Holle ist Künstlerin, sie fotografiert Städte, deren verborgene Energie sie auf leeren Plätzen einfängt. Ein Stipendium führt sie nach Istanbul, einer schmerzhaft schönen Stadt, wo sie eine Affäre mit dem Türken Celal beginnt. Doch existenziell wird für Holle die Begegnung mit Christoph Wanka. Der reiche Geschäftsmann repräsentiert alles, was Holle ablehnt, und doch kann sie sich nicht von ihm lösen, schwankt ständig zwischen Anziehung und Abstoßung. Als Holle schließlich einwilligt, dass Wanka ihr eine Reise nach Mumbai finanziert, beginnt ein Kräftemessen, das sie zwingt, ihren eigenen Lebensentwurf zu hinterfragen.
Hals über Kopf verlässt Holle Mumbai. Theresa bezieht Holles überstürzt verlassene Wohnung. Die deutsche Journalistin kennt die kontrastreiche Metropole, in der das Überleben für viele Menschen nur am Zufall hängt. Und sie trifft auf Christoph Wanka. Während Theresa in Mumbai nach und nach in eine Stellvertreterrolle gleitet, die weiter reicht, als es in ihrer Absicht liegen könnte, möchte Holle im labyrinthischen Körper Istanbuls am liebsten verloren gehen und entdecken, wie sich all das neu zusammensetzt, was sie ihr Leben nennt. Als die Demonstrationen im Gezi-Park die Strukturen der Stadt selbst zum Bröckeln bringen, scheint die Gelegenheit günstig ...
Im neuen großen Roman von Ulla Lenze begeben sich zwei Frauen auf Spurensuche in der abenteuerlichen Fremdheit zweier ferner Städte, Istanbul und Mumbai. "Die endlose Stadt" ist ein Roman voller wunderbarer Spiegelungen und geheimer Verflechtungen. Eine schwebend leichte Konstruktion, in der Zeiten, Orte und Identitäten ineinander tauchen, ein vielschichtiges Kunstwerk von unendlicher Schönheit.
Hals über Kopf verlässt Holle Mumbai. Theresa bezieht Holles überstürzt verlassene Wohnung. Die deutsche Journalistin kennt die kontrastreiche Metropole, in der das Überleben für viele Menschen nur am Zufall hängt. Und sie trifft auf Christoph Wanka. Während Theresa in Mumbai nach und nach in eine Stellvertreterrolle gleitet, die weiter reicht, als es in ihrer Absicht liegen könnte, möchte Holle im labyrinthischen Körper Istanbuls am liebsten verloren gehen und entdecken, wie sich all das neu zusammensetzt, was sie ihr Leben nennt. Als die Demonstrationen im Gezi-Park die Strukturen der Stadt selbst zum Bröckeln bringen, scheint die Gelegenheit günstig ...
Im neuen großen Roman von Ulla Lenze begeben sich zwei Frauen auf Spurensuche in der abenteuerlichen Fremdheit zweier ferner Städte, Istanbul und Mumbai. "Die endlose Stadt" ist ein Roman voller wunderbarer Spiegelungen und geheimer Verflechtungen. Eine schwebend leichte Konstruktion, in der Zeiten, Orte und Identitäten ineinander tauchen, ein vielschichtiges Kunstwerk von unendlicher Schönheit.
buecher-magazin.de"Jede Stadt ruft eine Gestalt deiner selbst wach." Holle, Anfang 30, Künstlerin, fotografiert in großen Städten menschenleere Orte. Im Rahmen eines Stipendiums lichtet sie Istanbul ab. Sie schläft mit Celal, dem "schönsten Türken der Welt". Der möchte sie heiraten. Für sie hingegen sind er, seine Dönerbude und seine kleinkriminellen Freunde eher Lokalkolorit. Mit Immobilienspekulant Wanka hat sie zwar eine gemeinsame Sprache, die Wertvorstellungen der beiden aber sind einander entgegengesetzt. Für ihn ist sie die reizende Exotin. Er kauft drei ihrer Bilder - 15?000 Euro sind für sie ein halbes Jahreseinkommen, für ihn ein Taschengeld. In Holles Wohnung in Mumbai wohnt unterdessen Theresa, eine Journalistin, die in der indischen Metropole nach Geschichten sucht und feststellen muss, dass sie nur noch sieht, was sie sehen will und kein Text der Wirklichkeit gerecht wird. Dass Journalismus auch in bester Absicht ausbeuterisch sein kann, wird daran deutlich, dass Theresas Mentor August für das Interview mit dem indischen Slumbewohner, dessen Tochter beide Beine verloren hat, viel Geld erhält, von dem er diesem nichts abgeben kann. Präzise beobachtete Szenen lösen sich ab mit eher trockenen, essayistisch-theoretischen Passagen, manche Dialoge geraten zu Vorträgen. Dies ist keine Liebesgeschichte.
