Eine entführte Prinzessin und ein verzweifelter Prinz, der ewige Kampf gegen übermächtige Eltern, verfehlter Stolz und rasende Herzen - mit Karen Duve wird auch ein phantastischer Ritterroman zu intelligenter und spannender Literatur!
"Ehre, Würde, Stolz ... seit wann haben Frauen denn daran Anteil? Ist es nicht das schlimmste Schimpfwort, das ein Ritter oder Soldat einem anderen geben kann, er benehme sich wie ein Weib? Entbindet das nicht von jeder Verpflichtung? Genießt die bodenlosen Vorteile der Schande, ein Weib zu sein."
"Ehre, Würde, Stolz ... seit wann haben Frauen denn daran Anteil? Ist es nicht das schlimmste Schimpfwort, das ein Ritter oder Soldat einem anderen geben kann, er benehme sich wie ein Weib? Entbindet das nicht von jeder Verpflichtung? Genießt die bodenlosen Vorteile der Schande, ein Weib zu sein."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2005Nun komm schon, Mädel
Mädchen brauchen Märchenprinzen: Karen Duves Ritterroman
Geschichten von törichten Rittern, holden Burgfräulein und grimmigen Familientyrannen, niedliche Beiträge zur systematischen Drachenkunde, verschwiegene Örtchen wie der "Abort der Verschnittenen" oder der Turm des Vergessens, allerliebste Erfindungen wie Windmatratzen und Sternenschleim sind natürlich der pure Eskapismus, aber das Wunderbare und Märchenhafte ist eines der wenigen Wachstumsgenres auf einem schrumpfenden Literaturmarkt. Don Quichotte hat vor vierhundert Jahren den phantastischen Ritterroman erledigt; unter dem Banner der Fantasy, gewappnet mit sanfter Ironie und enzyklopädisch-genealogischem Furor, feiert er fröhliche Urständ. Karen Duve brauchte nach ihrem zeitgenössisch düsteren "Regenroman" und "Dies ist kein Liebeslied" dringend Erholung, und so hat sie sich auf das besonnen, was sie immer schon schreiben wollte und noch in den Schubladen ihres Mädchenzimmers liegen hat: Märchen. Daß die epische Naivität der Volks- wie die reflektierte Romantik der Kunstmärchen längst verloren ist und die Artusritter in den Fantasy-, Space- und Wagneropern heute traurige Gestalten abgeben, war ihr klar. Aber sie wollte sich ja auch nicht in verkitschte Parallelgesellschaften zurückziehen, alberne Persiflagen oder altkluge Fabeln schreiben. Schneewittchen aus ihrem Glassarg wiederzuerwecken und zum sexuellen Mißbrauch von Zwergen anzustiften, überläßt sie Otto Waalkes; die topographisch ausschweifenden Ring-Parabeln Tolkien, das blasphemische Ritter-Bashing Monty Python.
Wenn Karen Duve von Minne und Aventiure erzählt, dann mit Heiterkeit und Ehrfurcht, wohlrecherchierter Sachkenntnis und liebevoller Einfühlung. Ihr Hofzwerg Pedsi etwa, ein drolliger, eitler Gnom, der sich vom gedemütigten Faktotum zum nobilitierten Gartenzwerg mausert, ist ihr so lieb wie die zerzauste Lieblingspuppe, die man auf dem Dachboden entdeckt und mit nostalgischer Zärtlichkeit neu einkleidet. Duve zieht dem Wichtel ein nettes Kostüm an, schenkt ihm einen Spazierstock aus Elfenbein, eine Schäfchen-Kutsche und einen Pilzpark, und wenn Pedsi dann bei der Spazierfahrt durch seine rhizomatischen Rabättchen behaglich Frechheiten drechselt, freut sich seine Schöpferin mit ihm: Nie war Duve charmanter und entspannter. Ihr Wohlbehagen teilt sich allen mit, die sich eine kindliche Lust am Entwerfen von Modelleisenbahnlandschaften, Puppenstuben und Zwerguniformen bewahrt haben. Wer den kritischen Verstand nicht schon beim "Es war einmal"-Eingangstor abgegeben hat, wundert sich allerdings auch, zu wieviel märchen- und mädchenhafter Harmlosigkeit eine ausgewachsene Schriftstellerin fähig ist.
"Die entführte Prinzessin" ist natürlich kein gänzlich unschuldiges Vergnügen. Weder Lisvana, die Prinzessin von Snögglinduralthorma, noch ihre beiden Freier leben hinter den sieben Bergen. Der ehrpusselige Ritter Bredun von Wackertun kommt zwar aus einem kalten Reich, dessen grobschlächtige Bewohner Vitaminmangel mit Met und winterliche Depressionen mit bärtigen Rentierwitzen bekämpfen; aber er erlebt auf dem Weg gen Süden einen veritablen Bildungsroman. Sein Rivale, Lisvanas Entführer Prinz Diego, ist das genaue Gegenteil: ein kultivierter, geckenhafter Latin Lover, von der Sonne Baskariens und höfischem Pomp verwöhnt, aber glücklos und schmerzensreich als Liebhaber: Er kann die stolze Eisprinzessin weder mit Luxus noch Erniedrigungen, nicht einmal mit aufrichtiger Liebe für sich erwärmen. "Ehre, Würde, Stolz", flüstert die zynische Mätresse Lisvana ins Ohr, "seit wann haben wir Frauen denn daran Anteil? Genießt die bodenlosen Vorteile der Schande, ein Weib zu sein." Aber erst nach vielen Abenteuern mit Feen, die keine Wünsche erfüllen, Zauberern, die nicht zaubern können, und fauchenden Kampfdrachen, die allenfalls als Fidibus oder Teddybär taugen, findet zusammen, was zusammengehört: der standhafte Prinz und die störrische Prinzessin, der knorrige Nordmann und sein mediterraner Männerfreund.
Männerehre und Frauenstolz, Hinterwäldlerneurosen und die Traumata schwererziehbarer Königssöhne, der Größenwahnsinn der Zwerge und die Minderwertigkeitskomplexe der Drachen: in Karen Duves Roman ist das Märchenhafte immer schon angekränkelt von den feministischen, psychoanalytischen und pädagogischen Geistern der Gegenwart; selbst die Haremsdamen auf der Insel der Glückseligkeit kennen ihr Frauenrecht und schmauchen, wie jede WG, gern ihr Haschpfeifchen. Auch die Sprache kennt keine Berührungsängste: Da fährt das Pferdefuhrwerk "mit Karacho gegen eine Mauer", die Mitgift ist popelig, die Zofe eine Schlampe, der fahrende Sänger ein Popstar avant la lettre. Minneritter sind "komplett plemplem", ihre höfischen Umgangsformen ("Du Sau") rauh, ihr Liebesgesäusel ("Nun komm schon, Mädel") durch alle Stürme moderner Beziehungsdebatten hindurchgegangen. Es sind diese spielerischen Variationen, Verfremdungen und ironischen Brechungen uralter Motive, die den Reiz des Romans ausmachen. Aber man muß kein Muggel sein, um den Prunkteppich aus Seemannsgarn, Schäfchenwolle und Harry-Potter-Zwirn für ein bißchen dünn und fadenscheinig zu halten.
Duve hat sich bedenkenlos aus dem Nähkörbchen der Weltliteratur bedient. Das Motiv der entführten Prinzessin und der Drache Grendel stammen aus der altgermanischen Mythologie, die Fraueninsel ist eine Fata Morgana aus Tausendundeiner Nacht; den Kleider- und Geschlechtertausch unter der Sonne eines italienischen Phantasiens kennt man von Shakespeare, das Faible für Schnittmusterbögen und Haushaltstips auch aus dem Sagenkreis der "Brigitte". Auch die Epochen gehen munter durcheinander. Beim Karneval der Kulturen begegnen sich maulfaule Ritter, barocke Sonnenkönige und Rokoko-Galane, antike Amazonen, die Zofen der bürgerlichen Komödie und Königinnen aus der Jetztzeit, verzärtelte Schoßhündchen und vorsintflutliche Ungeheuer. Daß der Kostümball dabei nicht aus den Fugen gerät, ist fast ein Wunder. Karen Duve darf ruhig einmal ein artiges Menuett mit ihren Jugendlieben tanzen; aber es wäre ein Jammer, wenn sie ihr großes Erzähltalent künftig mit Zwergenwitzen und Märchenprinzen vergeuden wollte.
