Produktdetails
- Verlag: Fest
- Originaltitel: Year of Reading Proust
- Seitenzahl: 332
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 602g
- ISBN-13: 9783828600621
- ISBN-10: 382860062X
- Artikelnr.: 23979654
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.1999Von Möpsen und Menschen
Phyllis Rose liest Proust und versteht die Welt danach besser
"The Year of Reading Proust" - etwa: Das Jahr, in dem ich Proust las - heißt das Buch im amerikanischen Original. Diesen offenbar als abschreckend empfundenen Titel hat der Verlag durch einen bauernfängerischen ersetzt: "Die Entdeckung des Glücks". Er riskiert damit, dass sich die angelockte Klientel gleich im ersten Kapitel verärgert verabschiedet. Da geht es nämlich tatsächlich darum, wie die Autorin jahrelang vergeblich versucht, einen Zugang zu Prousts großem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zu finden - "wie eine schwere Limousine mit schwachem Motor quälte ich mich wieder und wieder den Hügel hinauf" -, immer wieder scheitert und es schließlich doch schafft.
Ursprünglich gedacht, eine als peinlich empfundene Bildungslücke zu schließen, dann als mögliche Inspirationsquelle für einen geplanten Roman über die "Belle Époque", gewinnt diese Lektüre ihre Eigendynamik und nimmt die Leserin ein ganzes Jahr lang gefangen. Danach hat sich ihr Leben verändert; es ist, als ob sie den Schlüssel zu Erkenntnissen gewonnen habe, die ihr vorher verwehrt waren, als ob ihr - um ein proustsches Bild zu bemühen - die Augen aufgegangen wären.
Was sind das für Erkenntnisse? Proust, sagt Phyllis Rose, ist ein Humanwissenschaftler, der durch Beobachtung und Vergleich die Prinzipien und Mechanismen menschlichen Handelns zu ergründen versteht. Und seine Resultate ("Recherche" bedeutet für die Autorin deshalb mehr "Forschung" als "Suche") sind von solch allgemeiner Gültigkeit, dass sie mühelos aus seinem Milieu in die amerikanische Upper Middle Class des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts versetzt werden können. Phyllis Rose lernt von Proust, unverständliche, paradoxe Reaktionen ihrer Mitmenschen zu deuten und auf die verborgenen Motive zurückzuführen, sie gibt ihrer Umwelt sogar, mit ausdrücklicher Berufung auf Proust, konkrete Ratschläge.
Das kommt dem deutschen Leser bekannt vor. "Proust-Leser sind im Vorteil", hatte Martin Walser vor Jahren in dem enthusiastischen Bericht über seine Proust-Lektüre sloganartig formuliert und diese besondere Form des "Durchblicks" hervorgehoben; und kürzlich ist auch Alain de Bottons frecher und geistreicher Versuch, aus Proust einen Ratgeber zu machen, in deutscher Übersetzung erschienen. Bei Phyllis Rose geht es aber um mehr als des Autors Nutzwert. Im Verlaufe ihres Buches tritt Proust in den Hintergrund, verschwindet beinahe ganz aus dem Blickfeld.
In dieses tritt dafür, raumgreifend und raumfüllend, die Autorin selbst. Von ihr erfahren wir allerlei aus dem Leben gut situierter Fünfzigerinnen im Universitäts- und Künstlermilieu der amerikanischen Ostküste. Gespräche mit dem obligatorischen Therapeuten und mit der "Haarfärberin" gehören dazu, die Erinnerung an eine Affäre ebenso wie die Schilderung der Geburt ihres Sohnes oder eines kleinen chirurgischen Eingriffs, Besuche bei der todkranken Mutter und ein Abendessen für Salman Rushdie; die Schwierigkeiten, ein paar geschenkte Tomatenpflanzen aufzuziehen, oder die, sich für die richtige Automarke oder Hunderasse zu entscheiden. Nur eins gibt es nicht zwischen Mops und Mercedes, in dieser Welt der intellektuellen Konversation und der hochgezüchteten Geschmacksnoten, in der jede Einladung zum kreativen Akt gerät: Geldsorgen (aber das war bei Proust nicht anders).
