»Meine Mutter war eine Naturgewalt.« Violaine Huisman erzählt die Geschichte ihrer manisch-depressiven Mutter - und schreibt grandiose Literatur.
Ihr Fahrstil war sportlich, mit quietschenden Reifen fuhr sie über jede rote Ampel der Champs-Elysées, in der linken Hand die Zigarette, in der rechten das Steuer, auf dem Rücksitz die beiden Töchter. Catherine konnte ausrasten, ihre Kinder unflätig beschimpfen, um sie gleich danach in Liebe zu ertränken. Die kleine Violaine und ihre Schwester lieben die Mutter abgöttisch, aber sie ist krank, sie ist manisch-depressiv. Mit gnadenloser Aufrichtigkeit und großer Wärme erinnert sich Violaine Huisman an ihre schöne, witzige und widersprüchliche Mutter. Ein temporeicher, aufwühlender Roman über eine sehr unkonventionelle Familie.
Ihr Fahrstil war sportlich, mit quietschenden Reifen fuhr sie über jede rote Ampel der Champs-Elysées, in der linken Hand die Zigarette, in der rechten das Steuer, auf dem Rücksitz die beiden Töchter. Catherine konnte ausrasten, ihre Kinder unflätig beschimpfen, um sie gleich danach in Liebe zu ertränken. Die kleine Violaine und ihre Schwester lieben die Mutter abgöttisch, aber sie ist krank, sie ist manisch-depressiv. Mit gnadenloser Aufrichtigkeit und großer Wärme erinnert sich Violaine Huisman an ihre schöne, witzige und widersprüchliche Mutter. Ein temporeicher, aufwühlender Roman über eine sehr unkonventionelle Familie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2019Wo die Wärme nicht reicht, macht diese Frau Feuer
Nicht nur das Krankheitsbild ist komplex: Violaine Huisman schreibt romanhaft vom Leben und Sterben ihrer Mutter
Auch für eine Pariserin ist der Fahrstil extrem: "Immer und überall zu spät, fuhr sie manchmal über den Bürgersteig, wenn es nicht voranging - eine bewährte Methode, Staus zu umgehen. Mit der Zigarette in der linken Hand beschimpfte sie die Gaffer. Aus dem Weg! Wir haben es eilig!" Wenn Ordnungshüter einschreiten, müssen die zwei Töchter schwere Krankheit vortäuschen. Größere Wirkung entfaltet allerdings die "Charmenummer" der Mutter, einer ehemaligen Balletttänzerin, die Polizisten mühelos um den Finger wickelt. Was nach den nonchalanten Manieren einer Pariser Großbürgerin klingt, sind in Wahrheit Züge einer Manisch-Depressiven oder, um die Liste komplett aufzuzählen, einer Frau, die an folgenden Krankheitsbildern leidet: "Schizophrenie, Mythomanie, Kleptomanie, Alkoholismus, abwechselnd Depression und Hysterie."
Die Person, um die es geht, ist Catherine Cremnitz, 1947 geboren: Ihre Tochter Violaine Huisman, Jahrgang 1979, Lektorin und Übersetzerin, die seit 1998 in New York lebt, hat ihr "Die Entflohene" gewidmet. Es handelt sich um einen Roman, der nur insofern einer ist, als die literarische Gestaltung eine wichtige Rolle spielt; die Schilderungen sind wohl faktenbasiert. Im Französischen würde man von einem "récit de filiation", einer Abstammungsgeschichte, sprechen. Jedenfalls ist Catherines Leben an sich schon romanesk: die von schwerer Krankheit geprägte Kindheit, das Balletttanzen trotz eines verkürzten Beins, der übergriffige leibliche Vater, eine erste Ehe und ein Leben als Tanzlehrerin in Marseille, eine zweite Existenz in Paris als Gattin eines großbürgerlichen Kulturschaffenden ("der leibhaftige Salonbolschewist"), die Mutterschaft und eine Geliebte, das Ferienhaus in der Corrèze, die dritte Ehe mit einem Betrüger, eine späte Randexistenz in Westafrika, schließlich der Suizid.
Huisman erzählt in drei Teilen: Der erste berichtet aus der Ich-Perspektive der Tochter, ausgehend von den Ereignissen des Jahres 1989, als die Mutter der Zehnjährigen eingewiesen wird. Der zweite erzählt Catherines Geschichte bis 1989, und zwar chronologisch und aus der Außensicht; durch die dritte Person wirkt er unpersönlicher. Der dritte und kürzeste Teil berichtet von Tod und Seebestattung der Mutter 2009, folgt dem Erleben der dreißigjährigen Violaine.
Die Teile dienen dem Versuch, durch wechselnde Blickwinkel einem menschlichen Phänomen näherzukommen, das sich durch stete Grenzverletzung auszeichnet und droht unfassbar zu werden. Catherine ist eine Frau des Exzesses, verschlingt Alkohol, Zigaretten, Medikamente, Sexpartner, bis hin zum Metzger - "ein fetter Widerling" -, mit dem sie es auf dem Hackblock treibt. Ihre Umgebung wird Teil des Versuchs, die als Kind erlittene Vernachlässigung - während eines jahrelangen Krankenhausaufenthalts hat ihre Mutter sie nicht besucht - mittels eines permanenten Ausnahmezustandes erträglich zu machen: "Mamans Haushalt war eine Feuerstelle, sie heizte gut ein, damit dort das Feuer der Gefühle loderte, die leidenschaftliche Wärme ihres Vertrauens in die menschliche Seele." Wo die Wärme nicht reicht, fängt sie neu an, daher eine Vielzahl von Identitäten und Ehen, Abbrüchen - teils im wörtlichen Sinne: Eine Tanzschule fackelt Catherine ab - und Neuanfängen jeder Art.
So hart das Urteil bei einem Band klingt, der mehr sein will als "nur" ein gelungener Roman: Das Resultat ist literarisch gesehen gemischt. Gegen Ende fällt "Die Entflohene" ab. Teil zwei ist konventionell erzählt, manche Ereignisse werden wiederholt, was nur teilweise eine neue Sicht eröffnet, besonders das Verhalten von Catherines Mutter betreffend. Teil drei wiederum, der am direktesten auf emotionale Momente losgeht, ist zwar rührend, aber literarisch mau. Wir folgen darin Violaine und ihrer Schwester durch die Leichenhalle, sehen sie bei der Trauerfeier und beim Schmuggeln der Asche ins Flugzeug, wohnen deren Verteilen auf dem Meer vor Dakar bei. Die Erzählung spiegelt die Hilflosigkeit der jungen Frauen leider unbedarft wider - eine Erinnerung an die Einsicht, dass Sprache paradoxerweise oft am überzeugendsten wirkt, wenn sie am kunstvollsten vorgeht. An demselben heiklen und persönlichen Gegenstand - einem verrückten, verstorbenen Elternteil - hat das eine andere Französin, Gwenaëlle Aubry, unlängst vorgemacht: In "Niemand" (2009) umkreist sie in alphabetisch organisierten Stichwörtern das Leben ihres Vaters, ein Kunstgriff, der formalistisch scheinen mag, tatsächlich jedoch eine packende Darstellung ermöglicht.
Gegen diese Vorbehalte steht der wunderbare erste Teil von "Die Entflohene": Er berichtet über die Verwirrung der zehn Jahre alten Tochter angesichts der mütterlichen Krankheit. In einem Tonfall, der alles andere als weinerlich ist, zeigt Huisman ein extravagantes Leben, das verstört, aber vor Intensität glüht wie die kettengerauchten Kippen. Auch ohne den Versuch, die kindliche Wahrnehmung zu übernehmen, gelingt es Huisman, das Erlebte in einer halb chronologischen, halb assoziativen Verkettung, die ihrer eigenen Logik zu folgen scheint, glaubwürdig darzustellen. Hier erlaubt der Roman die Entdeckung eines faszinierenden Charakters, der sich aus dem Arbeitermilieu und einer schwierigen Familienkonstellation zu befreien sucht.
Das verrät schon Catherines Sprache, denn sie schmückte "diesen mondänen Stil mit Anspielungen auf die Popkultur, Sprüchen, billigem Argot, sie konnte einfach nicht anders, als ihre Sätze mit Schimpfwörtern zu spicken, so wie andere grundsätzlich ihr Essen nachsalzen". "Die Entflohene" profitiert von der lebhaften, phantasievollen, oft deftigen Sprache der Hauptfigur, und Eva Scharenberg überträgt diese über weite Strecken gut. An ein paar Stellen holpert es, zum Beispiel beim Einsatz der bestimmten Artikel bei französischen Wendungen, die angepasst werden sollten ("die Place", nicht "der"), sowie bei Regionen, wo es skurrilerweise "in Corrèze" heißt (statt "in der"). Von den genannten Einschränkungen abgesehen, ist "Die Entflohene" aber ein spannender, berührender und burlesker Lebensbericht, der die Lektüre lohnt.
NIKLAS BENDER
Violaine Huisman: "Die Entflohene". Roman.
