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Intensität begründet im 18. Jahrhundert ein neues Verständnis, um über gleitende Markierungen zunächst Naturvorgänge, dann aber auch Wahrnehmungsprozesse und schließlich Kulturmodelle zu definieren. Die bisher nicht untersuchte Denkfigur erweist sich als ein Leittheorem in der Formierungsgeschichte einer aufklärerisch initiierten »Moderne«.Am Anfang war das Licht, für dessen Stärke die Naturforschung der Aufklärung einen graduellen Ordnungsbegriff brauchte. Die hierfür erfundene Intensität entwickelt sich rasch und effizient zu einer Denkfigur all jener Bereiche, in denen es um eine gleitende…mehr

Produktbeschreibung
Intensität begründet im 18. Jahrhundert ein neues Verständnis, um über gleitende Markierungen zunächst Naturvorgänge, dann aber auch Wahrnehmungsprozesse und schließlich Kulturmodelle zu definieren. Die bisher nicht untersuchte Denkfigur erweist sich als ein Leittheorem in der Formierungsgeschichte einer aufklärerisch initiierten »Moderne«.Am Anfang war das Licht, für dessen Stärke die Naturforschung der Aufklärung einen graduellen Ordnungsbegriff brauchte. Die hierfür erfundene Intensität entwickelt sich rasch und effizient zu einer Denkfigur all jener Bereiche, in denen es um eine gleitende Modellierung geht. Das sind neben den naturwissenschaftlichen Größen von Kraft, Wärme und Licht vor allem die sinnesphysiologischen Wahrnehmungen und die emotionalen Empfindungen. Da diese zu den zentralen Diskursfeldern des 18. Jahrhunderts gehören, erweitert sich der Gebrauch des Begriffs und seines Denkbezirks philosophisch, literaturtheoretisch und kulturpoetisch hochwirksam. Ihre intellektuelle Neuheit, aber auch ihre vielseitige Anwendbarkeit machen Intensität zu einem avancierten Formierungsangebot. Die erstmals umfassend rekonstruierte Geschichte dieser komplexen Begriffsgenese und der daraus entwickelten Intensitätsmodelle gewährt facettenreiche Einblicke in die wissens- und denkgeschichtlichen Umbrüche vor und um 1800. Innovation und Mehrwert des Intensitätsbegriffs bestehen darin, daß dynamische Zustände nicht mehr in einer dualistischen Beschreibungsstruktur stillgestellt werden müssen, sondern daß es möglich ist, zwischen zwei Extremen graduelle Stufen zu markieren. Die Grundlagen dieses Ansatzes gehen auf mathematische Leittheoreme des 18. Jahrhunderts zurück. Philosophen und Literaten ließen sich davon zu intellektuell fruchtbaren Aneignungen anregen. Sie entwickelten ihrerseits Theorien der Intensität. Der Versuch, deren Voraussetzungen und Verzweigungen darzustellen, förderte die Denk- und Ausdrucksmöglichkeiten im Prozeß zur »Moderne«.
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Autorenporträt
Erich Kleinschmidt, geb. 1946, ist Professor für Neuere deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Frühe Neuzeit, klassische Moderne, Literatur- und Kulturtheorie.Veröffentlichungen u.a.: »Gleitende Sprache. Sprachbewußtsein und Poetik in der literarischen Moderne« (1992); »Autorschaft. Konzepte einer Theorie« (1998).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Heftiger Belegschauer auf dem Höhenkamm
Leidenschaften und Interessen: Erich Kleinschmidt mißt die Intensität der Befriedigungsakte / Von Friedrich Wilhelm Graf

Im "Neuen Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein" sprach Johann Heinrich Lambert 1764 davon, "daß unsre Wörter nur willkürliche Zeichen der Gedanken sind". Wie andere Aufklärer klagte der Berliner Mathematiker und Philosoph über die Armut der deutschen Sprache. Viele Erscheinungen der Natur und Kultur hätten keine angemessenen Begriffe gefunden. Lambert beschwor sprachschöpferische Innovationskraft, damit statt alter Wörter "schicklichere, wesentlichere und zum Erfinden dienlichere gefunden werden können, die unsrer ganzen Erkenntnis eine andere Gestalt geben würden".

