Auf fünf Erdteilen war Roger Willemsen unterwegs, um seine ganz persönlichen Enden der Welt zu finden. Manchmal waren es die großen geographischen: das Kap in Südafrika, Patagonien, der Himalaja, die Südsee, der Nordpol. Manchmal waren es aber auch ganz einzigartige, individuelle Endpunkte: ein Bordellflur in Bombay, ein Bett in Minsk, ein Fresko des Jüngsten Gerichts in Orvieto, eine Behörde im Kongo. Immer aber geht es in diesen grandiosen literarischen Reisebildern auch um ein Enden in anderem Sinn: um ein Ende der Liebe und des Begehrens, der Illusionen, der Ordnung und Verständigung. Um das Ende des Lebens und um den Neubeginn.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Weg mit dem Ich
Google-Earth-Impressionismus: Roger Willemsen bereist mit riskanter Agenda "Die Enden der Welt" und träumt vom Selbstverlust.
Von Daniel Haas
Wer die Reiserouten der Gemeinplätze durch unseren Sprachgebrauch nachzeichnen wollte, müsste auch diesen Topos verfolgen: dass Erfahrung immer etwas mit Fahren und Weiterkommen zu tun hat. Die Etymologie, die vorzugsweise Autokonzerne zu Werbeslogans inspiriert ("Kompetenz erfahren!"), wurde auch von Roger Willemsen bemüht: In einer Vorlesung an der Berliner Humboldt-Universität sprach er von der Fortbewegung und wie sie uns seit jeher mit dem Wissenserwerb verbunden erscheint.
Das Referat handelte von der Phänomenologie des Reisens und musste demnach als flankierende Maßnahme zur Buchpublikation aufgefasst werden. Und schon stand eine Drohung im Raum: Der 542 Seiten starke Expeditionsbericht "Die Enden der Welt" würde womöglich eine weitgespannte Entdeckungstournee des medienerprobten Kulturträgers sein, eine Tour de force der Aus- und Einsichten, an deren Ende das erreicht wäre, was Susan Sontag einmal hämisch einen angewandten Hegelianismus nannte: "sich selbst im andern zu finden".
Umso überraschender, dass sich hier kein dialektischer Narzissmus in Szene setzt, sondern ein Autor mit einer wirklich riskanten Agenda reist: Statt neue Erkenntnisse über die Welttopographie einzusammeln, fährt dieser Erzähler der Auslöschung entgegen. Das Ziel heißt Ich-Verlust, nicht Selbstbestätigung, und deshalb ist das Werk als Fahrtenbuch annähernd unbrauchbar, als Roman aber fulminant.
Fünf Erdteile hat der Autor bereist, 22 Stationen absolviert, der Parcours versammelt so ziemlich jede entlegene Weltgegend, in der sich ein Literat als Forscher und Abenteurer bewähren kann. Es geht von Gibraltar nach Island, von Minsk nach Patagonien, Timbuktu und Bombay stehen auf dem Programm, Kamtschatka und Mandalay. Überall spürt der Erzähler anthropologische Extreme auf, kulturelle Kuriositäten, soziale Bizarrerien. In Indien lässt er sich von Eunuchen segnen, im Kongo gerät er in die Mühlen kafkaesker Behörden, in Katmandu hat er ein Tête-à-tête mit Geistern und Scheintoten.
Aber als touristisches Panorama taugen diese Texte ebenso wenig wie ein Armutsbericht der UN oder eine Doktorarbeit zum Thema ethnische Diversität. Sie sind, in ihrer literarischen Dichte, viel eher Tableaus des Fremden, wie es sich eine verzweifelte Phantasie ausmalt. Verzweifelt? Die Stimme dieser Prosa kann man nicht anders nennen: Sie drängt, hastet, wühlt sich in überwältigender Beschreibungsintensität ins Andere. Willemsen hat von einem "Rausch der Genauigkeit" gesprochen, und genau dies ist das Verfahren: ein Verdichtungsfuror, der sich die Textur des Unbekannten erschließen will, als gelte es, der fremden Wirklichkeit Stoffproben zu entnehmen und einem zu Hause ans Bett Gefesselten zurückzubringen.
Es gibt diesen Kranken tatsächlich, er erscheint gleich im ersten Kapitel: Da trifft der Autor einen tumorkranken Jungen im Hospital. "Mir ist langweilig", sagt das Kind, und in diesen Hohlraum der Tristesse drängt die Erzählung. So beginnt das Buch bereits am Ende einer Welt, dort, wo eine Lebensreise abbricht. An diesen Ort wird die Imagination in der letzten Erzählung zurückkehren, auf dem Umweg über die Eiswüsten der Polarregion, in deren blendender Weiße sich die Decke des Krankenzimmers spiegelt. Der Tod rahmt diesen Kosmos, sagt die Dramaturgie, und keine noch so mutige Expansion wird dieser Einsicht je entgehen. Hierin liegt die moralische Integrität, ja die Demut des Buchs. Wenn Reisen nur eine Bewegung zwischen den Hinfälligkeiten ist, dann wird man sich mit Respekt und zugleich Skepsis, spekulativer Distanz und artistischem Eifer dem Unbekannten nähern. Das Eigene in der Dämonisierung des Anderen aufwerten kommt ebenso wenig in Frage wie eine Vanitas-Romantik, die die Welt dort am schönsten erfährt, wo sie am dekadentesten ist.
