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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2001

Nicht nur richtig, sondern rein
Wissenschaft als Trennkost: Ein Zerrbild der Evolutionstheorie

Es wimmelt auf dem Markt nur so von Büchern, die harmlos als Mitglieder im beliebten Genre "Allgemeine Einführungen" auftreten. Solche Werke stillen einen weitverbreiteten Wissensdurst - und verkaufen sich meist gut. Thomas Junkers und Uwe Hoßfelds Einführung in die Geschichte der Evolutionsbiologie ist aber ein ideologischer Wolf in dieser ach so harmlos daherkommenden publizistischen Schafsform. Junker und Hoßfeld leisten politische Schwerstarbeit und ihre Mission besteht darin, die Reinheit der biologischen Wissenschaft von politischen Verunreinigungen zu demonstrieren. Und um diese Mission zu erfüllen, müssen sie einige historiographische und interpretatorische Purzelbäume schlagen und liefern damit ein Musterbeispiel ahistorischer Wissenschaftsgeschichte ab.

Bei einigen Themen laufen die beiden Autoren immer wieder zur Hochform auf. Besondere Freude scheinen die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter (Junker am Tübinger Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften, Hoßfeld am Jenaer Haeckel-Haus) an der Wiederauferweckung des schon lange totgeglaubten historischen Gegensatzes von Wissenschaft und Religion zu finden. In ihrem antireligiösen Eifer erweisen die beiden sich als treue Schüler Ernst Haeckels. Historiographische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, welche ein weit komplexeres Bild zeichnen als einen Kampf zwischen den Mächten des wissenschaftlichen Fortschrittes und obskurantistischen, religiös motivierten Widerständlern, passen allem Anschein nach nicht in das Weltbild der Autoren und werden völlig ignoriert. Ein Blick in die Arbeiten des Historikers Ronald Numbers demonstriert, wie verworren und komplex beispielsweise die Geschichte des amerikanischen Kreationismus ist. Die Behandlung dieses Themas ist leider symptomatisch für die durchgehende Strategie der Autoren. Die Welt der reinen Wissenschaft ist gut, und alles Böse, das ihren Fortgang aufhält oder als Folge ihrer Anwendung geschieht, ist Konsequenz außerwissenschaftlicher, ideologischer Verunreinigungen.

Man mag vielleicht begrüßen, daß die Autoren den deutschen Beiträgen zur historischen Entwicklung der Evolutionsbiologie endlich einen angemessenen Platz zugestehen. Besonders die sogenannte evolutionäre Synthese der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, die Vereinigung genetischer, paläontologischer und biogeographischer Betrachtungsweisen, wird meist als eine rein anglo-amerikanische Angelegenheit dargestellt. Junker und Hoßfeld haben in einer Vielzahl von Veröffentlichungen und nun auch in dem hier besprochenen Band versucht, einen eigenständigen deutschen Beitrag zur evolutionären Synthese zu identifizieren. Aber auch hier schleichen sich Verzerrungen ein. Eine Folge der Darstellung ist, daß die deutsche Evolutionsbiologie als Teilnehmer am internationalen wissenschaftlichen Fortschritt gesehen wird und von ihrer zweifelhaften Rolle bei der nationalsozialistischen Rassenpolitik abgesondert wird. Eine naive Geschichte aber, in deren Verlauf sich zuerst der darwinische Evolutionsgedanke und dann die evolutionäre Synthese wegen ihres unübertroffenen Wahrheitsgehaltes weltweit durchsetzen und sich von ideologischen Kontaminationen befreien können, entspricht nicht gerade historiographischen Minimalstandards und ist daher nichts anderes als Erbauungsliteratur.

Die Situation in Deutschland läßt sich auch anders beschreiben. Die Arbeiten einiger der Architekten der Synthese, vor allem Theodosius Dobzhanskys, wurden im deutschsprachigen Raum zwar mit Begeisterung aufgenommen. Doch macht dies die Rezipienten und Verbreiter der Lehre auch zu Architekten? Und wie steht es mit der Populationsgenetik? Dieser zentrale Bestandteil der Synthese hatte in Deutschland nie großen Erfolg. Die Aufnahme der evolutionären Synthese war äußerst selektiv und wurde nur von einer Minderheit der Biologen getragen. Eine zentrale Rolle in Junkers und Hoßfelds Geschichte der deutschen Synthese spielt der Zoologe, Anthropologe und SS-Hauptsturmführer Gerhard Heberer. Heberer war ein begeisterter Anhänger der evolutionären Synthese, und gleichzeitig bot er mit seinen üblen rassenbiologischen Arbeiten dem NS-Regime eine Rechtfertigung für den Vernichtungskrieg im Osten. Gerade diese Figur böte sich für eine Darstellung an, wie ein Wissenschaftler einer "guten" Theorie und gleichzeitig einer verabscheuungswürdigen Ideologie dienen kann, wie hochproblematisch also die Trennung von Ideologie und positivem Kern der Wissenschaft ist. Ein anderer Musterfall ist der einflußreiche Genetiker Ronald Fisher: Seine immer noch als gültig betrachtete mathematische Theorie der natürlichen Auslese wurde von ihm so formuliert, daß eugenische Maßnahmen besonders erfolgversprechend erschienen.

Weder bei Darwin noch irgendwann später sind das politisch-kulturelle Umfeld und die Inhalte der Wissenschaft säuberlich trennbar. Doch was nicht sein darf, kann nicht sein. In ihrem Eifer betrachten die Autoren die Evolutionslehre und die evolutionäre Synthese als überzeitlich gültige, monolithische Theorien, ohne auf das soziale, kulturelle und politische Umfeld, ohne auf materielle Praktiken, institutionelle Bedingungen, disziplinäre Konkurrenz und Finanzierungsquellen einzugehen. All diese Themen können auch in einer einführenden Darstellung Platz finden. Sie sind nicht, wie die Autoren explizit betonen, nur Kontext, sondern ebenso wie angeblich zeitlose Ideen Determinanten wissenschaftlichen Handelns und Denkens.

THOMAS WEBER

Thomas Junker, Uwe Hoßfeld: "Die Entdeckung der Evolution". Eine revolutionäre Theorie und ihre Geschichte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001. 264 S., 30 Abb., geb., 59,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Genüsslich ergießt Rezensent Alexandre Métraux seinen Spott über Thomas Junkers und Uwe Hoßfelds Monografie über die Entdeckung der Evolution. So spannend wie die zweite Wiederholung eines Spielresultats nach dem Ende eines Spiels, dessen Ausgang bis zum letzten Augenblick offen war, sei diese "brave Erfolgsstory" der Evolutionstheorie, höhnt Métraux. Keinen "zündenden Neuansatz" findet Métraux darin, vom revolutionären Charakter, der der Evolutionstheorie laut Untertitel des Buches innewohnt, merkt er auch nichts, und was die Könnerschaft der Autoren anbelangt - nun ja... Gereicht hat sie nach Ansicht des Rezensenten immerhin für die Niederschrift eines nützlichen Überblicks für Leute, "die rasch Orientierung in dem Geflecht von Hypothesen, Erklärungsversuchen und theoretischen Verlegenheiten seit der Zeit Jean-Baptiste Lamarcks suchen". Eben solche Leser wird das Buch nach der etwas dünkelhaften Einschätzung des Rezensenten dann auch begeistern - er selbst hat ganz offenbar sehr viel höhere Ansprüche.

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