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Die Begegnung des frühen Christentums mit sehr unterschiedlichen Lebenswelten und Gesellschaften ist das Thema dieses Bandes. Vom Bekehrungserlebnis Konstantins im Jahre 312 bis zur Christianisierung Islands am Ende des ersten Jahrtausends schildert der Autor den Siegeszug des Christentums und die Entfaltung seiner reichen religiösen und kulturellen Vielfalt.

Produktbeschreibung
Die Begegnung des frühen Christentums mit sehr unterschiedlichen Lebenswelten und Gesellschaften ist das Thema dieses Bandes. Vom Bekehrungserlebnis Konstantins im Jahre 312 bis zur Christianisierung Islands am Ende des ersten Jahrtausends schildert der Autor den Siegeszug des Christentums und die Entfaltung seiner reichen religiösen und kulturellen Vielfalt.
Autorenporträt
Peter Brown lehrt an der Princeton University und befasst sich insbesondere mit der Geschichte des frühen Christentums.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Die Spätantike fällt aus
Peter Browns etwas zerstreuter Versuch über die Entstehung des christlichen Europa / Von Manfred Fuhrmann

Einzelheiten können nicht erörtert werden, es geht um Grundsätzliches. Denn vor allem im Grundsätzlichen ruft das neueste Buch Peter Browns, eines zu Recht auch in Deutschland sehr bekannten Historikers, gravierende Bedenken hervor. Was zu begründen ist.

Der Titel läßt die Darstellung eines Prozesses erwarten, der von einem Zustand A zu einem Zustand B geführt hat. Der Zustand B ist genannt: das christliche Europa. Der Zustand A ergibt sich aus der Sache: das Römische Kaiserreich. Als der Prozeß einsetzte, waren die Gebiete um das Mittelmeer der Raum und eine in der Hauptsache Lateinisch und Griechisch sprechende Bevölkerung der Träger der Kultur. Ein Staat faßte alles zusammen, und die Religionen waren polytheistisch. Als der Prozeß im wesentlichen abgeschlossen war, hatte sich der Raum verändert: Das Mittelmeer begrenzte ihn jetzt, und sein Zentrum lag nördlich der Alpen. Es agierten auch neue Völker, germanische wie slawische, auf der historischen Bühne. Die staatliche Einheit war dahin; stattdessen gab es nur noch eine Religion, den christlichen Monotheismus.

Wer sich anheischig macht, die "Entstehung des christlichen Europa" zu schildern, muß also geographische, ethnographische, politische und religiös-kulturelle Gegebenheiten in Betracht ziehen. Als Ausgangspunkt wählt man zweckmäßigerweise die Zeit, in der die große Metamorphose einsetzte: das 4. Jahrhundert, in dem das Römische Reich zu einem christlichen wurde und an dessen Ende die Auflösung, der Untergang der westlichen, der Lateinisch sprechenden Hälfte begann. Als Zielpunkt der Darstellung kommen zwei Ergebnisse in Betracht: entweder die Herrschaft Karls des Großen, also die Zeit um das Jahr 800, oder die Christianisierung Osteuropas, insbesondere Ungarns, Polens und Rußlands, und somit die Zeit um die Wende vom 1. zum 2. Jahrtausend. Innerhalb dieses Rahmens sollte die Darstellung, wenn sie überschaubar bleiben will, drei Bereiche getrennt behandeln: die politischen Voraussetzungen, die Kirche und das Geistesleben.

Wer mit derartigen Erwartungen das Buch Peter Browns zu lesen beginnt, wird enttäuscht. Es fehlt an Übersichtlichkeit, an klaren Gliederungen, an Strukturen. Die Darstellung ist außerdem lückenhaft; Unerläßliches wird verschwiegen oder kurz abgetan, während Randphänomene und Anekdotisches viel Platz beanspruchen. Das Buch besteht aus drei Teilen: 1. Das Römische Reich und seine Hinterlassenschaft: 200 bis 500; 2. Unterschiedliche Erbteile: 500 bis 750; 3. Das Ende der alten Welt: 750 bis 1000. Die Darstellung setzt also in der Tat mit der Entstehung des spätrömischen Staates ein (nur daß dieser nirgends zulänglich beschrieben wird), und sie endet mit der Slawenmission (der aber nur die letzten sechs Seiten gelten). Die Zäsur um das Jahr 500 ist willkürlich, die um das Jahr 750 sachgerecht und üblich - allerdings pflegt man spätestens zu diesem Zeitpunkt das Mittelalter beginnen zu lassen, das sich bei Peter Brown offenbar bis zur Jahrtausendwende gedulden muß.

Das auffälligste Merkmal der Periodisierung besteht darin, daß der Begriff "Spätantike" fehlt, die Kategorie, die von Forschern aller einschlägigen Disziplinen, von der Theologie bis zur Kunstgeschichte, für die Zeit des Übergangs vom Römerreich zum christlichen Europa, kurz: für das halbe Jahrtausend von 250 bis 750 verwendet wird. Brown begründet diese Vermeidung nicht, wie denn überhaupt Reflexionen über Terminologisches und Methodisches nicht vorkommen.

Das Vorwort schränkt den Anspruch des Titels ein: Zwar würden in vielen Kapiteln über die Grenzen Europas hinaus auch Byzanz und Asien in Betracht gezogen; andererseits konzentriere sich die Darstellung auf die Begründung des Christentums im atlantischen Europa. Beides trifft zu, und als Kontinentaleuropäer fragt man sich, welche Erkenntnisse diese Mischung von Atlantik-Begrenztheit und Empire-Weite vermitteln soll. Diese Frage stellt sich um so dringlicher, als das Buch der Reihe "Europa bauen" angehört, die ihrerseits von fünf Verlagen in fünf Ländern (in Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien) herausgegeben wird.