MARTIN HALTER
Karen Duve: "Die entführte Prinzessin". Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern. Eichborn Verlag, Frankfurt 2005. 397 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mädchen brauchen Märchenprinzen: Karen Duves Ritterroman
Geschichten von törichten Rittern, holden Burgfräulein und grimmigen Familientyrannen, niedliche Beiträge zur systematischen Drachenkunde, verschwiegene Örtchen wie der "Abort der Verschnittenen" oder der Turm des Vergessens, allerliebste Erfindungen wie Windmatratzen und Sternenschleim sind natürlich der pure Eskapismus, aber das Wunderbare und Märchenhafte ist eines der wenigen Wachstumsgenres auf einem schrumpfenden Literaturmarkt. Don Quichotte hat vor vierhundert Jahren den phantastischen Ritterroman erledigt; unter dem Banner der Fantasy, gewappnet mit sanfter Ironie und enzyklopädisch-genealogischem Furor, feiert er fröhliche Urständ. Karen Duve brauchte nach ihrem zeitgenössisch düsteren "Regenroman" und "Dies ist kein Liebeslied" dringend Erholung, und so hat sie sich auf das besonnen, was sie immer schon schreiben wollte und noch in den Schubladen ihres Mädchenzimmers liegen hat: Märchen. Daß die epische Naivität der Volks- wie die reflektierte Romantik der Kunstmärchen längst verloren ist und die Artusritter in den Fantasy-, Space- und Wagneropern heute traurige Gestalten abgeben, war ihr klar. Aber sie wollte sich ja auch nicht in verkitschte Parallelgesellschaften zurückziehen, alberne Persiflagen oder altkluge Fabeln schreiben. Schneewittchen aus ihrem Glassarg wiederzuerwecken und zum sexuellen Mißbrauch von Zwergen anzustiften, überläßt sie Otto Waalkes; die topographisch ausschweifenden Ring-Parabeln Tolkien, das blasphemische Ritter-Bashing Monty Python.
Wenn Karen Duve von Minne und Aventiure erzählt, dann mit Heiterkeit und Ehrfurcht, wohlrecherchierter Sachkenntnis und liebevoller Einfühlung. Ihr Hofzwerg Pedsi etwa, ein drolliger, eitler Gnom, der sich vom gedemütigten Faktotum zum nobilitierten Gartenzwerg mausert, ist ihr so lieb wie die zerzauste Lieblingspuppe, die man auf dem Dachboden entdeckt und mit nostalgischer Zärtlichkeit neu einkleidet. Duve zieht dem Wichtel ein nettes Kostüm an, schenkt ihm einen Spazierstock aus Elfenbein, eine Schäfchen-Kutsche und einen Pilzpark, und wenn Pedsi dann bei der Spazierfahrt durch seine rhizomatischen Rabättchen behaglich Frechheiten drechselt, freut sich seine Schöpferin mit ihm: Nie war Duve charmanter und entspannter. Ihr Wohlbehagen teilt sich allen mit, die sich eine kindliche Lust am Entwerfen von Modelleisenbahnlandschaften, Puppenstuben und Zwerguniformen bewahrt haben. Wer den kritischen Verstand nicht schon beim "Es war einmal"-Eingangstor abgegeben hat, wundert sich allerdings auch, zu wieviel märchen- und mädchenhafter Harmlosigkeit eine ausgewachsene Schriftstellerin fähig ist.
