Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 7,50 €
  • Broschiertes Buch

1 Kundenbewertung

In seinem Tagebuch aus der Zeit von März1968 bis April 1970 führt der Sozialhistoriker Hartmut Zwahr seine Leser zurück in die Zeit des "Prager Frühlings" und der nachfolgenden Repressionen. Diese "schmerzhaften" Notizen eines Augenzeugen schildern Menschen in der DDR zwischen Hoffen und Bangen. Dieses Buch beschreibt das politische Räderwerk, in dem die Hoffnung des "Prager Frühlings" verschwand. Erkennbar wird die beginnende Selbstzerstörung eines politischen Systems, das seinen Bürgern, die sich dem Freiheitsaufbruch von Tschechen sowie Slowaken zuwandten, selbst dies verweigerte. Die Texte…mehr

Produktbeschreibung
In seinem Tagebuch aus der Zeit von März1968 bis April 1970 führt der Sozialhistoriker Hartmut Zwahr seine Leser zurück in die Zeit des "Prager Frühlings" und der nachfolgenden Repressionen. Diese "schmerzhaften" Notizen eines Augenzeugen schildern Menschen in der DDR zwischen Hoffen und Bangen. Dieses Buch beschreibt das politische Räderwerk, in dem die Hoffnung des "Prager Frühlings" verschwand. Erkennbar wird die beginnende Selbstzerstörung eines politischen Systems, das seinen Bürgern, die sich dem Freiheitsaufbruch von Tschechen sowie Slowaken zuwandten, selbst dies verweigerte. Die Texte zeigen, wie instabil die geschlossene Gesellschaft der DDR war und blieb. Der Autor beschreibt, wie die Sozialismusvision in der jungen Generation, die den nationalsozialistischen Krieg überlebt hatte, von der Diktatur erstickt wurde. Was dann 1989 geschah, war auch ein Versuch, den "Prager Frühling" nachzuholen, bis die Absage der Menschen an den Realsozialismus dieses Nachholen beendete.
Autorenporträt
Hartmut Zwahr geb. 1936, Dr. phil., war bis 2000 Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig. Er hörte u. a. bei Heinrich Sproemberg, Walter Markov, Hans Mayer und Paul Nedo. Seine Arbeitsschwerpunkte: Arbeiter- und Bürgertumsgeschichte, Messe- und Buchgeschichte, Geschichte der Sorben, die Revolution von 1989 in der DDR.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2008

Leipziger Hoffnungen
Hartmut Zwahr und der akademische Alltag in der DDR

Dieses voluminöse Tagebuch, geführt vor vier Jahrzehnten, kann das heute noch interessieren? Die Antwort lautet uneingeschränkt ja. Es vermittelt ein eindringliches Bild vom politischen und gesellschaftlichen Alltag der DDR während des "Prager Frühlings". Die erste Eintragung datiert vom 11. März 1968, die letzte vom 20. April 1970. Die Zeit dazwischen umspannt Anfang und Ende der von Alexander Dubcek geprägten demokratisch-sozialistischen Erneuerungsbewegung in der CSSR - und alle Erwartungen und Hoffnungen, die im Staat der SED in sie gesetzt werden. Mit der militärischen Intervention der Warschauer-Pakt-Organisation werden zugleich die Illusionen derer zunichte, die eine Demokratisierung und Humanisierung des politischen Regimes für die DDR ersehnen, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz".

Hartmut Zwahr, Jahrgang 1936, Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Leipzig bis 2001, hat mit seinen damals heimlich zu Papier gebrachten, oft schmerzlichen Aufzeichnungen ein Zeitdokument geschaffen, das die innere Situation der DDR aus der Sicht eines Hochschullehrers widerspiegelt, ebenso die internen Diskussionen, die der "Prager Frühling" in der Staatspartei ausgelöst hat. Das Jahr 1968 war auch für die DDR voller Dramatik. Staunend nahm sie das Geschehen im Nachbarland wahr, zudem erlebte sie die Sprengung der Leipziger Universitätskirche, die sogenannte Verfassungsdiskussion sowie den Volksentscheid für eine "sozialistische Verfassung", den Start der 3. Hochschulreform und die Inszenierung des IV. Historiker-Kongresses in Leipzig. Da der Autor, ein kritischer Genosse der SED, seinem Tagebuch auch ketzerische Gedanken anvertraut - "in diesem Staat kann man nur als Heuchler existieren" -, lässt er die Aufzeichnungen in der Wohnung seiner Mutter gesichert gegen einen Zugriff der Staatssicherheit verwahren.

"Eine neue Politik kann nicht mit den alten Leuten gemacht werden", notiert Zwahr unter dem 23. März. "Es war falsch und tragisch, dass sich Erich Apel eine Kugel durch den Kopf schoss. Er hätte ein deutscher Dubcek werden können." Siegt die Konzeption des demokratischen Sozialismus? Das war die Kernfrage für ihn. Und er bekennt: "Das tschechische Modell des Sozialismus ist so weit ausgereift, dass es seine Fortsetzung finden wird. Am Ende wird dieses Modell als das europäische Modell des Sozialismus stehen, ich glaube fest daran" - schreibt Zwahr unter dem 27. August, sechs Tage nach dem Einmarsch in die CSSR. Knapp vier Jahrzehnte später korrigiert er sich in einer lakonischen Anmerkung: "Ein Irrtum: denn auf die Besetzung des Landes folgten die Vereisung des gesamten politischen Lebens, eine Emigrationswelle sowie die lange anhaltende Stagnation, bis die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 Veränderungen einleitete. die im November 1989 in die ,samtene' Revolution mündeten."

Neben seinen Notizen zum "Prager Frühling" bietet der Autor Einblicke in den akademischen Alltag der DDR, er beschreibt die personellen und strukturellen Auswirkungen der 3. Hochschulreform, die Schaffung von Sektionen anstelle von Fakultäten, er lässt teilhaben an dem zuweilen kafkaesken "Parteileben" an seiner Universität und deutet auf innere Konflikte, die einen Leipziger Geschichtsprofessor jener Jahre belasten. "Es geht immer wieder um das Festhalten von Verhaltensweisen, die den deformierten Menschen in unserem entwickelten sozialistischen System zeigen. Hierin erblicke ich eine Aufgabe als Historiker. Unser Amt wird immer kläglicher. Der Historiker hat die Parteilinie zu vertreten, zu interpretieren, nichts anderes." Statt Sachlichkeit konstatiert er in der Geschichtswissenschaft pure Agitation. "Wir sind nur noch eine Agitationsreserve der Partei, Parteiarbeiter, die die Forcierung der klassenmäßigen Erziehung betreiben müssen."

Zwahrs politisches Diarium setzt viel Verständnis für die Wirklichkeit in der DDR voraus, aber er erläutert in nicht weniger als 923 akribisch und kenntnisreich zusammengestellten Anmerkungen die politischen und personellen Zusammenhänge, die er thematisiert. Die Lektüre machen sie nicht gerade einfacher, aber häufig erst begreiflich. Ein aufschlussreiches, geistreiches Buch - und ein geschichtspolitisch wichtiges, eine Fundgrube für zeithistorische Forschungen, zumal im Jahre 2008, dem erinnerungsschwangeren 40. Jahr nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings".

KARL WILHELM FRICKE

Hartmut Zwahr: Die erfrorenen Flügel der Schwalbe. DDR und "Prager Frühling". Tagebuch einer Krise 1968 bis 1970. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2007. 434 S., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr