Wie der Supermarkt zum Ort von politischer Manifestation und individueller Gewissensentscheidung wurdeBoykottaufrufe, Bioprodukte und CO2-Kompensationen: Der Konsum ist in der Gegenwart geprägt von moralischen Forderungen. Doch seit wann erscheint es uns eigentlich plausibel, politische Veränderungen über individuelle Konsumentscheidungen herbeizuführen? Benjamin Möckel untersucht erstmals systematisch und ausgehend von Westdeutschland und Großbritannien die Entstehung moralischer Konsumpraktiken im transnationalen Vergleich. Er interpretiert diese als eine neue Form der politischen Partizipation, mit der sich zugleich Prozesse der Individualisierung und Kommerzialisierung verbanden.Im Zentrum steht die Verschränkung von modernem Massenkonsum, Moral und politischem Protest in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel der Menschenrechtsbewegung, der Umweltbewegung und des Fairen Handels wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen der private Einkauf zu einem Mittel wurde, mit dem Menschen ihre politischen und moralischen Anschauungen zum Ausdruck brachten. Das Buch analysiert diese Konsumpraktiken als eine Form der Politisierung des Alltags, die neue Partizipationsmöglichkeiten eröffnete, politische Anliegen zum Teil aber auch in frei konsumierbare Produkte verwandelte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Viele kluge Gedanken zum Wechselspiel zwischen Moral und Politik finden sich laut Rezensentin Ulla Fölsing in Benjamin Möckels Buch. Die umfang- und materialreiche Studie widmet sich, erfahren wir, der Frage, wie der Supermarkteinkauf in Deutschland und Großbritannien über die Jahre politisiert wurde. Möckel schreibt in diesem Zusammenhang unter anderem darüber, wie expandierende Märkte den moralisch handelnden Konsumenten hervorbrachten, und wie Konsum als eine Art basale politische Handlung konzipiert wurde. Der Historiker kommt unter anderem auf die Vorgeschichte des sogenannten fairen Handels zurück, auf direkt importierte Lebensmittel aus der damals sogenannten Dritten Welt und die Partizipation von Konsumenten an sozialen Bewegungen wie den Anti-Apartheid-Protesten. Außerdem wird der Wandel hin zu einer rein individualistischen, auf der Inszenierung des eigenen Lebensstils basierenden Moralisierung von Konsum beschrieben, der in den 1980ern einsetzt, und, fasst Fölsing zusammen, sich löst von kollektiven Kämpfen. Insgesamt ein interessantes Buch, schließt die Rezensentin, die sich an Philipp Hübls Überlegungen zum "Moralspektakel" erinnert fühlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»eine brillante Fundgrube zum Thema Ökonomie und Moral« (Ulla Fölsing, FAZ, 04.11.2024)