"Die entführte Prinzessin" ist natürlich kein gänzlich unschuldiges Vergnügen. Weder Lisvana, die Prinzessin von Snögglinduralthorma, noch ihre beiden Freier leben hinter den sieben Bergen. Der ehrpusselige Ritter Bredun von Wackertun kommt zwar aus einem kalten Reich, dessen grobschlächtige Bewohner Vitaminmangel mit Met und winterliche Depressionen mit bärtigen Rentierwitzen bekämpfen; aber er erlebt auf dem Weg gen Süden einen veritablen Bildungsroman. Sein Rivale, Lisvanas Entführer Prinz Diego, ist das genaue Gegenteil: ein kultivierter, geckenhafter Latin Lover, von der Sonne Baskariens und höfischem Pomp verwöhnt, aber glücklos und schmerzensreich als Liebhaber: Er kann die stolze Eisprinzessin weder mit Luxus noch Erniedrigungen, nicht einmal mit aufrichtiger Liebe für sich erwärmen. "Ehre, Würde, Stolz", flüstert die zynische Mätresse Lisvana ins Ohr, "seit wann haben wir Frauen denn daran Anteil? Genießt die bodenlosen Vorteile der Schande, ein Weib zu sein." Aber erst nach vielen Abenteuern mit Feen, die keine Wünsche erfüllen, Zauberern, die nicht zaubern können, und fauchenden Kampfdrachen, die allenfalls als Fidibus oder Teddybär taugen, findet zusammen, was zusammengehört: der standhafte Prinz und die störrische Prinzessin, der knorrige Nordmann und sein mediterraner Männerfreund.
Männerehre und Frauenstolz, Hinterwäldlerneurosen und die Traumata schwererziehbarer Königssöhne, der Größenwahnsinn der Zwerge und die Minderwertigkeitskomplexe der Drachen: in Karen Duves Roman ist das Märchenhafte immer schon angekränkelt von den feministischen, psychoanalytischen und pädagogischen Geistern der Gegenwart; selbst die Haremsdamen auf der Insel der Glückseligkeit kennen ihr Frauenrecht und schmauchen, wie jede WG, gern ihr Haschpfeifchen. Auch die Sprache kennt keine Berührungsängste: Da fährt das Pferdefuhrwerk "mit Karacho gegen eine Mauer", die Mitgift ist popelig, die Zofe eine Schlampe, der fahrende Sänger ein Popstar avant la lettre. Minneritter sind "komplett plemplem", ihre höfischen Umgangsformen ("Du Sau") rauh, ihr Liebesgesäusel ("Nun komm schon, Mädel") durch alle Stürme moderner Beziehungsdebatten hindurchgegangen. Es sind diese spielerischen Variationen, Verfremdungen und ironischen Brechungen uralter Motive, die den Reiz des Romans ausmachen. Aber man muß kein Muggel sein, um den Prunkteppich aus Seemannsgarn, Schäfchenwolle und Harry-Potter-Zwirn für ein bißchen dünn und fadenscheinig zu halten.
Duve hat sich bedenkenlos aus dem Nähkörbchen der Weltliteratur bedient. Das Motiv der entführten Prinzessin und der Drache Grendel stammen aus der altgermanischen Mythologie, die Fraueninsel ist eine Fata Morgana aus Tausendundeiner Nacht; den Kleider- und Geschlechtertausch unter der Sonne eines italienischen Phantasiens kennt man von Shakespeare, das Faible für Schnittmusterbögen und Haushaltstips auch aus dem Sagenkreis der "Brigitte". Auch die Epochen gehen munter durcheinander. Beim Karneval der Kulturen begegnen sich maulfaule Ritter, barocke Sonnenkönige und Rokoko-Galane, antike Amazonen, die Zofen der bürgerlichen Komödie und Königinnen aus der Jetztzeit, verzärtelte Schoßhündchen und vorsintflutliche Ungeheuer. Daß der Kostümball dabei nicht aus den Fugen gerät, ist fast ein Wunder. Karen Duve darf ruhig einmal ein artiges Menuett mit ihren Jugendlieben tanzen; aber es wäre ein Jammer, wenn sie ihr großes Erzähltalent künftig mit Zwergenwitzen und Märchenprinzen vergeuden wollte.