Aus dem Französischen von Eva Scharenberg. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht nur das Krankheitsbild ist komplex: Violaine Huisman schreibt romanhaft vom Leben und Sterben ihrer Mutter
Auch für eine Pariserin ist der Fahrstil extrem: "Immer und überall zu spät, fuhr sie manchmal über den Bürgersteig, wenn es nicht voranging - eine bewährte Methode, Staus zu umgehen. Mit der Zigarette in der linken Hand beschimpfte sie die Gaffer. Aus dem Weg! Wir haben es eilig!" Wenn Ordnungshüter einschreiten, müssen die zwei Töchter schwere Krankheit vortäuschen. Größere Wirkung entfaltet allerdings die "Charmenummer" der Mutter, einer ehemaligen Balletttänzerin, die Polizisten mühelos um den Finger wickelt. Was nach den nonchalanten Manieren einer Pariser Großbürgerin klingt, sind in Wahrheit Züge einer Manisch-Depressiven oder, um die Liste komplett aufzuzählen, einer Frau, die an folgenden Krankheitsbildern leidet: "Schizophrenie, Mythomanie, Kleptomanie, Alkoholismus, abwechselnd Depression und Hysterie."
Die Person, um die es geht, ist Catherine Cremnitz, 1947 geboren: Ihre Tochter Violaine Huisman, Jahrgang 1979, Lektorin und Übersetzerin, die seit 1998 in New York lebt, hat ihr "Die Entflohene" gewidmet. Es handelt sich um einen Roman, der nur insofern einer ist, als die literarische Gestaltung eine wichtige Rolle spielt; die Schilderungen sind wohl faktenbasiert. Im Französischen würde man von einem "récit de filiation", einer Abstammungsgeschichte, sprechen. Jedenfalls ist Catherines Leben an sich schon romanesk: die von schwerer Krankheit geprägte Kindheit, das Balletttanzen trotz eines verkürzten Beins, der übergriffige leibliche Vater, eine erste Ehe und ein Leben als Tanzlehrerin in Marseille, eine zweite Existenz in Paris als Gattin eines großbürgerlichen Kulturschaffenden ("der leibhaftige Salonbolschewist"), die Mutterschaft und eine Geliebte, das Ferienhaus in der Corrèze, die dritte Ehe mit einem Betrüger, eine späte Randexistenz in Westafrika, schließlich der Suizid.
Huisman erzählt in drei Teilen: Der erste berichtet aus der Ich-Perspektive der Tochter, ausgehend von den Ereignissen des Jahres 1989, als die Mutter der Zehnjährigen eingewiesen wird. Der zweite erzählt Catherines Geschichte bis 1989, und zwar chronologisch und aus der Außensicht; durch die dritte Person wirkt er unpersönlicher. Der dritte und kürzeste Teil berichtet von Tod und Seebestattung der Mutter 2009, folgt dem Erleben der dreißigjährigen Violaine.
Die Teile dienen dem Versuch, durch wechselnde Blickwinkel einem menschlichen Phänomen näherzukommen, das sich durch stete Grenzverletzung auszeichnet und droht unfassbar zu werden. Catherine ist eine Frau des Exzesses, verschlingt Alkohol, Zigaretten, Medikamente, Sexpartner, bis hin zum Metzger - "ein fetter Widerling" -, mit dem sie es auf dem Hackblock treibt. Ihre Umgebung wird Teil des Versuchs, die als Kind erlittene Vernachlässigung - während eines jahrelangen Krankenhausaufenthalts hat ihre Mutter sie nicht besucht - mittels eines permanenten Ausnahmezustandes erträglich zu machen: "Mamans Haushalt war eine Feuerstelle, sie heizte gut ein, damit dort das Feuer der Gefühle loderte, die leidenschaftliche Wärme ihres Vertrauens in die menschliche Seele." Wo die Wärme nicht reicht, fängt sie neu an, daher eine Vielzahl von Identitäten und Ehen, Abbrüchen - teils im wörtlichen Sinne: Eine Tanzschule fackelt Catherine ab - und Neuanfängen jeder Art.
So hart das Urteil bei einem Band klingt, der mehr sein will als "nur" ein gelungener Roman: Das Resultat ist literarisch gesehen gemischt. Gegen Ende fällt "Die Entflohene" ab. Teil zwei ist konventionell erzählt, manche Ereignisse werden wiederholt, was nur teilweise eine neue Sicht eröffnet, besonders das Verhalten von Catherines Mutter betreffend. Teil drei wiederum, der am direktesten auf emotionale Momente losgeht, ist zwar rührend, aber literarisch mau. Wir folgen darin Violaine und ihrer Schwester durch die Leichenhalle, sehen sie bei der Trauerfeier und beim Schmuggeln der Asche ins Flugzeug, wohnen deren Verteilen auf dem Meer vor Dakar bei. Die Erzählung spiegelt die Hilflosigkeit der jungen Frauen leider unbedarft wider - eine Erinnerung an die Einsicht, dass Sprache paradoxerweise oft am überzeugendsten wirkt, wenn sie am kunstvollsten vorgeht. An demselben heiklen und persönlichen Gegenstand - einem verrückten, verstorbenen Elternteil - hat das eine andere Französin, Gwenaëlle Aubry, unlängst vorgemacht: In "Niemand" (2009) umkreist sie in alphabetisch organisierten Stichwörtern das Leben ihres Vaters, ein Kunstgriff, der formalistisch scheinen mag, tatsächlich jedoch eine packende Darstellung ermöglicht.