Vielmehr geht es um eine Besichtigung des Globus aus der Perspektive der Resignation. Dieser Reisende weiß, dass das Ich ein Hemmschuh ist beim Wandern und man Ideen- und Meinungsballast abwerfen muss, so gut es geht. Am glücklichsten ist der Vagabund deshalb immer dann, wenn sich die bildersatte Realität zu geisterhaften Zonen verflüchtigt. Das kann im isländischen Isafjördur sein, wo "kontemplative Gegenden zum Verschwinden einladen"; in Patagonien, das als Region beschrieben wird für "Menschen, die sich wegwenden, aus der Gemeinschaft heraus". In der Sahara zerstäubt das Reisen in Desorientierung, "eine Flucht ohne Fluchtpunkt"; die ehemalige Sklaveninsel Gorré erscheint als "Ort der Ratlosigkeit", der das Verlangen nährt, "nicht zu sein".
"Was hat sie hierher verschlagen?", lässt sich der Erzähler schließlich im indonesischen Toraja fragen. "Die Lust zu verschwinden", lautet die Antwort. "Wie ein Schatten." Entkernung, Ausdünnung ist also die Idee, und dass ausgerechnet Willemsen, die mit Prominenz und Aufmerksamkeit imprägnierte Medienfigur, sich erzählend derart der Auslöschung hingeben kann, das ist ein schönes Paradox des Texts.
Ein anderes ist die Gier der Darstellung, die doch nur dazu dient, in einen Bereich jenseits der Erkenntnis vorzudringen. Von der Todeskammer des Kindes ausgehend soll der Vergänglichkeit in der Zeit das Erlebnis des Raums entgegengesetzt werden. Dieser Raum aber erscheint am suggestivsten, wenn er als Bühne des Selbstvergessens in Erscheinung tritt.
Buchstäblich berauschend ist deshalb die Schilderung eines Opiumrituals in Thailand, weil hier das Verfahren zu sich selbst kommt: Das Paradies, verstanden als Alpha und Omega menschlicher Erfahrung, kann nur künstlich sein; ein wahrer Reisender ist, wer sich den Traumpfaden des Unbewussten überlässt. Von allen Authentizitätsgesten gereinigt, erscheint diese Fahrt wirklich als eine zum Ende - des Ich.
Fiese Volte des Projekts: Ausgerechnet der literarische Impressionismus rückt streckenweise bedenklich nah an sein technologisches Gegenstück: die Registrier- und Inspektionsmethoden, wie sie mit Google Earth prägend für die touristische Erfassung der Welt geworden sind. Das Mäandern durch die Kulissen der Imagination hat mehr vom Klick-Trip über den Globus, als ihm lieb sein kann. Die wahllos zerstreute Schau der Weltgegenden via Satellit und die sprunghafte Introspektion folgen derselben Logik.
Deshalb empfiehlt es sich, das Buch in Etappen zu bereisen, als Episodenroman. In solcher Dosierung ist jede Folge ein Drama mit dem Reisenden als tragischem Helden. Er will weg und kann sich selbst doch nicht entkommen. Er träumt vom Ende der Welt und erwacht stets am Ausgang einer neuen Fahrt. Nichts, was wir nicht schon von anderen Schriftstellern erfahren hätten. Wenn aber so virtuos davon erzählt wird, ist es immer wieder bewegend.
Roger Willemsen: "Die Enden der Welt". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 542 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Google-Earth-Impressionismus: Roger Willemsen bereist mit riskanter Agenda "Die Enden der Welt" und träumt vom Selbstverlust.
Von Daniel Haas
Wer die Reiserouten der Gemeinplätze durch unseren Sprachgebrauch nachzeichnen wollte, müsste auch diesen Topos verfolgen: dass Erfahrung immer etwas mit Fahren und Weiterkommen zu tun hat. Die Etymologie, die vorzugsweise Autokonzerne zu Werbeslogans inspiriert ("Kompetenz erfahren!"), wurde auch von Roger Willemsen bemüht: In einer Vorlesung an der Berliner Humboldt-Universität sprach er von der Fortbewegung und wie sie uns seit jeher mit dem Wissenserwerb verbunden erscheint.
Das Referat handelte von der Phänomenologie des Reisens und musste demnach als flankierende Maßnahme zur Buchpublikation aufgefasst werden. Und schon stand eine Drohung im Raum: Der 542 Seiten starke Expeditionsbericht "Die Enden der Welt" würde womöglich eine weitgespannte Entdeckungstournee des medienerprobten Kulturträgers sein, eine Tour de force der Aus- und Einsichten, an deren Ende das erreicht wäre, was Susan Sontag einmal hämisch einen angewandten Hegelianismus nannte: "sich selbst im andern zu finden".
