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Riga war eines der großen Ghettos, in das ab 1941 Juden aus ganz Zentraleuropa deportiert wurden. Durch den systematischen Ausbau als Deportationsziel gewinnt Riga eine große Bedeutung für die Geschichte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik weit über den regionalen Rahmen hinaus und lässt die gesamteuropäische Dimension des Holocaust deutlich werden.
Angrick und Klein widmen sich der Gesamtgeschichte des Rigaer Ghettos und des Schicksals seiner Insassen. Darüber hinaus jedoch schildern sie - auf Grundlage sämtlicher erreichbarer Quellen - gleichermaßen die großen Linien der
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Produktbeschreibung
Riga war eines der großen Ghettos, in das ab 1941 Juden aus ganz Zentraleuropa deportiert wurden. Durch den systematischen Ausbau als Deportationsziel gewinnt Riga eine große Bedeutung für die Geschichte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik weit über den regionalen Rahmen hinaus und lässt die gesamteuropäische Dimension des Holocaust deutlich werden.

Angrick und Klein widmen sich der Gesamtgeschichte des Rigaer Ghettos und des Schicksals seiner Insassen. Darüber hinaus jedoch schildern sie - auf Grundlage sämtlicher erreichbarer Quellen - gleichermaßen die großen Linien der Vernichtungspolitik wie ihre mörderische lokale Ausprägung. Dies schließt die Darstellung der Geschehnisse nach der Evakuierung Rigas vor der anrückenden Roten Armee mit ein: Der Abtransport der Häftlinge in das K.L. Stutthof, das dortige Massensterben und auch die letzten Todesmärsche.

Der Band schließt mit einem Kapitel zum Leben der Täter und Opfer in der Nachkriegszeit sowie zur strafrechtlichen Verfolgung der begangenen Gewaltverbrechen.
Autorenporträt
Andrej Angrick, geb. 1962, und Peter Klein, geb. 1962, sind wissenschaftliche Angestellte bei der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und Mitarbeiter bei der Neukonzeption der Wehrmachtsausstellung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andrej Angricks und Peter Kleins Monografie über die Ausbeutung und Vernichtung der Juden in Riga 1941 bis 1944 wird von Rolf Dieter Müller regelrecht gefeiert. Die Studie schließt seines Erachtens eine Lücke in der Holocaustforschung, die sich vor allem auf Auschwitz und die Deportationen aus Westeuropa konzentriere und die Ermordung der deutschen sowie baltischen Juden etwas aus dem Blick verloren habe. Ausführlich berichtet Müller über das Wüten der SS im Rigaer Getto und den verzweifelten Überlebenskampf der Opfer. Besonders hebt er die differenzierte Betrachtung der verschiedenen Opfer- und Tätergruppen hervor. Insgesamt lobt er die auf Zeitzeugenberichten und Unterlagen der Nachkriegsprozesse basierende Studie als wohl dokumentiert und gut geschrieben. Riga wird für ihn darin als ein "Mikrokosmos" erkennbar, "in dem sich das ganze Schreckens- und Mordszenario des SS-Staates widerspiegelt".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2006

Himmlers Experimentierfeld
Versklavung und Vernichtung der Juden in Riga 1941 bis 1944

Die Autoren ordnen ihre Darstellung des Gettos in Riga bewußt in die Geschichte Lettlands ein. Sie machen auf diese Weise deutlich, wie die Nation in der Zwischenkriegszeit um ihre Unabhängigkeit gerungen hat und sich 1940 an Stalin ausgeliefert sah. Nach dem Exodus der deutschen Volksgruppe zerstörte die Bolschewisierung die historisch gewachsenen Strukturen einer offenen bürgerlichen Gesellschaft. Als die Wehrmacht ein Jahr später die Hauptstadt eroberte, fand sie deshalb eine kollaborationswillige Mehrheit vor. Die neuen Besatzer kamen allerdings nicht als Befreier, sondern installierten ein Regime, das seine rassenideologischen Vernichtungsphantasien rücksichtslos zu realisieren versuchte. Es fand Unterstützung bei einer kleinen Minderheit lettischer Nationalisten, die im Juli 1941 einen regelrechten Rachefeldzug gegen die jüdischen Mitbürger unternahmen.