Gegen diese Vorbehalte steht der wunderbare erste Teil von "Die Entflohene": Er berichtet über die Verwirrung der zehn Jahre alten Tochter angesichts der mütterlichen Krankheit. In einem Tonfall, der alles andere als weinerlich ist, zeigt Huisman ein extravagantes Leben, das verstört, aber vor Intensität glüht wie die kettengerauchten Kippen. Auch ohne den Versuch, die kindliche Wahrnehmung zu übernehmen, gelingt es Huisman, das Erlebte in einer halb chronologischen, halb assoziativen Verkettung, die ihrer eigenen Logik zu folgen scheint, glaubwürdig darzustellen. Hier erlaubt der Roman die Entdeckung eines faszinierenden Charakters, der sich aus dem Arbeitermilieu und einer schwierigen Familienkonstellation zu befreien sucht.
Das verrät schon Catherines Sprache, denn sie schmückte "diesen mondänen Stil mit Anspielungen auf die Popkultur, Sprüchen, billigem Argot, sie konnte einfach nicht anders, als ihre Sätze mit Schimpfwörtern zu spicken, so wie andere grundsätzlich ihr Essen nachsalzen". "Die Entflohene" profitiert von der lebhaften, phantasievollen, oft deftigen Sprache der Hauptfigur, und Eva Scharenberg überträgt diese über weite Strecken gut. An ein paar Stellen holpert es, zum Beispiel beim Einsatz der bestimmten Artikel bei französischen Wendungen, die angepasst werden sollten ("die Place", nicht "der"), sowie bei Regionen, wo es skurrilerweise "in Corrèze" heißt (statt "in der"). Von den genannten Einschränkungen abgesehen, ist "Die Entflohene" aber ein spannender, berührender und burlesker Lebensbericht, der die Lektüre lohnt.
NIKLAS BENDER
Violaine Huisman: "Die Entflohene". Roman.
Aus dem Französischen von Eva Scharenberg. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wurde je so klug, elegant und, ja, heiter, über Depressionen geschrieben wie in dieser Mutter-Tochter-Geschichte aus Paris? Mara Delius Welt.de 20191212
Gegen den
Strich
Die Diagnose traf zu,
aber gerecht wurde sie ihr nicht:
Violaine Huisman hat ein
zärtliches Buch
über ihre manisch-depressive
Mutter geschrieben
VON ALEX RÜHLE
Es beginnt am Tag des Mauerfalls. Violaine, ein Mädchen von zehn Jahren, sieht im französischen Fernsehen „Trauben von laut jubelnden Männern und Frauen, im Hintergrund Steinhaufen, Geröll, Staubwolken“. Ohne die politischen Hintergründe zu verstehen, ist ihr doch klar, dass da gerade etwas Großes, Irreversibles passiert. Gleichzeitig glaubt sie in den Geschichtstrümmern eine Spur ihrer Mutter Catherine zu erkennen, „ihr verherrlichtes Bild inmitten der Ruinen“.
Die Mutter, für die sie „blendend schwärmerische Bewunderung empfindet“, ist kurz zuvor von einem Tag auf den anderen verschwunden, Violaine und ihre zwei Jahre ältere Schwester fühlen sich tatsächlich mutterseelenallein. Die Erwachsenen um sie herum erklären ihnen mantraartig, Catherine sei manisch-depressiv und habe deshalb eingeliefert werden müssen. Aber was fängt man als Zehnjährige mit klinischer Terminologie an?
Gut, die Mutter liebte es, splitternackt durch die Wohnung zu spazieren, trat ab und zu Türen ein und fuhr mit dem Auto über Fußwege, wenn es ihr nicht schnell genug ging. Aber spricht das nicht auch für einen exzentrischen Sinn für Freiheit? Gut, die Mutter lag ab und zu bewusstlos im Flur rum, aber die beiden Töchter hatten früh gelernt, wie man jemanden reanimiert. Gut, die Mutter hat regelmäßig diese Schimpftiraden vom Stapel gelassen, nicht enden wollende Vorwurfsarien, wie kann man nur so undankbar sein, du armselige kleine Kröte, ihr kotzt mich so an mit euren saudummen Problemen und hör endlich auf, so erbärmlich rumzuheulen. Natürlich schlug sie dann auch mal zu oder zog eines der Mädchen an den Haaren durch die Pariser Wohnung. Aber Violaine und ihre Schwester hatten doch eine Formel, mit der sie ihre Mutter aus diesen Litaneien herausholen konnten: „Liebe Maman, die ich wie verrückt liebhabe solange ich lebe – und für alle Ewigkeit der Erde“. Wenn dieser Satz irgendwie durch das mütterliche Geschimpfe drang, dann „ging das Gewitter vorbei mit einem Streicheln über den Rücken, einem schmatzenden Kuss auf den Hals, einem ganzen Regen von Küssen, Küssen und Küssen und Küssen“.