Auch geht es in diesem Buch weniger um die Entstehung des christlichen Europa als um dessen Christianisierung. Der Unterschied besteht darin, daß es sich beim christlichen Europa um eine religiöse und kulturelle Einheit handelt, während der Begriff "Christianisierung" die Ausbreitung des christlichen Glaubens bezeichnet. Wer das christliche Europa darstellen will, kann zwar nicht auf Byzanz, wohl aber auf Asien verzichten und braucht sich auch nicht in sechs von siebzehn Kapiteln der Nordwest-und Nordeuropäer anzunehmen. Unabdingbar ist jedoch, daß er sich um die weltliche Hinterlassenschaft der Antike und deren Schicksal im christlichen Europa kümmert - hier aber klafft die erstaunlichste Lücke des Buches.

Das Christentum hätte Europa nicht prägen können, wenn es geblieben wäre, was es in seinen ersten anderthalb Jahrhunderten gewesen ist: eine kleine religiöse Bewegung, die sich auf die Wiederkehr ihres Heilands vorbereitete. Die Christen ließen sich indes vom 2. Jahrhundert an mehr und mehr auf ihre heidnische Umwelt ein: Sie bedienten sich in ihren Schriften der dort verbreiteten Literaturformen; sie verwendeten in ihren theologischen Debatten die Kategorien der griechischen Philosophie; sie machten sich in ihren Predigten die Mittel der antiken Rhetorik zunutze. Eiferer versuchten, diesen Prozeß aufzuhalten und rückgängig zu machen; der Versuch mißlang. Seit dem 5. Jahrhundert ist Europa eine Mischung von christlichen und heidnischen Elementen, von Transzendenzglauben und Immanenzdenken, von Gottsuche und Wirklichkeitsbewältigung. Ein wesentliches Spezifikum des christlichen Europa ist seine Toleranz gegenüber der antiken Kultur und seine Fähigkeit, die hierdurch erzeugte Spannung fruchtbar zu machen.

Daß die Christen die Logik des Aristoteles benutzten, daß sie auch Homer und Vergil lasen, wird ein einziges Mal gestreift, und zwar an unerwarteter Stelle, im Kapitel "Das Christentum in Asien", bei der Behandlung der Schule von Nisibis in Mesopotamien. Der für die Dogmatik so wichtige Neuplatonismus kommt kurz vor, aber ohne Nennung des Namens, unter der verschämten Bezeichnung "mystische Philosophen". Ein drittes Beispiel: Für die Bildung ist im christlichen Europa kein Bestandteil der antiken Kultur so wichtig gewesen wie die Artes liberales, zumal das sprachliche Trivium: Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Die Artes sucht man bei Brown vergeblich. Grammatik und Rhetorik werden einmal genannt, wieder an unerwarteter Stelle, im Zusammenhang mit Cassiodor, der - zeitlich verspätet - in das Gregor dem Großen gewidmete Kapitel eingeschoben ist.

Nicht nur Paganes fehlt. Was wäre die Christenheit ohne die Hymnen! Ambrosius (ein einziges Mal erwähnt: Augustin empfing von ihm die Taufe) ließ seine Gemeinde in allen Kirchen Mailands tagelang singen, um zu verhindern, daß einer der Räume für die verhaßte Häresie der Arianer beschlagnahmt wurde, und in den karolingischen Verordnungen spielt der Cantus eine herausragende Rolle. Nichts davon bei Brown, und auch Hieronymus wird nur gestreift, mitsamt seiner Bibelübersetzung, der Vulgata, einer wahrhaft fundamentalen Voraussetzung des christlichen Europa. Man könnte weitere Lücken beklagen, sich über die ständigen Sprünge durch Zeit und Raum wundern und schließlich manches sonderbare Urteil zurechtzurücken suchen. Nur ein Kuriosum sei noch genannt: Justinian soll für die Digesten (den wichtigsten Teil des Corpus Iuris, dem etwa eine halbe Seite gewidmet ist) 12528 Rechtsbücher haben durcharbeiten lassen. Er selbst spricht von "duo paene milia librorum", "fast zweitausend Büchern".

Der Anhang besteht aus einer Auswahlbibliographie, chronologischen Tabellen, zwei Karten und einem Personenregister. Die Bibliographie nennt 92 englische, 14 französische, 7 deutsche, einen italienischen und keinen spanischen Titel. Es wird sehr oft aus Quellen zitiert - indes, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird nicht verraten, von wem und aus welchem Werk das Zitat stammt. Das Vorwort wehrt dergleichen als "pedantischen Ballast" ab. Den Übersetzern erlaubt der Autor, die Zitate aus zweiter Hand, aus der von ihm hergestellten englischen Fassung, zu verdolmetschen.

Das Werk ist ein Plauderbuch, ein eindrucksvolles Zeugnis vielfältigen Wissens, eine polyhistorische Sammlung von Begebenheiten und Zuständen. Doch Orientierung und gründliche Belehrung vermag es nicht zu vermitteln. Der Herausgeber der Reihe, Jacques Le Goff, spricht von Essays, mit denen das Thema Europa umkreist werden solle. Ob sich der Autor hiervon hat leiten lassen?

Peter Brown: "Die Entstehung des christlichen Europa". Aus dem Englischen von Peter Hohlbrock. Verlag C. H. Beck, München 1996. 404 S., geb., 48,- DM.

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