Umso überraschender, dass sich hier kein dialektischer Narzissmus in Szene setzt, sondern ein Autor mit einer wirklich riskanten Agenda reist: Statt neue Erkenntnisse über die Welttopographie einzusammeln, fährt dieser Erzähler der Auslöschung entgegen. Das Ziel heißt Ich-Verlust, nicht Selbstbestätigung, und deshalb ist das Werk als Fahrtenbuch annähernd unbrauchbar, als Roman aber fulminant.
Fünf Erdteile hat der Autor bereist, 22 Stationen absolviert, der Parcours versammelt so ziemlich jede entlegene Weltgegend, in der sich ein Literat als Forscher und Abenteurer bewähren kann. Es geht von Gibraltar nach Island, von Minsk nach Patagonien, Timbuktu und Bombay stehen auf dem Programm, Kamtschatka und Mandalay. Überall spürt der Erzähler anthropologische Extreme auf, kulturelle Kuriositäten, soziale Bizarrerien. In Indien lässt er sich von Eunuchen segnen, im Kongo gerät er in die Mühlen kafkaesker Behörden, in Katmandu hat er ein Tête-à-tête mit Geistern und Scheintoten.
Aber als touristisches Panorama taugen diese Texte ebenso wenig wie ein Armutsbericht der UN oder eine Doktorarbeit zum Thema ethnische Diversität. Sie sind, in ihrer literarischen Dichte, viel eher Tableaus des Fremden, wie es sich eine verzweifelte Phantasie ausmalt. Verzweifelt? Die Stimme dieser Prosa kann man nicht anders nennen: Sie drängt, hastet, wühlt sich in überwältigender Beschreibungsintensität ins Andere. Willemsen hat von einem "Rausch der Genauigkeit" gesprochen, und genau dies ist das Verfahren: ein Verdichtungsfuror, der sich die Textur des Unbekannten erschließen will, als gelte es, der fremden Wirklichkeit Stoffproben zu entnehmen und einem zu Hause ans Bett Gefesselten zurückzubringen.
Es gibt diesen Kranken tatsächlich, er erscheint gleich im ersten Kapitel: Da trifft der Autor einen tumorkranken Jungen im Hospital. "Mir ist langweilig", sagt das Kind, und in diesen Hohlraum der Tristesse drängt die Erzählung. So beginnt das Buch bereits am Ende einer Welt, dort, wo eine Lebensreise abbricht. An diesen Ort wird die Imagination in der letzten Erzählung zurückkehren, auf dem Umweg über die Eiswüsten der Polarregion, in deren blendender Weiße sich die Decke des Krankenzimmers spiegelt. Der Tod rahmt diesen Kosmos, sagt die Dramaturgie, und keine noch so mutige Expansion wird dieser Einsicht je entgehen. Hierin liegt die moralische Integrität, ja die Demut des Buchs. Wenn Reisen nur eine Bewegung zwischen den Hinfälligkeiten ist, dann wird man sich mit Respekt und zugleich Skepsis, spekulativer Distanz und artistischem Eifer dem Unbekannten nähern. Das Eigene in der Dämonisierung des Anderen aufwerten kommt ebenso wenig in Frage wie eine Vanitas-Romantik, die die Welt dort am schönsten erfährt, wo sie am dekadentesten ist.
Vielmehr geht es um eine Besichtigung des Globus aus der Perspektive der Resignation. Dieser Reisende weiß, dass das Ich ein Hemmschuh ist beim Wandern und man Ideen- und Meinungsballast abwerfen muss, so gut es geht. Am glücklichsten ist der Vagabund deshalb immer dann, wenn sich die bildersatte Realität zu geisterhaften Zonen verflüchtigt. Das kann im isländischen Isafjördur sein, wo "kontemplative Gegenden zum Verschwinden einladen"; in Patagonien, das als Region beschrieben wird für "Menschen, die sich wegwenden, aus der Gemeinschaft heraus". In der Sahara zerstäubt das Reisen in Desorientierung, "eine Flucht ohne Fluchtpunkt"; die ehemalige Sklaveninsel Gorré erscheint als "Ort der Ratlosigkeit", der das Verlangen nährt, "nicht zu sein".
"Was hat sie hierher verschlagen?", lässt sich der Erzähler schließlich im indonesischen Toraja fragen. "Die Lust zu verschwinden", lautet die Antwort. "Wie ein Schatten." Entkernung, Ausdünnung ist also die Idee, und dass ausgerechnet Willemsen, die mit Prominenz und Aufmerksamkeit imprägnierte Medienfigur, sich erzählend derart der Auslöschung hingeben kann, das ist ein schönes Paradox des Texts.
