Innerhalb von nur hundert Jahren entstanden der Islam und das Weltreich der Kalifen und veränderten tiefgreifend die politischen und kulturellen Koordinaten der Welt. Lutz Berger erklärt dieses "Wunder" aus dem Wandel der spätantiken Gesellschaften und beschreibt anschaulich, wie sich der Islam Hand in Hand mit den arabischen Eroberungen formiert hat. Über das plötzliche Auftauchen des Islams im 7. Jahrhundert ist viel spekuliert worden: Handelte es sich ursprünglich um eine christliche oder jüdische Sekte? Auf welche Quellen geht der Koran zurück? Lutz Berger zeigt auf der Grundlage neuester Forschungen, wie sich in der Konkurrenz monotheistischer Erlösungsreligionen von Mekka aus eine arabische Spielart mit eigenem Propheten und heiligem Buch verbreitete und die zersplitterte arabische Halbinsel befriedete. Dies war die Voraussetzung für weiträumige Eroberungen, die überall da erstaunlich reibungslos verliefen, wo man sich dem Zugriff des byzantinischen oder sassanidischen Großreichs entziehen wollte. Durch die Aufnahme des persischen Erbes entstand eine ganz neue Kultur, die die Zivilisation der Antike bewahrte - während der Nordwesten Europas kulturell zurückfiel. Lutz Berger vollbringt das Kunststück, den Aufstieg des Islams ganz aus den Bedingungen der Zeit zu erklären und zugleich in eine welthistorische Perspektive zu stellen, die das Buch zu einer faszinierenden Fallstudie über die Geburt von Imperien macht.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Wer den Islam verstehen will, lese dieses Buch, empfiehlt Rezensent Berthold Seewald. Denn dem Islamwissenschaftler Lutz Berger gelingt es nicht nur, verständlich, vielschichtig und anregend von der Entstehung des Islam zu erzählen, sondern er weiß auch derart gekonnt zwischen Linien und Fakten zu springen, dass der Kritiker viele neue interessante Einblicke erhält. So erfährt er bei Berger etwa, wie es dazu kam, dass das Christentum als herrschende Religion in Ägypten und Syrien vom Islam abgelöst wurde oder wie der Aufstieg des Islam den Westen zum Entwicklungsland degradierte. Großartig auch, wie der Autor die "tiefen, inneren Ursachen" für die Erfolge der Muslime herausarbeitet und dabei historische Fakten mit ihren weltgeschichtlichen Folgen verknüpft, lobt der Rezensent, dem dieses Buch als wahrer "Augenöffner" dient.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2016Willkommenes Heilsangebot
Lutz Berger untersucht, wie der Islam entstanden ist
Jede Religion verdankt ihr Entstehen einer Konstellation von Faktoren, die sie erst ermöglicht haben und die sie prägen. Das Verdienst der Monographie des Kieler Islamwissenschaftlers Lutz Berger ist, dass er die Geschichte des frühen Islams in dessen zeitgenössische Umwelt einbettet und dass er sich dabei nicht von Legenden leiten lässt, sondern von historisch belegbaren Fakten. Berger zeichnet das sechste und siebte Jahrhundert rund um das Mittelmeer als eine Zeit existentieller Krisen. Ein Klimawandel hatte zu Trockenheit, schlechten Ernten und Hunger geführt, die Pest halbierte die Bevölkerung um das Mittelmeer und verschob das Bevölkerungsgleichgewicht von urbanen Regionen in die weniger betroffene Wüste.
Die Menschen wurden noch gläubiger, sie suchten ein Heilsangebot. Zudem waren zu Beginn des siebten Jahrhunderts die beiden Großreiche der Römer und der persischen Sassaniden nach langen Kriegen ermattet. Keines der beiden großen spätantiken Reiche konnte sich einen weiteren Krieg leisten. Die römische Staatskirche hatte aber weiter die Kraft, gegen Abweichungen vom vereinheitlichten christlichen Glauben und gegen "Ketzer", von denen es viele gab, vorzugehen.