Riga gehört zu den großen Komplexen des Holocaust. Überlebende, die heute noch in New York organisiert sind, haben diese beeindruckende Monographie angeregt, damit das Schicksal der jüdischen Opfer nicht in Vergessenheit gerät. Sie stützt sich überwiegend auf Zeitzeugenberichte sowie umfangreiche Unterlagen der Nachkriegsprozesse. Den Autoren gelingt es, die Haupttäter in biographischen Skizzen zu markieren. Karrieren und Netzwerke werden deutlich, die selbst einen ehemaligen Hilfsarbeiter zum allmächtigen Lagerkommandanten avancieren lassen konnten. Die Kleinen und die Großen, die Fanatiker und die Opportunisten, die korrupten Pragmatiker und die dumpfen Schlächter - sie formierten auch in Riga das typische Abbild der Tätergesellschaft.

Doch die Autoren behalten die heterogenen Opfergruppen im Blick. Sie beschreiben das große Morden, den verzweifelten Überlebenskampf, die kleinen Hoffnungen in den Arbeitskommandos, das Entsetzen über Selektionen von arbeitsunfähigen Frauen, Kindern, Kranken und Alten sowie deren brutale Vernichtung. In der wichtigen Etappenstadt Riga setzten sich die Militärs für die Gettoisierung ein, was zumindest die hemmungslosen Mordaktionen eindämmte. Das verschaffte den zahlreichen Dienststellen billige Arbeitskräfte, schützte zugleich die jüdischen Familien vor dem Mob, freilich nicht immer vor den willkürlichen Zugriffen der SS.

Die Autoren machen es sich nicht leicht bei der Bewertung jenes fast täglichen Ringens von Wehrmacht, Zivil- und Kommunalverwaltung mit SS und Polizei um den sogenannten Arbeitseinsatz. Es gab große Heereswerkstätten, wo Berge von blutigen und zerfetzten Uniformen von der Front eintrafen, die gesäubert, desinfiziert und repariert werden mußten. Die jüdischen Frauen erledigten eine grauenhafte Arbeit, aber sie hatten eine Chance, zu überleben. Es fanden sich unter den Soldaten und Offizieren Helfer und Retter, mit deren Hilfe manche sogar nach Schweden fliehen konnten. Mit einem Perspektivenwechsel schildern die Autoren dann das Schicksal jener Transporte ab Herbst 1941, mit denen Zehntausende Deutsche jüdischer Abstammung aus dem Reich nach Riga deportiert wurden. Viele wurden sofort nach der Ankunft ermordet, andere konnten sich in die Gettogesellschaft eingliedern. Die Vernichtung der deutschen Juden sollte nach dem Willen Himmlers in Riga vollzogen werden.

Diese gut lesbare und dokumentierte Studie füllt eine wichtige Lücke in der Holocaust-Literatur. Sie läßt einen Mikrokosmos erkennen, in dem sich das ganze Schreckens- und Mordszenario des SS-Staates widerspiegelt. Zugleich scheint Riga auch ein Experimentierfeld gewesen zu sein für die verschiedenen Etappen und widersprüchlichen Aktionen der Vernichtungspolitik. Angeleitet von Hitlers "Wunsch", die Juden möchten verschwinden, hatte Himmlers SS offenbar Mühe, ein klares Konzept für dieses ungeheuerliche Projekt zu entwickeln und durchzusetzen. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls der "Blick von unten", den die Autoren gleichwohl kenntnisreich in den Kontext der gesamten "Endlösung" einzuordnen verstehen. Während bei der Geschichte des Holocaust ab 1942 der Blick meist auf Auschwitz und die Deportationen aus Westeuropa gerichtet ist, fokussieren sie die Versklavung und Vernichtung der deutschen sowie baltischen Juden. Mit der Räumung des Gettos und der Bildung des Konzentrationslagers Kaiserwald gewann die SS die volle Verfügungsgewalt über die Menschen, die in zahlreichen kleineren Lagern geschunden und ermordet wurden. Die Evakuierung der Überlebenden im Frühjahr 1945 in das KZ Stutthoff bei Danzig leitete das Ende des Dramas ein. Befreiung, Neubeginn und die Suche nach Gerechtigkeit runden das Bild ab.

ROLF DIETER MÜLLER

Andrej Angrick/Peter Klein: Die "Endlösung" in Riga. Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006. 520 S., 74,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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