Ein anderes ist die Gier der Darstellung, die doch nur dazu dient, in einen Bereich jenseits der Erkenntnis vorzudringen. Von der Todeskammer des Kindes ausgehend soll der Vergänglichkeit in der Zeit das Erlebnis des Raums entgegengesetzt werden. Dieser Raum aber erscheint am suggestivsten, wenn er als Bühne des Selbstvergessens in Erscheinung tritt.
Buchstäblich berauschend ist deshalb die Schilderung eines Opiumrituals in Thailand, weil hier das Verfahren zu sich selbst kommt: Das Paradies, verstanden als Alpha und Omega menschlicher Erfahrung, kann nur künstlich sein; ein wahrer Reisender ist, wer sich den Traumpfaden des Unbewussten überlässt. Von allen Authentizitätsgesten gereinigt, erscheint diese Fahrt wirklich als eine zum Ende - des Ich.
Fiese Volte des Projekts: Ausgerechnet der literarische Impressionismus rückt streckenweise bedenklich nah an sein technologisches Gegenstück: die Registrier- und Inspektionsmethoden, wie sie mit Google Earth prägend für die touristische Erfassung der Welt geworden sind. Das Mäandern durch die Kulissen der Imagination hat mehr vom Klick-Trip über den Globus, als ihm lieb sein kann. Die wahllos zerstreute Schau der Weltgegenden via Satellit und die sprunghafte Introspektion folgen derselben Logik.
Deshalb empfiehlt es sich, das Buch in Etappen zu bereisen, als Episodenroman. In solcher Dosierung ist jede Folge ein Drama mit dem Reisenden als tragischem Helden. Er will weg und kann sich selbst doch nicht entkommen. Er träumt vom Ende der Welt und erwacht stets am Ausgang einer neuen Fahrt. Nichts, was wir nicht schon von anderen Schriftstellern erfahren hätten. Wenn aber so virtuos davon erzählt wird, ist es immer wieder bewegend.
Roger Willemsen: "Die Enden der Welt". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 542 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2010Wo sind die Enden
einer Kugel?
Roger Willemsen hat ein gewichtiges
Buch der Unrast geschrieben Von Burkhard Müller
In Wilhelm Buschs Geschichte „Plisch und Plum“ hat ein gewisser Mister Pief seinen Auftritt, die Karikatur eines englischen Reisenden, im kariertem Anzug und mit Teleskop vor dem Gesicht („Pief“ reimt sich auf „das Perspektiv“). Sein Motto lautet: „Schön ist es auch anderswo, / Und hier bin ich sowieso.“ Das ist, betrachtet man es genauer, ein Abgrund von einem Satz. Er argumentiert zugleich fürs Reisen und fürs Daheimbleiben. Wenn sich die Schönheit so einigermaßen gleichmäßig über die Welt verteilt, dann verdient natürlich der Ort den Vorzug, der die wenigste Mühe bereitet, also: Bleibe im Lande und nähre dich redlich! Man kann das „sowieso“ aber auch als Ausdruck der Ungeduld lesen: Jetzt haben wir uns wahrlich lang genug auf dem immer selben Fleck befunden – ziehen wir weiter! In jedem Fall jedoch ist dieses Motto, sei es als Wappenspruch der Unrast oder aber der Trägheit, auf einen unfrohen Ton gestimmt. Mister Pief schafft es zum Schluss, den Widrigkeiten der Nähe und der Weite zugleich zu erliegen, indem er, während er durchs Teleskop blickend die Landschaft durchschreitet, in den Tümpel zu seinen Füßen fällt.
Die tief melancholische Erfahrung, sich zum ständigen Reisen gedrängt zu fühlen und doch zu wissen, dass es nicht weiterbringt, liegt auch dem Buch von Roger Willemsen zugrunde. Schon im Titel verrät sie sich: „Die Enden der Welt“. Als die Erde noch eine Scheibe war, lockte darin das Abenteuer des maximalen Abstands und äußersten Randes. Aber auf der Oberfläche einer Kugel kann es kein Ende mehr geben, jeder Punkt ist gleich weit vom Zentrum entfernt, und jede Ankunft an einem vermeinten Ende muss sich als Illusion erweisen – die aber nie vom nächsten Plan abschreckt. So finden sich, auf Willemsens Liste der Orte, die er als Kandidaten des Weltendes auswählt und bereist, unter anderem: Gibraltar und Tanger mit den Säulen des Herkules, wo die Antike die Welt zu Ende wähnte; die Halbinsel Kamtschatka, vor kurzem noch totales militärisches Sperrgebiet; Timbuktu, für das 19. Jahrhundert das unzugängliche Herz Afrikas, heute ein gottverlassenes Wüstenkaff; Kinshasa, wo der dauernde Krieg Ausländern den Aufenthalt fast unmöglich macht; Gorée, der senegalesische Hafen, von dem die Sklaven die Reise ohne Wiederkehr in die Neue Welt antraten; der Himalaya; die Südspitze Südamerikas; die Nordwestspitze Islands; und natürlich der Nordpol. Am Nordpol regnet es bei drei Grad plus.