In diese Konstellation hinein entstand der Islam. Zu Beginn des siebten Jahrhunderts hatte es auf der Arabischen Halbinsel noch immer keine staatliche Ordnung gegeben, die Leben und Eigentum hätte schützen können. Die Stämme führten untereinander Krieg, und die vorislamische Wertewelt hielt sich Götter, von denen man sich diesseitige Hilfe zur Linderung von Not erhoffte. Erlösung im Jenseits war kein Thema. Dazu gab es Kultorte, von denen einige über die Stammesgrenze hinaus wichtig waren, etwa die Kaaba in Mekka. Einer der Götter, die bereits vor dem Islam dort verehrt wurden, war "der eine Gotte", also "Allah". In Mekka trat Mohammed, der spätere Prophet des Islams, als einer der Warner vor dem nahenden Ende der Welt auf, von denen es zu jener Zeit zahlreiche auf der Arabischen Halbinsel wie um das Mittelmeer gegeben hat. Da der Hidschaz um Mekka über die Karawanenwege in die Spätantike eingebunden war, waren Mohammed und seiner Familie Teile der jüdischen Religion und der christlichen Lehre vertraut.
Seine neue Lehre setzte sich letztlich durch, während die Wirkung anderer Warner beschränkt blieb. Mohammed war einer der Gottsucher seiner Zeit. Was von 610, dem Jahr der ersten Offenbarung, bis 632, seinem Todesjahr, entstand, sollte eine lokale arabische Variante eines neuen, attraktiv gewordenen religiösen Angebots werden, das sich in Endzeitstimmung die Erlösung durch den Glauben an nur noch einen Gott erhoffte. Der Islam bot den Arabern die Möglichkeit, sich den Erlösungsreligionen anzuschließen, ohne aber ihre kulturelle Identität aufgeben zu müssen. Der Islam integrierte, was unter den Arabern heimisch geworden war. Die Lehren, die Mohammed vortrug, "hatten in gewisser Weise in der Luft gelegen", schreibt Berger.
Als sich Mohammed 622 in Medina niederließ, um dort Streit zwischen Stämmen zu schlichten, gingen die eschatologischen Offenbarungen in praktische zur Regelung eines Gemeinwesens über. Die medinensischen Suren sind zu "einem guten Teil Kriegspropaganda", ähnlich wie die Geschichtsbücher des Alten Testaments, so Berger. Krieg im Interesse der eigenen Gruppe sei keine schlechte Sache gewesen. "Prinzipieller Pazifismus war auf der Arabischen Halbinsel der Zeit unbekannt." Neu sei aber gewesen, dass der Krieg nicht für die Ehre und den materiellen Gewinn ausgetragen worden sei, sondern dass er eine ideologische Komponente erhalten habe. Denn nicht mehr die Stämme kämpften gegeneinander, sondern die "Gläubigen" miteinander. Noch unterschieden sie sich nicht so eindeutig von Juden und Christen, erst von Ende des siebten Jahrhunderts an nannten sie sich selbst "Muslime".
Die neue Religion war zunächst ein Mittel zur inneren Befriedung Arabiens. Nach der Einigung der Stämme drangen die "Gläubigen" aus Mekka und Medina nach Norden in das Vakuum vor, das die kriegsmüden Römer und Sassaniden geschaffen hatten. Den Eroberern kam zugute, dass viele heterodoxen Christen, die nicht dem Dogma der Staatskirche folgten, sie als Befreier begrüßten. Berger beschreibt, wie eine indirekte imperiale Herrschaft zum Geheimnis der schnellen Expansion wurde. Dabei bewahrten die neuen Herren das römisch-griechische Erbe in der Alltagskultur und in der Wissenschaft, ergänzt durch die Kulturtraditionen im Osten - bis nach Zentralasien. Bemerkenswert auch der Schlusssatz des Buches: "Der Westen war um 750 zu einem Entwicklungsland geworden, auf das Muslime wie orientalische Christen für Jahrhunderte - wenn überhaupt - nur mit Herablassung blickten." Wer einen etwas unbefangeneren Blick auf den Islam haben will, wird mit der Lektüre dieser anschaulich geschriebenen Monographie belohnt.
RAINER HERMANN
Lutz Berger: "Die Entstehung des Islam". Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen.
