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Gudrun Ensslin eine Indianersquaw aus braunem Plastik und Andreas Baader ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung? Die Welt des kindlichen Erzählers dieses mitreißenden Romans, der den Kosmos der alten BRD wiederauferstehen lässt, ist nicht minder real als die politischen Ereignisse, die jene Jahre in Atem halten und auf die sich der 13-Jährige seinen ganz eigenen Reim macht. Frank Witzel ist es in dieser groß angelegten fantastischen literarischen Rekonstruktion des westlichen Teils Deutschlands Spiegelungen, ein Spiegelkabinett der Geschichte im Kopf eines Heranwachsenden zu errichten.…mehr

Produktbeschreibung
Gudrun Ensslin eine Indianersquaw aus braunem Plastik und Andreas Baader ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung?
Die Welt des kindlichen Erzählers dieses mitreißenden Romans, der den Kosmos der alten BRD wiederauferstehen lässt, ist nicht minder real als die politischen Ereignisse, die jene Jahre in Atem halten und auf die sich der 13-Jährige seinen ganz eigenen Reim macht. Frank Witzel ist es in dieser groß angelegten fantastischen literarischen Rekonstruktion des westlichen Teils Deutschlands Spiegelungen, ein Spiegelkabinett der Geschichte im Kopf eines Heranwachsenden zu errichten. Erinnerungen an das Nachkriegsdeutschland, Ahnungen vom Deutschen Herbst und Betrachtungen der aktuellen Gegenwart entrücken ihn dabei immer weiter seiner Umwelt. Das dichte Erzählgewebe ist eine explosive Mischung aus Geschichten und Geschichte, Welterklärung, Reflexion und Fantasie: ein detailbesessenes Kaleidoskop aus Stimmungen einer Welt, die ebenso wie die DDR 1989 Geschichte wurde.
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Autorenporträt
Frank Witzel veröffentlichte seit seinem ersten Lyrikband 1978 mehr als ein DutzendBücher, u. a. die Romane Bluemoon Baby (2001/2017), Vondenloh (2008/2018) und Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969, für den er den Deutschen Buchpreis 2015 erhielt. Für das gleichnamige Hörspiel gewann er den Deutschen Hörspielpreis 2017. Für seinen Roman Direkt danach und kurz davor war er für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2017 nominiert. Im selben Jahr erhielt er die Poetikdozentur der Universität Heidelberg und 2018 die Poetikdozentur der Universität Tübingen, 2017/2018 war er Inhaber der Friederichs-Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, wo er heute lebt. Im BR wurden 2017 sein Hörspiel-Film Die apokalyptische Glühbirne und 2018 die Hörspielserie Stahnke, 2019 beim HR das Hörspiel Jule, Julia, Julischka, alle in der Regie von Leonhard Koppelmann, gesendet, für die er mit ihm zusammen 2017 den Deutschen Hörbuchpreis erhielt. Sein 2020 erschienener Roman Inniger Schiffbruch war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.  
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manischdepressiven Teenager im Sommer 1969" ist mit seinen gut achthundert Seiten einen wahrer "Superheimatschinken", der sich schwerlich in einem Rutsch bewältigen lässt, warnt Rezensent Jens Jessen. Mit dem Teenager ist weder Andreas Baader noch Ulrike Meinhof gemeint, sondern ein "dreizehnjähriger Zaungast des Terrors", der sich ein Aufräumen mit der verhassten spießbürgerlichen Welt um ihn herum nur mit mächtig Rabautz vorstellen kann, fasst der Rezensent zusammen. Der "formalen Wagemut", für den die Jury Witzel mit dem Deutschen Buchpreis 2015 bedacht hat, besteht nicht in neuen Formen - Collage und Fragment begleiten die Literatur nun schon eine Weile, weiß Jessen -, sondern in der Abkehr vom realistischen Erzählen, in der Rebellion gegen die "kleinbürgerliche Enge und erstickende Literaturfeigheit", lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Dämonen der
alten Republik
Frank Witzels Ich-Roman
gewinnt den Deutschen Buchpreis
Nein, den Deutschen Buchpreis 2015 hat nicht das Buch zur Stunde gewonnen, Jenny Erpenbecks Roman „Gehen, ging, gegangen“, in dem ein Altphilologie mit DDR-Hintergrund auf die Flüchtlinge im Berlin–Kreuzberg des Jahres 2014 trifft. Und auch nicht Ulrich Peltzers Roman „Das bessere Leben“, der die Lebenskrisen seiner in der globalen Finanzwelt agierenden Charaktere mit den avancierten Mitteln des Bewusstseinsromans darstellt. Die siebenköpfige Jury hat sich für ein Buch entschieden, dessen Wurzeln tief hinabreichen in die 1989/90 mit der DDR untergegangene alte Bundesrepublik, für Frank Witzels Ich-Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, der auf über 800 Seiten seinem mäandernden Titel alle Ehre macht (SZ vom 15. Juni).
