathiemaximum und der immer schneller werdenden Zerstörung der Biosphäre der Erde.
Was hat diese Diskussion nun mit dem wirtschaftlichen Geschehen zu tun? Sehr viel! Denn im Rückblick auf die Menschheitsgeschichte wird gezeigt, dass ökonomisches Handeln das Zusammenleben seit je entscheidend beeinflusst hat. Immer wieder wird die Bedeutung des wirtschaftlichen Handelns für die Empathie herausgestellt. Rifkin beschreibt zum Beispiel, dass bereits im 6. Jahrhundert vor Christus in Indien und China ein empathisches Bewusstsein entstand. Aus Sorge über den Verlust traditioneller Werte, wachsender Gier der Kaufleute, einhergehend mit einem moralischen Verfall, wurde ein neuer Weg gesucht. Und als Drang nach freien Märkten bezeichnet der Autor die Entwicklung des Spätmittelalters in Europa. Galten bis dahin im Handwerk Zünfte, sorgten neue Technologien dafür, dass eine Kapitalistenklasse entstand, die ihr Handelsmodell in selbstregulierenden freien Märkten sah.
Die von Rifkin aufgezählten Beispiele der Bedeutung der Ökonomie im Verlauf der Geschichte der Menschheit - und damit der Empathie - lassen sich ohne Unterbrechung fortsetzen. Im dritten Teil wendet sich der Autor der zweiten und - noch jungen - dritten industriellen Revolution zu, die einem "dezentralen Kapitalismus" den Weg bereitet. Seiner Auffassung nach tritt die zweite industrielle Revolution in eine Endphase, an der Schwelle neuer Kommunikationsmöglichkeiten, dezentralisierter Informationstechnologien bei gleichzeitiger Erschließung neuer dezentraler Energiequellen. Solcher Energien also, die jeder vor seiner Haustür findet. Die globale Wirtschaft habe ihren Scheitelpunkt erreicht, so dass die Menschheit ihren Platz auf der Erde grundlegend neu definieren müsse.
Das Zeitalter der Empathie löst das Zeitalter der Vernunft ab. Die entscheidende Frage lautet für Rifkin: Wird die globale Empathie rechtzeitig erreicht, um den Zusammenbruch der Zivilisation zu verhindern und unseren Planeten zu retten? Die Notwendigkeit auf Interessen und Positionen anderer einzugehen, um die Probleme der Welt zu lösen, ist kein neuer Gedanke. Auch wenn der Autor nicht für all seine Behauptungen einen Nachweis erbringt, so ist es ihm gelungen, das Thema Menschenbild und Empathie von Grund auf aufzuarbeiten: Die Menschheitsgeschichte wird neu erzählt.
INDIRA GURBAXANI
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeremy Rifkin erzählt die Menschheitsgeschichte ganz neu
Der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin entwirft eine Vision der Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Ausgehend von der These, dass die Menschheit sich aus Eigennutz und zur Lustmaximierung entwickelt hat, zeichnet der Autor ein Bild, in dem die Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, um zu empfinden, was der andere fühlen muss, im Mittelpunkt steht: die eigenen Gefühle kennen, um angemessen auf den anderen zu reagieren. In der Empathie sieht Rifkin die Zukunft für das Zusammenleben der Menschheit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, holt er weit aus. Denn um eine neue Interpretation der Geschichte der Zivilisation zu zeichnen, räumt der Autor erst einmal mit der Vorstellung auf, dass der Mensch von Beginn an eine aggressive, materialistische und egoistische Natur besitzt. Warum aber wurde der Empathie bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Rifkin bezieht sich zum einen auf neuste Forschungsergebnisse von Hirnforschern und Entwicklungspsychologen, zum anderen stellt er die These auf, dass das empathische Bewusstsein bis heute nicht in allen anthropologischen und historischen Gesichtspunkten untersucht worden ist. So habe sich das empathische Bewusstsein in den vergangenen 175 000 Jahren der Geschichte des Homo sapiens nur langsam entwickelt. Aber solange es auch gedauert hat, schließlich entsteht, zusammengefügt aus einer Vielzahl von Quellen wie Literatur, Kunst, Theologie, Philosophie, Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft, ein neues soziales Zusammenleben: die emphatische Zivilisation. Diese erfordert grundlegend veränderte Denk-, Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle.
