Juni 1979: Werner Herzog bricht auf, um im südamerikanischen Dschungel "Fitzcarraldo" zu drehen, die Geschichte eines Mannes, eines Traumes und seiner abenteuerlichen Verwirklichung. Auch die Dreharbeiten geraten zu einem Abenteuer: Werner Herzogs Tagebuch ist das Protokoll einer existenziellen Erfahrung und des fortwährenden Konflikts mit seinem Hauptdarsteller Klaus Kinski, der sich immer tiefer in seine Rolle des Fitzcarraldo hineinsteigert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2005Ich bin eine Primzahl
Schrecken des Dschungels und der Finsternis: Der Regisseur Werner Herzog führte Tagebuch bei den Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo"
So wahr ich hier stehe, ich werde eines Tages große Oper nach Iquitos bringen. Ich bin die Überkraft und die Überzahl. Ich bin die letzte Schlacht. Ich bin das Schauspiel im Wald." Brian Sweeney Fitzgerald, als Filmtitelheld "Fitzcarraldo" genannt, stößt diese Prophezeiung hervor. Niemand, der den abenteuerlichsten Film des deutschen Kinos gesehen hat, wird je seine Bilder vergessen. Als Werner Herzog 1979 mit den Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo" beginnt, hat er schon acht Dokumentar- und vierzehn Spielfilme gedreht, er ist achtunddreißig Jahre und bereits auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Kraft. Der Film ist längst Geschichte, sein Hauptdarsteller Kinski tot, da offenbart Herzog mit mehr als zwei Jahrzehnten Verspätung sein Tagebuch, das er zwischen Juni 1979 und November 1981 im peruanischen Dschungel geführt hat. Und das er - aus ihm selbst verborgenen Gründen - vierundzwanzig Jahre nicht angerührt hat. Ob das Manuskript für die Druckfassung bearbeitet wurde, bleibt sein Geheimnis.
Dies ist kein "Buch zum Film", es geht darin nur am Rande um die Dreharbeiten, selten um die Streitereien mit Kinski. Der kommt ohnehin spät ins Spiel, aber auch er spielt es - wie sein Alter ego Herzog - nur mit vollem Einsatz. Einmal treibt er es mit seinen Wutanfällen so weit, daß zwei Indianer dem Regisseur, der Kinskis Raserei bewußt an sich abperlen läßt, anbieten, den Schauspieler noch in der nämlichen Minute umzubringen. Herzog lehnt dankend ab, die Idee hatte er selbst schon. Schließlich weiß er, daß Kinski der beste Mann für die Rolle ist, mehr als nur ein Ersatz für den Amerikaner Jason Robards, der dem Druck der Umstände ebensowenig standhielt wie Mario Adorf, mit dem sich Herzog begeistert überwirft: "Adorf stellt unverschämte Forderungen, dieser eitle, dumme, hinterhältige Mensch, er muß aus dem Film entfernt werden."
Nur sich selbst hätte er die Titelrolle noch zugetraut: den größenwahnsinnigen Kautschukbaron, der eine Oper im Urwald bauen will und die Indianer mit Platten von Caruso an sich bindet. Besser verstanden hat er sich nur mit Claudia Cardinale und Mick Jagger, aber auch der Rockmusiker reist vorzeitig ab, weil sich eine Tournee der "Rolling Stones" nicht verschieben läßt. Nein, an Selbstbewußtsein mangelt es Werner Herzog nicht; bei einem Abendessen in Lima notiert er etwa: "Wir waren zu elft, das heißt zu zehnt und ich. Ich war die Primzahl."
Die Primzahl fühlt sich schrecklich allein, verlassen in den tropischen Nächten, wenn das Leben im Camp zum Erliegen kommt und die Schwärze der Nacht nur von Geräuschen aus dem Urwald zerschnitten wird. Seine Mutter liegt im heimatlichen München auf dem Operationstisch, die Familie erreicht er selten, das Telexgerät funktioniert kaum je. Wenn Nachrichten kommen, tun sie es als Gerüchte, wie jenes vom Attentat auf Ronald Reagan. Bücher hat der Regisseur auch dabei, Ferdinand Gregorovius, Bruce Chatwin, Joseph Roth, Livius über den Zweiten Punischen Krieg. Sie helfen ihm nicht wirklich weiter. So steigen Erinnerungen hoch an Szenen der Kindheit im oberbayerischen Sachrang, Träume schieben sich dazwischen, die den gleichen Realitätsgrad haben wie die Gegenwart am Oberlauf des Amazonas.
