Die Erde ist mir Heimat nicht geworden« - dieser Ausspruch charakterisiert das gebrochene Verhältnis Karoline von Günderrodes zu ihrer Zeit und ihre Zerrissenheit als Frau und als Dichterin. Begabt, intelligent, anziehend, als Tochter einer verarmten Adelsfamilie jedoch früh in einem Frankfurter Damenstift untergebracht, litt sie unter ihren eingeschränkten Lebensverhältnissen. Zwei Liebesbeziehungen scheiterten.
Das Werk der Günderrode ist schmal. Zu Lebzeiten hat sie zwei Bände veröffentlicht: Lyrik, Dramen, Prosa. Der letzte geplante Gedichtband entstand in der Zeit ihrer Bekanntschaft mit dem neun Jahre älteren, unglücklich verheirateten Mythenforscher Friedrich Creuzer. Er wurde ihr Mentor und Geliebter. Doch die Verbindung zerbrach unter dem Einfluß von Freunden Creuzers. Nachdem er sich von ihr losgesagt hatte, wählte Karoline von Günderrode 26jährig in Winkel am Rhein den Freitod. Den Dolch, Zeichen für Selbstbestimmung und Freiheit, trug sie stets bei sich.
Der Nachwelt ist das einzigartige, konzentrierte Leben der Karoline von Günderrode oft noch interessanter erschienen als ihre Dichtungen: Bettine von Arnims Günderrode-Buch und Christa Wolfs Erzählung Kein Ort. Nirgends zeugen davon.
Die Biographie der Karoline von Günderrode dokumentiert ein bewegendes Leben: Selbstbehauptung im Schreiben, Verlassenheit, Intrigen und schließlich der Verrat des Geliebten, der sie in den Tod trieb. Dagmar von Gersdorff erzählt das Schicksal einer jungen Frau.
Die Biographie zum 200. Todestag am 26. Juli 2006
Das Werk der Günderrode ist schmal. Zu Lebzeiten hat sie zwei Bände veröffentlicht: Lyrik, Dramen, Prosa. Der letzte geplante Gedichtband entstand in der Zeit ihrer Bekanntschaft mit dem neun Jahre älteren, unglücklich verheirateten Mythenforscher Friedrich Creuzer. Er wurde ihr Mentor und Geliebter. Doch die Verbindung zerbrach unter dem Einfluß von Freunden Creuzers. Nachdem er sich von ihr losgesagt hatte, wählte Karoline von Günderrode 26jährig in Winkel am Rhein den Freitod. Den Dolch, Zeichen für Selbstbestimmung und Freiheit, trug sie stets bei sich.
Der Nachwelt ist das einzigartige, konzentrierte Leben der Karoline von Günderrode oft noch interessanter erschienen als ihre Dichtungen: Bettine von Arnims Günderrode-Buch und Christa Wolfs Erzählung Kein Ort. Nirgends zeugen davon.
Die Biographie der Karoline von Günderrode dokumentiert ein bewegendes Leben: Selbstbehauptung im Schreiben, Verlassenheit, Intrigen und schließlich der Verrat des Geliebten, der sie in den Tod trieb. Dagmar von Gersdorff erzählt das Schicksal einer jungen Frau.
Die Biographie zum 200. Todestag am 26. Juli 2006
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2006Sei ein Mann
Leben und Leiden der Dichterin Karoline von Günderrode
Unbeschreiblich weiblich: "Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglükseeligkeit. Nur das Wilde, Grose, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Misverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib, und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, und so uneins mit mir." Das Ungenügen und die Unbedingtheit, die aus diesen bemerkenswerten Sätzen sprechen, sind kennzeichnend für Leben und Werk der Karoline von Günderrode.