  Man kann nicht sagen, dass diese Entscheidung für ein, so die Jury, „im besten Sinne maßloses Roman-Konstrukt“ von „formalem Wagemut“, für ein „genialisches Sprachkunstwerk“, „ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia“ den Verdacht nährt, der vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels erfundene Buchpreis sei vor allem ein Marketinginstrument, das die leicht verkäuflichen Romane gegenüber den anspruchsvolleren privilegiere. Dieser Roman ist unförmig, voller Abschweifungen, Selbstverhöre und Befragungen durch Amtspersonen, Priester, Ärzte. Die Lektüre macht den Leser zum Beifahrer des Teenagers auf der Achterbahn seiner manisch-depressiven Unberechenbarkeit – und zugleich zum Zuhörer des erwachsen gewordenen Teenagers, der im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf eine irrwitzige Rede hält, die Jean Pauls „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ zum Vorbild hat.
  Auf dem Umschlag des Buches ist eine Pilzkopf-Perücke zu sehen, der ihr Kopf abhanden gekommen ist. Es ist der Kopf der Hauptfigur, in dem die Beatles-Songs nachhallen, die im Mittelpunkt der großen Pop-Parade steht, die auf der Tonspur dieses Romans abläuft. Die RAF ist hier zunächst eine Schülerband in einem Vorort von Wiesbaden, und dann erst die Terroristenschar, die aus dem Fernsehen in die Träume der Teenager gerät. In den Pop der Tonspur mischt sich das lateinische Gemurmel des Ministranten im Teenager, den das Exegese-Training seiner Kirche durch die Entschlüsselung des Beatles-Albums „Rubber Soul“ treibt. Die Markennamen, Spielzeuge und Nachkriegsikonen, die durch den Teenager hindurchgehen, sind so allgegenwärtig wie in der Pop-Literatur der 1990er Jahre. Aber hier wird nicht erinnerungsfreudig ein Archiv geöffnet, es geht hinab in die Dämonologie der alten Bundesrepublik, die in den Nachrufen nach 1989/90, zumal in den rheinischen Regionen, von denen hier die Rede ist, oft wie eine behäbig in sich ruhende Welt aussah. Hier wird diese Welt zum Kippbild. Zu den Kräften, die in diesem über lange Jahre hinweg gewachsenen Roman des 1955 geborenen Frank Witzel die Oberfläche aufrühren, gehört nicht zuletzt die Droge Theorie, die fiebrig-süchtige Lektüre, von Nietzsche bis zu modernen Zeichen- und Symboltheorien.
  Leser, die den überschaubaren Plot lieben, werden über dieses Buch trotz des Buchpreis-Gütesiegels den Kopf schütteln. Aber weder ist die Jury von allen guten Geistern verlassen noch hat sie eine Entscheidung gegen das Publikum getroffen. Denn es gibt in diesem Publikum eine wachsende und treue Leserschaft für das Genre des monströsen Ich–Romans, an dem dieses Buch teilhat. Autobiografische Stoffe werden in dieses Genre eingeschmolzen, aber auch da, wo es sich an die Chronologie eines Lebens anschmiegt wie oft in den Romanen von Peter Kurzeck, löst es die klassische Form der Autobiografie auf und entwirft Ich-Figuren, die erlebt und zugleich halluziniert sind.
  In der internationalen Literatur ist der Norweger Karl Ove Knausgård mit seinem sechsbändigen Zyklus „Min Kamp“ („Mein Kampf“), in dem das Ich darum kämpft, ein großer Autor zu werden, weit über Europa hinaus erfolgreich. In Navid Kermanis über 1000 Seiten umfassendem Roman „Dein Name“ (2011) wurde das autobiografische Ich zum Einfallstor für die Darstellung einer zwischen Bundesrepublik und islamischen Welten gespannten Existenz. Frank Witzels aus den Innenwelten der alten Bundesrepublik hervorgewachsener Ich-Roman macht in diesem Kreis keine schlechte Figur.
LOTHAR MÜLLER
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»In einem Interview sagte der Autor, er habe während der 15-jährigen Arbeit an diesem Roman 'immer wieder (versucht), diesen Text auseinanderzudröseln in zwei oder vielleicht sogar drei Romane, war aber immer unzufrieden, weil mir etwas gefehlt hat' (Deutschlandfunk v. 1.6.2015). Dabei entsteht der grundlegende Leseeindruck, der Roman bilde literarisch eher eine authentische Erinnerung ab, als dass er ein Versuch wäre, einen roten Faden in den Erinnerungen zu finden oder den in sie einzuziehen. Und die so gegebene Zusammenhanglosigkeit im Äußeren ist die große Herausforderung an den Leser - ihm wird eine ganze Menge gedanklicher Arbeit abverlangt - aber das macht den Roman eben auch so reich« - Wolfgang Gabler, Risse, Frühjahr 2016 Wolfgang Gabler Risse 20160101