MARTIN HALTER
Karen Duve: "Die entführte Prinzessin". Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern. Eichborn Verlag, Frankfurt 2005. 397 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Was für ein "artiges Menuett mit literarischen Jugendlieben", staunt Rezensent Martin Halter. Wer hätte gedacht, dass eine erwachsene Autorin zu so viel reizender Harmlosigkeit fähig sei. Und obwohl Karin Duves Erzählung von "Minne und Aventiure" wegen diverser ironischer Brechungen uralter Motive durchaus ihre reizvollen Momente für den Rezensenten hat, ist ihm Geschichte doch zu dünn geraten. Brigitte statt Weltliteratur, denkt er bei mancher Passage. Am Ende schickt der Rezensent ein Stoßgebet gen Himmel, dass Karin Duve ihr großes Erzähltalent künftig nicht mehr an Zwergenwitze und Märchenprinzen vergeuden möge.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2005Bridget Jones vor Ritterdekor
Karen Duves „Entführte Prinzessin” ist ein Fantasy-Roman
Etwas Besseres als die Gegenwart findest du immer, mag sich Karen Duve gedacht haben, als ihr die Idee kam, einen Märchenroman zu schreiben, der von einer entführten Prinzessin, „von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern” erzählt. Schließlich gibt es kein Dekret, wonach die Gegenwartsliteratur von der Gegenwart handeln muss. Woran sollte man diese Gegenwart auch erkennen? An der Sprache und den Umgangsformen der Figuren? Wohl kaum. Es gibt kein Erzählprogramm, das die Gegenwärtigkeit literarischer Erfindungen anzeigen würde. Also kann man genauso gut einen Märchen-, Ritter-, Minne- und Drachenroman schreiben. Die Gegenwart scheint so oder so durch. Ganz besonders in Karen Duves neuem Roman. Wenn es nicht die Gegenwart von Mobiltelefonen und Therapiesitzungen ist, dann bestimmt die von Harry Potter, die Gegenwart scheinbar zeitentrückter Spielwelten.
Für die „Entführte Prinzessin” hat Karen Duve kaum ihr Urthema gewechselt. Fast schon zu plakativ verkündet es der Untertitel. Von der Liebe und anderen Ungeheuern ist die Rede, ganz wie im „Regenroman” und in „Dies ist kein Liebeslied”, den im Hier und Heute angesiedelten Vorgängerbüchern. Schon in diesen Romanen war zu erleben, wie unscheinbare Alltage ins Monströse und Groteske abdriften; und die Wurzel des Übels war zumeist die Liebe oder der vergebliche Wunsch nach ihr. Nach diesen eher düsteren Variationen ihres Themas stand Karen Duve nun offenbar der Sinn danach, dem Ungeheuerlichen eine andere, konkretere und zugleich phantastischere Gestalt zu geben. Raus also aus der Gegenwart, in der der Kummer stets sogleich die Form eines Problems und Symptoms annimmt, und hinein in einen Märchenpark, indem alle empirischen Gründe und Ursachen suspendiert sind und höhere Mächte den Platz der Psychologie eingenommen haben. Hat Karen Duve also einen Fantasy-Roman geschrieben? Oder hat sie, mit den Mitteln der Fantasy, einen Karen-Duve-Roman geschrieben? Es trifft wohl beides zu.
Der Märchen- und Themenpark, in dem dieser Roman spielt, ist ein Hybrid aus Norden und Süden, Mittelalter und Shakespeare, aus Heidnischem und Christlichem, Archaischem und Barockem - und wenn die Ritter, Prinzessinnen, Zauberer und Drachen das Wort ergreifen, dann klingen sie meistens so, als seien sie aus der Gegenwart entlaufen, so flapsig und vertraut sind ihre Reden. Einmal heißt es von Prinzessin Lisvana, um die oder vielmehr um deren Hand es in diesem Roman in erster Linie geht: „Ihr war inzwischen klar geworden, dass ihre Errettung und die übrigen Heldentaten, die Ritter Bredur vollbracht hatte, unweigerlich dazu führen mussten, dass ihr Vater ihm ihre Hand geben würde. (. . .) Ausgerechnet jetzt, wo sie sich für Prinz Diego entschieden und ihm ihre Liebe gestanden hatte. Warum konnte ihr Leben eigentlich nie einfach sein?” Das ist die Lebensfrage nicht nur von Prinzessin Lisvana, es ist auch die Lebensfrage von Bridget Jones, und es ist überhaupt die große Frage des modernen Singles, der sich erst nach einem Partner verzehrt und sich dann zwischen zwei Kandidaten nicht entscheiden kann. Die Gegenwart scheint durch, ja man kann, wenn man will, den ganzen Roman mit seinem Ritterdekor als bunte und über weite Strecken amüsante Kostümierung von Gefühlswelten lesen, die einem sonst vorwiegend aus Frauenzeitschriften bekannt sind. Aus diesem Analogieangebot bezieht der Roman seine Komik und seine Aktualität. Aber ist es nun eigentlich eine gute oder eine schlechte Nachricht, dass schon die Prinzessinnen des Nordlandreiches Snögglinduralthorma mit denselben Sorgen und Nöten geschlagen waren wie der weibliche Single von heute? Jedenfalls sieht die Vergangenheit, die Karen Duve mit viel Liebe zum Detail erschaffen hat, bei näherem Hinsehen der Gegenwart ernüchternd ähnlich.