1780 als älteste Tochter des Regierungsrates Hektor von Günderrode geboren, verbrachte sie, mit sechs Jahren vaterlos geworden, die letzten zehn Jahre ihres kurzen Lebens im Cronstett-Hynspergischen Damenstift in Frankfurt. Schwärmerische Freundschaften und poetische Produktionen waren ihre Mittel, der von ihr als eng und bedrückend empfundenen Umgebung zu entkommen, aus der sie wohl nur eine Ehe dauerhaft hätte befreien können. Daß ihre berühmten Liebhaber keinerlei konkreten Schritte unternahmen, die von ihnen umschwärmte, aber auch mit Scheu betrachtete Dichterin zu ihrer Frau zu machen, gehört zu den geradezu tragischen Seiten ihres Lebens. Dagmar von Gersdorff legt den Akzent ihrer Biographie ganz auf die Beziehungen der Günderrode. Friedrich von Savigny, Clemens Brentano, Friedrich Creuzer sowie Gunda und Bettine Brentano kommen dabei die Hauptrollen zu. Nur letztere, die der einstigen Jugendfreundin Jahrzehnte später mit ihrem Briefroman "Die Günderode" ein Denkmal gesetzt hat, kann vor ihrem Urteil bestehen. Allen anderen spricht die Biographin Treue und Aufrichtigkeit ab. Dem späteren preußischen Justizminister Savigny galt die erste Liebe der Günderrode, doch dieser entschied sich nach einigem Zögern für die wesentlich nüchternere Gunda Brentano.
Was Karoline von Günderrode letztlich an Gunda Brentano band, vermag Dagmar von Gersdorff nicht zu erklären. Ihr Hinweis auf eine "Haßliebe" und die Einseitigkeit der Beziehung greift wohl zu kurz, denn immerhin wurde die Brentano zur Empfängerin solch exklusiver Bekenntnisse, wie es das Eingangszitat darstellt. Clemens Brentano hingegen erwählte sich Karoline zum Objekt stürmischer Sexualphantasien und Liebesattacken, ohne eine engere Beziehung eingehen zu wollen.
Das literarische Werk kommt etwas kurz. Man erfährt von autodidaktischen Studien und Bildungseifer, der Liebe zu Philosophie und Naturwissenschaften. Gedankenschwere paart sich mit schwärmerischem Gefühl, mythologische Sujets mit Anklängen an Novalis und Schelling. Daß es ihren dramatischen Versuchen an Welthaltigkeit und Überzeugungskraft fehlt, kann angesichts ihrer beschränkten Erfahrungsmöglichkeiten kaum verwundern. Die Zeitgenossen wußten mit den für eine Frau untypischen Werken nur wenig anzufangen, und so kehrt der Vorwurf des "Mann-Weiblichen" beharrlich wieder, der auch ihre Selbstreflexion prägt.
Den Schlußpunkt setzt die zweijährige Beziehung zu dem Heidelberger Philologen und Mythenforscher Friedrich Creuzer. Man möchte angesichts der ständigen Schwankungen dieser Beziehung, der Einflußnahmen befreundeter Personen und der Rolle von Creuzers dreizehn Jahre älterer Ehefrau von einer Posse sprechen, wenn der tödliche Ausgang dies nicht verbieten würde. So dichterisch befruchtend der Austausch mit Creuzer für Karoline auch war, so zerrüttend war der bis um den Preis der Selbstzerstörung betriebene Bund für ihre ohnehin kränkliche Konstitution. Ihrer Unbedingtheit und Ekstase hatte der wankelmütige Creuzer oftmals nur professorale Bedenken entgegenzusetzen. Es berührt schmerzlich zu sehen, wie klug Karoline von Günderrode bis zuletzt ihren zur Scheidung nicht bereiten Liebhaber analysierte, ohne sich aus seinem Bann lösen zu können. Auf seine Ermahnung hin brach sie ohne Anlaß mit ihrer besten Freundin Bettine Brentano und begab sich so ganz in Abhängigkeit von ihm. Als er schließlich dem Versteckspiel nicht länger standhalten konnte und sich schwerkrank von ihr lossagte, nahm sich Karoline, konsequent bis zum Ende, das Leben.
Trotz großer Anschaulichkeit und Materialfülle legt man Dagmar von Gersdorffs Buch nicht ganz befriedigt aus der Hand. Einfühlung und eine übergroße Nähe zum Gegenstand dominieren, kritische Reflexion und ein erklärender Ansatz geraten darüber ins Hintertreffen. Lesenswert ist in dieser Hinsicht noch immer Christa Wolfs Essay "Der Schatten eines Traumes", den der Insel Verlag zusammen mit ausgewählten Werken und Briefen zum zweihundertsten Todestag erneut auflegt. Konsequenter als von Gersdorff stellt Christa Wolf die zu ihrer Zeit unlösbaren Widersprüche: "Sie will ja vereinen, was unvereinbar ist: von einem Manne geliebt werden und ein Werk hervorbringen, das sich an absoluten Maßstäben orientiert. Ehefrau und Dichterin sein." Was die Dichterin gewinnt, verliert die Frau - vor diesem Hintergrund nur ist es zu verstehen, daß Creuzers Freunde ihr die Tauglichkeit zur Ehefrau rundherum absprechen.