Willemsen beginnt mit einem Stück „Die Eifel“. Da stammt er her, da träumt er sich als Jugendlicher weg. Das Ungenügen an der Reise gibt als seine Wurzel das Ungenügen am Ursprung zu erkennen. Er setzt ein mit dem Morgen nach einer Silvesterparty (auch so ein unausweichlich enttäuschendes Schein- Ende), mit der Spitzhacke werden die gefrorenen Reste des Erbrochenen vom Boden entfernt – man übergibt sich viel in diesem Buch –, und man geht ein wenig im Winterwald spazieren. „Es kommt ein beliebiger Punkt. Da halten alle an, und niemand tut mehr einen Schritt. Der Wind streicht über die leere Fläche, auf der wir stehen wie zusammengefegt. Einer sagt: ‚Hier ist nichts. Drehen wir um.‘“
Es war da aber eigentlich auch schon vorher nichts, und dem Punkt der Umkehr wohnt keine Notwendigkeit inne. Die Ouvertüre hat noch einen zweiten Teil: Der Erzähler unterhält eine offenbar recht halbherzige Romanze mit einer Krankenschwester, besucht sie auf ihrer Station während der Nachtschicht, ein kleiner Junge im Pyjama kommt herein und klagt: „Mir ist langweilig!“ Der Junge hat einen Hirntumor und noch drei Monate zu leben. Und doch wird ihm das bestürzend knappste Gut, die Zeit, zu viel, ihr bloßer leerer Gang soll sich ihm füllen, irgendwie. Dieser kleine Junge stellt den Archetypen des Reisenden dar, wie ihn Willemsen begreift.
Der wahre Reisende ist immer einsam gewesen. Das war ein praktisches Erfordernis, und es half, den Blick nach draußen zu konzentrieren. Bei Roger Willemsen aber hat die Einsamkeit noch einen anderen, schmerzlicheren Aspekt. Seine Reisen verschränken sich mit Liebesversuchen. In vielen dieser Kapitel tauchen Frauen auf, aber am Ende oder im Verlauf der jeweiligen Reise schon wieder unter. Reise und Liebe, das ergänzt sich nicht zum Ganzen eines Sinns, im Gegenteil, sie vertiefen einander in ihrer Vergeblichkeit. „,Hat sich deine Neugier erschöpft?‘“ fragt er seine Begleiterin Christa, die ihn in Gibraltar verlässt. Sie antwortet: „,Du hast sie erschöpft. Aber nimm’s nicht persönlich‘“.
Wie dann, bitte? möchte man fragen. Diese Reiseliebeleien scheitern an der Banalität, aber auch an Verzweiflung und Wahnsinn. Marga springt auf der Fahrt zum Nordpol ins eisige Seewasser und kann nur noch tot geborgen werden. Über Clarisse, die mit wildem Ingrimm Kafka studiert, erfährt das reisende Ich nach der Trennung, dass sie sich umgebracht hat. Bernadette, die laszive Amerikanerin, die sich mit ihm unter Signorellis Fresko des Jüngsten Gerichts in Orvieto verabredet hatte, landet in der Psychiatrie. Und immer wieder zieht es den Reisenden in die Bordelle. Diese haben den Vorzug, Glück erst gar nicht zu versprechen, nicht einmal das kleine liebenswürdige Etablissement im Urwald von Borneo, von dem höllenhaften Labyrinth in Bombay zu schweigen, wo eine Mutter ihre offen aidskranke Tochter als Spezialangebot für gleichfalls erkrankte Freier offeriert – hier können sie sich noch mal richtig austoben, bevor die Klappe fällt, und warum sollte man eine solche wenn auch befristete Ressource ungenutzt verkommen lassen, nicht wahr? Die Tochter ist indessen irrsinnig geworden; aber auch das hat für manche Kunden seinen Reiz.
Bei all dem muss man diesem Reisenden jedenfalls ein hohes Maß an Unerschrockenheit bescheinigen. Er wendet sich voller Achtung und Empathie den anderen zu, denen er unterwegs begegnet, und im Augenblick des Abschieds entfaltet er eine scheue Zärtlichkeit, die zu Herzen geht. Von Rangun nach Mandalay fährt er im Zug zusammen mit einem Ehepaar vom Volk der Kachin aus dem unzugänglichen Norden Myanmars, das umsonst in den Süden des Landes gereist war, um einmal das Meer zu sehen; die Polizei ließ sie nicht, wie sie auch ihn, den Europäer, nicht weiter nach Norden in die Zone des Bürgerkriegs und des Opiums lässt. Wie das Meer denn so sei? Der Reisende versucht es ihnen durch Worte zu verdeutlichen und schafft es nicht. „Mandalay ist der Ort, an dem wir uns in einer unbeholfenen Umarmung trennen. Sie werden diese eine Umarmung nachstellen, die sie aus Filmen kennen, und ich werde nicht wissen, wie viel Körper man ergreifen darf, wenn man die Frau eines birmanesischen Kachin-Buchbinders in die Arme nimmt oder besser, wenn man sie an ihren runden Schultern bloß ein paar Zentimeter an sich zieht.“ Denn der Mann ist, was man in dieser Gegend nicht vermutet hätte, Buchbinder von Profession; und das versprochene Buch trifft, sorgsame Handarbeit aus Leder und goldenen Lettern, Monate später wirklich per Post in Europa ein.