Die, die da spricht, ist auch heute noch immer symbiotisch gefesselt an diejenige, über die sie spricht. Als Leser erwartet man, dass es im Laufe der Erzählung einen heftigen Stimm-Bruch geben wird, dass also später, wenn sich diese Stimme aus dem Käfig der Kindheit befreit haben wird, die große Abrechnung kommt. Mein grauenhaftes Leben mit einem manisch-depressiven Drachen. Aber nichts dergleichen geschieht, kein Vorwurf, keine Abgrenzung. Und vielleicht ist genau das die größte Stärke dieses Buches.
Violaine Huisman, Jahrgang 1979, lebt seit 20 Jahren in New York. Sie organisiert dort Literatur- und Musikfestivals, arbeitet als Lektorin und übersetzt aus dem Englischen ins Französische. Man fragt sich beim Lesen ihres autobiografischen Debüts über ihre Mutter schnell, ob die räumliche Distanz zu Paris auch eine Art Notwehr war, schließlich ist sie sofort nach dem Abitur auf die andere Seite des Atlantiks gezogen, so als müsste sie sich in Sicherheit bringen. Nun schreibt sie aus doppelter Distanz: Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass ihre Mutter sich 2009 umgebracht hat und ihren erwachsenen Töchtern einen Brief hinterließ: „Ich habe genug, ich habe genug gegeben.“ Aber auch die 30-jährige Violaine, die am Endes des Buchs vom Tod ihrer Mutter erfährt, ist noch so konsterniert und untröstlich, wie es ihr kindliches Alter Ego zu Beginn des Textes gewesen ist. „Wie konnte sie sagen, dass sie genug gegeben hatte?“ „Die Entflohene“ ist im Grunde der Versuch, diesen Selbstmord zu verstehen.
Drei große Kapitel, wie ein Triptychon. Im ersten werden aus Sicht des Kindes die frühen Jahre erzählt. Die Streitereien der Eltern, die Liebhaber, die nackt im Bad schlafen, wildes gemeinsames Spielen und Tanzen mitten in der Nacht – alles ist vollkommen bizarr und doch normal, schließlich gibt es keine andere Kindheit, mit der man das eigene Erleben abgleichen könnte. Im zweiten Teil skizziert Huisman aus der Außenperspektive die Biografie dieser Frauenfigur namens Catherine Cremnitz, die auch aus einem tragischen Truffautfilm entstammen könnte.
Eine kalte, eifersüchtige Mutter. Traumatische Jahre in einem Krankenhaus der Nachkriegszeit, als Kleinkind wird Catherine im Hôpital Necker abgegeben, die Eltern kommen sie nie besuchen. Sie heiratet früh, eröffnet eine Tanzschule, lernt dann einen mondänen Pariser kennen, erfolgreicher Geschäfts- und exzessiver Lebemann, ständig Affären, Geld ist dafür da, zum Fenster rausgeworfen zu werden. Dass er Jude ist und den Zweiten Weltkrieg unter einem Decknamen überlebt, kommt im Text eher en passant raus. Das chaotische Paar, das anfangs „in dem immensen Schlamassel ihrer Liebe einen Riesenspaß hatte“, bekommt zwei Töchter, und Catherine erfährt, wie das ist, wenn einen die Pariser Bourgeoisie nie akzeptiert, weil man ja aus einfachen Verhältnissen stammt, den literarischen Kanon nicht kennt, den Subjonctif II nicht beherrscht. Und immer diese Zusammenbrüche, Bulimie, Alkohol, Tabletten, die Frau ist eine Schande für die Familie. Huisman beschreibt diesen Distinktionsterror und den wilden biografischen Schlingerkurs der Mutter mit Flaubert’scher Nüchternheit, die fünf Jahre in einen kühlen Halbsatz packen, um dann einen einzelnen Moment wie in Zeitlupenzoom zu dehnen.
Thomas Melle hat vor drei Jahren sehr eindrücklich aus der Innenperspektive beschrieben, was es heißt, manisch-depressiv zu sein. In „Die Welt im Rücken“ schrieb er, vereinsamt, verschuldet, bis auf den Grund erschöpft, über die lebenszerstörerische Wirkung seiner psychischen Erkrankung. Er wollte absichtlich keinen Roman schreiben, keine fiktionalen Mäntel überwerfen, sondern in Textform existenziellen Kassensturz machen, zum einen, um sich selbst und anderen zu zeigen, was da immer wieder an irren Kräften in ihm wütet. Zum anderen ging es um eine Art Rückeroberung der eigenen Geschichte, in der Hoffnung, mit diesem radikal offenen Text den Dämon, der sich immer wieder in sein Schreiben drängte, zu bannen. Er betonte in einem Interview, sein Buch sei „Literatur, doch alles ist wahr, nichts erfunden“.