Heiter und entspannt
Ganz unabhängig davon, ob man das Fantasy-Genre mag oder nicht, unabhängig auch davon, ob man den Roman für einen Meilenstein der neueren deutschen Literatur hält oder nicht, ist Duves kompositorische Leistung zu bewundern. Eine Geschichte wie diese, die vielerlei Topoi, Motive und Schemata der Sagenliteratur verbindet, kreuzt und manchmal parodiert, beruht zwar auf einfachen Formen, ergibt in der Summe aber eine komplizierte Form. Mit so viel dramaturgischem Geschick hat Duve ihren Aventuren-Reigen in Szene gesetzt, dass man tatsächlich gar nicht anders kann als weiterlesen bis zum Ende, an dem alles gut wird, was unterwegs ziemlich ungut aussah. In jedem Creative-Writing-Kurs müsste man Karen Duve die Bestnote zuerkennen. Sie beherrscht die Form, und zugleich sieht ihre Formbeherrschung ganz entspannt und heiter aus. Auf wundersame Weise hält die Geschichte die Balance zwischen einem gut gebauten Genre-Roman und einem Stück „richtiger” Literatur, indem sich die Ansichten eines Subjekts Gehör verschaffen. So viel Gelingen also kann man konstatieren, aber dann schaut man wieder auf den knallbunten Buchumschlag, der Karen Duve offensichtlich dem Fantasy-Publikum schmackhaft machen soll und wünscht sich, dass ihr Ausflug ins Märchenreich eine Ausnahme gewesen sein möge.
CHRISTOPH BARTMANN
KAREN DUVE: Die entführte Prinzessin. Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern. Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2005. 398 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Karen Duves „Entführte Prinzessin” ist ein Fantasy-Roman
Etwas Besseres als die Gegenwart findest du immer, mag sich Karen Duve gedacht haben, als ihr die Idee kam, einen Märchenroman zu schreiben, der von einer entführten Prinzessin, „von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern” erzählt. Schließlich gibt es kein Dekret, wonach die Gegenwartsliteratur von der Gegenwart handeln muss. Woran sollte man diese Gegenwart auch erkennen? An der Sprache und den Umgangsformen der Figuren? Wohl kaum. Es gibt kein Erzählprogramm, das die Gegenwärtigkeit literarischer Erfindungen anzeigen würde. Also kann man genauso gut einen Märchen-, Ritter-, Minne- und Drachenroman schreiben. Die Gegenwart scheint so oder so durch. Ganz besonders in Karen Duves neuem Roman. Wenn es nicht die Gegenwart von Mobiltelefonen und Therapiesitzungen ist, dann bestimmt die von Harry Potter, die Gegenwart scheinbar zeitentrückter Spielwelten.
Für die „Entführte Prinzessin” hat Karen Duve kaum ihr Urthema gewechselt. Fast schon zu plakativ verkündet es der Untertitel. Von der Liebe und anderen Ungeheuern ist die Rede, ganz wie im „Regenroman” und in „Dies ist kein Liebeslied”, den im Hier und Heute angesiedelten Vorgängerbüchern. Schon in diesen Romanen war zu erleben, wie unscheinbare Alltage ins Monströse und Groteske abdriften; und die Wurzel des Übels war zumeist die Liebe oder der vergebliche Wunsch nach ihr. Nach diesen eher düsteren Variationen ihres Themas stand Karen Duve nun offenbar der Sinn danach, dem Ungeheuerlichen eine andere, konkretere und zugleich phantastischere Gestalt zu geben. Raus also aus der Gegenwart, in der der Kummer stets sogleich die Form eines Problems und Symptoms annimmt, und hinein in einen Märchenpark, indem alle empirischen Gründe und Ursachen suspendiert sind und höhere Mächte den Platz der Psychologie eingenommen haben. Hat Karen Duve also einen Fantasy-Roman geschrieben? Oder hat sie, mit den Mitteln der Fantasy, einen Karen-Duve-Roman geschrieben? Es trifft wohl beides zu.