Vielleicht hat es sein Gutes, daß Karoline von Günderrode der ernüchternde Ehealltag an der Seite Creuzers erspart blieb, wußte sie doch, in diesem Punkt ganz Romantikerin, in ihrem dichterischen Werk sehr genau, daß es wahre Erfüllung im Hier und Jetzt nicht geben kann: "Wenn dem Herzen jeder Wunsch befriedigt wäre, / Ungestillet bleibt das Sehnen deiner Brust."
THOMAS MEISSNER
Dagmar von Gersdorff: "Die Erde ist mir Heimat nicht geworden". Das Leben der Karoline von Günderrode. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 284 S., geb., 19,80 [Euro].
Karoline von Günderrode: "Einstens lebt ich süßes Leben". Gedichte, Prosa, Briefe, Zeugnisse von Zeitgenossen. Herausgegeben von Christa Wolf. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 410 S., br., 12,- [Euro].
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Leben und Leiden der Dichterin Karoline von Günderrode
Unbeschreiblich weiblich: "Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglükseeligkeit. Nur das Wilde, Grose, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Misverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib, und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, und so uneins mit mir." Das Ungenügen und die Unbedingtheit, die aus diesen bemerkenswerten Sätzen sprechen, sind kennzeichnend für Leben und Werk der Karoline von Günderrode.
1780 als älteste Tochter des Regierungsrates Hektor von Günderrode geboren, verbrachte sie, mit sechs Jahren vaterlos geworden, die letzten zehn Jahre ihres kurzen Lebens im Cronstett-Hynspergischen Damenstift in Frankfurt. Schwärmerische Freundschaften und poetische Produktionen waren ihre Mittel, der von ihr als eng und bedrückend empfundenen Umgebung zu entkommen, aus der sie wohl nur eine Ehe dauerhaft hätte befreien können. Daß ihre berühmten Liebhaber keinerlei konkreten Schritte unternahmen, die von ihnen umschwärmte, aber auch mit Scheu betrachtete Dichterin zu ihrer Frau zu machen, gehört zu den geradezu tragischen Seiten ihres Lebens. Dagmar von Gersdorff legt den Akzent ihrer Biographie ganz auf die Beziehungen der Günderrode. Friedrich von Savigny, Clemens Brentano, Friedrich Creuzer sowie Gunda und Bettine Brentano kommen dabei die Hauptrollen zu. Nur letztere, die der einstigen Jugendfreundin Jahrzehnte später mit ihrem Briefroman "Die Günderode" ein Denkmal gesetzt hat, kann vor ihrem Urteil bestehen. Allen anderen spricht die Biographin Treue und Aufrichtigkeit ab. Dem späteren preußischen Justizminister Savigny galt die erste Liebe der Günderrode, doch dieser entschied sich nach einigem Zögern für die wesentlich nüchternere Gunda Brentano.
Was Karoline von Günderrode letztlich an Gunda Brentano band, vermag Dagmar von Gersdorff nicht zu erklären. Ihr Hinweis auf eine "Haßliebe" und die Einseitigkeit der Beziehung greift wohl zu kurz, denn immerhin wurde die Brentano zur Empfängerin solch exklusiver Bekenntnisse, wie es das Eingangszitat darstellt. Clemens Brentano hingegen erwählte sich Karoline zum Objekt stürmischer Sexualphantasien und Liebesattacken, ohne eine engere Beziehung eingehen zu wollen.
Das literarische Werk kommt etwas kurz. Man erfährt von autodidaktischen Studien und Bildungseifer, der Liebe zu Philosophie und Naturwissenschaften. Gedankenschwere paart sich mit schwärmerischem Gefühl, mythologische Sujets mit Anklängen an Novalis und Schelling. Daß es ihren dramatischen Versuchen an Welthaltigkeit und Überzeugungskraft fehlt, kann angesichts ihrer beschränkten Erfahrungsmöglichkeiten kaum verwundern. Die Zeitgenossen wußten mit den für eine Frau untypischen Werken nur wenig anzufangen, und so kehrt der Vorwurf des "Mann-Weiblichen" beharrlich wieder, der auch ihre Selbstreflexion prägt.