Violaine Huisman beschreibt diese Krankheit von außen – soweit man als Tochter Distanz gewinnen kann, schließlich ist sie inmitten der mütterlichen Wahrnehmungsverzerrungen und Ausbrüche aufgewachsen. Es geht ihr aber um etwas diametral anderes als Melle. Sie will die Mutter im Nachhinein aus dem definitorischen Korsett ihrer psychiatrischen Diagnose befreien. Ja, Catherine war manisch-depressiv, und wenn wir schon bei klinischem Vokabular sind, war sie sicher auch hysterisch, klepto- und mythomanisch, aber ist das nicht verständlich bei einem derartigen Leben? War sie nicht trotzdem oder gerade deshalb eine außergewöhnlich gute Mutter? Huisman verteidigt Catherines Extravaganz gegen die Krankheit, interpretiert dieses exzentrische Leben als Auflehnung und Wagemut und leitet ihr Scheitern, ihr elendes, einsames Ende nicht aus der Krankheit her, sondern aus all den Lebenszumutungen, denen die Mutter zu trotzen versuchte. „Medea ist nicht verrückt“, heißt es einmal, „sie ist verletzt, gedemütigt, verraten.“
Man könnte das Ganze freilich auch als ästhetische Symbiose über den Tod hinaus lesen: Catherine wollte ihr Leben im Erzählen in den Griff bekommen, was ihr, wie so ziemlich alles, misslang, sie verlor sich in besessenem Gekritzel, „machte sich eine neue Haut aus ihren zwanghaften Rezitativen“. Im Grunde hat die Tochter diese Aufgabe der biografischen Neuerfindung stellvertretend für sie übernommen. Wobei sie ihr Buch ausdrücklich als „Roman“ bezeichnet, dessen dritter Teil den Tod, die Beerdigung und die unfassbare Lücke beschreibt, die ihr Fehlen bei den erwachsenen Töchtern in die Kinderseele reißt.
Vor allem aber will sie zeigen, dass die eigene Kindheit und das Leben mit dieser Mutter auf seine Art beglückend und reich war. Huisman sagte in einem Interview, ihr Buch sei „eine Art Friedensangebot: Man muss den eigenen Eltern verzeihen, wenn man sie möglichst genau sehen will.“
Fragt sich, was hier „genau“ heißen soll. Huisman baut in ihren Text mehrmals Subjektivitätswarnungen ein. „Die biografischen Elemente, die die Geschichte ersetzten, brauchten nicht wahr zu sein, um wirklich gewesen zu sein. Die Wahrheit eines Lebens ist immer nur Fantasie, je nachdem, wie man sie entwirft.“ Meine Mutter war Mythomanin – aber sind wir das nicht alle?
Violaine Huisman wollte also bestimmt kein fotorealistisches Porträt ihrer Mutter zeigen. Aber wenn ihre Formulierung vom genauen Sehen heißt, dass man ein großherziges Porträt einer charismatischen Untergeherin liest, dann ist ihr das unbedingt gelungen.
Violaine Huisman: Die Entflohene. Aus dem Französischen von Eva Scharenberg. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019. 256 Seiten, 22 Euro.
Am Ende mündeten die
Tiraden in einen schmatzenden
Kuss auf den Hals
Huisman beschreibt die
wilde Biografie mit
Flaubert’scher Nüchternheit
Meine Mutter war
Mythomanin – aber sind
wir das nicht alle?
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Strich
Die Diagnose traf zu,
aber gerecht wurde sie ihr nicht:
Violaine Huisman hat ein
zärtliches Buch
über ihre manisch-depressive
Mutter geschrieben
VON ALEX RÜHLE
Es beginnt am Tag des Mauerfalls. Violaine, ein Mädchen von zehn Jahren, sieht im französischen Fernsehen „Trauben von laut jubelnden Männern und Frauen, im Hintergrund Steinhaufen, Geröll, Staubwolken“. Ohne die politischen Hintergründe zu verstehen, ist ihr doch klar, dass da gerade etwas Großes, Irreversibles passiert. Gleichzeitig glaubt sie in den Geschichtstrümmern eine Spur ihrer Mutter Catherine zu erkennen, „ihr verherrlichtes Bild inmitten der Ruinen“.
Die Mutter, für die sie „blendend schwärmerische Bewunderung empfindet“, ist kurz zuvor von einem Tag auf den anderen verschwunden, Violaine und ihre zwei Jahre ältere Schwester fühlen sich tatsächlich mutterseelenallein. Die Erwachsenen um sie herum erklären ihnen mantraartig, Catherine sei manisch-depressiv und habe deshalb eingeliefert werden müssen. Aber was fängt man als Zehnjährige mit klinischer Terminologie an?