Vierzig Jahre nach Lamberts Klage hatten Deutschlands Denker ihre Fachsprachen um Tausende Neologismen bereichert. Die Geistesgegenwart der Bildungselite zeitigte in den Alltagssprachen vielfältige Wirkungen. Begriffliche Innovationen aus akademischen Diskursen gingen schnell in die allgemeine Sprachpraxis über. Der Kölner Literatur- und Kulturwissenschaftler Erich Kleinschmidt beschreibt solche Entspezifizierung von Fachbegriffen als "kulturpoetische Metamorphisierung". Die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geprägte "Intensität", abgeleitet aus dem lateinischen Partizipialadverb "intensus" für "heftig, stark, gespannt", sollte bestimmte physikalische Phänomene bezeichnen. Wenige Jahrzehnte später gebrauchten Philosophen, Theologen, Seelenärzte und Dichter den Begriff der Naturkundler, um kulturelle Phänomene zu deuten und die Abgründe der Psyche zu vermessen. Die kaum erforschte Karriere des Begriffs zeichnet Kleinschmidt als "Beleggeschichte" in systematischer Absicht nach. Durch "Belegarbeit" will er die wissenspolitische Leistungskraft einer offenen "Denkfigur" zeigen.

Dem Prospekt folgen Kapitel zu den "Formierungsgeschichten" des Wortfeldes von Intensität. Danach werden die "Theorieräume" aufgesucht, in denen der neue Modifikationsbegriff entfaltet wurde. Aus weit geöffneten Fenstern blickt der Autor auch nach England, Frankreich und Italien. Bei allen Suchbewegungen wiederholt der Belegesammler immer wieder seine These: Der Terminus "Intensität" wurde im Kontext der physikalischen Debatten über Temperatur und Licht geprägt, um ihre sinnliche Erfahrbarkeit graduell zu messen. Später übertrugen die Physiker "Intensität" und weniger prägnante Begleitbegriffe wie "Intension", "Dichtigkeit" und "Gradation/Degradation" aus der "Photometrie", der Messung der Lichtintensität, und Wärmelehre auf komplexe, strittige Theoreme wie Spannung und Kraft. Dazu analog suchten die Definitionsexperten in systematischen Disziplinen "Intensität" neben Qualität, Quantität und Extensivität beziehungsweise Größe als "vierte" Klasse möglicher philosophischer und mathematischer Begriffsbildung zu bestimmen. Mit Intensität assoziierte man Vorstellungen von stetigen Übergängen, Prozessualität, Überschichtung, Gradabstufung und Nuancierung. Die Gradualität machte den Begriff für die Deutung von Ideenbereichen attraktiv, die sich einem Denken in alternativen Distinktionen und definitorischen Ausgrenzungen entzogen.

1745 übersetzte Diderot Shaftesburys "An Inquiry Concerning Virtue, or Merit" aus dem Jahre 1711. In seiner Lehre vom "degree of passion" hatte Shaftesbury Intensitätsmomente von "affections" und Leidenschaften bestimmen wollen, um an Maßen der "natural proportion" die Tugend anzustrebender "right balance" zu erläutern. Diderot erfaßte den Grad mütterlicher Zärtlichkeit als "intensité". In der deutschen Übersetzung von Alexander Pope's "An Essay on Man" wurden die graduellen Annäherungen an Vollkommenheit als "allmälige Gradation" umschrieben. Dieser Gradationsbegriff fand Eingang in den pädagogischen Diskurs und die Debatten der Nerven- und Seelenärzte. In Lehrbüchern der Neuropsychiatrie beschrieben Universitätsmediziner die Leiden von Menschen, deren "Geist und Sinne durch eine unmerkliche Gradation in den vollständigen Grad von Unempfindlichkeit" versinken könne. Jakob Michael Reinhold Lenz sprach 1775 davon, daß in der deutschen "Sprache noch unendlich viele Handlungen und Empfindungen der Seele namenlos" geblieben seien. So rückten "Intensität" und ihr verwandte Begriffe im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts ins Zentrum eines Psycho-Diskurses über die höchstmöglichen Steigerungen aller menschlichen Handlungs-, Denk-, Erlebens- und Empfindsamkeitsformen. Dank ihrer pluralen Wahrnehmungsmedialität avancierte Intensität zum Adorationssignet schöpferischer Individuen, die den "Intensitätsfortschritt" zur "Graderhöhung der Menschheit" primär an ihre genialische Selbstmächtigkeit banden, den Zersplitterungen einer das Subjekt überfordernden Gegenstandswelt durch konzentriert gesteigerte Reflexivität standzuhalten. "Ist intensiv der Verstand geübt, so erhält er seine Kraft auch im Zerstreuten", erklärte Friedrich von Hardenberg, Autor eines Brouillons zur "Entstehung des Begriffs Dichtigkeit (Intensität)". Analog sollte im ethischen Diskurs "moralische Intensität" den "sinnlichen Trieb" beherrschen. Herder sah diesen "intensiven, innigen Menschen" phänotypisch durch simple, tiefgeprägte Züge ohne unstetes Auge gekennzeichnet, Goethes "Wilhelm Meister" pflegte seine Innigkeit, um Vollkommenes zu schaffen, und die Romantiker feierten solche "Innigkeit des Genies" als den höchsten Steigerungsgrad ästhetisch entgrenzter Produktivität. Neue Modi der Selbstbeobachtung wurden konzipiert und Perspektiven möglicher menschlicher Empfindungen.