© BÜCHERmagazin, Elisabeth Dietz (ed)
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Spannend findet es Rezensentin Eva Behrendt, wie Ulla Lenze die Tatsache, dass sie diesen Roman großzügigen Aufenthaltsstipendien in der Türkei und in Indien verdankt, unterwandert und zum Thema macht: Da geht es also um das Verhältnis einer Künstlerin, die in der Türkei einem wohlhabenden Sponsor und einem Liebhaber aus eher einfachen Verhältnissen begegnet. Lenze verquickt dabei eine Liebesgeschichte, die oberflächlich besehen auch eine Allegorie auf das Anziehungskräfte zwischen Kunst und Geld darstellen könnte, mit einem Essay über Kunst und Ethik, der darum kreist, unter welchen Bedingungen Kunst entsteht, erklärt die Kritikerin, die dem Buch eine beträchtliche Sogwirkung bescheinigt. Dies liegt nicht nur an der literarischen Finesse, sondern auch an Lenzes genauem Blick auf Mumbai und Istanbul, so Behrendt. Alles in allem ergibt sich auf diese Weise für die Rezensentin höchst lesenswerter kritischer Kommentar zur deutschen Kulturpolitik im Ausland, der sich das Buch selbst - zum Glück, ergänzt die Rezensentin - verdankt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2015Männer, Metropolen und Missverständnisse
Die Illusionen über Kulturaustausch sind grenzenlos: Ulla Lenzes kunstvoller Roman "Die endlose Stadt"
Reisen und schreiben, Fremdheit erfahren und sich durch Literatur und Reflexion aneignen (und den Widerspruch aushalten) - das ist für Ulla Lenze seit jeher eins. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr unterwegs, vorzugsweise in Indien, beschreibt sie in ihren Romanen mit viel Klugheit und Feingefühl die interkulturellen Konflikte und seelischen Krisen, die westliche Besucher abseits touristischer Routen, Routinen und Reflexe erleben. Ulla Lenze war schon Stadtschreiberin in Damaskus, Writer in Residence in Istanbul, Goethe-Stipendiatin in Bombay und begleitete Außenminister Steinmeier bei seinem letzten Indien-Besuch. Aber eigentlich ist ihr die Rolle als inoffizielle Kulturbeauftragte nicht ganz geheuer, wie ihr vierter Roman jetzt zeigt. Fuhren bisher junge, hochsensible Frauen, angewidert von der europäischen Konsum- und Therapiekultur und bereit für umwälzende Erfahrungen in der Fremde, nach Indien, um ihren verstörten Bruder zu begleiten ("Bruder und Schwester"), Utopien in einer Kommune auszuprobieren ("Archanu") oder den Tod ihres Vaters ("Der kleine Rest des Todes") zu verarbeiten, so setzt Ulla Lenze sich nun erstmals explizit mit den Scham- und Schuldgefühlen von Kunststipendiaten und Expats der nachdenklicheren Sorte auseinander.
Kulturell, politisch und moralisch sensible Künstler und Schriftsteller schauen gern leicht verächtlich auf Unternehmer, Politiker und Journalisten herab, die im Ausland nur ihren Geschäften nachgehen und dabei einen empörenden Mangel an Demut und Neugier an den Tag legen. Kulturaustausch, Handel und Politik sind verschiedene Sphären der Begegnung, aber man trifft sich fast zwangsläufig auf Empfängen oder in Luxushotels und ist durch Gefälligkeiten, Beziehungen und gemeinsame Erfahrungen verbunden.