Willemsens Blick, der so gierig, zugleich aber so unfokussiert ist, dass er ungeschmälert auch die Ränder aufnimmt, findet eine starke, wagemutige Sprache, die fürs Neugesehene auch den neuen Ausdruck will, sich dabei manchmal ins Abstruse vergreift, öfters aber Schilderungen wie diese hervorbringt: „Trotzdem erfasst mich mit dem ersten Schritt ins Freie der Swing des Ortes, sein schönes Phlegma rund um eine Uferpromenade, die keine ist – Hafenanlagen mit verfallenen, in breiten Rostschuppen zerblätternden Schiffen, in deren Schlepptau noch jüngere, kleinere, auch zerfallende hingen. Ein Sich-Gehen-Lassen, ein Abwarten und Geschehenlassen ist in der Luft, ein Ausgesetztsein und Durchlässigwerden für die Arbeit der Zeit. Müll überall, aber wie sollte es auch anders sein, ergreift ihn doch der Wind, rafft ihn von den Essenstischen wie aus den Überhängen der Tonnen, aus Kinderhänden und von den Ufersteinen. Eine solche Dichte des Unattraktiven ballt sich, dass mir die Augen übergehen und ich immer tiefer in die dunkel aufziehende Wolkenwand hinauslaufe, bis der Regen wirklich fällt, satt, warm und unaufhörlich und ich bei drei dicken, freundlichen Frauen unter einer Plane Zuflucht finde. Wir besorgen uns vier Kokosnüsse und trinken sie nickend.“
Der Ort ist Tonga, dessen alter Name Freundschaftsinseln lautet – für den Reisenden womöglich ein Motiv. Die Freundlichkeit, auf die er hier und andernorts trifft, der Trost von Fremden, scheint das Äußerste, auf das er hoffen darf. Roger Willemsen hat ein gewichtiges Buch geschrieben; aber es ist ein Buch nicht für jedermann. Schwer ist es von Trauer.
Roger Willemsen
Die Enden der Welt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 543 Seiten, 22,95 Euro.
Am Anfang war das Ungenügen
am Ursprung – der junge
Willemsen träumte sich weg
Das Reisen und die Liebe –
sie vertiefen einander in ihrer
schmerzlichen Vergeblichkeit
Die Säulen des Herkules bei Gibraltar, die in der Antike das Ende der Welt markierten, tauchen selbst noch im Doppelstrich des Dollarzeichens auf. Aber auf der Oberfläche einer Kugel kann es kein Ende geben. Unser Bild zeigt eine historische Karte der arktischen Regionen aus dem Jahr 1595. Foto: Bridgemanart
Die zutiefst melancholische Erfahrung der inneren Unruhe, und doch zu wissen, dass das Reisen ihn nicht weiterbringt – davon handeln die Reportagen von Roger Willemsen.
Foto: Jörg Steinmetz
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
einer Kugel?
Roger Willemsen hat ein gewichtiges
Buch der Unrast geschrieben Von Burkhard Müller
In Wilhelm Buschs Geschichte „Plisch und Plum“ hat ein gewisser Mister Pief seinen Auftritt, die Karikatur eines englischen Reisenden, im kariertem Anzug und mit Teleskop vor dem Gesicht („Pief“ reimt sich auf „das Perspektiv“). Sein Motto lautet: „Schön ist es auch anderswo, / Und hier bin ich sowieso.“ Das ist, betrachtet man es genauer, ein Abgrund von einem Satz. Er argumentiert zugleich fürs Reisen und fürs Daheimbleiben. Wenn sich die Schönheit so einigermaßen gleichmäßig über die Welt verteilt, dann verdient natürlich der Ort den Vorzug, der die wenigste Mühe bereitet, also: Bleibe im Lande und nähre dich redlich! Man kann das „sowieso“ aber auch als Ausdruck der Ungeduld lesen: Jetzt haben wir uns wahrlich lang genug auf dem immer selben Fleck befunden – ziehen wir weiter! In jedem Fall jedoch ist dieses Motto, sei es als Wappenspruch der Unrast oder aber der Trägheit, auf einen unfrohen Ton gestimmt. Mister Pief schafft es zum Schluss, den Widrigkeiten der Nähe und der Weite zugleich zu erliegen, indem er, während er durchs Teleskop blickend die Landschaft durchschreitet, in den Tümpel zu seinen Füßen fällt.