Kleinschmidts Datenbanken enthalten vor allem Belege aus den Texten der deutschen Klassischen. Hier lassen sich begriffsgeschichtliche Recherchen effizient durchführen, weil kritische Editionen dank Register den Zugriff auf einschlägige Quellen ermöglichen. Leider ignoriert der Literaturwissenschaftler die begriffshistorische Kärrnerarbeit der Allgemeinhistoriker. Obgleich er seine "erste Beleggeschichte" als "grundlegende Studie" anpreist, bedenkt er nirgends die Perspektivität seiner literaturwissenschaftlichen "Engführung" auf die "Höhenkammliteratur" einiger Meisterdenker. Allen Ernstes versichert Kleinschmidt dem Leser, daß "zum Thema des Buches im historischen Ausschnitt keine einschlägige Sekundärliteratur existiert", weshalb er im Literaturverzeichnis "auf eine Aufführung der wenigen explizit benutzten und zitierten Forschungsliteratur" verzichtet. Von Kosellecks Studien zu den neuen "Bewegungsbegriffen" der "Sattelzeit" nimmt er ebensowenig Notiz wie von den Debatten um die Methodologie von Begriffshistorie und "historical semantics", die Zusammenhänge zwischen sprachlichen Äußerungen und konfliktreichem "management of meaning" in den Blick nimmt. So bleiben gradationssemantisch zentrale Debatten über die "Perfektibilität des Christentums", die Analogielehre und die "Intensitätsgrade" sexueller "Befriedigungsakte" unberücksichtigt. Doch bei Johann Heinrich Campe kann man lesen, daß die "Innigkeit (intension) unserer Empfindungen in dem Maße abzunehmen pflegt, in welchem sie der Ausdehnung (Extension) nach sich über mehrere Gegenstände erstrecken". Folglich sind Hinweise auf die mangelnde Extensität einer Zettelsammlung zur Intensität nur deplaziert. Mehr noch: "Intension" ist, nach Wilhelm Traugott Krugs "Allgemeinem Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften", "eigentlich die Spannung und die dadurch verstärkte Wirksamkeit eines Dinges. Daher sagt man auch, ein Ding habe viel Intensität, wenn es viel innere Kraft oder einen starken Gehalt hat." Den hat Kleinschmidts buchtechnisch schön gestaltete kleine Studie gerade dadurch, daß sie der "gespannten Verfaßtheit des inneren Lebens" Vorrang vor den oberflächlichen Extensitäten der Welt gibt.

Erich Kleinschmidt: "Die Entdeckung der Intensität". Geschichte einer Denkfigur im 18. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 160 S., br., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Literaturwissenschaftler Erich Kleinschmidt begibt sich in diesem Buch auf die Suche nach der Geschichte des Begriffs der Intensität. Es geht ihm dabei der eigenen Erklärung zufolge um die "wissenschaftspolitische Leistungskraft einer offenen 'Denkfigur'", erklärt Rezensent Friedrich Wilhelm Graf. Der Terminus "Intensität" taucht auf im "Kontext der physikalischen Debatten über Temperatur und Licht" und wandert dann hinüber in andere Disziplinen, wo er für Vorstellungen von "Prozessualität" und Übergängen gebraucht wird. Das ist alles nicht uninteressant, meint Graf, so ganz begreiflich findet er den engen Horizont der Darstellung allerdings nicht. Die Untersuchung bleibe im wesentlichen auf "Belege aus den Texte der deutschen Klassiker" beschränkt, auf "Höhenkammliteratur". Die von Historikern geleistete Arbeit - Graf nennt insbesondere Koselleck - ignoriere der Literaturwissenschaftler Kleinschmidt souverän. Das ist dem Rezensenten in jedem Fall ein bisschen zu wenig Extension, wenngleich es der Intensität der Darstellung am Ende vielleicht doch zugute komme.

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