"Fast ein Roman" lautet die Gattungsbezeichnung des sehr persönlich geratenen Buches; mit mehr Berechtigung hätte sie "der Versuch, meine ,Essays' zu schreiben" lauten können. Näher allerdings als an Montaigne, dessen Reiz ja in der unaufhörlichen Bewegung zwischen Subjekt und Objekt (und deren gegenseitiger Befruchtung) besteht, ist die Autorin bei ihrer Landsmännin Lilly Brett und deren unsäglichem Alltagsgeschwätz. Immerhin hat das Geplauder von Phyllis Rose Niveau und Stil und - da hat Proust womöglich abgefärbt - auch literarisch ein gewisses Format. Selbst die Sprünge und Abschweifungen entpuppen sich immer wieder als kontrolliert angelegte Ausbuchtungen des Erzählwegs, und aus einiger Entfernung betrachtet, ergeben diese Schreibbögen zwar nicht eine Kathedrale, aber doch ein ansprechendes Muster.
Natürlich kehrt die Autorin im letzten Kapitel zu Proust zurück. Dessen beherrschende Obsession ist die allesfressende Zeit, die nur das Kunstwerk, das sie überdauert, besiegen kann. Diese Macht erhält die Kunst, abkürzend gesagt, durch die Verbindung zweier Elemente, deren Aufeinanderprallen etwas Neues freisetzt, das gleichsam immateriell ist, nicht dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Das ist die Bedeutung der berühmten "Madeleine"-Episode, und diese Kraft wohnt für Proust jeder Assoziation und jeder Metapher inne.
Phyllis Rose ist so ehrlich zuzugeben, hier nicht folgen zu können. Sie sei eine Vertreterin des Konkreten, nicht der Verallgemeinerung, des Details, nicht der Gesetzmäßigkeiten, erkennt und schreibt sie; deshalb kann Proust sie zwar bereichern und beglücken, nicht aber zu seiner Jüngerin machen. Deshalb hilft ihr diese Lektüre auch nicht dabei, die tief sitzende Überzeugung ihrer eigenen schriftstellerischen Minderwertigkeit zu besiegen. Prousts Werk wird dauern, weiß sie und fürchtet: ihres nicht. Und dieser Einsicht ist nicht zu widersprechen.
MARTIN EBEL
Phyllis Rose: "Die Entdeckung des Glücks. Fast ein Roman". Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 336 S., geb. 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Phyllis Rose liest Proust und versteht die Welt danach besser
"The Year of Reading Proust" - etwa: Das Jahr, in dem ich Proust las - heißt das Buch im amerikanischen Original. Diesen offenbar als abschreckend empfundenen Titel hat der Verlag durch einen bauernfängerischen ersetzt: "Die Entdeckung des Glücks". Er riskiert damit, dass sich die angelockte Klientel gleich im ersten Kapitel verärgert verabschiedet. Da geht es nämlich tatsächlich darum, wie die Autorin jahrelang vergeblich versucht, einen Zugang zu Prousts großem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" zu finden - "wie eine schwere Limousine mit schwachem Motor quälte ich mich wieder und wieder den Hügel hinauf" -, immer wieder scheitert und es schließlich doch schafft.
Ursprünglich gedacht, eine als peinlich empfundene Bildungslücke zu schließen, dann als mögliche Inspirationsquelle für einen geplanten Roman über die "Belle Époque", gewinnt diese Lektüre ihre Eigendynamik und nimmt die Leserin ein ganzes Jahr lang gefangen. Danach hat sich ihr Leben verändert; es ist, als ob sie den Schlüssel zu Erkenntnissen gewonnen habe, die ihr vorher verwehrt waren, als ob ihr - um ein proustsches Bild zu bemühen - die Augen aufgegangen wären.
Was sind das für Erkenntnisse? Proust, sagt Phyllis Rose, ist ein Humanwissenschaftler, der durch Beobachtung und Vergleich die Prinzipien und Mechanismen menschlichen Handelns zu ergründen versteht. Und seine Resultate ("Recherche" bedeutet für die Autorin deshalb mehr "Forschung" als "Suche") sind von solch allgemeiner Gültigkeit, dass sie mühelos aus seinem Milieu in die amerikanische Upper Middle Class des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts versetzt werden können. Phyllis Rose lernt von Proust, unverständliche, paradoxe Reaktionen ihrer Mitmenschen zu deuten und auf die verborgenen Motive zurückzuführen, sie gibt ihrer Umwelt sogar, mit ausdrücklicher Berufung auf Proust, konkrete Ratschläge.