Für einen Döner-Brater in Istanbul oder einen Taxifahrer in Bombay gibt es keinen großen Unterschied zwischen einem Geschäftsmann aus Hannover und einer prekär beschäftigten Fotografin aus Berlin: Beide sind privilegiert, nur auf Zeit da und als Kunden interessant. Holle Schulz hadert entsprechend mit sich und ihrer Rolle. Sie weigert sich, Menschen zu fotografieren, um nicht mit romantischen Elendsbildern und marktkonformer Aktionskunst schuldig zu werden; sie meidet Partys und Vernissagen, obwohl ihr Smalltalk ganz guttäte, ganz zu schweigen von einem geregelten Einkommen. Holle ist entwurzelt, einsam und verloren zwischen zwei Männern und zwei Städten und entsprechend empfänglich für unmoralische Angebote. Als der reiche Bauunternehmer und Kunstsammler Wanka ihr drei Bilder für fünfzehntausend Euro abkauft und anbietet, ihr einen Studienaufenthalt in Bombay zu finanzieren, ist sie geschmeichelt. Natürlich ist der Handel anrüchig: Wankas Geschäft ist die Gentrifizierung, der Abriss von Slums, und kritische Kunst ist für ihn Dekoration und Investition. Aber er ist kein teuflischer Versucher, sondern charmant, souverän und ein kluger Gesprächspartner. Ganz im Gegensatz zu Holles Istanbuler Freund Celal: Der "schönste Türke der Welt" und Inhaber des "Döner Paradise" ist melodramatisch, drollig, dröhnend viril und vergöttert sein "artist baby", aber sein naiver Besitzerstolz, sein "anatolisches Wüstlingselement", seine Mafiakumpel und seine Verwandtschaft können ziemlich nerven. Celal ist für Holle eine exotische Trophäe, Wanka eine stete Herausforderung, aber im Grunde will sie sich nur fallenlassen.
Die Journalistin Theresa ist so etwas wie ihre Doppelgängerin: Sie lebt in einer Wohnung in Bombay, die Wanka gehört, und übergibt dem Unternehmer die Bilder, die Holle nicht rausrücken will. Die Frauen wissen: "Kein Text wird jemals dem gerecht, was wirklich ist", keine Kunst an der Grenze zwischen Orient und Okzident kann unschuldig sein. Und doch verfallen alle der "Illusion des Bescheidwissens", anstatt ihr Nichtwissen und Ausgeliefertsein zu akzeptieren.
Die Künstlerin und die Journalistin leiden an ähnlichen Aporien, aber das macht sie noch nicht zu Verbündeten, im Gegenteil. Theresa instrumentalisiert Holle als Tür- und Augenöffnerin und wird umgekehrt als Waffe in Holles Liebeskrieg benutzt. Theresas Reportagen über Nomaden, die in Hochhäusern zelten, sollen Wankas Bauwahn diskreditieren, aber der gewiefte Geschäftsmann macht aus der hässlichen Wirklichkeit eine Kunstinstallation und aus dem arglosen Celal einen Komplizen. Am Ende irrt Holle, von allen guten Geistern und Männern verlassen, ziel- und obdachlos durch Istanbul: "Jede Stadt ruft eine Gestalt deiner selbst wach", erst recht die brodelnden Megastädte des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in denen sich alle westlichen Selbstgewissheiten, rationalen Strategien und Identitäten auflösen. Was für Theresa ein Spiel, für Wanka eine Geldanlage und für Celal ein Abenteuer ist, ist für Holle "eine Lebensweise, ein Schicksal, eine Art Religion".