Rundherum sind Tod und Verwesung, holen sich die reißenden Flüsse ihre Opfer, jagen Indianer mit giftigen Pfeilen. Wasserleichen treiben vorbei, Giftschlangen, Piranhas und Alligatoren drohen - die Gewalt des Dschungels ist überdimensional im Vergleich zu den paar mitgebrachten Errungenschaften der westlichen Zivilisation. Neben den Elementen sind Pflanzen und Tiere die Hauptdarsteller. Herzog beobachtet sie leidenschaftlich: "Die Sonne ging flammend unter. Für einen Moment (...) kam mir die Erde mütterlich vor, bedeckt mit moderndem Wald, der sich ganz niedrig machte. Ein großer, brauner Nachtfalter bohrte sich in den glatten Betonboden, als wolle er in die Erde hineinfahren, und schlug so heftig mit seinen Flügeln, daß das hölzerne Geräusch, das er verursachte, mit dem elektrischen Knistern und Knacken einer sterbenden Neonröhre über ihm wie eine Symphonie aus den Tiefen des Weltalls klang, eines Weltalls, das sich zur letzten Ernte bereit gemacht hat."
Wie für den Film gilt auch für diese Aufzeichnungen: Die Unterscheidung zwischen Kino und Leben ist längst aufgehoben. So wie Herzog seine Filme aus sich selbst geschöpft hat, so tritt er sich auch in seinen Sätzen gegenüber: maßlos in seinem Anspruch, ein Schiff im Urwald zu bauen und es über einen Berg zu ziehen; bescheiden in der Einsicht, dem Reich des Nutzlosen und also der Kunst beigewohnt zu haben. Denn Herzog war von Anfang an - und ist es bis zum Schluß geblieben - mit der Natur "unversöhnt". Sein Feind sind nicht die täglichen Katastrophen und Unwägbarkeiten bei Dreharbeiten in unwirtlichem Gelände: Geld- und Nachschubmangel, Schauspielergezicke oder Behördenindolenz. Sein Feind ist der Urwald. Er vermenschlicht ihn, um ihm auf gleicher Augenhöhe begegnen zu können, er reibt sich an seinem "innersten Wesen", einer "unvorstellbaren Vernichtung, einem unvorstellbaren Würgen". Nur noch das Meer hält für Herzog ähnliche Schrecken bereit: "eine endlose Hölle von andauernder und unmittelbarer Gefahr".
Wie es sich für einen postmodernen Übermenschen gehört, weiß auch Werner Herzog, daß er gegen eine solche Übermacht nicht gewinnen kann, wenigstens einen Teilsieg will er aber doch erringen. Also quält er sich mit einer bewundernswerten Hartnäckigkeit mehr als zwei Jahre. Wer sich selbst seiner Vison buchstäblich auf Leben und Tod verschreibt, der hat wohl das Recht zu solchen Sätzen. Denn dieser Text beschreibt, wie Herzog in der Vorrede demütig schreibt, "eher innere Landschaften, aus dem Delirium des Dschungels geboren". Notate, die solchen Umständen abgetrotzt wurden, verdienen Respekt, nötig haben sie ihn nicht.
Denn Herzogs Prosa oszilliert - mit wenigen Ausrutschern - zwischen bezwingendem Pathos und einer glaskalten Nüchternheit. Das führt dazu, daß man leicht vor lauter Staunen über das Geschilderte die literarische Qualität vergessen könnte. So wie die Oper, schreibt Herzog, die großen Gefühle auf das Archetypische verdichte, so verhalte es sich auch mit dem Dschungel: Beide seien in ihrer Essenz nicht weiter konzentrierbar.
Werner Herzog: "Die Eroberung des Nutzlosen". Hanser Verlag, München 2004. 335 S., geb., 21,50 [Euro].