Den Schlußpunkt setzt die zweijährige Beziehung zu dem Heidelberger Philologen und Mythenforscher Friedrich Creuzer. Man möchte angesichts der ständigen Schwankungen dieser Beziehung, der Einflußnahmen befreundeter Personen und der Rolle von Creuzers dreizehn Jahre älterer Ehefrau von einer Posse sprechen, wenn der tödliche Ausgang dies nicht verbieten würde. So dichterisch befruchtend der Austausch mit Creuzer für Karoline auch war, so zerrüttend war der bis um den Preis der Selbstzerstörung betriebene Bund für ihre ohnehin kränkliche Konstitution. Ihrer Unbedingtheit und Ekstase hatte der wankelmütige Creuzer oftmals nur professorale Bedenken entgegenzusetzen. Es berührt schmerzlich zu sehen, wie klug Karoline von Günderrode bis zuletzt ihren zur Scheidung nicht bereiten Liebhaber analysierte, ohne sich aus seinem Bann lösen zu können. Auf seine Ermahnung hin brach sie ohne Anlaß mit ihrer besten Freundin Bettine Brentano und begab sich so ganz in Abhängigkeit von ihm. Als er schließlich dem Versteckspiel nicht länger standhalten konnte und sich schwerkrank von ihr lossagte, nahm sich Karoline, konsequent bis zum Ende, das Leben.
Trotz großer Anschaulichkeit und Materialfülle legt man Dagmar von Gersdorffs Buch nicht ganz befriedigt aus der Hand. Einfühlung und eine übergroße Nähe zum Gegenstand dominieren, kritische Reflexion und ein erklärender Ansatz geraten darüber ins Hintertreffen. Lesenswert ist in dieser Hinsicht noch immer Christa Wolfs Essay "Der Schatten eines Traumes", den der Insel Verlag zusammen mit ausgewählten Werken und Briefen zum zweihundertsten Todestag erneut auflegt. Konsequenter als von Gersdorff stellt Christa Wolf die zu ihrer Zeit unlösbaren Widersprüche: "Sie will ja vereinen, was unvereinbar ist: von einem Manne geliebt werden und ein Werk hervorbringen, das sich an absoluten Maßstäben orientiert. Ehefrau und Dichterin sein." Was die Dichterin gewinnt, verliert die Frau - vor diesem Hintergrund nur ist es zu verstehen, daß Creuzers Freunde ihr die Tauglichkeit zur Ehefrau rundherum absprechen.
Vielleicht hat es sein Gutes, daß Karoline von Günderrode der ernüchternde Ehealltag an der Seite Creuzers erspart blieb, wußte sie doch, in diesem Punkt ganz Romantikerin, in ihrem dichterischen Werk sehr genau, daß es wahre Erfüllung im Hier und Jetzt nicht geben kann: "Wenn dem Herzen jeder Wunsch befriedigt wäre, / Ungestillet bleibt das Sehnen deiner Brust."
THOMAS MEISSNER
Dagmar von Gersdorff: "Die Erde ist mir Heimat nicht geworden". Das Leben der Karoline von Günderrode. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 284 S., geb., 19,80 [Euro].
Karoline von Günderrode: "Einstens lebt ich süßes Leben". Gedichte, Prosa, Briefe, Zeugnisse von Zeitgenossen. Herausgegeben von Christa Wolf. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2006. 410 S., br., 12,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So ganz zufrieden ist Thomas Meissner mit Dagmar von Gersdorffs Biografie der Karoline von Günderrode nicht. Einfühlsam sei sie ja, aber auch geprägt von "übergroßer Nähe" zu ihrem Gegenstand. Kritisch-reflektierende und erklärende Momente fehlen ihm. Bei den Freundschaften und Liebesbeziehungen der Günderrode, dem Schwerpunkt der Biografie, bleibe einiges ungeklärt, aber auch das literarische Werk wird für den Geschmack des Rezensenten zu wenig berücksichtigt. Im letzten Teil der Biografie erzähle die Autorin die tragische Liebe zu Friedrich Creuzer, eine Beziehung, die Karoline von Günderrode "dichterisch befruchtet", aber zugleich in den Selbstmord getrieben habe. Zumindest als Ergänzung dieses Buchs empfiehlt Meissner die Lektüre eines Essays von Christa Wolf über die Günderrode, der zusammen mit ausgewählten Werken und Briefen neu aufgelegt werde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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