Gut, die Mutter liebte es, splitternackt durch die Wohnung zu spazieren, trat ab und zu Türen ein und fuhr mit dem Auto über Fußwege, wenn es ihr nicht schnell genug ging. Aber spricht das nicht auch für einen exzentrischen Sinn für Freiheit? Gut, die Mutter lag ab und zu bewusstlos im Flur rum, aber die beiden Töchter hatten früh gelernt, wie man jemanden reanimiert. Gut, die Mutter hat regelmäßig diese Schimpftiraden vom Stapel gelassen, nicht enden wollende Vorwurfsarien, wie kann man nur so undankbar sein, du armselige kleine Kröte, ihr kotzt mich so an mit euren saudummen Problemen und hör endlich auf, so erbärmlich rumzuheulen. Natürlich schlug sie dann auch mal zu oder zog eines der Mädchen an den Haaren durch die Pariser Wohnung. Aber Violaine und ihre Schwester hatten doch eine Formel, mit der sie ihre Mutter aus diesen Litaneien herausholen konnten: „Liebe Maman, die ich wie verrückt liebhabe solange ich lebe – und für alle Ewigkeit der Erde“. Wenn dieser Satz irgendwie durch das mütterliche Geschimpfe drang, dann „ging das Gewitter vorbei mit einem Streicheln über den Rücken, einem schmatzenden Kuss auf den Hals, einem ganzen Regen von Küssen, Küssen und Küssen und Küssen“.
Die, die da spricht, ist auch heute noch immer symbiotisch gefesselt an diejenige, über die sie spricht. Als Leser erwartet man, dass es im Laufe der Erzählung einen heftigen Stimm-Bruch geben wird, dass also später, wenn sich diese Stimme aus dem Käfig der Kindheit befreit haben wird, die große Abrechnung kommt. Mein grauenhaftes Leben mit einem manisch-depressiven Drachen. Aber nichts dergleichen geschieht, kein Vorwurf, keine Abgrenzung. Und vielleicht ist genau das die größte Stärke dieses Buches.
Violaine Huisman, Jahrgang 1979, lebt seit 20 Jahren in New York. Sie organisiert dort Literatur- und Musikfestivals, arbeitet als Lektorin und übersetzt aus dem Englischen ins Französische. Man fragt sich beim Lesen ihres autobiografischen Debüts über ihre Mutter schnell, ob die räumliche Distanz zu Paris auch eine Art Notwehr war, schließlich ist sie sofort nach dem Abitur auf die andere Seite des Atlantiks gezogen, so als müsste sie sich in Sicherheit bringen. Nun schreibt sie aus doppelter Distanz: Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass ihre Mutter sich 2009 umgebracht hat und ihren erwachsenen Töchtern einen Brief hinterließ: „Ich habe genug, ich habe genug gegeben.“ Aber auch die 30-jährige Violaine, die am Endes des Buchs vom Tod ihrer Mutter erfährt, ist noch so konsterniert und untröstlich, wie es ihr kindliches Alter Ego zu Beginn des Textes gewesen ist. „Wie konnte sie sagen, dass sie genug gegeben hatte?“ „Die Entflohene“ ist im Grunde der Versuch, diesen Selbstmord zu verstehen.
Drei große Kapitel, wie ein Triptychon. Im ersten werden aus Sicht des Kindes die frühen Jahre erzählt. Die Streitereien der Eltern, die Liebhaber, die nackt im Bad schlafen, wildes gemeinsames Spielen und Tanzen mitten in der Nacht – alles ist vollkommen bizarr und doch normal, schließlich gibt es keine andere Kindheit, mit der man das eigene Erleben abgleichen könnte. Im zweiten Teil skizziert Huisman aus der Außenperspektive die Biografie dieser Frauenfigur namens Catherine Cremnitz, die auch aus einem tragischen Truffautfilm entstammen könnte.
Eine kalte, eifersüchtige Mutter. Traumatische Jahre in einem Krankenhaus der Nachkriegszeit, als Kleinkind wird Catherine im Hôpital Necker abgegeben, die Eltern kommen sie nie besuchen. Sie heiratet früh, eröffnet eine Tanzschule, lernt dann einen mondänen Pariser kennen, erfolgreicher Geschäfts- und exzessiver Lebemann, ständig Affären, Geld ist dafür da, zum Fenster rausgeworfen zu werden. Dass er Jude ist und den Zweiten Weltkrieg unter einem Decknamen überlebt, kommt im Text eher en passant raus. Das chaotische Paar, das anfangs „in dem immensen Schlamassel ihrer Liebe einen Riesenspaß hatte“, bekommt zwei Töchter, und Catherine erfährt, wie das ist, wenn einen die Pariser Bourgeoisie nie akzeptiert, weil man ja aus einfachen Verhältnissen stammt, den literarischen Kanon nicht kennt, den Subjonctif II nicht beherrscht. Und immer diese Zusammenbrüche, Bulimie, Alkohol, Tabletten, die Frau ist eine Schande für die Familie. Huisman beschreibt diesen Distinktionsterror und den wilden biografischen Schlingerkurs der Mutter mit Flaubert’scher Nüchternheit, die fünf Jahre in einen kühlen Halbsatz packen, um dann einen einzelnen Moment wie in Zeitlupenzoom zu dehnen.