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Schrecken des Dschungels und der Finsternis: Der Regisseur Werner Herzog führte Tagebuch bei den Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo"
So wahr ich hier stehe, ich werde eines Tages große Oper nach Iquitos bringen. Ich bin die Überkraft und die Überzahl. Ich bin die letzte Schlacht. Ich bin das Schauspiel im Wald." Brian Sweeney Fitzgerald, als Filmtitelheld "Fitzcarraldo" genannt, stößt diese Prophezeiung hervor. Niemand, der den abenteuerlichsten Film des deutschen Kinos gesehen hat, wird je seine Bilder vergessen. Als Werner Herzog 1979 mit den Dreharbeiten zu "Fitzcarraldo" beginnt, hat er schon acht Dokumentar- und vierzehn Spielfilme gedreht, er ist achtunddreißig Jahre und bereits auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Kraft. Der Film ist längst Geschichte, sein Hauptdarsteller Kinski tot, da offenbart Herzog mit mehr als zwei Jahrzehnten Verspätung sein Tagebuch, das er zwischen Juni 1979 und November 1981 im peruanischen Dschungel geführt hat. Und das er - aus ihm selbst verborgenen Gründen - vierundzwanzig Jahre nicht angerührt hat. Ob das Manuskript für die Druckfassung bearbeitet wurde, bleibt sein Geheimnis.
Dies ist kein "Buch zum Film", es geht darin nur am Rande um die Dreharbeiten, selten um die Streitereien mit Kinski. Der kommt ohnehin spät ins Spiel, aber auch er spielt es - wie sein Alter ego Herzog - nur mit vollem Einsatz. Einmal treibt er es mit seinen Wutanfällen so weit, daß zwei Indianer dem Regisseur, der Kinskis Raserei bewußt an sich abperlen läßt, anbieten, den Schauspieler noch in der nämlichen Minute umzubringen. Herzog lehnt dankend ab, die Idee hatte er selbst schon. Schließlich weiß er, daß Kinski der beste Mann für die Rolle ist, mehr als nur ein Ersatz für den Amerikaner Jason Robards, der dem Druck der Umstände ebensowenig standhielt wie Mario Adorf, mit dem sich Herzog begeistert überwirft: "Adorf stellt unverschämte Forderungen, dieser eitle, dumme, hinterhältige Mensch, er muß aus dem Film entfernt werden."
Nur sich selbst hätte er die Titelrolle noch zugetraut: den größenwahnsinnigen Kautschukbaron, der eine Oper im Urwald bauen will und die Indianer mit Platten von Caruso an sich bindet. Besser verstanden hat er sich nur mit Claudia Cardinale und Mick Jagger, aber auch der Rockmusiker reist vorzeitig ab, weil sich eine Tournee der "Rolling Stones" nicht verschieben läßt. Nein, an Selbstbewußtsein mangelt es Werner Herzog nicht; bei einem Abendessen in Lima notiert er etwa: "Wir waren zu elft, das heißt zu zehnt und ich. Ich war die Primzahl."
Die Primzahl fühlt sich schrecklich allein, verlassen in den tropischen Nächten, wenn das Leben im Camp zum Erliegen kommt und die Schwärze der Nacht nur von Geräuschen aus dem Urwald zerschnitten wird. Seine Mutter liegt im heimatlichen München auf dem Operationstisch, die Familie erreicht er selten, das Telexgerät funktioniert kaum je. Wenn Nachrichten kommen, tun sie es als Gerüchte, wie jenes vom Attentat auf Ronald Reagan. Bücher hat der Regisseur auch dabei, Ferdinand Gregorovius, Bruce Chatwin, Joseph Roth, Livius über den Zweiten Punischen Krieg. Sie helfen ihm nicht wirklich weiter. So steigen Erinnerungen hoch an Szenen der Kindheit im oberbayerischen Sachrang, Träume schieben sich dazwischen, die den gleichen Realitätsgrad haben wie die Gegenwart am Oberlauf des Amazonas.
