Über das Ende der religiösen Vielfalt und Akzeptanz im alten Rom - eingeläutet durch das Christentum.Das alte Rom war in vielerlei Hinsicht fortschrittlich. Unzählige Götter und Religionen lebten in der Millionenstadt am Tiber nebeneinander - es war eine politische Strategie des Weltreiches, andere Kulturen und deren Rituale zu integrieren, aber auch Religionskritik und Skepsis zu akzeptieren. Wie sich das mit dem Aufkommen des Christentums änderte und wie religiöse Intoleranz und Toleranz entstanden, zeichnet Stephen Greenblatt in seinem Essay nach. Damit zeigt er auch, wie sich aus der kultischen Vielfalt der Antike eine Gesellschaft entwickelte, die auf Reinheit und Einheitlichkeit, auf Zerstörung und Zensur setzte. Vor allem die materialistische Vorstellung völlig unbeteiligter Götter erwies sich bald als etwas, das unter keinen Umständen toleriert werden konnte und dessen Träger (ob Bücher oder Menschen) vernichtet werden musste.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2020Im holden Blütenalter Roms
Stephen Greenblatt schwärmt vom antiken Polytheismus und sieht in den frühen Christen die Erfinder religiöser Intoleranz
Der römische Statthalter Plinius berichtete um 112 dem Kaiser Trajan, dass er Christen die Hinrichtung androhte, sofern sie nicht abschworen. Obgleich er ansonsten nichts Strafwürdiges an ihnen fand, ließ er sie erst frei, wenn sie die Götter anriefen, vielleicht Jupiter, Juno und Minerva, und den aufgestellten Götterstatuen samt Bild des Kaisers mit Weihrauch und Wein ein rituelles Opfer darbrachten. Es war der Ruf und das Verbrechen der Christen, das System der politischen Religion des römischen Imperiums abzulehnen. Für sie stand der transzendent gedachte Gott über allen Imperien und ihren Herrschern. Tausende von Christen der ersten drei Jahrhunderte verloren deshalb ihre Freiheit oder ihr Leben.
Stephen Greenblatts steile These lautet, die christlichen Märtyrer seien nicht etwa infolge römischer Intoleranz gestorben. Vielmehr hätten die Christen die religiöse Intoleranz erfunden, indem sie nur ihren Gott, nicht aber andere Götter gelten ließen. Der Polytheismus der Römer dagegen sei ganz offen für alle Götter und friedfertig gewesen, solange die Kulte keine groben Moralverstöße begingen. Man habe die Christen nur verfolgt, weil man ihre neuartige Intoleranz gefürchtet habe.
Doch Greenblatt irrt: Römische Religion war kein multikulturelles Straßenfest. Die Entgegensetzung eines toleranten Polytheismus und eines intoleranten Monotheismus folgt einem von David Hume 1757 erfundenen Klischee, das damals der Befreiung von klerikaler Bevormundung diente. Heute, da die Herrschaft des Klerus längst vorbei ist, gerät es bei Greenblatt zur schillernden Schnulze über eine schönere Welt, als die Götter der Künste glückliche Menschen begleiteten, bevor Christen das holde Blütenalter unbeschwerter Vielfalt vernichteten.
Zweifellos erlaubten die Römer mit dem Wachsen ihres Imperiums den Kult zahlreicher Gottheiten unterworfener Städte und Regionen vor Ort oder in Rom. Mit einem offenen Pluralismus hatte diese Politik imperialistischer Einverleibung jedoch wenig gemeinsam. Das römische Schrifttum ist reich an Zeugnissen der Verachtung für die "fremden" Kulte von Ägyptern, Kelten, Juden oder Christen. Pagane Autoren unterschieden zwischen guter Religion und jenem inakzeptablen "Aberglauben" (superstitio), den Cicero und Tacitus etwa dem Judentum vorwarfen. Verbote von Kulten, Judenvertreibungen und maßlose Gewaltakte setzten solche Aversionen mitunter in die Tat um.