Thomas Melle hat vor drei Jahren sehr eindrücklich aus der Innenperspektive beschrieben, was es heißt, manisch-depressiv zu sein. In „Die Welt im Rücken“ schrieb er, vereinsamt, verschuldet, bis auf den Grund erschöpft, über die lebenszerstörerische Wirkung seiner psychischen Erkrankung. Er wollte absichtlich keinen Roman schreiben, keine fiktionalen Mäntel überwerfen, sondern in Textform existenziellen Kassensturz machen, zum einen, um sich selbst und anderen zu zeigen, was da immer wieder an irren Kräften in ihm wütet. Zum anderen ging es um eine Art Rückeroberung der eigenen Geschichte, in der Hoffnung, mit diesem radikal offenen Text den Dämon, der sich immer wieder in sein Schreiben drängte, zu bannen. Er betonte in einem Interview, sein Buch sei „Literatur, doch alles ist wahr, nichts erfunden“.
Violaine Huisman beschreibt diese Krankheit von außen – soweit man als Tochter Distanz gewinnen kann, schließlich ist sie inmitten der mütterlichen Wahrnehmungsverzerrungen und Ausbrüche aufgewachsen. Es geht ihr aber um etwas diametral anderes als Melle. Sie will die Mutter im Nachhinein aus dem definitorischen Korsett ihrer psychiatrischen Diagnose befreien. Ja, Catherine war manisch-depressiv, und wenn wir schon bei klinischem Vokabular sind, war sie sicher auch hysterisch, klepto- und mythomanisch, aber ist das nicht verständlich bei einem derartigen Leben? War sie nicht trotzdem oder gerade deshalb eine außergewöhnlich gute Mutter? Huisman verteidigt Catherines Extravaganz gegen die Krankheit, interpretiert dieses exzentrische Leben als Auflehnung und Wagemut und leitet ihr Scheitern, ihr elendes, einsames Ende nicht aus der Krankheit her, sondern aus all den Lebenszumutungen, denen die Mutter zu trotzen versuchte. „Medea ist nicht verrückt“, heißt es einmal, „sie ist verletzt, gedemütigt, verraten.“
Man könnte das Ganze freilich auch als ästhetische Symbiose über den Tod hinaus lesen: Catherine wollte ihr Leben im Erzählen in den Griff bekommen, was ihr, wie so ziemlich alles, misslang, sie verlor sich in besessenem Gekritzel, „machte sich eine neue Haut aus ihren zwanghaften Rezitativen“. Im Grunde hat die Tochter diese Aufgabe der biografischen Neuerfindung stellvertretend für sie übernommen. Wobei sie ihr Buch ausdrücklich als „Roman“ bezeichnet, dessen dritter Teil den Tod, die Beerdigung und die unfassbare Lücke beschreibt, die ihr Fehlen bei den erwachsenen Töchtern in die Kinderseele reißt.
Vor allem aber will sie zeigen, dass die eigene Kindheit und das Leben mit dieser Mutter auf seine Art beglückend und reich war. Huisman sagte in einem Interview, ihr Buch sei „eine Art Friedensangebot: Man muss den eigenen Eltern verzeihen, wenn man sie möglichst genau sehen will.“
Fragt sich, was hier „genau“ heißen soll. Huisman baut in ihren Text mehrmals Subjektivitätswarnungen ein. „Die biografischen Elemente, die die Geschichte ersetzten, brauchten nicht wahr zu sein, um wirklich gewesen zu sein. Die Wahrheit eines Lebens ist immer nur Fantasie, je nachdem, wie man sie entwirft.“ Meine Mutter war Mythomanin – aber sind wir das nicht alle?
Violaine Huisman wollte also bestimmt kein fotorealistisches Porträt ihrer Mutter zeigen. Aber wenn ihre Formulierung vom genauen Sehen heißt, dass man ein großherziges Porträt einer charismatischen Untergeherin liest, dann ist ihr das unbedingt gelungen.
Violaine Huisman: Die Entflohene. Aus dem Französischen von Eva Scharenberg. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019. 256 Seiten, 22 Euro.
Am Ende mündeten die
Tiraden in einen schmatzenden
Kuss auf den Hals
Huisman beschreibt die
wilde Biografie mit
Flaubert’scher Nüchternheit
Meine Mutter war
Mythomanin – aber sind
wir das nicht alle?
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