"Die unendliche Stadt" ist ein starkes Stück Prosa, aber nur, solange Ulla Lenze quasi absichtslos den Alltag in Bombay und Istanbul beschreibt. Die Straßenszenen, Stimmungen und Porträts sind genau beobachtet und kunstvoll verdichtet. Aber weil die Figuren über Bedingungen, Möglichkeiten und Widersprüche ihres Tuns reflektieren, erinnert der Roman manchmal an Stipendiatenprosa: Die essayistischen Betrachtungen über Kompromisse, Selbstzweifel und Schuld des Künstlers in einer global entgrenzten Welt werden durch die sprunghafte Erzählweise, eine bisweilen schematische Konstruktion und schlaue Bemerkungen über die "Affirmation des eigenen maskulinen Selbstbilds" oder die "Analyse der urbanen Determiniertheitsdichte" nicht eben flüssiger lesbar. Holle fragt sich, "ob Orte wie Mumbai, wo das Überleben Zufall war, nicht auch die Grenzen von Kunst ans Licht brachten. War Kunst sozialkritisch, war sie keine Kunst mehr, sondern Botschaft. War sie autark, wurde sie höhnisch." Da möchte man dann fast ihrem Widersacher Wanka zustimmen: "Wenn Künstler über ihre Kunst reden, sollte man lieber weghören."
MARTIN HALTER
Ulla Lenze: "Die unendliche Stadt". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2015. 319 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Illusionen über Kulturaustausch sind grenzenlos: Ulla Lenzes kunstvoller Roman "Die endlose Stadt"
Reisen und schreiben, Fremdheit erfahren und sich durch Literatur und Reflexion aneignen (und den Widerspruch aushalten) - das ist für Ulla Lenze seit jeher eins. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr unterwegs, vorzugsweise in Indien, beschreibt sie in ihren Romanen mit viel Klugheit und Feingefühl die interkulturellen Konflikte und seelischen Krisen, die westliche Besucher abseits touristischer Routen, Routinen und Reflexe erleben. Ulla Lenze war schon Stadtschreiberin in Damaskus, Writer in Residence in Istanbul, Goethe-Stipendiatin in Bombay und begleitete Außenminister Steinmeier bei seinem letzten Indien-Besuch. Aber eigentlich ist ihr die Rolle als inoffizielle Kulturbeauftragte nicht ganz geheuer, wie ihr vierter Roman jetzt zeigt. Fuhren bisher junge, hochsensible Frauen, angewidert von der europäischen Konsum- und Therapiekultur und bereit für umwälzende Erfahrungen in der Fremde, nach Indien, um ihren verstörten Bruder zu begleiten ("Bruder und Schwester"), Utopien in einer Kommune auszuprobieren ("Archanu") oder den Tod ihres Vaters ("Der kleine Rest des Todes") zu verarbeiten, so setzt Ulla Lenze sich nun erstmals explizit mit den Scham- und Schuldgefühlen von Kunststipendiaten und Expats der nachdenklicheren Sorte auseinander.
Kulturell, politisch und moralisch sensible Künstler und Schriftsteller schauen gern leicht verächtlich auf Unternehmer, Politiker und Journalisten herab, die im Ausland nur ihren Geschäften nachgehen und dabei einen empörenden Mangel an Demut und Neugier an den Tag legen. Kulturaustausch, Handel und Politik sind verschiedene Sphären der Begegnung, aber man trifft sich fast zwangsläufig auf Empfängen oder in Luxushotels und ist durch Gefälligkeiten, Beziehungen und gemeinsame Erfahrungen verbunden.
Für einen Döner-Brater in Istanbul oder einen Taxifahrer in Bombay gibt es keinen großen Unterschied zwischen einem Geschäftsmann aus Hannover und einer prekär beschäftigten Fotografin aus Berlin: Beide sind privilegiert, nur auf Zeit da und als Kunden interessant. Holle Schulz hadert entsprechend mit sich und ihrer Rolle. Sie weigert sich, Menschen zu fotografieren, um nicht mit romantischen Elendsbildern und marktkonformer Aktionskunst schuldig zu werden; sie meidet Partys und Vernissagen, obwohl ihr Smalltalk ganz guttäte, ganz zu schweigen von einem geregelten Einkommen. Holle ist entwurzelt, einsam und verloren zwischen zwei Männern und zwei Städten und entsprechend empfänglich für unmoralische Angebote. Als der reiche Bauunternehmer und Kunstsammler Wanka ihr drei Bilder für fünfzehntausend Euro abkauft und anbietet, ihr einen Studienaufenthalt in Bombay zu finanzieren, ist sie geschmeichelt. Natürlich ist der Handel anrüchig: Wankas Geschäft ist die Gentrifizierung, der Abriss von Slums, und kritische Kunst ist für ihn Dekoration und Investition. Aber er ist kein teuflischer Versucher, sondern charmant, souverän und ein kluger Gesprächspartner. Ganz im Gegensatz zu Holles Istanbuler Freund Celal: Der "schönste Türke der Welt" und Inhaber des "Döner Paradise" ist melodramatisch, drollig, dröhnend viril und vergöttert sein "artist baby", aber sein naiver Besitzerstolz, sein "anatolisches Wüstlingselement", seine Mafiakumpel und seine Verwandtschaft können ziemlich nerven. Celal ist für Holle eine exotische Trophäe, Wanka eine stete Herausforderung, aber im Grunde will sie sich nur fallenlassen.