C.H. Beck Verlag, München 2016. 334 S.,
Abb., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lutz Berger untersucht, wie der Islam entstanden ist
Jede Religion verdankt ihr Entstehen einer Konstellation von Faktoren, die sie erst ermöglicht haben und die sie prägen. Das Verdienst der Monographie des Kieler Islamwissenschaftlers Lutz Berger ist, dass er die Geschichte des frühen Islams in dessen zeitgenössische Umwelt einbettet und dass er sich dabei nicht von Legenden leiten lässt, sondern von historisch belegbaren Fakten. Berger zeichnet das sechste und siebte Jahrhundert rund um das Mittelmeer als eine Zeit existentieller Krisen. Ein Klimawandel hatte zu Trockenheit, schlechten Ernten und Hunger geführt, die Pest halbierte die Bevölkerung um das Mittelmeer und verschob das Bevölkerungsgleichgewicht von urbanen Regionen in die weniger betroffene Wüste.
Die Menschen wurden noch gläubiger, sie suchten ein Heilsangebot. Zudem waren zu Beginn des siebten Jahrhunderts die beiden Großreiche der Römer und der persischen Sassaniden nach langen Kriegen ermattet. Keines der beiden großen spätantiken Reiche konnte sich einen weiteren Krieg leisten. Die römische Staatskirche hatte aber weiter die Kraft, gegen Abweichungen vom vereinheitlichten christlichen Glauben und gegen "Ketzer", von denen es viele gab, vorzugehen.
In diese Konstellation hinein entstand der Islam. Zu Beginn des siebten Jahrhunderts hatte es auf der Arabischen Halbinsel noch immer keine staatliche Ordnung gegeben, die Leben und Eigentum hätte schützen können. Die Stämme führten untereinander Krieg, und die vorislamische Wertewelt hielt sich Götter, von denen man sich diesseitige Hilfe zur Linderung von Not erhoffte. Erlösung im Jenseits war kein Thema. Dazu gab es Kultorte, von denen einige über die Stammesgrenze hinaus wichtig waren, etwa die Kaaba in Mekka. Einer der Götter, die bereits vor dem Islam dort verehrt wurden, war "der eine Gotte", also "Allah". In Mekka trat Mohammed, der spätere Prophet des Islams, als einer der Warner vor dem nahenden Ende der Welt auf, von denen es zu jener Zeit zahlreiche auf der Arabischen Halbinsel wie um das Mittelmeer gegeben hat. Da der Hidschaz um Mekka über die Karawanenwege in die Spätantike eingebunden war, waren Mohammed und seiner Familie Teile der jüdischen Religion und der christlichen Lehre vertraut.
Seine neue Lehre setzte sich letztlich durch, während die Wirkung anderer Warner beschränkt blieb. Mohammed war einer der Gottsucher seiner Zeit. Was von 610, dem Jahr der ersten Offenbarung, bis 632, seinem Todesjahr, entstand, sollte eine lokale arabische Variante eines neuen, attraktiv gewordenen religiösen Angebots werden, das sich in Endzeitstimmung die Erlösung durch den Glauben an nur noch einen Gott erhoffte. Der Islam bot den Arabern die Möglichkeit, sich den Erlösungsreligionen anzuschließen, ohne aber ihre kulturelle Identität aufgeben zu müssen. Der Islam integrierte, was unter den Arabern heimisch geworden war. Die Lehren, die Mohammed vortrug, "hatten in gewisser Weise in der Luft gelegen", schreibt Berger.
Als sich Mohammed 622 in Medina niederließ, um dort Streit zwischen Stämmen zu schlichten, gingen die eschatologischen Offenbarungen in praktische zur Regelung eines Gemeinwesens über. Die medinensischen Suren sind zu "einem guten Teil Kriegspropaganda", ähnlich wie die Geschichtsbücher des Alten Testaments, so Berger. Krieg im Interesse der eigenen Gruppe sei keine schlechte Sache gewesen. "Prinzipieller Pazifismus war auf der Arabischen Halbinsel der Zeit unbekannt." Neu sei aber gewesen, dass der Krieg nicht für die Ehre und den materiellen Gewinn ausgetragen worden sei, sondern dass er eine ideologische Komponente erhalten habe. Denn nicht mehr die Stämme kämpften gegeneinander, sondern die "Gläubigen" miteinander. Noch unterschieden sie sich nicht so eindeutig von Juden und Christen, erst von Ende des siebten Jahrhunderts an nannten sie sich selbst "Muslime".