In dem frühchristlichen literarischen Dialog des Minucius Felix, den Greenblatt missdeutet, ruft ein Christ die Unterscheidung des Sokrates-Schülers Antisthenes zwischen den vielen Göttern des Volkes und dem einen Gott der Philosophen, der "von Natur aus" wirklich existiere, in Erinnerung. Christlichen Intellektuellen erschien es widersprüchlich und revisionsbedürftig, dass man im Römerreich aus Staatsräson die Teilnahme am Kult für Götter erzwang, an die viele Gebildete nicht mehr glaubten, seit ihnen der philosophische Gedanke der einen Wirklichkeit des Göttlichen plausibler erschien.
Der Christ Tertullian forderte um das Jahr 200 aus diesem universalistischen Grund Religionsfreiheit: libertas religionis, ein neuer Terminus. Es sei ein Menschenrecht (ius humanum), dass jeder verehren dürfe, was er glaube. Genau dies gestattet das sogenannte "Mailänder Toleranzedikt" des Kaisers und Christenfreundes Konstantin von 313 einem jeden Christen und Nichtchristen. Greenblatt sieht darin die erste gesetzliche Verfügung der Religionsfreiheit in der Weltgeschichte, versucht den Christen aber einen Strick daraus zu drehen: Die Römer hätten ein solches Gesetz nicht benötigt, sondern ohnehin praktiziert. Erst christliche Intoleranz habe die Idee einer Toleranz für diejenigen erzeugt, die Falsches glauben. Doch die Mailänder Vereinbarung benutzt weder den Toleranzbegriff noch einen Wahrheitsmaßstab, sie erklärt Religion für frei von Zwang.
Daran muss sich das Christentum seither allerdings messen lassen. Furchtbar oft ist es hinter diesem Anspruch weit zurückgeblieben. Es war ein bestürzend langer Weg, bis christlich geprägte Staaten, wohl als erste auf unserem Planeten, diese und andere Freiheitsrechte verwirklichten, oft gegen klerikalen Widerstand. Greenblatts rückwärtsgewandte Phantasie eines behaglichen römisch-antiken Polytheismus kündigt ausgerechnet denjenigen die Solidarität auf, die von den paganen Römern religionspolitisch verfolgt wurden. Der Harvard-Professor setzt sich Humes Perücke auf, doch aus ihr rieselt nach zweihundertfünfzig Jahren doch ein wenig der Staub der Intoleranz.
ROLAND KANY
Stephen Greenblatt:
"Die Erfindung der
Intoleranz". Wie die Christen von Verfolgten zu Verfolgern wurden.
Aus dem Englischen von Tobias Roth. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 144 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stephen Greenblatt schwärmt vom antiken Polytheismus und sieht in den frühen Christen die Erfinder religiöser Intoleranz
Der römische Statthalter Plinius berichtete um 112 dem Kaiser Trajan, dass er Christen die Hinrichtung androhte, sofern sie nicht abschworen. Obgleich er ansonsten nichts Strafwürdiges an ihnen fand, ließ er sie erst frei, wenn sie die Götter anriefen, vielleicht Jupiter, Juno und Minerva, und den aufgestellten Götterstatuen samt Bild des Kaisers mit Weihrauch und Wein ein rituelles Opfer darbrachten. Es war der Ruf und das Verbrechen der Christen, das System der politischen Religion des römischen Imperiums abzulehnen. Für sie stand der transzendent gedachte Gott über allen Imperien und ihren Herrschern. Tausende von Christen der ersten drei Jahrhunderte verloren deshalb ihre Freiheit oder ihr Leben.
Stephen Greenblatts steile These lautet, die christlichen Märtyrer seien nicht etwa infolge römischer Intoleranz gestorben. Vielmehr hätten die Christen die religiöse Intoleranz erfunden, indem sie nur ihren Gott, nicht aber andere Götter gelten ließen. Der Polytheismus der Römer dagegen sei ganz offen für alle Götter und friedfertig gewesen, solange die Kulte keine groben Moralverstöße begingen. Man habe die Christen nur verfolgt, weil man ihre neuartige Intoleranz gefürchtet habe.