Der Märchen- und Themenpark, in dem dieser Roman spielt, ist ein Hybrid aus Norden und Süden, Mittelalter und Shakespeare, aus Heidnischem und Christlichem, Archaischem und Barockem - und wenn die Ritter, Prinzessinnen, Zauberer und Drachen das Wort ergreifen, dann klingen sie meistens so, als seien sie aus der Gegenwart entlaufen, so flapsig und vertraut sind ihre Reden. Einmal heißt es von Prinzessin Lisvana, um die oder vielmehr um deren Hand es in diesem Roman in erster Linie geht: „Ihr war inzwischen klar geworden, dass ihre Errettung und die übrigen Heldentaten, die Ritter Bredur vollbracht hatte, unweigerlich dazu führen mussten, dass ihr Vater ihm ihre Hand geben würde. (. . .) Ausgerechnet jetzt, wo sie sich für Prinz Diego entschieden und ihm ihre Liebe gestanden hatte. Warum konnte ihr Leben eigentlich nie einfach sein?” Das ist die Lebensfrage nicht nur von Prinzessin Lisvana, es ist auch die Lebensfrage von Bridget Jones, und es ist überhaupt die große Frage des modernen Singles, der sich erst nach einem Partner verzehrt und sich dann zwischen zwei Kandidaten nicht entscheiden kann. Die Gegenwart scheint durch, ja man kann, wenn man will, den ganzen Roman mit seinem Ritterdekor als bunte und über weite Strecken amüsante Kostümierung von Gefühlswelten lesen, die einem sonst vorwiegend aus Frauenzeitschriften bekannt sind. Aus diesem Analogieangebot bezieht der Roman seine Komik und seine Aktualität. Aber ist es nun eigentlich eine gute oder eine schlechte Nachricht, dass schon die Prinzessinnen des Nordlandreiches Snögglinduralthorma mit denselben Sorgen und Nöten geschlagen waren wie der weibliche Single von heute? Jedenfalls sieht die Vergangenheit, die Karen Duve mit viel Liebe zum Detail erschaffen hat, bei näherem Hinsehen der Gegenwart ernüchternd ähnlich.
Heiter und entspannt
Ganz unabhängig davon, ob man das Fantasy-Genre mag oder nicht, unabhängig auch davon, ob man den Roman für einen Meilenstein der neueren deutschen Literatur hält oder nicht, ist Duves kompositorische Leistung zu bewundern. Eine Geschichte wie diese, die vielerlei Topoi, Motive und Schemata der Sagenliteratur verbindet, kreuzt und manchmal parodiert, beruht zwar auf einfachen Formen, ergibt in der Summe aber eine komplizierte Form. Mit so viel dramaturgischem Geschick hat Duve ihren Aventuren-Reigen in Szene gesetzt, dass man tatsächlich gar nicht anders kann als weiterlesen bis zum Ende, an dem alles gut wird, was unterwegs ziemlich ungut aussah. In jedem Creative-Writing-Kurs müsste man Karen Duve die Bestnote zuerkennen. Sie beherrscht die Form, und zugleich sieht ihre Formbeherrschung ganz entspannt und heiter aus. Auf wundersame Weise hält die Geschichte die Balance zwischen einem gut gebauten Genre-Roman und einem Stück „richtiger” Literatur, indem sich die Ansichten eines Subjekts Gehör verschaffen. So viel Gelingen also kann man konstatieren, aber dann schaut man wieder auf den knallbunten Buchumschlag, der Karen Duve offensichtlich dem Fantasy-Publikum schmackhaft machen soll und wünscht sich, dass ihr Ausflug ins Märchenreich eine Ausnahme gewesen sein möge.
CHRISTOPH BARTMANN
KAREN DUVE: Die entführte Prinzessin. Von Drachen, Liebe und anderen Ungeheuern. Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2005. 398 Seiten, 24,90 Euro.
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