Die neue Religion war zunächst ein Mittel zur inneren Befriedung Arabiens. Nach der Einigung der Stämme drangen die "Gläubigen" aus Mekka und Medina nach Norden in das Vakuum vor, das die kriegsmüden Römer und Sassaniden geschaffen hatten. Den Eroberern kam zugute, dass viele heterodoxen Christen, die nicht dem Dogma der Staatskirche folgten, sie als Befreier begrüßten. Berger beschreibt, wie eine indirekte imperiale Herrschaft zum Geheimnis der schnellen Expansion wurde. Dabei bewahrten die neuen Herren das römisch-griechische Erbe in der Alltagskultur und in der Wissenschaft, ergänzt durch die Kulturtraditionen im Osten - bis nach Zentralasien. Bemerkenswert auch der Schlusssatz des Buches: "Der Westen war um 750 zu einem Entwicklungsland geworden, auf das Muslime wie orientalische Christen für Jahrhunderte - wenn überhaupt - nur mit Herablassung blickten." Wer einen etwas unbefangeneren Blick auf den Islam haben will, wird mit der Lektüre dieser anschaulich geschriebenen Monographie belohnt.
RAINER HERMANN
Lutz Berger: "Die Entstehung des Islam". Die ersten hundert Jahre. Von Mohammed bis zum Weltreich der Kalifen.
C.H. Beck Verlag, München 2016. 334 S.,
Abb., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Vielseitige, gut lesbare Darstellung des dramatischen ersten Jahrhunderts islamischer Geschichte, die Religion und Gesellschaft berücksichtigt."
Spiegel Geschichte, Gudrun Krämer
"In der aufgeheizten Debatte über den Islam ist dieses sachliche und äußerst fundierte Buch geradezu eine Wohltat"
Jan Kuhlmann, Deutschlandfunk, 20. Februar 2017
"Berger vollbringt das Kunststück, den Aufstieg des Islams aus den Bedingungen der Zeit zu erklären und zugleich in eine welthistorische Perspektive zu stellen"
Passauer Neue Presse, 06. Februar 2017
"Detailliert zeichnet [Lutz Berger] die Ausbreitung des Islams im 7. und 8. Jahrhundert nach."
Niels Boeing, ZEIT WISSEN, 13. Dezember 2016
"Wer einen etwas unbefangeneren Blick auf den Islam haben will, wird mit der Lektüre dieser anschaulich geschriebenen Monographie belohnt."
Rainer Hermann, FAZ, 11. November 2016
"In verständlicher, geradezu mitreißender Sprache breitet er auf 282 Seiten (plus Zeittafel, Glossar, kommentierter Bibliografie) die ersten 100 Jahre dieser Weltreligion aus [...] öffnet ein ganzes Füllhorn zum Weiterdenken."
Berthold Seewald, Literarische WELT, 15. Oktober 2016
"Erzählt und erklärt großartig die Entstehung des islamischen Weltreichs."
Die Presse, 9. Oktober 2016
Spiegel Geschichte, Gudrun Krämer
"In der aufgeheizten Debatte über den Islam ist dieses sachliche und äußerst fundierte Buch geradezu eine Wohltat"
Jan Kuhlmann, Deutschlandfunk, 20. Februar 2017
"Berger vollbringt das Kunststück, den Aufstieg des Islams aus den Bedingungen der Zeit zu erklären und zugleich in eine welthistorische Perspektive zu stellen"
Passauer Neue Presse, 06. Februar 2017
"Detailliert zeichnet [Lutz Berger] die Ausbreitung des Islams im 7. und 8. Jahrhundert nach."
Niels Boeing, ZEIT WISSEN, 13. Dezember 2016
"Wer einen etwas unbefangeneren Blick auf den Islam haben will, wird mit der Lektüre dieser anschaulich geschriebenen Monographie belohnt."
Rainer Hermann, FAZ, 11. November 2016
"In verständlicher, geradezu mitreißender Sprache breitet er auf 282 Seiten (plus Zeittafel, Glossar, kommentierter Bibliografie) die ersten 100 Jahre dieser Weltreligion aus [...] öffnet ein ganzes Füllhorn zum Weiterdenken."
Berthold Seewald, Literarische WELT, 15. Oktober 2016
"Erzählt und erklärt großartig die Entstehung des islamischen Weltreichs."
Die Presse, 9. Oktober 2016