Die tief melancholische Erfahrung, sich zum ständigen Reisen gedrängt zu fühlen und doch zu wissen, dass es nicht weiterbringt, liegt auch dem Buch von Roger Willemsen zugrunde. Schon im Titel verrät sie sich: „Die Enden der Welt“. Als die Erde noch eine Scheibe war, lockte darin das Abenteuer des maximalen Abstands und äußersten Randes. Aber auf der Oberfläche einer Kugel kann es kein Ende mehr geben, jeder Punkt ist gleich weit vom Zentrum entfernt, und jede Ankunft an einem vermeinten Ende muss sich als Illusion erweisen – die aber nie vom nächsten Plan abschreckt. So finden sich, auf Willemsens Liste der Orte, die er als Kandidaten des Weltendes auswählt und bereist, unter anderem: Gibraltar und Tanger mit den Säulen des Herkules, wo die Antike die Welt zu Ende wähnte; die Halbinsel Kamtschatka, vor kurzem noch totales militärisches Sperrgebiet; Timbuktu, für das 19. Jahrhundert das unzugängliche Herz Afrikas, heute ein gottverlassenes Wüstenkaff; Kinshasa, wo der dauernde Krieg Ausländern den Aufenthalt fast unmöglich macht; Gorée, der senegalesische Hafen, von dem die Sklaven die Reise ohne Wiederkehr in die Neue Welt antraten; der Himalaya; die Südspitze Südamerikas; die Nordwestspitze Islands; und natürlich der Nordpol. Am Nordpol regnet es bei drei Grad plus.
Willemsen beginnt mit einem Stück „Die Eifel“. Da stammt er her, da träumt er sich als Jugendlicher weg. Das Ungenügen an der Reise gibt als seine Wurzel das Ungenügen am Ursprung zu erkennen. Er setzt ein mit dem Morgen nach einer Silvesterparty (auch so ein unausweichlich enttäuschendes Schein- Ende), mit der Spitzhacke werden die gefrorenen Reste des Erbrochenen vom Boden entfernt – man übergibt sich viel in diesem Buch –, und man geht ein wenig im Winterwald spazieren. „Es kommt ein beliebiger Punkt. Da halten alle an, und niemand tut mehr einen Schritt. Der Wind streicht über die leere Fläche, auf der wir stehen wie zusammengefegt. Einer sagt: ‚Hier ist nichts. Drehen wir um.‘“
Es war da aber eigentlich auch schon vorher nichts, und dem Punkt der Umkehr wohnt keine Notwendigkeit inne. Die Ouvertüre hat noch einen zweiten Teil: Der Erzähler unterhält eine offenbar recht halbherzige Romanze mit einer Krankenschwester, besucht sie auf ihrer Station während der Nachtschicht, ein kleiner Junge im Pyjama kommt herein und klagt: „Mir ist langweilig!“ Der Junge hat einen Hirntumor und noch drei Monate zu leben. Und doch wird ihm das bestürzend knappste Gut, die Zeit, zu viel, ihr bloßer leerer Gang soll sich ihm füllen, irgendwie. Dieser kleine Junge stellt den Archetypen des Reisenden dar, wie ihn Willemsen begreift.
Der wahre Reisende ist immer einsam gewesen. Das war ein praktisches Erfordernis, und es half, den Blick nach draußen zu konzentrieren. Bei Roger Willemsen aber hat die Einsamkeit noch einen anderen, schmerzlicheren Aspekt. Seine Reisen verschränken sich mit Liebesversuchen. In vielen dieser Kapitel tauchen Frauen auf, aber am Ende oder im Verlauf der jeweiligen Reise schon wieder unter. Reise und Liebe, das ergänzt sich nicht zum Ganzen eines Sinns, im Gegenteil, sie vertiefen einander in ihrer Vergeblichkeit. „,Hat sich deine Neugier erschöpft?‘“ fragt er seine Begleiterin Christa, die ihn in Gibraltar verlässt. Sie antwortet: „,Du hast sie erschöpft. Aber nimm’s nicht persönlich‘“.
Wie dann, bitte? möchte man fragen. Diese Reiseliebeleien scheitern an der Banalität, aber auch an Verzweiflung und Wahnsinn. Marga springt auf der Fahrt zum Nordpol ins eisige Seewasser und kann nur noch tot geborgen werden. Über Clarisse, die mit wildem Ingrimm Kafka studiert, erfährt das reisende Ich nach der Trennung, dass sie sich umgebracht hat. Bernadette, die laszive Amerikanerin, die sich mit ihm unter Signorellis Fresko des Jüngsten Gerichts in Orvieto verabredet hatte, landet in der Psychiatrie. Und immer wieder zieht es den Reisenden in die Bordelle. Diese haben den Vorzug, Glück erst gar nicht zu versprechen, nicht einmal das kleine liebenswürdige Etablissement im Urwald von Borneo, von dem höllenhaften Labyrinth in Bombay zu schweigen, wo eine Mutter ihre offen aidskranke Tochter als Spezialangebot für gleichfalls erkrankte Freier offeriert – hier können sie sich noch mal richtig austoben, bevor die Klappe fällt, und warum sollte man eine solche wenn auch befristete Ressource ungenutzt verkommen lassen, nicht wahr? Die Tochter ist indessen irrsinnig geworden; aber auch das hat für manche Kunden seinen Reiz.