Rundherum sind Tod und Verwesung, holen sich die reißenden Flüsse ihre Opfer, jagen Indianer mit giftigen Pfeilen. Wasserleichen treiben vorbei, Giftschlangen, Piranhas und Alligatoren drohen - die Gewalt des Dschungels ist überdimensional im Vergleich zu den paar mitgebrachten Errungenschaften der westlichen Zivilisation. Neben den Elementen sind Pflanzen und Tiere die Hauptdarsteller. Herzog beobachtet sie leidenschaftlich: "Die Sonne ging flammend unter. Für einen Moment (...) kam mir die Erde mütterlich vor, bedeckt mit moderndem Wald, der sich ganz niedrig machte. Ein großer, brauner Nachtfalter bohrte sich in den glatten Betonboden, als wolle er in die Erde hineinfahren, und schlug so heftig mit seinen Flügeln, daß das hölzerne Geräusch, das er verursachte, mit dem elektrischen Knistern und Knacken einer sterbenden Neonröhre über ihm wie eine Symphonie aus den Tiefen des Weltalls klang, eines Weltalls, das sich zur letzten Ernte bereit gemacht hat."
Wie für den Film gilt auch für diese Aufzeichnungen: Die Unterscheidung zwischen Kino und Leben ist längst aufgehoben. So wie Herzog seine Filme aus sich selbst geschöpft hat, so tritt er sich auch in seinen Sätzen gegenüber: maßlos in seinem Anspruch, ein Schiff im Urwald zu bauen und es über einen Berg zu ziehen; bescheiden in der Einsicht, dem Reich des Nutzlosen und also der Kunst beigewohnt zu haben. Denn Herzog war von Anfang an - und ist es bis zum Schluß geblieben - mit der Natur "unversöhnt". Sein Feind sind nicht die täglichen Katastrophen und Unwägbarkeiten bei Dreharbeiten in unwirtlichem Gelände: Geld- und Nachschubmangel, Schauspielergezicke oder Behördenindolenz. Sein Feind ist der Urwald. Er vermenschlicht ihn, um ihm auf gleicher Augenhöhe begegnen zu können, er reibt sich an seinem "innersten Wesen", einer "unvorstellbaren Vernichtung, einem unvorstellbaren Würgen". Nur noch das Meer hält für Herzog ähnliche Schrecken bereit: "eine endlose Hölle von andauernder und unmittelbarer Gefahr".
Wie es sich für einen postmodernen Übermenschen gehört, weiß auch Werner Herzog, daß er gegen eine solche Übermacht nicht gewinnen kann, wenigstens einen Teilsieg will er aber doch erringen. Also quält er sich mit einer bewundernswerten Hartnäckigkeit mehr als zwei Jahre. Wer sich selbst seiner Vison buchstäblich auf Leben und Tod verschreibt, der hat wohl das Recht zu solchen Sätzen. Denn dieser Text beschreibt, wie Herzog in der Vorrede demütig schreibt, "eher innere Landschaften, aus dem Delirium des Dschungels geboren". Notate, die solchen Umständen abgetrotzt wurden, verdienen Respekt, nötig haben sie ihn nicht.
Denn Herzogs Prosa oszilliert - mit wenigen Ausrutschern - zwischen bezwingendem Pathos und einer glaskalten Nüchternheit. Das führt dazu, daß man leicht vor lauter Staunen über das Geschilderte die literarische Qualität vergessen könnte. So wie die Oper, schreibt Herzog, die großen Gefühle auf das Archetypische verdichte, so verhalte es sich auch mit dem Dschungel: Beide seien in ihrer Essenz nicht weiter konzentrierbar.
Werner Herzog: "Die Eroberung des Nutzlosen". Hanser Verlag, München 2004. 335 S., geb., 21,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Mit dem Alltag will der Extremfilmer Werner Herzog nichts zu tun haben. Er sucht die Herausforderung in der Ferne, im Unzugänglichen oder, wenn es sein muss, in den "Halbirren", mit denen er es zu tun bekommt. Will sagen: Klaus Kinski. Der allerdings spielt, wie Merthen Wortmann fast etwas verwundert feststellt, gar keine zentrale Rolle in Herzogs Tagebuchaufzeichnungen, die während der Dreharbeiten zum Film "Fitzcarraldo" entstanden. Wind, Wetter, amazonische Naturgewalten treten prominenter auf, auch Jason Robards und Mario Adorf, die Weicheier, die sich alsbald vom Set verabschiedeten. Herzog freilich jagte weiter seiner "großen Metapher" hinterher, vom Schiff, das über den Berg muss - und hatte zuletzt erstaunlicherweise Erfolg. Der Rezensent ist, wie es scheint, abwechselnd beeindruckt und genervt von Herzogs Schilderungen seines "Urkampfs des Menschen". Ein "glücklicher Sisyphos"