Die Journalistin Theresa ist so etwas wie ihre Doppelgängerin: Sie lebt in einer Wohnung in Bombay, die Wanka gehört, und übergibt dem Unternehmer die Bilder, die Holle nicht rausrücken will. Die Frauen wissen: "Kein Text wird jemals dem gerecht, was wirklich ist", keine Kunst an der Grenze zwischen Orient und Okzident kann unschuldig sein. Und doch verfallen alle der "Illusion des Bescheidwissens", anstatt ihr Nichtwissen und Ausgeliefertsein zu akzeptieren.
Die Künstlerin und die Journalistin leiden an ähnlichen Aporien, aber das macht sie noch nicht zu Verbündeten, im Gegenteil. Theresa instrumentalisiert Holle als Tür- und Augenöffnerin und wird umgekehrt als Waffe in Holles Liebeskrieg benutzt. Theresas Reportagen über Nomaden, die in Hochhäusern zelten, sollen Wankas Bauwahn diskreditieren, aber der gewiefte Geschäftsmann macht aus der hässlichen Wirklichkeit eine Kunstinstallation und aus dem arglosen Celal einen Komplizen. Am Ende irrt Holle, von allen guten Geistern und Männern verlassen, ziel- und obdachlos durch Istanbul: "Jede Stadt ruft eine Gestalt deiner selbst wach", erst recht die brodelnden Megastädte des einundzwanzigsten Jahrhunderts, in denen sich alle westlichen Selbstgewissheiten, rationalen Strategien und Identitäten auflösen. Was für Theresa ein Spiel, für Wanka eine Geldanlage und für Celal ein Abenteuer ist, ist für Holle "eine Lebensweise, ein Schicksal, eine Art Religion".
"Die unendliche Stadt" ist ein starkes Stück Prosa, aber nur, solange Ulla Lenze quasi absichtslos den Alltag in Bombay und Istanbul beschreibt. Die Straßenszenen, Stimmungen und Porträts sind genau beobachtet und kunstvoll verdichtet. Aber weil die Figuren über Bedingungen, Möglichkeiten und Widersprüche ihres Tuns reflektieren, erinnert der Roman manchmal an Stipendiatenprosa: Die essayistischen Betrachtungen über Kompromisse, Selbstzweifel und Schuld des Künstlers in einer global entgrenzten Welt werden durch die sprunghafte Erzählweise, eine bisweilen schematische Konstruktion und schlaue Bemerkungen über die "Affirmation des eigenen maskulinen Selbstbilds" oder die "Analyse der urbanen Determiniertheitsdichte" nicht eben flüssiger lesbar. Holle fragt sich, "ob Orte wie Mumbai, wo das Überleben Zufall war, nicht auch die Grenzen von Kunst ans Licht brachten. War Kunst sozialkritisch, war sie keine Kunst mehr, sondern Botschaft. War sie autark, wurde sie höhnisch." Da möchte man dann fast ihrem Widersacher Wanka zustimmen: "Wenn Künstler über ihre Kunst reden, sollte man lieber weghören."
MARTIN HALTER
Ulla Lenze: "Die unendliche Stadt". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2015. 319 S., geb., 19,90 [Euro].
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