Doch Greenblatt irrt: Römische Religion war kein multikulturelles Straßenfest. Die Entgegensetzung eines toleranten Polytheismus und eines intoleranten Monotheismus folgt einem von David Hume 1757 erfundenen Klischee, das damals der Befreiung von klerikaler Bevormundung diente. Heute, da die Herrschaft des Klerus längst vorbei ist, gerät es bei Greenblatt zur schillernden Schnulze über eine schönere Welt, als die Götter der Künste glückliche Menschen begleiteten, bevor Christen das holde Blütenalter unbeschwerter Vielfalt vernichteten.
Zweifellos erlaubten die Römer mit dem Wachsen ihres Imperiums den Kult zahlreicher Gottheiten unterworfener Städte und Regionen vor Ort oder in Rom. Mit einem offenen Pluralismus hatte diese Politik imperialistischer Einverleibung jedoch wenig gemeinsam. Das römische Schrifttum ist reich an Zeugnissen der Verachtung für die "fremden" Kulte von Ägyptern, Kelten, Juden oder Christen. Pagane Autoren unterschieden zwischen guter Religion und jenem inakzeptablen "Aberglauben" (superstitio), den Cicero und Tacitus etwa dem Judentum vorwarfen. Verbote von Kulten, Judenvertreibungen und maßlose Gewaltakte setzten solche Aversionen mitunter in die Tat um.
In dem frühchristlichen literarischen Dialog des Minucius Felix, den Greenblatt missdeutet, ruft ein Christ die Unterscheidung des Sokrates-Schülers Antisthenes zwischen den vielen Göttern des Volkes und dem einen Gott der Philosophen, der "von Natur aus" wirklich existiere, in Erinnerung. Christlichen Intellektuellen erschien es widersprüchlich und revisionsbedürftig, dass man im Römerreich aus Staatsräson die Teilnahme am Kult für Götter erzwang, an die viele Gebildete nicht mehr glaubten, seit ihnen der philosophische Gedanke der einen Wirklichkeit des Göttlichen plausibler erschien.
Der Christ Tertullian forderte um das Jahr 200 aus diesem universalistischen Grund Religionsfreiheit: libertas religionis, ein neuer Terminus. Es sei ein Menschenrecht (ius humanum), dass jeder verehren dürfe, was er glaube. Genau dies gestattet das sogenannte "Mailänder Toleranzedikt" des Kaisers und Christenfreundes Konstantin von 313 einem jeden Christen und Nichtchristen. Greenblatt sieht darin die erste gesetzliche Verfügung der Religionsfreiheit in der Weltgeschichte, versucht den Christen aber einen Strick daraus zu drehen: Die Römer hätten ein solches Gesetz nicht benötigt, sondern ohnehin praktiziert. Erst christliche Intoleranz habe die Idee einer Toleranz für diejenigen erzeugt, die Falsches glauben. Doch die Mailänder Vereinbarung benutzt weder den Toleranzbegriff noch einen Wahrheitsmaßstab, sie erklärt Religion für frei von Zwang.
Daran muss sich das Christentum seither allerdings messen lassen. Furchtbar oft ist es hinter diesem Anspruch weit zurückgeblieben. Es war ein bestürzend langer Weg, bis christlich geprägte Staaten, wohl als erste auf unserem Planeten, diese und andere Freiheitsrechte verwirklichten, oft gegen klerikalen Widerstand. Greenblatts rückwärtsgewandte Phantasie eines behaglichen römisch-antiken Polytheismus kündigt ausgerechnet denjenigen die Solidarität auf, die von den paganen Römern religionspolitisch verfolgt wurden. Der Harvard-Professor setzt sich Humes Perücke auf, doch aus ihr rieselt nach zweihundertfünfzig Jahren doch ein wenig der Staub der Intoleranz.
ROLAND KANY
Stephen Greenblatt:
"Die Erfindung der
Intoleranz". Wie die Christen von Verfolgten zu Verfolgern wurden.
Aus dem Englischen von Tobias Roth. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 144 S., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Da hat der Wallstein-Verlag ein kleines Meisterwerk in seinem Programm.« (Schwäbische Zeitung, 19.12.2019) »ein brillanter Essay« (Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung, 16.01.2020) »geprägt von einer hinreißenden Tiefsinnigkeit, einer unbändigen Erzähllust und einer sprachlichen Brillanz« (Karl Adam, literaturkritik.de, 26.11.2019)