Ernst von Glasersfeld erläutert die Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus (RK). Es handelt sich um eine Anschauungsform, die den Menschen allein verantwortlich macht für sein Denken, Wissen und Tun. Der radikale Konstruktivist lehnt den metaphysischen oder ontologischen Realismus, der die
Existenz einer denkunabhängigen Realität annimmt, ab. Damit unterscheidet sich der RK von der…mehrErnst von Glasersfeld erläutert die Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus (RK). Es handelt sich um eine Anschauungsform, die den Menschen allein verantwortlich macht für sein Denken, Wissen und Tun. Der radikale Konstruktivist lehnt den metaphysischen oder ontologischen Realismus, der die Existenz einer denkunabhängigen Realität annimmt, ab. Damit unterscheidet sich der RK von der Evolutionären Erkenntnistheorie, die eine Annäherung an eine objektive Welt impliziert.
Heinz von Foerster führt die Gedanken weiter aus und beschreibt das Erkennen als das Errechnen einer Wirklichkeit. Das Beispiel mit dem blinden Fleck im Auge hat eine hohe Überzeugungskraft, weil das Gehirn eine geschlossene Wirklichkeit konstruiert, die nicht vorhanden ist. Dennoch wird m.E. der Bogen überspannt, wenn behauptet wird, dass die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, unsere Erfindung ist. Denn es stellt sich die Frage, „wer“ denn der Erfinder ist? Muss das Subjekt dann nicht zwangsläufig auch ein Konstrukt sein? Und wenn ja, wessen Konstrukt?
Rupert Riedl thematisiert das Ursachendenken, wie es für die Naturwissenschaften existenziell ist. Kausalität ist in der Natur vielleicht gar nicht vorhanden, wie David Hume vermutet. Für Immanuel Kant ist Kausalität eine angeborene Denkkategorie. Aufschlussreich sind Riedls Erläuterungen zu den unterschiedlichen Welterklärungen der Naturwissenschaften (Kräfte, Kausalität) und der Geisteswissenschaften (Zweck, Gründe).
Paul Watzlawick widmet sich ausführlich einem seiner Lieblingsthemen, den selbst erfüllenden Prophezeiungen. Für dieses Phänomen gibt es viele Beispiele. Ein bekanntes Beispiel, welches Watzlawick hier nicht vorstellt, ist die Entwicklung der Aktienkurse, wenn zur Entwicklung Aussagen gemacht werden. Beim herkömmlichen Ursachendenken folgt die Wirkung zeitlich versetzt auf die Ursache. Bei den selbst erfüllenden Prophezeiungen determiniert die (erwartete) Zukunft die Gegenwart.
Der Psychologe David L. Rosenhan beschreibt Versuche in der Psychiatrie mit Scheinpatienten, die deutlich machen, wie schwierig es ist, Normalität von Anomalität zu unterscheiden. Interessanterweise waren es eher die Patienten und nicht die Fachleute, denen die Täuschungsversuche aufgefallen sind. Die Erwartungshaltung erweist sich als mächtig und formt die Wirklichkeit. Letztlich werden die Grenzen psychiatrischer Diagnostik deutlich.
In der Literatur gehören Konstruktionen zum Alltag. Rolf Breuer stellt mehrere Romane vor, die das Problem der Rückbezüglichkeit behandeln. Es sind eher anspruchsvolle Werke der Literaturgeschichte, die Breuer anspricht. Dazu zählen z.B. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust und die Trilogie „Molloy“, „Malone stirbt“ und „Der Namenlose“ von Samuel Beckett. Der Verlust des Glaubens an eine objektiv zugängliche Realität spiegelt sich auch in der Literatur wieder.
Der Beitrag von Jon Elster über eine aktive und passive Negation wirkt sehr theoretisch. Er wird lediglich durch ein Paradoxon von Groucho Marx aufgeheitert. Als vergleichbar schwierig erweist sich der Aufsatz des Mathematikers Gabriel Stolzenberg, der sich u.a. mit Begriffsrahmen von Systemen beschäftigt und welche Auswirkungen es hat, wenn diese von Innen oder von Außen betrachtet werden.
Für einen Lichtblick halte ich den Beitrag von Francisco Varela, der sich mit Rückbezüglichkeit und Zirkularität beschäftigt. Er greift auf Skizzen von M. C. Escher zurück und thematisiert Gödels Unvollständigkeitssätze. Die Untrennbarkeit von Subjekt und Objekt gehört zu seinen Themen.
So lehrreich der RK auch ist, es wird zu wenig auf Grenzen dieser Wirklichkeitsforschung eingegangen. Es kann nicht alles konstruiert sein. Da stellt sich sofort die Frage nach dem Konstrukteur. Wenn die Welt ein Konstrukt ist, ist sie mein Konstrukt. Auch liefern die Naturwissenschaften Erkenntnisse bezogen auf eine intersubjektive Wirklichkeit, die ich mir nicht aussuchen kann.