Unterteilt in drei Hauptkapitel, wird der Verlauf der Menschheitsgeschichte analysiert, um zu der Vision des zukünftigen Zusammenlebens zu gelangen. In Teil I wird das neue Menschenbild, das sich in den Natur- und Geisteswissenschaften mit der Entdeckung des Homo empathicus befasst, betrachtet. In Teil II "Empathie und Zivilisation" untersucht Jeremy Rifkin die Wellen der empathischen Entwicklungen sowie die großen Bewusstseinsänderungen, die mit jeder neuen und komplexeren Zivilisation einhergingen. Auf diese Weise soll die Geschichte der Menschheit und die Bedeutung der menschlichen Zivilisation neu bewertet werden. In Teil III widmet er sich dem Zeitalter der Empathie. Dabei geht es um den vom Autor empfundenen gegenwärtigen Wettlauf zwischen einem globalen Empathiemaximum und der immer schneller werdenden Zerstörung der Biosphäre der Erde.
Was hat diese Diskussion nun mit dem wirtschaftlichen Geschehen zu tun? Sehr viel! Denn im Rückblick auf die Menschheitsgeschichte wird gezeigt, dass ökonomisches Handeln das Zusammenleben seit je entscheidend beeinflusst hat. Immer wieder wird die Bedeutung des wirtschaftlichen Handelns für die Empathie herausgestellt. Rifkin beschreibt zum Beispiel, dass bereits im 6. Jahrhundert vor Christus in Indien und China ein empathisches Bewusstsein entstand. Aus Sorge über den Verlust traditioneller Werte, wachsender Gier der Kaufleute, einhergehend mit einem moralischen Verfall, wurde ein neuer Weg gesucht. Und als Drang nach freien Märkten bezeichnet der Autor die Entwicklung des Spätmittelalters in Europa. Galten bis dahin im Handwerk Zünfte, sorgten neue Technologien dafür, dass eine Kapitalistenklasse entstand, die ihr Handelsmodell in selbstregulierenden freien Märkten sah.
Die von Rifkin aufgezählten Beispiele der Bedeutung der Ökonomie im Verlauf der Geschichte der Menschheit - und damit der Empathie - lassen sich ohne Unterbrechung fortsetzen. Im dritten Teil wendet sich der Autor der zweiten und - noch jungen - dritten industriellen Revolution zu, die einem "dezentralen Kapitalismus" den Weg bereitet. Seiner Auffassung nach tritt die zweite industrielle Revolution in eine Endphase, an der Schwelle neuer Kommunikationsmöglichkeiten, dezentralisierter Informationstechnologien bei gleichzeitiger Erschließung neuer dezentraler Energiequellen. Solcher Energien also, die jeder vor seiner Haustür findet. Die globale Wirtschaft habe ihren Scheitelpunkt erreicht, so dass die Menschheit ihren Platz auf der Erde grundlegend neu definieren müsse.
Das Zeitalter der Empathie löst das Zeitalter der Vernunft ab. Die entscheidende Frage lautet für Rifkin: Wird die globale Empathie rechtzeitig erreicht, um den Zusammenbruch der Zivilisation zu verhindern und unseren Planeten zu retten? Die Notwendigkeit auf Interessen und Positionen anderer einzugehen, um die Probleme der Welt zu lösen, ist kein neuer Gedanke. Auch wenn der Autor nicht für all seine Behauptungen einen Nachweis erbringt, so ist es ihm gelungen, das Thema Menschenbild und Empathie von Grund auf aufzuarbeiten: Die Menschheitsgeschichte wird neu erzählt.
INDIRA GURBAXANI
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Rudolf Walther weiß gar nicht, wo er anfangen soll, Jeremy Rifkins Thesen auseinanderzunehmen, so hanebüchen erscheint ihm das, was der amerikanische Trendforscher in seinem neuesten Buch alles zusammenbringt. Laut Rifkin ist der Mensch von Natur aus ein "liebevolles Wesen", was nicht nur Umfragen festgestellt haben sollen, sondern auch die Wissenschaft. Dafür werfe Rifkin sämtliche Gesellschaftstheorien der vergangenen zweieinhalb Jahrtausende über Bord und verquickt zum Entsetzen des Rezensenten die Menschheitsgeschichte auch noch auf recht forsche Art mit den Gesetzen der Thermodynamik.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Sind wir nicht alle ein bisschen Gutmensch?
"Plausible Thesen, gute Argumente, wesentliche Einsichten." (Falter, 03.02.2010)
"Wir müssen uns neu überlegen, was uns wirklich glücklich macht"
"Sich auf neuere neurowissenschaftliche Erkenntnisse stützend, entwickelt Rifkin eine Art Universaltheorie die alles, was man über die menschliche Natur zu wissen glaubt, über den Haufen wirft." (Tages-Anzeiger, 05.02.2010)
Gemeinsam in die Zukunft
"Jeremy Rifkin ist ein wandelnder Thinktank. Er ist ein Gedankenblitz in Menschengestalt ... Sein Buch ist wie eine Beschwörungsformel." (3sat Kulturzeit, 26.02.2010)
"Ich habe mich mit vielen angelegt"
"Jeremy Rifkin ist einer der großen Intellektuellen der USA." (Der Tagesspiegel, 28.02.2010)
Das Zeitalter der Empathie
"Ein Plädoyer für mehr Mitgefühl." (Emotion, 01.03.2010)
Die empathische Zivilisation
"Rifkin ist es gelungen, das Thema Menschenbild und Empathie von Grund auf aufzuarbeiten: Die Menschheitsgeschichte wird neu erzählt." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.03.2010)
Abschied vom "Homo oeconomicus"
"Rifkins Perspektive ermöglicht neue Einsichten ... Anregend sind seine Ideen auf jeden Fall, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch politisch." (Neues Deutschland, 24.03.2010)
"Plausible Thesen, gute Argumente, wesentliche Einsichten." (Falter, 03.02.2010)
"Wir müssen uns neu überlegen, was uns wirklich glücklich macht"
"Sich auf neuere neurowissenschaftliche Erkenntnisse stützend, entwickelt Rifkin eine Art Universaltheorie die alles, was man über die menschliche Natur zu wissen glaubt, über den Haufen wirft." (Tages-Anzeiger, 05.02.2010)
Gemeinsam in die Zukunft
"Jeremy Rifkin ist ein wandelnder Thinktank. Er ist ein Gedankenblitz in Menschengestalt ... Sein Buch ist wie eine Beschwörungsformel." (3sat Kulturzeit, 26.02.2010)
"Ich habe mich mit vielen angelegt"
"Jeremy Rifkin ist einer der großen Intellektuellen der USA." (Der Tagesspiegel, 28.02.2010)
Das Zeitalter der Empathie
"Ein Plädoyer für mehr Mitgefühl." (Emotion, 01.03.2010)
Die empathische Zivilisation
"Rifkin ist es gelungen, das Thema Menschenbild und Empathie von Grund auf aufzuarbeiten: Die Menschheitsgeschichte wird neu erzählt." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.03.2010)
Abschied vom "Homo oeconomicus"
"Rifkins Perspektive ermöglicht neue Einsichten ... Anregend sind seine Ideen auf jeden Fall, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch politisch." (Neues Deutschland, 24.03.2010)