Das kommt dem deutschen Leser bekannt vor. "Proust-Leser sind im Vorteil", hatte Martin Walser vor Jahren in dem enthusiastischen Bericht über seine Proust-Lektüre sloganartig formuliert und diese besondere Form des "Durchblicks" hervorgehoben; und kürzlich ist auch Alain de Bottons frecher und geistreicher Versuch, aus Proust einen Ratgeber zu machen, in deutscher Übersetzung erschienen. Bei Phyllis Rose geht es aber um mehr als des Autors Nutzwert. Im Verlaufe ihres Buches tritt Proust in den Hintergrund, verschwindet beinahe ganz aus dem Blickfeld.
In dieses tritt dafür, raumgreifend und raumfüllend, die Autorin selbst. Von ihr erfahren wir allerlei aus dem Leben gut situierter Fünfzigerinnen im Universitäts- und Künstlermilieu der amerikanischen Ostküste. Gespräche mit dem obligatorischen Therapeuten und mit der "Haarfärberin" gehören dazu, die Erinnerung an eine Affäre ebenso wie die Schilderung der Geburt ihres Sohnes oder eines kleinen chirurgischen Eingriffs, Besuche bei der todkranken Mutter und ein Abendessen für Salman Rushdie; die Schwierigkeiten, ein paar geschenkte Tomatenpflanzen aufzuziehen, oder die, sich für die richtige Automarke oder Hunderasse zu entscheiden. Nur eins gibt es nicht zwischen Mops und Mercedes, in dieser Welt der intellektuellen Konversation und der hochgezüchteten Geschmacksnoten, in der jede Einladung zum kreativen Akt gerät: Geldsorgen (aber das war bei Proust nicht anders).
"Fast ein Roman" lautet die Gattungsbezeichnung des sehr persönlich geratenen Buches; mit mehr Berechtigung hätte sie "der Versuch, meine ,Essays' zu schreiben" lauten können. Näher allerdings als an Montaigne, dessen Reiz ja in der unaufhörlichen Bewegung zwischen Subjekt und Objekt (und deren gegenseitiger Befruchtung) besteht, ist die Autorin bei ihrer Landsmännin Lilly Brett und deren unsäglichem Alltagsgeschwätz. Immerhin hat das Geplauder von Phyllis Rose Niveau und Stil und - da hat Proust womöglich abgefärbt - auch literarisch ein gewisses Format. Selbst die Sprünge und Abschweifungen entpuppen sich immer wieder als kontrolliert angelegte Ausbuchtungen des Erzählwegs, und aus einiger Entfernung betrachtet, ergeben diese Schreibbögen zwar nicht eine Kathedrale, aber doch ein ansprechendes Muster.
Natürlich kehrt die Autorin im letzten Kapitel zu Proust zurück. Dessen beherrschende Obsession ist die allesfressende Zeit, die nur das Kunstwerk, das sie überdauert, besiegen kann. Diese Macht erhält die Kunst, abkürzend gesagt, durch die Verbindung zweier Elemente, deren Aufeinanderprallen etwas Neues freisetzt, das gleichsam immateriell ist, nicht dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Das ist die Bedeutung der berühmten "Madeleine"-Episode, und diese Kraft wohnt für Proust jeder Assoziation und jeder Metapher inne.
Phyllis Rose ist so ehrlich zuzugeben, hier nicht folgen zu können. Sie sei eine Vertreterin des Konkreten, nicht der Verallgemeinerung, des Details, nicht der Gesetzmäßigkeiten, erkennt und schreibt sie; deshalb kann Proust sie zwar bereichern und beglücken, nicht aber zu seiner Jüngerin machen. Deshalb hilft ihr diese Lektüre auch nicht dabei, die tief sitzende Überzeugung ihrer eigenen schriftstellerischen Minderwertigkeit zu besiegen. Prousts Werk wird dauern, weiß sie und fürchtet: ihres nicht. Und dieser Einsicht ist nicht zu widersprechen.
MARTIN EBEL
Phyllis Rose: "Die Entdeckung des Glücks. Fast ein Roman". Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 336 S., geb. 44,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Recht gnädig geht Manuela Reichart zunächst mit dem Einfall der amerikanischen Literaturprofessorin um, die Lektüre von Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" als Spiegel und Sprungbrett für die Beschreibung ihres eigenen Lebens zu benutzen. Aber dann verliert sie angesichts nicht sehr origineller Beobachtungen - zum gesellschaftlichen Leben in Key West, einem Konflikt mit der Vermieterin oder einem geheimen Treffen mit Salman Rushdie - doch die Lust am Lesen. Sobald ihr der Proustsche Faden verlorengeht, fällt der Rezensentin die Langeweile des alltäglichen Geschehens auf die Nerven, die eben nur wenige, wie z.B. Proust, in große Literatur zu verwandeln vermögen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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