Bei all dem muss man diesem Reisenden jedenfalls ein hohes Maß an Unerschrockenheit bescheinigen. Er wendet sich voller Achtung und Empathie den anderen zu, denen er unterwegs begegnet, und im Augenblick des Abschieds entfaltet er eine scheue Zärtlichkeit, die zu Herzen geht. Von Rangun nach Mandalay fährt er im Zug zusammen mit einem Ehepaar vom Volk der Kachin aus dem unzugänglichen Norden Myanmars, das umsonst in den Süden des Landes gereist war, um einmal das Meer zu sehen; die Polizei ließ sie nicht, wie sie auch ihn, den Europäer, nicht weiter nach Norden in die Zone des Bürgerkriegs und des Opiums lässt. Wie das Meer denn so sei? Der Reisende versucht es ihnen durch Worte zu verdeutlichen und schafft es nicht. „Mandalay ist der Ort, an dem wir uns in einer unbeholfenen Umarmung trennen. Sie werden diese eine Umarmung nachstellen, die sie aus Filmen kennen, und ich werde nicht wissen, wie viel Körper man ergreifen darf, wenn man die Frau eines birmanesischen Kachin-Buchbinders in die Arme nimmt oder besser, wenn man sie an ihren runden Schultern bloß ein paar Zentimeter an sich zieht.“ Denn der Mann ist, was man in dieser Gegend nicht vermutet hätte, Buchbinder von Profession; und das versprochene Buch trifft, sorgsame Handarbeit aus Leder und goldenen Lettern, Monate später wirklich per Post in Europa ein.
Willemsens Blick, der so gierig, zugleich aber so unfokussiert ist, dass er ungeschmälert auch die Ränder aufnimmt, findet eine starke, wagemutige Sprache, die fürs Neugesehene auch den neuen Ausdruck will, sich dabei manchmal ins Abstruse vergreift, öfters aber Schilderungen wie diese hervorbringt: „Trotzdem erfasst mich mit dem ersten Schritt ins Freie der Swing des Ortes, sein schönes Phlegma rund um eine Uferpromenade, die keine ist – Hafenanlagen mit verfallenen, in breiten Rostschuppen zerblätternden Schiffen, in deren Schlepptau noch jüngere, kleinere, auch zerfallende hingen. Ein Sich-Gehen-Lassen, ein Abwarten und Geschehenlassen ist in der Luft, ein Ausgesetztsein und Durchlässigwerden für die Arbeit der Zeit. Müll überall, aber wie sollte es auch anders sein, ergreift ihn doch der Wind, rafft ihn von den Essenstischen wie aus den Überhängen der Tonnen, aus Kinderhänden und von den Ufersteinen. Eine solche Dichte des Unattraktiven ballt sich, dass mir die Augen übergehen und ich immer tiefer in die dunkel aufziehende Wolkenwand hinauslaufe, bis der Regen wirklich fällt, satt, warm und unaufhörlich und ich bei drei dicken, freundlichen Frauen unter einer Plane Zuflucht finde. Wir besorgen uns vier Kokosnüsse und trinken sie nickend.“
Der Ort ist Tonga, dessen alter Name Freundschaftsinseln lautet – für den Reisenden womöglich ein Motiv. Die Freundlichkeit, auf die er hier und andernorts trifft, der Trost von Fremden, scheint das Äußerste, auf das er hoffen darf. Roger Willemsen hat ein gewichtiges Buch geschrieben; aber es ist ein Buch nicht für jedermann. Schwer ist es von Trauer.
Roger Willemsen
Die Enden der Welt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 543 Seiten, 22,95 Euro.
Am Anfang war das Ungenügen
am Ursprung – der junge
Willemsen träumte sich weg
Das Reisen und die Liebe –
sie vertiefen einander in ihrer
schmerzlichen Vergeblichkeit
Die Säulen des Herkules bei Gibraltar, die in der Antike das Ende der Welt markierten, tauchen selbst noch im Doppelstrich des Dollarzeichens auf. Aber auf der Oberfläche einer Kugel kann es kein Ende geben. Unser Bild zeigt eine historische Karte der arktischen Regionen aus dem Jahr 1595. Foto: Bridgemanart
Die zutiefst melancholische Erfahrung der inneren Unruhe, und doch zu wissen, dass das Reisen ihn nicht weiterbringt – davon handeln die Reportagen von Roger Willemsen.
Foto: Jörg Steinmetz
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